Vor einigen Wochen konnte ich einen Vortrag auf dem APA-Symposion (Architects Partner Awards) der AIT halten und dann noch einige Vorträge zu den Beziehungen zwischen Architekten und Industrie aus Sicht der Architekten anhören. In einem Vortrag ging es u.a. um die Abgrenzung zwischen Handwerk und Industrie, speziell im Umfeld von Architektur und Baugewerbe. Diese Gegenüberstellung hat mich dann zur Fragestellung inspiriert, in wie weit der Kontinuierliche Verbesserungsprozess eine Frage des Handwerks ist. Diese Frage hat mal wieder zwei Aspekte. KVP als „handwerkliche“ Tätigkeit und KVP im Handwerk.
Um diese beiden Aspekte diskutieren zu können, ist es erstmal wichtig, den Begriff Handwerk zu definieren. Laut Wikipedia ist das Handwerk ein Wirtschaftszweig, in dem Produkte auf Bestellung gefertigt und Dienstleistungen auf Nachfrage erbracht werden. Diese Definition hat damit auch Einfluss auf die beiden erwähnten Fragestellungen. Ein weiteres wichtiges Merkmal, wenn auch kein Klassifizierungsmerkmal, ist die Lokalität bzw. Regionalität des Handwerks.
KVP als handwerkliche Tätigkeit
Der Kontinuierliche Verbesserungsprozess beinhaltet auf jeden Fall Tätigkeiten, Handlungs- und Denkweisen, die durch klassisches Tun in konkreten Anwendungen gelehrt und verbreitet werden können. Dadurch werden die sprichwörtlichen zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Wissen und die Anwendung des KVP wird gleichzeitig gelehrt und hat auch direkte positive Auswirkungen auf die Abläufe selbst. Einerseits sind es zwar wissenschaftsähnliche Vorgänge (Experimente und Lerneffekte auch durch Fehler oder Fehlschläge) andererseits ist die Vorgehensweise im KVP sehr praktisch und praxisnah und findet wie Handwerk vor Ort statt. Das Grundprinzip in der Verbesserungs-Kata und der begleitenden Coaching-Kata ist sehr einfach und in keinen Fall „Rocket Science“ also vermeintliche Tätigkeit im wissenschaftlichen Elfenbeinturm. Das Talent zum Umgang mit Menschen ist hilfreich, kann aber auch erworben werden und muss nicht angeboren sein. Die schon mehrfach erwähnte bewusste Routine als Weg zur Kompetenz ist definitiv auch im KVP vorhanden. Auch hier besteht also eine gewisse Verwandtschaft zum Handwerk.
Wenn der KVP wie ein Handwerk als lokale Maßnahme bzw. Tätigkeit verstanden und implementiert wird, besteht jedoch die Gefahr, dass die Verbesserungen sich auf kleine Ausschnitte eines Prozesses oder Wertstroms beziehen und damit an anderer Stelle nachteilige Auswirkungen nachsichziehen und aus Gesamtsicht die Verbesserungen reduzieren oder gar ins Gegenteil verkehren.
– Sully Prudhomme, franszösischer Schriftsteller 1839-1907
KVP im Handwerk
Für den KVP im Handwerk bestehen mehrere Herausforderungen. Zum einen ist das Volumen in den Prozessen in der Regel nicht sehr hoch. Dadurch besteht oft für entsprechende Anstrengungen ein ungünstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis. Weiterhin herrscht in den Prozessen ein hohes Maß an Individualität (an Produkten und Dienstleistungen), was den erstgenannten Effekt noch verstärken kann.
Dennoch lohnt es sich, Konzepte des Lean Management auch auf Handwerksbetriebe zu übertragen. Im Vordergrund stehen dabei Themen wie die Identifikation und Vermeidung von Verschwendungen, Verbesserung von Ordnung und Sauberkeit und Einbindung von Mitarbeitern. Um dafür notwendiges Wissen und entsprechende Erfahrung bei den Mitarbeitern aufzubauen, können beispielsweise mehrere Betriebe unterschiedlicher Handwerksbranchen zu Schulungszwecken kooperieren, um so die Kosten für den einzelnen Betrieb zu minimieren und auf ein Niveau zu bringen, das sonst nur mittleren und Großbetrieben zur Verfügung steht.
Andere Konzepte wie das Pull- und Fluss-Prinzip sowie eine starke Kundenorientierung (zumindest auf der Bedarfsseite) sind wie schon eingangs erwähnt in weiten Bereichen im Handwerk schon fast eingebaut und Teil der Definition, teilweise allerdings nur unbewusst. Deshalb ist des wichtig, diese Prinzipien von Beginn an bewusst zu machen, damit in Wachstumsphasen eines Betriebs nicht gegenteilige Effekte eintreten, weil Konzepte wie das Fluss-Prinzip teilweise erstmal paradox erscheinen und leicht über Bord gehen können, wenn mehr als Einzelstücke produziert werden.
Der Kontinuierliche Verbesserungsprozess ist also etwas fürs Handwerk und gleichzeitig ein Handwerk aber auch ein „Hirnwerk“, das auf überlegten Experimenten basiert, um die Verbesserungen trotzdem ganz praktisch zu erreichen.
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