Kaizen 2 go 097 : Prozessmanagement für Einsteiger


 

Inhalt der Episode

  • Relevante Themen für Prozessmanagement
  • Bedeutung von Prozessen & Prozessmanagement für Unternehmen
  • Methoden zur Prozessdokumentation, wann passt für wen welche Methode am besten?
  • Reifegrade im Prozessmanagement, speziell im Mittelstand
  • Ansätze zur Prozessgestaltung und -verbesserung, Gegenüberstellung von Business Process Reengineering und Kontinuierlichem Verbesserungsprozess
  • Umsetzung der Verbesserung, Einfluss von Change Management, Umgang mit Widerständen
  • Risiken in Prozessen
  • Schneller Einstieg ins Prozessmanagement

Notizen zur Episode


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(Teil)automatisiertes Transkript

Episode 97 – Prozessmanagement für Einsteiger

Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.

Götz Müller: Heute habe ich Professor Michael Huth bei mir im Podcastgespräch. Er ist Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Logistik an der Hochschule Fulda. Hallo Herr Huth.

Michael Huth: Hallo Herr Müller. Herzlichen Dank für die Einladung.

Götz Müller: Schön, dass Sie dabei sind. Jetzt ist natürlich Allgemeine BWL/Logistik für den ein oder anderen, wenn es schon ein bisschen länger her ist an der Hochschule relativ weit weg. Sie haben doch aber sicher auch bestimmte Schwerpunkte.

Michael Huth: Ja, das ist richtig. Also, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre muss natürlich jeder lehren können, der an einem betriebswirtschaftlichen Fachbereich tätig ist und ansonsten Logistik ist ein breites Feld. Meine Schwerpunkte sind auf der einen Seite das Thema Supply Chain Management, also unternehmensübergreifende Zusammenarbeit, auf der anderen Seite Prozessmanagement und das Thema Risikomanagement. Das sind so die drei Hauptthemenfelder, mit denen ich mich beschäftige.

Götz Müller: Genau. Und wir unterhalten uns ja jetzt über Prozessmanagement für Einsteiger. Das war so der Impuls, als ich Ihr Buch gesehen habe, über das wir später auch noch ein bisschen sprechen werden. Und da habe ich mir gedacht: Hey, mit wem spricht man denn besser über einen Einstieg, wenn nicht mit einem Hochschuldozenten, weil der im Grunde ja seinen Studenten ja die Basics beibringen muss. Das heißt, wenn ich jetzt den Begriff Prozessmanagement verwende, was sind denn so ein paar Stichworte, um die es da geht?

Michael Huth: Ja. Also, im Grunde geht es überhaupt erst einmal los mit Prozessen. Was ist ein Prozess? Was bedeutet Prozessmanagement? Warum ist das überhaupt wichtig? Jeder spricht mittlerweile im betriebswirtschaftlichen Bereich, natürlich auch in anderen Bereichen, über Prozesse und dass Prozesse funktionieren müssen, aber das ist oftmals noch nicht genau abgegrenzt, von daher ist es sicherlich sinnvoll, da noch einmal eine Abgrenzung vorzunehmen und überhaupt auch zu realisieren, warum das für Unternehmen wichtig ist, sich mit Prozessen und Prozessmanagement zu beschäftigen. Also so die Bedeutung des Prozessmanagements. Und dann geht es im Grunde auch in das Methodische und die Umsetzung und wenn ich Prozessmanagement umsetzen will, dann gibt es verschiedene Phasenkonzepte, die haben manchmal drei, manchmal vier, fünf oder sechs Phasen, letztendlich sind sie aber doch sehr ähnlich. Und diese Phasen sind das Elementare. Da geht es erst einmal darum, Prozesse kennenzulernen, zu wissen, welche Prozesse es sind, die zu dokumentieren, sie zu bewerten, da gibt es gute und nicht so gute Prozesse und letztendlich auch Maßnahmen zu gestalten, um Prozesse, die vielleicht nicht so gut laufen, dann wieder zu verbessern. Das ist so der Kern und natürlich gibt es eine ganz Menge Themen am Rande. Wir werden sicherlich nachher noch auf das Thema Business Process Reengineering und Kontinuierlicher Verbesserungsprozess kommen. Das sind so Begriffe, die natürlich bei Prozessmanagement auch immer fallen.

