Kaizen 2 go 241 : Automatisierung – der Prozess im Prozess


 

Inhalt der Episode:

  • Was ist unter Prozess im Prozess zu verstehen?
  • Was muss dabei berücksichtigt werden?
  • Was bedeutet das bspw. für ein FTS (fahrerloses Transportsystem)?
  • Wie verhält die OEE eines automatisierten Systems im Vergleich zu einem manuellen System?
  • Wie lässt sich das erklären?
  • Welche Auswirkungen haben dann Auslastungsgrenzen?
  • Welche Randbedingungen müssen bspw. bei einem FTS beachtet werden?
  • Was muss man auch beachten, wenn durch Automatisierung Menschen ersetzen werden?
  • Wie kann insgesamt dem Automatisierungsparadoxon entgehen?

Notizen zur Episode:


Mitmachen?

Wenn Sie selbst ein interessantes Thema für eine Episode im Umfeld von Geschäftsprozessen haben, können Sie mir das auf dieser Seite mit Vorbereitungsfragen vorschlagen.

Ich freue mich darauf!

Ihnen hat der Inhalt gefallen? Dann bewerten Sie die Episode bitte bei iTunes.
Jetzt eintragen und Artikel/Denkanstöße zukünftig per eMail erhalten.

Artikel teilen auf ...


(Teil)automatisiertes Transkript

Episode 241 : Automatisierung – der Prozess im Prozess

Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.

Götz Müller: Heute habe ich Mario Buchinger bei mir im Podcast-Gespräch. Er ist Ökonomie-Physiker und Veränderungsentwickler. Hallo Herr Buchinger.

Mario Buchinger: Grüße nach Deutschland, muss ich ja sagen, ich sitze ja hier in Tirol. Hallo.

Götz Müller: Hallo. Jetzt haben wir ja schon das zweite Podcast-Gespräch, stellen Sie sich aber gerne noch mal in 2-3 Sätzen selber vor, wahrscheinlich hat nicht jeder unsere erste Episode schon gehört.

Mario Buchinger: Ja, die ist ja auch schon ein bisschen her und man entwickelt sich ja auch weiter, also gerne paar Worte zu meiner Person. Also ich sitze hier zwar physisch in Tirol, aber man hört an meinem Dialekt, dass es kein österreichischer Dialekt ist. Ich bin in Göttingen aufgewachsen, bin dort zur Welt gekommen von Eltern, die aus dem damaligen Jugoslawien nach Deutschland gekommen sind, aber der Nachname, das kann ich gleich mal auflösen, ist von meiner Frau. Wir haben also beim Losen verloren, also ich habe verloren oder gewonnen, je nachdem, wie man es sieht und da ist also der Nachname hängengeblieben. Der Geburtsname hängt noch in meinem Firmennamen mit drin, ja, und wie in der Vorstellung bereits erwähnt, Physiker ist wirklich mein Werdegang. Ich habe Physik studiert, ein Astrophysikdiplom gemacht, dann in Materialphysik promoviert und bin dann die Wirtschaft gewechselt und der Blick eines Naturwissenschaftlers auf das Geschehen in der Wirtschaft ist, in vielerlei Hinsicht, ein anderer. Also wir gehen mit Theorien und mit gewissen Modellen in weiten Teilen anders um als die etablierten Wirtschaftswissenschaften oder Ingenieurswissenschaften tun. Deswegen hat sich im Laufe der Zeit der Begriff Ökonomie-Physiker entwickelt und wir begleiten, also ich begleite mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Disziplinen Unternehmen, aber auch Behörden und die Politik im Bereich der Veränderungsfähigkeit, also Dinge, den Status Quo in Frage zu stellen. Und das Ganze wird unterstützt durch einen eigenen Podcast, Publikationen, Kolumnen, die ich schreibe und damit die Kreativität nicht auf der Strecke bleibt, habe ich noch das eine und andere Musikprojekt.

Götz Müller: Ja. Das passt im Grunde auch wunderbar zu unserem Thema heute, wo man, glaube ich, wenn man es so zum ersten Mal liest, Automatisierung, ja, man hat vielleicht eher ein ziemlich festes Bild sogar im Kopf und dann den zweiten Teil, Prozess im Prozess, da wird vielleicht der ein oder andere schon mal kurz zögern, was denn da dahinter steckt und deshalb so zum Einstieg die Frage: Was verstehen Sie unter Prozess im Prozess?

Mario Buchinger: Der Prozess ist so ein bisschen etwas … jeder kennt den Begriff, aber das hat eine gewisse Abstraktionsebene und dann ist immer die Frage der Flughöhe. Wenn ich jetzt natürlich einen gesamten Wertstufe als einem Prozess definiere, auf einer gewissen Flughöhe kann das ja Sinn machen, dann werde ich das nicht erkennen, ich bin da also schon eine Ebene tiefer. Also was ich mit dieser Überschrift sage und Sie referenzieren ja jetzt auf eine Kolumne, die ich im Factory-Magazin geschrieben habe, da geht es ja um ein fahrerloses Transportsystem, wo ich sage, das ist ein Prozess innerhalb einer Prozesskette. Das würde also heißen, wie erhöhen damit einen Komplexitätsgrad. Ich versuche ja grundsätzlich immer, also wir versuchen als Menschen ja immer Prozesse, oder sollten wir zumindest, möglichst komplexitätsarm zu halten, damit aber trotzdem das Richtige rauskommt und natürlich spricht gegen einen gewissen Komplexitätsgrad ja nichts dagegen, wenn man damit auch einen gewissen Gegenwert bekommt, aber hier bestehen unter Umständen Gefahren, dass man die Komplexität erhöht, indem man einen weiteren Prozess zwischen zwei wertschöpfende Prozessschritten, sprich einen Transportprozess, hineinschiebt.

