KVP – eine Frage der Agilität

Agilität

Aktuell (Q3 2015) schreibe ich an einem Abschnitt für das Agile Management Handbuch bei openPM. Mein Beitrag umfasst den Lean Teil. Bei der Diskussion mit anderen Autoren und der Recherche zum Thema Agile im Allgemeinen ist mir deutlich aufgefallen, wie große Gemeinsamkeiten es dabei doch gibt, speziell zwischen Lean und der Theory of Contraints, die wiederum einen anderen Abschnitt des o.g. Handbuch ausmacht.

In diesem Artikel stelle ich die zwölf agilen Prinzipien aus dem agilen Manifest dem Lean Management gegenüber und diskutiere die Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Prinzipien haben in meinen Augen eine größere Stabilität als Methoden und Werkzeuge, die sich im Lauf der Zeit auch ändern können und gleichzeitig die Gefahr eines mechanistischen Weltbilds zu erschaffen, d.h. die Problemlösung nur durch den Einsatz von Werkzeugen angehen, dabei aber tieferliegende kulturelle und soziale Aspekte übersehen.

  1. Zufriedenstellen des Kunden durch frühe und kontinuierliche Auslieferung von wertvoller Software. – Die Kundenorientierung ist ebenfalls ein wichtiges Prinzip im Lean Management, ebenso wie das Fluss- und Pull-Prinzip, das sich auf „früh und kontinuierlich“ abbilden lässt.
  2. Agile Prozesse nutzen Veränderung (selbst spät in der Entwicklung) zum Wettbewerbsvorteil des Kunden. – S.o. Kundenorientierung und Pull-Prinzip, hinter dem auch die kurzfristige Reaktionsfähigkeit steckt.
  3. Lieferung von funktionierender Software in regelmäßigen, bevorzugt kurzen Zeitspannen (einige Wochen oder Monate). – Siehe 1. und 2. Prinzip.
  4. Nahezu tägliche Zusammenarbeit von Fachexperten und Entwicklern während des Projekts. – Auf den ersten Blick scheint es kein Äquivalent oder widersprechendes Prinzip im Lean Management zu geben. Wenn man allerdings das Prinzip und seinen Nutzen hinterfragt, resultiert es in meinen Augen wieder in der Kundenorientierung und der daraus schon abgeleiteten Gemeinsamkeit.
  5. Bereitstellung des Umfelds und der Unterstützung, welche von motivierten Individuen für die Aufgabenerfüllung benötigt wird. – Wenn man hinter die zugrundeliegende Motivation dieses Prinzip schaut, erkennt man auch das Prinzip des „Respect for People“ (wenn man hinterfragt, wie motivierte Individuen „entstehen“ bzw. fast noch wichtiger, wie die Demotivation vermieden werden kann).
  6. Informationsübertragung nach Möglichkeit im Gespräch von Angesicht zu Angesicht. – Diese Arbeitsweise drückt sich im Gemba und Genchi Genbutsu aus (japan. für „vor Ort“ und „geh hin und sieh“). Hinter beiden Prinzipien steckt die (unbewusste) Erkenntnis, das schriftliche Kommunikation nur einen Wahrnehmungskanal abdeckt aber nicht alle Menschen den gleichen primären Wahrnehmungskanal besitzen. Dieses Verständnis beruht wiederum auf dem Respekt für den einzelnen Menschen und seine Individualität.
„Man löst keine Probleme, indem man sie auf Eis legt.“

– Winston Churchill

  1. Als wichtigstes Fortschrittsmaß gilt die Funktionsfähigkeit der Software. – Im Lean Management fehlt natürlich die Fokussierung auf Software. Hinter der Funktionsfähigkeit der Software steckt letztlich der Kundennutzen, welcher das oberste Prinzip im Lean Management ist. Gleichzeitig besteht bei diesem Prinzip der größte Unterschied auf einer Meta-Ebene, da das Lean Management bzw. Prozesse keinen Anfang und Ende kennen (welche ein Merkmal von Software-Entwicklungsprojekten darstellen) und es deshalb gar keinen Sinn macht von Fortschritt zu sprechen. Ein der Wichtigkeit des Fortschritts vergleichbares Stichwort ist kontinuierlich aus dem KVP.
  2. Einhaltung nach Möglichkeit eines gleichmäßigen Arbeitstempos von Auftraggebern, Entwicklern und Benutzern für eine nachhaltige Entwicklung. – Das gleichmäßige Arbeitstempo drückt sich im Lean Management in der Vermeidung von Muri (Überlastung) und Mura (Unausgeglichenheit) aus. In der Praxis wird die Ausglichenheit auch dadurch zum Ausdruck, dass der gesamte Wertstrom betrachtet wird.
  3. Ständiges Augenmerk auf technische Exzellenz und gutes Design. – Wenn technische Exzellenz im übertragenen Sinn mit Perfektion bzw. dem Streben danach und dem Null-Fehler-Prinzip gleichgesetzt wird, besteht auch eine hohe Übereinstimmung. Dabei hat Einfachheit im Zweifelsfall höhere Priorität als technische Exzellenz bzw. ist Einfachheit immer auch ein Merkmal technischer Exzellenz und guten Designs.
  4. Einfachheit ist essenziell. – Einfachheit steht auch in direkter Verbindung zur neunten Verschwendungsart, der unnötigen Komplexität.
  5. Selbstorganisation der Teams bei Planung und Umsetzung. – Dass Selbstorganisation nicht von alleine entsteht, kommt beispielsweise im Scrum (als einer Ausprägung von agil) in der Rolle des Scrum Master zum Ausdruck, der die Entwicklungsteams genau in der Selbstorganisation unterstützt. Im Lean Management übernimmt diese Rolle die Führungskraft mit dem Unterstützungsansatz der Coaching-Kata zur Förderung der Verbesserungsfähigkeit der Mitarbeiter und Teams.
  6. Selbstreflexion der Teams über das eigene Verhalten zur Anpassung im Hinblick auf Effizienzsteigerung. – Im Lean Management wird die Selbstreflexion durch die Fragen der Coaching-Kata unterstützt, um auf diesem Weg die Verbesserungsroutine zu fördern.

Was mir persönlich beim agilen Management etwas fehlt, ist der Aspekt (Arbeits-) Standards bzw. Standardarbeit, ohne den Verbesserung in der Beurteilung einer Veränderung schwierig wird, weil das nur bei einer stabilen Ausgangsbasis sicher möglich ist. Darüber hinaus scheint es mir so, dass die agilen Prinzipien stärker methodischen Charakter haben, während die Lean-Prinzipien sich in der Formulierung (leider nicht immer in der Umsetzung) stärker am Kunden orientieren.

Frage: Wo wägen Sie zwischen notwendiger Veränderung und Stabilität ab? Welchem Aspekt räumen Sie im Zweifelsfall höhere Priorität ein? Wie schnell sind Sie in der Lage notwendige Veränderungen anzugehen?

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