Götz Müller: Das erste Stichwort haben Sie im Grunde schon gesagt und ich könnte mir vorstellen, das fragt sich auch jeder, der jetzt uns zuhört. Was sind denn die Bedeutungen von Prozessen? Speziell eben Prozessmanagement für die Unternehmen.

Michael Huth: Ja. Das ist eigentlich ganz elementar. Also, wenn meine Prozesse laufen, das heißt, wenn die Prozesse effektiv sind, das erzeugen, was sie erzeugen sollen und wenn sie effizient, also das auch noch sehr gut mit niedrigen Kosten erzeugen, dann kann ich Wettbewerbsvorteile gegenüber meinen Wettbewerbern haben. Und ich war gerade, vor wenigen Tagen bei einem Unternehmen – ich habe ja aufgrund der Abschlussarbeiten, die ich betreue, mit einer ganzen Menge an Unternehmen zu tun – und dann sprach ich mit den Unternehmensvertretern und die sagten: „Ja, bei uns läuft es nicht so ganz genau und die Prozesse – da sind immer Probleme. Das wissen wir auch schon seit vielen Jahren und irgendwie macht halt niemand was.“

Da sieht man schon: Das Unternehmen läuft grundsätzlich, aber sie merken, dass da ein bisschen Sand im Getriebe ist. Und sie wissen auch, dass das an den Prozessen liegt, aber letztendlich wäre das der Hebel, wo das Unternehmen noch einen riesigen Schritt nach vorne kommen könnte.

Götz Müller: Ja, da höre ich auf jeden Fall etwas raus, was mir auch ganz oft begegnet: Im Grunde ist das ja ein sehr schmerzgetriebenes Thema und ich glaube, so meine persönliche Theorie, wenn der Schmerz nicht groß genug ist, dann macht man da im Grunde auch nichts.

Michael Huth: Ja, das ist auch meine Erfahrung. Je nachdem wie sich Unternehmen entwickeln, dann ist das Thema Prozesse oder Prozessmanagement erst mal sekundär oder tertiär, steht auf jeden Fall nicht im Vordergrund. Und solange alles läuft und ein Unternehmen in irgendeiner Form profitabel ist, werden diese Prozesse oftmals auch nicht angepasst. Und dann, gebe ich ihnen recht, ein schmerzgetriebener Prozess, oftmals ist es dann auch so spät, dass letztendlich die Anpassung von Prozessen relativ teuer ist. Dann wird tatsächlich das Thema Prozesse und Prozessmanagement angegangen. Man könnte natürlich eigentlich aus dieser Komfortzone rauskommen und im Vorfeld einfach seine Prozesse so aufstellen, dass sie nachher auch Konjunkturdellen oder Anpassungen der Kundenstruktur mitmachen.

Götz Müller: Gut. Jetzt könnte ich mir vorstellen, der ein oder andere fragt sich: Wie fange ich an, wenn ich mit dem Thema, mit meinen Prozessen, intensiv und nicht nur so nebenbei zufällig beschäftigen will.? Wo fange ich an?

Michael Huth: Ja, also. Meine Empfehlung ist, dass zunächst mal überhaupt die Unternehmensleitung das Thema angehen will. Bevor wir jetzt in das Methodische gehen, muss im Grunde auch eine Unterstützung vom Top-Management da sein. Wenn die nicht da ist, also wenn das nur stiefmütterlich behandelt wird, dann kommt das Thema Prozessmanagement auch nicht zur Geltung. Und ich sehe das teilweise bei Unternehmen. Wie gesagt, ich habe ja eine ganze Menge Abschlussarbeiten. Da wird eine Abschlussarbeit vergeben an eine Studentin oder einen Studenten: „Bau mal ein Prozessmanagement auf.“ Es ist sicherlich von dem Wissen und auch der Motivation der Studierenden prima machbar. Die klemmen sich dahinter und entwickeln etwas Tolles, aber für mich ist so der Knackpunkt: Da wird im Grunde für drei Monate, jemandem, der vier Stunden bei dem Unternehmen ist, dieses Thema gegeben und hinterher gucken wir mal, setzen das in der Software um und dann muss es irgendjemand machen. Also da ist nicht so der Wille da. Das ist, glaube ich, der erste Punkt, der unweigerlich da sein muss, damit es überhaupt funktioniert. Soll ich weiterreden, oder wollen Sie einhaken?