Götz Müller: Ja, ich denke, Sie hätten den Begriff auch nicht gewählt, wenn es nicht, und sie haben es gerade schon ein bisschen angedeutet, wenn es nicht bestimmte Randbedingungen gäbe, die man dabei berücksichtigen sollte. Sonst, auf den ersten Blick würde ich sagen, wenn man sagt, Prozess im Prozess, könnte man vermuten, es steigert ja eigentlich die Komplexität.

Mario Buchinger: So ist es ja auch gemeint. Es steigert die Komplexität.

Götz Müller: Was steckt dann dahinter? Warum mache ich das? Weil manche sprechen ja sogar von der neunten Verschwendungsart, unnötige Komplexität.

Mario Buchinger: Ja. Wenn man das in dieser Theorie sieht, stimmt es ja auch. Also was wir also machen, wir haben typischerweise zwei wertschöpfende Prozesse in einem Produktionsumfeld, dass die Teile, die hergestellt werden müssen, von einem Prozess in einen anderen übertragen werden und dafür braucht es einen Transportvehikel. So, traditionell macht das dann unter Umständen ein Mensch, im schlimmeren Fall mit einem Stapler, den man ja nicht unbedingt in der Produktion haben will, aber gibt's ja auch. Da hat es natürlich auch eine gewisse Komplexität, die ist aber viel kleiner als ein automatisiertes System. Also dieses automatisierte System hat einen Andockpunkt. Dort muss dann ein Ladungsträger auf dieses automatisierte System draufgehoben werden, das macht unter Umständen immer noch ein Mensch. Unter Umständen gibt es wiederum eine Technologie, einen Mechanismus, der das automatisiert, aber mit jeder Automatisierung steigt natürlich auch wieder die Fehleranfälligkeit, ich denke dazu werden wir auch noch kommen im Laufe des Gesprächs, und dann fährt dieses Gerät los und das fährt eben automatisiert anhand eines Algorithmus und interagiert auch noch mit anderen Umgebungsbedingungen. Das tut natürlich der Mensch auch, aber der Mensch kann sehr viel einfacher und direkter reagieren und der denkt mit. Das tut die Maschine nicht, die Maschine ist und bleibt, trotz KI, die wir heute nach meiner Auffassung noch lange nicht haben, wir haben heute eher Machine Learning, aber davon reden wir in dem Fall mal nicht. Diese Technik ist dumm, die bleibt auch dumm, die denkt halt nicht mit. Das bedeutet, wir haben einen Transportmechanismus, der in der Komplexität deutlich höher ist verglichen mit dem, was ein Mensch macht. Und am Ziel angekommen muss dieses Ladungsträgerelement wieder entladen werden. Es muss also wohin gebracht werden und eventuell sitzt dort auch wieder ein Mensch, der es aufnimmt und damit habe ich im Prinzip eine weitere Maschine zwischen zwei mehr oder weniger automatisierten Prozessschritten.

Götz Müller: Was ergibt sich dann daraus für den übergeordneten Prozess, so im Sinne von ein Prozess hat ja grundsätzlich immer gewisse Randbedingungen?

Mario Buchinger: Na gut. Wenn man jetzt in der klassischen Theorie schaut und man so etwas wie eine Verfügbarkeit sich anguckt oder wenn man das Ganze auch noch ausdrückt in Form einer OEE und bitte hier nicht in Produktivitätsgrößen denken, sondern in Effektivitätsgrößen, also OEE ist keine Produktivitätskennzahl, das wird ja von vielen oft als solche missbraucht, dann kann ich ja dort durchaus einen Indikator sehen, welche Verfügbarkeit ein System hat und wenn ich die Gesamtverfügbarkeit in Systemen betrachten will, dann werden die typischerweise multipliziert, so jetzt erstmal die Theorie. Nun gibt es natürlich immer gewisse Freiheitsgrade wie Entkopplung dazwischen. Also ich kann das nicht starr multiplizieren, wenn ich gewisse Entkopplungsstufen zwischen Prozessen habe, wo eine gewisse Atmung des Systems möglich ist. Deswegen gibt es die auch. Das ist ja auch ein Thema, wo gerade … die Lean-Szene behauptet ja immer, dass Bestände böse seien und ich unterschreibe das pauschal nicht. Klar, Bestände sind böse, wenn man zu viel davon hat, aber Bestände sichern uns auch unser Überleben und wenn ich die richtigen Bestände dazwischen habe, dann habe ich nicht diese starre Verkettung, wo ich dann multiplizieren muss, aber wenn ich einen Komplexitätsgrad erhöhe, dann erhöhe ich auch den Komplexitätsgrad des Gesamtsystems und senke unter Umständen seine Verfügbarkeit und das kann, musst nicht, aber kann unter Umständen zu Problemen führen, wenn diese Kapazitätsgrenze am Ende unterhalb dessen liegt, was eigentlich von den Kunden benötigt würde.

Götz Müller: Ja und ich könnte mir vorstellen, jetzt führt man so etwas wie ein automatisiertes Transportsysteme ein und reibt sich vielleicht, gedanklich zumindest, die Hände und sagt „Jetzt wird alles besser.“ und wenn man aber dann mal die Rechnung aufmacht, stellt man unter Umständen fest „Nee, der Schuss ging nach hinten los“ im Extremfall.

Mario Buchinger: Genau. Und ich habe es bei Projekten erlebt, ich habe auch Projekte erlebt, wo wir solche fahrerlosen Transportsysteme wieder abgeschafft haben, weil sie sich nicht bewährt haben. Man muss auch dazu bedenken, dass die meisten dieser Systeme in einem Umfeld unterwegs sind, wo sie mit anderen Fahrzeugen und Fußgängerinnen und Fußgängern interagieren. Das bedeutet, die sind natürlich aus Sicherheitsgründen in ihrem Fahrweg und auch in ihrer Fahrgeschwindigkeit limitiert, was ja auch nachvollziehbar ist und in dem Moment habe ich noch einen weiteren Unsicherheitsfaktor. Und das Ganze führt am Ende noch womöglich noch zu einer Erhöhung der Durchlaufzeit und eben zu dieser Prozesskomplexitätserhöhung, die mir unter Umständen dann, wie Sie richtig sagen, wo der Schuss am Ende sogar nach hinten losgeht, wenn ich vorher vielleicht schon recht nah an der Kapazitätsgrenze war, die für den Kunden relevant ist.

Götz Müller: Auch so Aspekte eben wie Auslastungsgrenzen, wo ja auch ganz oft, vielleicht unter Umständen idealerweise nicht unter Lean-Gedanken, aber unter nicht Lean-Gedanken zumindest eben immer danach gestrebt wird: „Ja, ich möchte mein System möglichst weit auslasten.“

Mario Buchinger: Der Fehler wird ja ständig gemacht, wobei ich kenne auch viele Leute mit diesem Lean-Background, die das auch tun, also dieses sogenannte Verschwendung eliminieren, wenn ich das jetzt nur auf einem Prozess mache und ich will diesen Prozess wirklich dort Verschwendung eliminieren, versuche ich den natürlich maximal auszulasten, aber das hat ja, die Erkenntnis ist ja nicht neu, diese Theory of Constraints, das ist ja auch schon wirklich Jahrzehnte bekannt und das ist eigentlich logisch, wenn man sich das weiter denkt. Es gibt ja diesen berühmten Roman von Goldratt, The Goal, der hat das ja auch in einem Roman schön dargestellt. Wenn man ein Unternehmen kaputt machen will, muss man eben nur dafür sorgen, dass alle Prozesse maximal effizient laufen, dann passt nämlich am Ende nichts mehr zusammen. Und das ist immer die Gefahr, wenn ich diesen Gesamtblick für ein System verliere und am Ende nur noch die Silo-Optimierung voranbringen möchte und dann macht man so ziemlich alles falsch.

Götz Müller: Jetzt könnte ich mir aber vorstellen, dass der eine und andere halt aus, ja, vielleicht so etwas wie Tradition, aus „haben wir schon immer so gemacht“, aus so einer Ecke kommt und vielleicht die Problematik doch noch nicht so durchdrungen hat, wie die Zusammenhänge sich darstellen, warum es, ja, ein anderer Podcast-Gesprächspartner hat hier den Begriff Auslastungsparadoxon gewählt und ich glaube so ein Begriff Paradoxon würde man nicht wählen, wenn es nicht auf eine gewisse Art und Weise paradox ist. Das heißt, das möchte ich noch ein bisschen vertiefen.

Mario Buchinger: Ja, ich glaube, da ist aber nichts paradox dran. Dieser Begriff Paradoxon ist gut, um vielleicht so eine Aufmerksamkeit zu kriegen, ich glaube, das kann helfen, aber grundsätzlich finde ich da nichts paradox.

Götz Müller: Ja. Ich werde halt den Verdacht nicht los. Sie kennen vielleicht auch das andere Buch vom Effizienz-Paradoxon von den zwei, was waren es, Schweden oder Dänen.

Mario Buchinger: Ich habe es nicht gelesen, muss ich zu meiner Schande gestehen.

Götz Müller: Das Effizienz-Paradoxon, einerseits das Flusseffizienz und eben die Ressourceneffizienz gegenüberstellt und da es im Grunde zu etwas Ähnlichem kommt.

Mario Buchinger: Ja, das ist ja aber wirklich, wenn ich jetzt … ich schaue jetzt mal aus der Naturwissenschaftlerbrille drauf. Wenn ich ein System an die Grenze bringe, dann bin ich immer in einem Bereich, in einem Umfeld, in einem Fenster, was weniger Fehler verzeiht. Also jeder, der mal in die Berge, wenn man auf Skitour geht und dann am Ende den Berg wieder runterfährt, muss man immer aufpassen, dass man im Bereich der physikalischen Grenzen bleibt und ich bin jemand, der bleibt sehr stark in der Sicherheit, weil ich bin nicht so erfahren wie manche meiner Mitgeher. Das bedeutet, wenn ich den ein oder anderen Fahrfehler mache, dann wird das ein oder andere mir verziehen. Würde ich schneller fahren, rabiater fahren, dann würde ich einen Fehler machen und der wird mir vielleicht nicht verziehen und so ist das auch in jedem Prozess. Wenn ich an seine Grenze komme und es gibt irgendeine Varianz und eine Einflussgröße ein Fehler, dann hat der eine viel rabiatere Verwirkung und wenn der dann eintritt, dann hat er auch eine Auswirkung auf die Umgebung. Das ist auch völlig klar. Also in der Physik spricht man von der physikalischen Grenze. Also es gibt ja eine Menge Leute, die glauben, sie haben Allradantrieb und deswegen können sie rasen wie die Berserker, auch wenn es schneit. Das stimmt aber nicht. Allradantrieb bringt uns nur näher an die physikalische Grenze, aber sie wird nicht verschoben. Und das ist im Prozess genauso. Wenn ich also wirklich an den Grenze komme, verzeihe ich weniger Fehler und mit weniger Fehlertoleranz darf auch weniger passieren und damit sollte das erklärbar sein. Aber vielleicht hilft dieses Paradoxon trotzdem ganz gut, um es ins Bewusstsein zu kriegen.