Götz Müller: Gerne.

Michael Huth: Ja, und dann stellt man doch immer wieder fest, dass Unternehmen ihre Prozesse kennen, also wenn man jetzt einen Manager, Produktionsleiter, Logistikkleiter, Controller, fragt, was für Prozesse da sind, dann können sie das alles erklären, aber oftmals sind die Prozesse nicht dokumentiert und auch die Varianten, die es gibt in den Prozessen, also welcher Mitarbeiter/in führt den Prozess wie auf, sind nicht erfasst. Und deshalb wäre dann tatsächlich der erste Schritt, die Prozesse zu erfassen und zu dokumentieren. Einfach als Grundlage für alles, was weiter da ist. Wenn ich das nicht habe, wenn ich das nicht sauber dokumentiert habe, dann agiere ich im Grunde im wachweichen Raum, weil es nur auf Hörensagen beruht.

Götz Müller: Ja, das möchte ich gleich noch ein bisschen vertiefen. Dokumentieren – ich habe so meine Methode, ich könnte mir jetzt vorstellen, dass es eben, wenn man es ein bisschen durch die akademische Brille sieht, dass es ja ganz unterschiedliche Methoden gibt. Was kann man denn da, sagen wir mal, aus der Schublade ziehen?

Michael Huth: Es gibt eine ganze Menge an Methoden. Klassischerweise gibt es Flussdiagramme, Programmablaufpläne, die kommen im Grunde noch aus den 60e-r/70er-Jahren. Die kann man auch ohne Weiteres verwenden, sind relativ einfach und schlicht gestaltet, aber es ist sicherlich eine Methode, die man am Anfang verwenden kann und viele Unternehmen machen das auch noch.

In den 80er-/90er-Jahren kam eine Methode, die Ereignisgesteuerte Prozesskette auf den Markt von dem Professor Scheer aus Saarbrücken, mittlerweile sehr bekannt, und die Methode hatte eine spannende Besonderheit, weil sie sich nämlich immer daran orientiert hat, dass Prozesse nur dann gestartet werden, wenn ein Ereignis kommt. Also ein Kundenauftrag ist eingetroffen, beispielsweise. Und diese Denken in Ereignissen und Prozessen war – oder ist auch immer noch – die Besonderheit dieser Methode. Das ist auch eine Methode, die kann sehr sehr Komplex werden, wenn man Varianten hat und von daher hat sich in den letzten ungefähr zehn Jahren eine Methode herausgearbeitet, die sich Business Process Model and Notation – kurz BPMN – nennt.
Stammt wie viele Methoden aus dem US-amerikanischen Raum, deshalb auch der englischsprachige Name und diese Methode ich im Moment als quasi-Standard ansehen, ist auch ein ISO-Standard, von daher ist man da auf einem sehr sicheren Terrain, wenn man sie anwendet. Sie hat ein Portfolio von Symbolen, die man verwendet, ist also eine grafische Modellierungssprache und man kann auf der einen Seite ein sehr einfaches Portfolio nehmen, also die Grundelemente, und kann da wunderbar modellieren. Wenn man dann in einen höheren Reifegrad kommt oder einfach professioneller wird, dazulernt, kann man ein Portfolio von ungefähr 140 Symbolen verwenden.

Götz Müller: Jetzt höre ich so ein bisschen heraus, im Grunde, der ein oder andere stellt sich vielleicht die Frage: Ja, was nehme ich denn? Ich habe so ein bisschen herausgehört, im Grunde, sollte man mit der Entwicklung gehen und so das aktuellste nehmen oder ist dieser Ansatz verkehrt?

Michael Huth: Ja, gebe ich ihnen recht. Mit einer, ja wie soll ich sagen, einer kleinen Einschränkung. Manchmal ist es sinnvoller überhaupt erst einmal zu starten, als mit einer Methode zu starten, die einen selber vielleicht, vielleicht aber auch die Mitarbeiter, mit denen man arbeitet, zu überfordern. Also das ist natürlich die Besonderheit von den Methoden, gerade BPMN. Es gibt viele Symbole, eine gewissen Syntax, die ich berücksichtigen muss, also bestimmte Regeln, die ich modellieren kann und soll und manchmal ist es dann doch sinnvoller, wenn man überhaupt erst einmal startet und auf Papier bringt. Es gibt Workshops, Prozesserhebungsworkshops, wo Sie einfach mit Post-its und einer Metaplantafel arbeiten. Und auch das ist ein guter Ansatz, also ich kann das später immer noch übertragen. Manchmal ist es wichtiger, die Mitarbeiterschaft mitzunehmen und das kann ich vielleicht leichter, wenn ich mit den post-its arbeite oder einfach was an die Wand male, anstatt da irgendwie eine Methode zu verwenden.