Götz Müller: Ja und ich glaube, da kommen dann eben die Dinge wieder zusammen, wenn ich jetzt zwei Prozesse ineinander schachtle und so ja der Titel „Prozess im Prozess“ und dann dieser Effekt, wie Sie es angedeutet haben, dass ich im Grunde nicht addiere, sondern sogar multipliziere und dadurch sehr viel schneller schlechter werde, komme ich halt wieder näher an diese physikalische Grenze auch.

Mario Buchinger: Und dann darf auch viel weniger passieren und dann haben wir eben eine geringere Fehlertoleranz.

Götz Müller: Gut. Jetzt vielleicht ganz konkret auf das Thema Transportsystem, fahrerloses Transportsystem, wo man sagt „Ja, ich schließe hier den Menschen aus als eine Fehlerquelle.“, was sind aber die Randbedingungen, die bei dem FTS beachten muss?

Mario Buchinger: Ja, ein FTS ist halt eben noch eine weitere Maschine mit einer sehr viel höheren Fehleranfälligkeit, also zumindest mit dem heutigen technologischen Stand. Ich habe ja vorhin schon gesagt, die meisten fahren eben im Umfeld anderer Aktivitäten, also die haben eine Fahrgeschwindigkeit im Bereich von 3-5km pro Stunde, also ein normaler Fußgänger, manchmal sogar langsamer, die dürfen gar nicht schneller fahren, weil sonst das Unfallrisiko steigt. Und das bedeutet, dass ich natürlich am Entnahme-, also an dem Prozess, wo ein FTS beladen wird und am Zielort brauche ich ja dann wieder Entkopplungsstufen. Das bedeutet, wenn ich die Transportzeit kürzer kriege und das kann ich durch einen manuellen Prozess eher hinbekommen, dann ist es sehr wahrscheinlich, also dass ich dann an, wenn so eine kurze Transportzeit habe, dass ich auch Übergabebestände vom einen Wertschöpfungsprozess zum folgenden Wertschöpfungsprozess eben auch kleiner machen kann. In dem Moment, wenn ein FTS dazwischen sitzt, gehen diese Übergabebestände sehr wahrscheinlich hoch, denn wenn zum Beispiel ein FTS irgendwo stehen bleiben muss, weil ein Fußgänger im Weg ist oder weil es irgendwo eine Kollisionsgefahr gibt oder vielleicht weil Maschinen komplexer sind als Fußgänger, irgendwo eine Störung hat, dann will ja trotzdem der Folgeprozess, der wertschöpfende, weiter arbeiten, den wollen wir ja nicht leer laufen lassen. Das bedeutet, wenn ich jetzt die OEE eines FTS mit der OEE eines manuellen Routenzugs vergleiche, dann können wir so aus Erfahrungswerten davon ausgehen, dass das FTS im Bereich von 80% liegt, pi mal Daumen, das kann schwanken, hängt auch sehr von den Umgebungsbedingungen ab, und der manuelle Prozess, vorausgesetzt er ist ergonomisch möglich, liegt im Bereich von größer 90, maximal möglicher OEE. Ob ich die brauche, steht auf einem anderem Blatt und es ist natürlich logisch, dass ich dann weniger Bestände brauche und die Durchlaufzeit beim manuellen Prozess eher kleiner ist.

Götz Müller: Ja, und könnte mir auch vorstellen, dass vielleicht ein Algorithmus, der dahinter steckt, der mir jetzt vielleicht einen vermeintlich idealen Weg aussucht oder nach irgendwelchen Kriterien ausrechnet, dann doch nicht diesen, vielleicht menschlich, siebten Sinn hat zu sagen, jetzt fahre ich noch hier diesen Bogen und er fährt halt einen anderen.

Mario Buchinger: Das kommt noch dazu, klar. Sie sprechen aber einen ganz spannenden anderen Aspekt an. Es gibt ja immer noch diese große Vision von der hochflexiblen Fabrik, also wir reden, wir haben keine klaren Wertströme mehr, wir haben nur noch Ressourcen und die werden maximal ausgelastet. Da sind wir wieder beim Thema Auslastung. Und ein Algorithmus steuert hochintelligent die Güter genau an die Ressource, die gerade dann frei ist, damit es hoch optimal läuft. Das ist aber nichts anderes als die Algorithmisierung des Chaos. Und das ist ein Fehlschuss. Da sind wir wieder … das ist dieser feuchte Traum der ewig hohen Effizienz und der wird nie funktionieren. Das ist so ein typisches Managerdenken, dass man ja irgendwann einen Artikel gelesen hat „Wertstrom braucht kein Mensch mehr. Wir machen heute nur noch algorithmisch orientierte Ressourcenauslastung“ und da ist so ein FTS natürlich die große Hoffnung, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das so funktioniert, weil wir dann die Eindeutigkeit im System verlieren.

Götz Müller: Ja, und im Grunde für uns Lean-Menschen kommt’s dann sehr schnell wieder zu dem klassischen Push-System, wo ich halt Dinge, weil ich diese vermeintliche Intelligenz habe, wo ich Dinge durch mein System durchschiebe, statt sie durchzuziehen.

Mario Buchinger: Genau. Das passiert dann auch wieder.

Götz Müller: Okay. Wenn wir jetzt noch mal den Begriff des Paradoxons bemühen, dann könnte man ja fast sogar sagen, es kommt zu einem Automatisierungsparadoxon, im Sinne von: Ich glaube, es wird alles besser, wenn ich automatisiere und der Schuss eben, wie ich es vorhin gesagt habe, im Grunde nach hinten los.

Mario Buchinger: Mit dem Automatisieren da treten wir jetzt ein ganz großes Feld ein, da stecken ja nicht nur technologische Restriktionen drin, da stecken auch noch ethische mit drin. Vielleicht muss ich noch mal eine Sache dahingehend noch mal erläutern, weil ich glaube, ein FTS kann ja manchmal durchaus sinnvoll sein. Es gibt ja manchmal durchaus so Übergabepunkte, die sind strikt, die sind eindeutig und die finden vielleicht sogar in einem abgesperrten Sicherheitsbereich statt, wo ich gar nicht unbedingt einen Menschen reinschicken will. Also es gibt wirklich gute Gründe, auch ein FTS einzusetzen, aber wenn wir über Automatisierung allgemein sprechen, und das hat er jetzt nicht nur was mit der Transportautomatisierung zu tun, sondern auch in der Prozessautomatisierung, dann sind wir auch bei dem gleichen Thema, dass wir Komplexität erhöhen, die ist limitiert und ich weiß, dass immer wieder Leute kommen, dass die Systeme besser werden, klar, das werden sie auch und die werden ja auch, in Anführungsstrichen, intelligenter, aber am Ende hat das immer ein Mensch programmiert und der Mensch ist immer der limitierende Faktor in einem System. Aber der Mensch ist auch immer die Chance. Das heißt, wir müssen ja gerade in der Zeit von VUCA, wo sich die, ja, das ist eins von diesen Berater-Bullshit-Wörtern, die immer gerne verwendet werden, aber im Kern trifft es ja ein wahres Element, dass wir eine Welt haben, die sich immer schneller und kurzzyklischer und unvorhersehbar verändert. Das bedeutet, ich muss ja eine Organisation haben, die extrem schnell lernt und das können Maschinen bis heute nicht. Vielleicht können wir das in 200 Jahren, aber heute können sie es nicht. Das bedeutet, der Mensch als Quelle der Verbesserung, der kriegt eine immer höhere Bedeutung und kriegen Maschinen eben nicht hin.

Götz Müller: Ja, das ist ein Punkt, den möchte ich auch noch ein bisschen vertiefen, im Sinne von, auf was sollte ich denn achten, wenn ich jetzt anfange, ich will nicht sagen, zu glauben, aber wenn ich es halt einfach tue. Automatisierung, Menschen zu ersetzen. Was kann mir passieren, was ich vielleicht im ersten Blick so gar nicht auf dem Schirm hatte?

Mario Buchinger: Ganz, ganz viele Sachen können da schief gehen. Also einmal wirklich, dass ich hier eine Komplexität bekomme, mit der ich vorher nicht gerechnet habe. Also man kann … eine berühmte Weisheit ist ja Planung ersetzt Zufall durch Irrtum, ich mache einen super Plan und am Ende funktioniert das Ding nicht so wie es soll. Das hat jeder sicherlich schon mal erlebt, passiert halt. So. Ich habe mal ein Logistikprojekt gehabt, in so einem großen, automatischen Kleinteilelager und es wurde vollautomatisch gesteuert und man hat sich dafür entschieden, zulasten eines manuellen Systems, weil man davon ausging, dass man das mit zwei operativen Mitarbeitern pro Schicht steuern kann. Am Ende waren es elf Instandhalter, weil das Ding nie funktioniert hat. Ja, ich weiß nicht, ob es mittlerweile geht, aber der Aufwand war enorm und ich glaube, man würde es heute auch nicht mehr so machen. Das ist das eine, die technische Komplexität. Die andere Sache ist, wie fühlen sich Menschen in einem Unternehmen, die auf sich zukommen sehen, da kommt jetzt Automatisierung und ich bin, wenn es blöd läuft, mein Job bald los. Das ist eine Überlegung, die wird aber nur jemand anstellen, der Menschen nicht als Ressource sieht. Wenn man dann einen typischen Manager hat, der womöglich bei einer großen Beratung war, dann hat man ein richtiges Problem, weil die Leute reduzieren Menschen ja nur auf Ressourcen. Die sehen einen Kostenfaktor und sehen eine operative Gegenleistung. Die sehen aber nicht, dass der Mensch ein Verbesserungsmotor sein kann, ein motivierter Mensch sehr viel produktiver ist und auch sehr viel engagierter ist, ein Unternehmen voranzubringen als einer, der seinen Job bedroht sieht. Das sind Faktoren, die können Sie nicht in der Exceltabelle schreiben und eine ganze Menge Manager verstehen halt nur Exceltabellen. Und das unterscheidet halt Manager von Unternehmern. Da sind wieder in dieser ethischen Diskussion und das kann auch noch mal schief gehen. Und schließlich und letztlich bin ich generell bei der Frage des Unternehmertums. Ja, Automatisierung macht Sinn, aber nur dort, wo sie den Menschen entlastet, aber wenn wir über Automatisierung sprechen, einfach nur, um Kosten zu drücken, weil ich dann an einer Personalschraube drehen kann, dann bin ich komplett in einem Fahrwasser, was garantiert schief geht. Das wird so nie funktionieren und die Unternehmen haben am Ende auch einen entsprechenden Fachkräftemangel zu beklagen, den sie aber selber verursachen.