Götz Müller: Ja. Ich mache da die Erfahrung, selbst wenn ich gar nichts, macht man nicht, ist natürlich Unfug, aber dieser Aspekt, nur die Menschen zusammenzubringen, die sonst weil sie nicht direkt im Prozessablauf hintereinanderkommen, sondern da ein paar Schritte dazwischen sind, allein dieser Aspekt, da gehen schon ganze Kerzenfabriken auf. Da entsteht Erkenntnis, das ist manchmal unglaublich.

Michael Huth: Da gebe ich Ihnen recht.

Götz Müller: Gut, jetzt hatten Sie auch ein Stichwort genannt: Reifegrad. Auch dieser Punkt, überhaupt erst einmal anfangen. Der ein oder andere, ich weiß es definitiv, es sind auch ein paar Zuhörer, die man eher so im Mittelstand verorten kann, dabei, die sich jetzt vielleicht fragen: „Ja, brauche ich das? Was bedeutet Reifegrad für mich? Was bedeutet auch Softwareeinsatz?

Michael Huth: Ja, gerne. Das ist bei vielen von diesen Managementsystemen, sei es Qualitätsmanagement, sei es Risikomanagement, sei es Prozessmanagement, der Fall. Ich kann es natürlich auf einem sehr, sehr hohen Standard implementieren. Das heißt, ich habe eine Software, die irgendwo im Intranet verfügbar ist, die Realtimedaten verarbeitet, ich nehme Methoden wie BPMN beispielsweise und etabliere die im ganzen Unternehmen. Das ist vielleicht schon für manche Unternehmen einfach zu weit. Also, der Mittelstand, da muss ich jetzt mal, Sie haben selber auch die Erfahrung, eine Lanze brechen, der Mittelstand ist ja oftmals sehr sehr aktiv und agil und auch die großen Unternehmen haben nicht unbedingt immer das beste Prozessmanagement.

Da kommt man manchmal rein und da werden dann Prozesse mit Excel dokumentiert und da rollen sich alle Fußnägel hoch. Von daher, Reifegrad ist, glaube ich, sehr wichtig. Gerade, wenn man anfängt, als Unternehmen, Prozessmanagement einzuführen. Dann brauche ich nicht die Software für 25.000€, die alle Prozesse im Intranet bereitstellt, sondern ich fange einfach erstmal an.

Vielleicht mache ich das tatsächlich mit Word oder mit Excel. Das Unternehmen stellt in der Regel nach ein oder zwei Jahren fest, dass sie an eine Grenze kommen, wo das nicht mehr funktioniert. Nur, ich muss erst einmal in den Prozess reinkommen und ich glaube, das ist das Wichtige, dass die Akzeptanz für Prozesse und Prozessmanagement geschaffen wird, dass die Mitarbeiter dann auch sehen „Mensch, das hilft mir weiter.“, durch diesen Workshop beispielsweise, wie Sie ihn eben beschrieben haben. Es kommen verschiedene Mitarbeiter aus einzelnen Gruppen oder Abteilungen zusammen und wenn wir darüber sprechen, wir haben es dokumentiert, wir finden Schwachstellen, wir finden Verbesserungsvorschläge, allein das hilft mir persönlich in meinem Arbeitsfeld weiter, dann ist es was, wo sich Prozessmanagement auch verinnerlicht. Und dann kommt automatisch der nächste Schritt. Irgendwann wird man feststellen: Mensch, wär doch ganz toll, wenn wir die Prozesse im Intranet hätten, dann kann ich nämlich auch daran lernen, ich kann selber was lernen. Das ist ein fast natürlicher Prozess.

Götz Müller: Jetzt sind wir ja gerade gedanklich noch irgendwo bei der Dokumentation. Dokumentation an sich, finde ich zumindest, hat ja außer dem begleitenden Aspekt, ja selbst noch gar kein direkten Wert, sondern erst, wenn ich mir dann das angucke, was ich dokumentiert habe.