Götz Müller: Ja und ich glaube, man muss, speziell wenn es halt auch um Kommunikation mit Menschen geht, darf man halt auch nicht vergessen, selbst wenn die Absichten noch so gut sind, zählt es im Grunde nicht, sondern das Einzige was zählt, ist, welcher Eindruck bei dem Empfänger, einer wie auch immer gelagerten Kommunikation, einem wie auch immer gelagerten Verhalten ankommt und wie er das interpretiert. Da kann ich ihm noch so viel das Blaue vom Himmel runterversprechen, wenn er es nicht so akzeptiert, dass ich glaubwürdig bin. Und entsprechend dieses Angstfaktors, wie Sie es angedeutet haben, eben reagiert mit den Vorbehalten „Ich schaffe mich selber ab.“

Mario Buchinger: Genau. Und das hängt durchaus stark davon ab, was sonst für eine Kommunikationskultur herrscht, ob die Mitarbeitenden dort generell skeptisch sind, ob sie sich fragen „Stimmt das, was die uns erzählen?“ oder gibt es ein gutes Vertrauensverhältnis. Ich meine, man muss natürlich auch ehrlich sagen, eine Automatisierung ist durchaus, wo sie die Menschen entlastet, auch eine gute Sache und wenn ich sage „Hier, ich mache dir deinen Arbeitsplatz damit besser, du brauchst nicht mehr irgendwie acht Stunden am Tag irgendwelche giftige Farbe zu schnüffeln, das macht jetzt ein Roboter“ und ich habe es auch schon zum Beispiel bei so Verpackungsprozessen gesehen, so Karton falten und bekleben, das macht eine Maschine in weniger als einer Sekunde, beim Menschen dauert das zigmal solange, da versteht das jeder. Also ich will nicht Automatisierung generell verteufeln, auch nicht einen Transportprozess. Man muss aber einfach immer wieder schauen, was richte ich damit an und wo habe ich wirklich einen Vorteil daraus. Und wenn wir über Automatisierung und über digitale Technologien sprechen, da müssen wir auch darüber sprechen, welche Risiken damit einhergehen, auf der sozialen Ebene, auf der Cybersicherheitsebene, ein Thema, was von vielen Unternehmen noch maßlos unterschätzt wird, wie man auch in den letzten Monaten immer wieder irgendwo lesen konnte und eben auch über das, was es für die Gesellschaft bedeutet. Also ich stehe durchaus immer noch zu der These, dass mit zunehmender Automatisierung mit den Jahren irgendwann auch mal darüber nachgedacht werden muss, so wie Henry Ford das in den 20er-Jahren auch gemacht hat, die reguläre Wochenarbeitszeit bei vollem Gehalt zu senken, ja, weil ein Stück der Produktivitätsgewinne, die durch Automatisierung entstehen, an die Menschen zurückgegeben werden muss. Und da schreien jetzt sicher einige „Bäh, Sozialismus“, hat aber damit gar nichts zu tun und ich weiß, wovon ich rede, weil ich war mal Staatsbürger eines sozialistischen Landes und das ist Quatsch, das hat nichts mit Sozialismus zu tun und Henry Ford war wahrlich kein Sozialist. Es geht wirklich darum, dass wir verstehen, dass Automatisierung und Produktivitätsgewinne nicht nur in den Taschen von Aktionären und von Topmanagement landen dürfen. Es muss auch bei den Menschen ankommen und dann kann ich Menschen auch mitnehmen.

Götz Müller: Ja, und weil letzten Endes das fahrerlose Transportsystem mir kein Stück Brot kauft, mal ganz platt ausgedrückt.

Mario Buchinger: Genau richtig. Und am Ende …

Götz Müller: menschliches Bedürfnis muss ja nicht immer sich einer auf relativ niedrigen Maslow-Ebene sich bewegen, sprich Wurst und Käse im Kühlschrank, sondern eben auch ein bisschen eben weiter oben angeordnet auf der Maslow-Pyramide.

Mario Buchinger: Der Mensch braucht generell das Gefühl, dass er gebraucht wird, dass es einen Sinn für ihn gibt. Und wenn der Mensch dieses Gefühl nicht hat, dann wird er nicht motiviert sein und dann gibt es irgendwann immer diese Probleme und wir müssen halt Wirtschaft auch generell, jetzt sind wir sehr stark in dieser Ethik drin, aber ich glaube, wir müssen Wirtschaft und Gesellschaft nicht mehr so trennen. Wir müssen mehr uns bewusst machen und das das haben Sie ja gerade richtig gesagt, eine Maschine kauft am Ende nichts, eine Maschine wir nie Kunde und am Ende gibt's immer einen Menschen, der Kunde ist. Und irgendwann, wenn wir immer weiter denken, wir würden immer weiter automatisieren mit dem Ziel, Arbeitsplätze zu eliminieren, was in den Augen mancher Leute ja auch eine Verschwendung darstellt, wenn man Arbeitsplätze hat, was ja Quatsch ist, dann kommen wir irgendwann dazu, dass es nicht mehr Kunden gibt, die die Güter, die die Industrie herstellt, konsumieren sollen und irgendwann beißt sich die Katze in den Schwanz. Aber ich bin überzeugt, dass es viele Unternehmen gibt, die haben das durchaus verstanden, nicht alle, aber viele ehrenwerte, echte, gute Unternehmer gibt's und da braucht man gar nicht weit gucken, die gibt's in Deutschland, auch in Österreich gibt es einige sehr, sehr vorbildliche Unternehmen.

Götz Müller: Gut. Wenn wir jetzt noch mal ein bisschen wieder, sicher ein spannendes Thema, aber wenn wir wieder ein bisschen mehr auf den, nennen wir es mal technischen Aspekt schauen. Das heißt, der ein oder andere wird sich jetzt vielleicht die Frage stellen, ja, okay, ich habe das Problem, in Anführungszeichen, die Existenz verstanden, erkannt. Wie kann ich dem entgehen?

Mario Buchinger: Erstmal grundsätzlich mal die Frage stellen, wo macht für mich Automatisierung Sinn, also auch im Bereich eines solchen Transportprozesse. Wo ist der wirkliche Mehrwert oder mache ich das nur, weil es irgendwie cool und hip ist oder irgendein komischer Berater mir erzählt hat, dass es geil ist. Also das muss man wirklich … man muss verstehen, was es einem bringen soll, das muss irgendwo klar sein. Und die Sinn-Frage, die muss man zunächst einmal erstmal stellen, sonst kann man dem schon mal gar nicht entgehen. Hat man sich dann dafür entschieden, dann ist es halt wichtig, dass man auch versteht, wo die Schwächen eines solchen Systems sind. Dann sprechen wir zum Beispiel über so Sachen die TPM, ja also, Total Productive Maintenance, dass ich eine solche Technik so aufstelle, dass ich weiß, welche präventiven Maßnahmen sind nötig, dass das Ding auch stabil funktioniert. Und jetzt kommen wir so ein bisschen in die Problematik der Effizienz und der Effektivität. Wenn wir eine präventive Instandhaltungsmaßnahme einführen, die nötig ist und es gibt ja diese berühmte Weisheit, ich weiß nicht, von wem das ursprünglich ist, der Satz, aber ich finde ihn sehr gut: „There’s no glory in prevention.“ Wenn wir präventive Instandhaltung machen verlieren wir Effizienz, aber wir gewinnen Effektivität. Und dann muss ich mir im Klaren sein, dass mir die Zeit für die Instandhaltung auch präventiver Natur, nicht wenn das Ding kaputt ist, dann ist zu spät, dass ich mir für diese präventive Instandhaltung auch Zeit- und Personalkapazität nehmen muss, damit das auch funktioniert. Tue ich das nicht und setzte nur auf die reine Produktivitätszeit eines technischen Systems, dann ist es nur eine Frage der Zeit bis das Ding auf Verschleiß stellt und kollabiert.

Götz Müller: Und um da wieder noch mal den Faktor Mensch mit seinen Fähigkeiten reinzubringen, ich habe halt dann vielleicht nicht mehr nur den Menschen, der ohne jetzt irgendwelchen Gabelstaplerfahrern zu nahe zu treten, der halt den Gabelstapler fährt, sondern ich habe halt jemanden, der jetzt den Gabelstapler in Stand setzen muss und möglicherweise dadurch andere, alle, die den Führerschein haben, können es beurteilen, es ist halt etwas anderes, ein Auto zu fahren oder ein Auto zu reparieren.

Mario Buchinger: Das muss ich dann von den Leuten erwarten, womöglich kann es dann auch sein, dass ich die Leute auch anders bezahlen muss, weil sie natürlich in eine entsprechend andere Qualifikation brauchen. Natürlich muss man auch hier sehen, TPM sagt ja auch, man muss nicht alles selber machen, man teilt ja sehr bewusst zwischen autonomer Instandhaltung und eben der Instandhaltung seitens eines Instandhaltungsteams oder gar eines Servicedienstleisters, aber gewisse Dinge kann eben die betreuende Person machen. Wenn wir auf das FTS schauen, was da sehr gut funktioniert ist, dass man so eine Art Maschinenpatenschaften hat, dass jetzt jemand, ein oder zwei Leute für ein bestimmtes FTS zuständig sind, ich habe das mal bei einem Unternehmen gesehen, da hat jeder seinem FTS dann auch einen Namen gegeben, die haben dann auch manchmal irgendwelche lustigen Sachen gemacht, indem sie dort Plakate drauf gehängt haben mit irgendwelchen komischen Sprüchen. Das kann auch echte Gaudi sein, ja, aber dann nehmen die Leute die Verantwortung für das Gerät wirklich an. Es gibt eine schöne Analogie. Ich habe mal, als Student bin ich im Busgewerbe tätig gewesen, und bin im Linien- und Reiseverkehr gefahren und es gab manche Reisebusse, die hatten einen festen Fahrer und der hat dieses Auto gehegt und gepflegt wie sein Kind, der war mit dem Auto verheiratet. Ja, also man kann es auch übertreiben ja, der Deutsche und sein Auto, sind ja generell immer so gewisse Beziehungen sehr intensiv, ja, aber wenn ich in einem Ansatz so eine Partnerschaft und so eine Verantwortung Mitarbeitenden übertragen kann, dann ist das auch eine Wertschätzung, aber die muss sich vielleicht auch irgendwie monetär äußern, weil ich glaube, dass die Leute natürlich neben ihrem produktiven Umfeld dann natürlich noch eine weitere Aufgabe haben, die sie in der Vergangenheit vielleicht nicht hatten.

Götz Müller: Ja, und im Grunde die Frage, auf die man immer … die Frage, der man sich immer bewusst sein muss, dass sich jeder diese Frage unbewusst stellen wird „what’s in it for me?“, was habe ich davon und so auf Schwäbisch, das heilige Blechle, ja, für den ein oder anderen mag das so sein, aber halt nicht für jeden.

Mario Buchinger: Genau. Also diesen direkten Bezug herstellen, aber der Hauptfehler, der oft passiert bei Automatisierung ist, dass man die daraus resultierenden Instandhaltungsaktivitäten, also ich meine jetzt in dem Fall wirklich die präventiven, dass man die in ihrer Bedeutung unterschätzt und wenn es jetzt noch in Richtung Digitalisierung und Cybersicherheit geht, also Vernetzung, so mit IOT, so diese ganzen neuen Technologien, die ja durchaus viele Möglichkeiten bieten, aber viele Unternehmen investieren halt viel zu wenig in die entsprechende Cybersicherheitsarchitektur, auch das ist ein super Beispiel, die kostet Geld, die kostet Zeit, die kostet Aufwand, aber relativ wenig, gemessen an dem, was dann passiert, wenn sie mal angegriffen wird. Und in dem Moment, wenn ich eine Ressource habe, die automatisiert ist, womöglich noch mit einer online Verbindung zum Hersteller, damit er sich online draufschalten kann, das kann ja sinnvoll sein, aber damit mache ich gewisse Tore in meinem Firmennetz auf und die muss ich überwachen, die muss ich auch absichern und das bedeutet, ich brauche diese Cybersicherheitskompetenz. Entweder habe ich sie im Unternehmen oder ich muss sie mir kaufen, aber das ist ein Faktor, der eben noch ganz, ganz stark unterschätzt wird.

Götz Müller: Ja und mir kommt dann da in den Sinn, auch da ist dann ein Stück weit wieder der Faktor Mensch gefragt, einerseits vielleicht jemand, der die Patenschaft übernimmt und hinhört und sagt „Das Ding hört sich irgendwie komisch an, anders wie gestern, muss ich mal schauen oder rufe ich mal die nicht mehr autonome Instandhaltung, dass sich das mal jemand anhört“ oder die Kreativität auf der anderen Seite dann, was könnte jemand mit einer nicht so positiven Intention denn alles hier für Unfug treiben.

Mario Buchinger: Genau. Diese Fragestellung zu stellen und das braucht aber auch Zeit für die Menschen, außerhalb ihres operativen Umfeld, dass sie die Möglichkeit haben, sich darüber auch Gedanken zu machen, denn wenn ich sage ich „Hier, Kollege Mayer, du bist jetzt hier für das FTS zuständig“ und der ist aber in seinem operativen Prozess voll ausgelastet, der hat gar keine Zeit dazu, also ich muss den Leuten dann auch den Freiraum dafür geben und jetzt, da sind wir schon wieder beim Thema Personaleffizienz, also wenn ich, das gilt ja nicht nur für Maschinen, auch wenn ich Menschen maximal auslasten will, dann wird das am Ende auch nicht funktionieren, und progressive, innovative Unternehmen lasten ihre Mitarbeitenden niemals voll aus. Die geben ihnen ganz bewusst diese Freiräume und die brauche ich aber auch dann, wenn ich Menschen so eine Aufgabe gebe. Ich kann jetzt nicht zu ihrem normalen operativen Umfeld denen noch mal eine Schippe oben drauflegen und sagen dir „Hier, Paule, du machst das schon.“, das motiviert nicht so sehr.

Götz Müller: Gut. Was wäre zum Abschluss so Ihr Tipp, Ihr Ratschlag an jemanden, der sagt „Ja, habe ich verstanden, aber ich möchte doch ganz gerne was tun in Richtung Automatisierung“, muss ja nicht ein fahrerloses Transportsystem sein, gibt ja noch viele andere Aspekte, was wäre so Ihr Tipp zu sagen: „Achte auf das ganz speziell, mach dir diese Gedanken.“

Mario Buchinger: Grundsätzlich immer, nicht nur das technische betrachten, bitte auch das soziale betrachten. Wir haben jetzt gerade darüber gesprochen, das technische ist relativ schnell darstellbar, das Soziale ist komplizierter, also immer beide Seiten der Medaille anschauen. Also Stichwort, Bedeutung für die Mitarbeitende in dem Unternehmen. Wer kümmert sich um die autonome Instandhaltung und so weiter, all die Fragen, über die wir gerade diskutiert haben. Im zweiten Schritt immer vom Wertstrom her denken, ich muss immer das Gesamtsystem anschauen, diesen ganzen holistischen Ansatz, übrigens auch ein sehr großes Missverständnis, wo viele Hoshin Kanri nicht verstanden haben, es geht ja nicht nur darum, dass ich am Ende Kennzahlen erreiche. Es geht darum, dass am Ende für die Kunden das Richtige rauskommt und dazu brauche ich alle Puzzlesteine in einer Kette, im Gesamtkontext. Also immer diese Idee einer Automatisierung im Gesamtbild beurteilen und nicht auf der Insel, nicht im Silo. Und schließlich und letztlich dabei auch immer darauf schauen, welche Konsequenzen hat die Einführung einer Automatisierung an mehr oder auch manchmal weniger Aufwand, wo sind am Ende die Grenzen, aber ich werde, und das ist noch mal ein ganz wichtiger Punkt. Ich werde an eine Stelle kommen, wo ich eine Entscheidung treffen muss, ohne dass ich alles weiß. In dem Moment, wenn ich mich für eine Implementierung entschieden habe, werden haben immer Probleme auftauchen, mit denen ich vorher nicht gerechnet habe und da muss ich dann aber auch durchtauchen oder, wenn man feststellt, es ist ganz rabiat daneben, auch den Mut haben, zu sagen „Die Entscheidung war falsch.“, aber wenn man den Weg nicht gegangen ist, wird man die finale Antwort nicht haben.

Götz Müller: Das war jetzt ein gutes Schlusswort. Das erinnert mich auch an den Aspekt, dass ich Entscheidungen halt nicht automatisieren kann, da werde ich den Menschen immer brauchen.

Mario Buchinger: Und die kreative Leistung bei der Veränderungsarbeit nimmt einem keine Maschine ab, die muss man schon selber leisten.

Götz Müller: Ja. Prima. Herr Buchinger, ich danke Ihnen für Ihre Zeit, da waren, auch wenn es sich auf den ersten Blick vielleicht wie ein sehr profanes Thema angehört hat, aber ich fand, da waren viele Aspekte drin, die es definitiv wert sind, darüber nachzudenken. Deshalb noch mal vielen Dank für Ihre Zeit.

Mario Buchinger: Sehr gerne.

Götz Müller: Das war die heutige Episode im Gespräch mit Mario Buchinger zum Thema Automatisierung – der Prozess im Prozess. Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 241.

Wenn Ihnen die Folge gefallen hat, freue ich mich über Ihre Bewertung bei iTunes. Sie geben damit auch anderen Lean-Interessierten die Chance, den Podcast zu entdecken.

Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.

Hinweis: Ich behalte mir vor, Kommentare zu löschen, die beleidigend sind oder nicht zum Thema gehören.