Was ist da Ihrer Ansicht nach so, was sind da so die zentralen Aspekte, wenn ich da hingucke? Woran erkenne ich auch, das ist gut oder da müsste ich etwas tun?

Michael Huth: Ja, ich gebe Ihnen völlig recht. Das ist auch so ein bisschen die Gefahr von der Prozessdokumentation, dass man sie übertreibt vom Detaillierungsgrad und dann Wochen damit verbringt das, was man ja schon intuitiv weiß, noch mal zu dokumentieren, ohne dass man dann einen Schritt weiter ist. Man kann dann natürlich Prozess bewerten und das sollte man auch tun, indem man bestimmte Kennzahlen und deren Werte erhebt. Das können jetzt die klassischen Kennzahlen sein, Kosten, Qualität, Zeit, bei Zeit könnte man nochmal Termintreue und Durchlaufzeit erheben und natürlich viele Dinge mehr. Da kann man deutlich in die Tiefe gehen. Aber ich muss ja ein Gespür dafür bekommen, ob der Prozess gut ist oder nicht so gut. Da kann ich zum Beispiel die Kosten vergleichen mit ähnlichen Prozessen aus einer anderen Filiale oder einer anderen Niederlassung. Oder ich messe das über die Zeit und schaue, wie sie die Kosten eines Prozesses entwickeln. Das sind zum Beispiel Möglichkeiten, die Prozessdokumentation ganz konkret zu nutzen, für die Bewertung von den Prozessen. Bevor wir in die Bewertung reingehen, noch ein weiterer Nutzen, was ganz hilfreich ist, auf der einen Seite hatten Sie ja schon gesagt, die Prozessdokumentation ist eine Kommunikationsmöglichkeit zwischen verschiedenen Abteilungen und, was ich festgestellt habe, gerade die Einarbeitung von neuen Mitarbeiten, ist natürlich deutlich leichter, wenn ich eine verständliche Prozessbeschreibung habe, vielleicht sogar grafisch, mit ein paar Ergänzungen, dann tun sich neue Mitarbeiter viel leichter in den Prozess reinzukommen, wenn sie das lesen können und im Grunde mit nach Hause nehmen können.

Götz Müller: Gut. jetzt haben wir die Dokumentation, die Bewertung, ein Stück weit abgefrühstückt. jetzt geht es ja irgendwann darum, auch etwas zu verändern. Ich komme jetzt ja aus dem Thema Lean Management, kontinuierlicher Verbesserungsprozess. Wie geht das Thema Prozessmanagement damit um?

Michael Huth: Kontinuierlicher Verbesserungsprozess stammt ja ursprünglich aus dem Bereich Toyota-Produktionssystem. Für viele ist das ein Allheilmittel, dass Prozesse besser werden und auch da ist wieder der Knackpunkt, dass ein Kontinuierlicher Verbesserungsprozess natürlich gelebt und verinnerlicht werden muss. Ich habe Unternehmen gesehen, die haben gesagt: Mensch, wir haben ja hier einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess und jeder Mitarbeiter ist aufgerufen, Verbesserungsvorschläge zu machen, weil überhaupt kein Interesse daran ist, und auch der Nutzen nicht gesehen wird. Es ist, glaube ich, eine große Erkenntnis, dass man nicht sagen kann: Mensch, wir führen einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess ein und mit dieser Einführung werden Dinge automatisch besser. Auch hier wieder muss erstmal die Verinnerlichung da sein, dass mir das was bringt.

Ein zweiter großer Ansatz, den es gibt, ist im Grunde das Gegenteil vom Kontinuierlichen Verbesserungsprozess, das Business Process Reengineering. Dass tatsächlich die Prozesse, wenn man feststellen kann, dass die Prozesse nicht funktionieren und das Unternehmen möglicherweise auch in einer bedrohlichen Situation ist, dass ich dann die Prozesse vollständig über den Haufen werfe und quasi bei Null beginne und die Prozesse neu gestalte.
Das ist allerdings aus meiner Sicht ein sehr riskanter Ansatz, weil er in der Regel top-down funktioniert, das heißt, Management, externe Berater und so das Mitnehmen von den Mitarbeitern in der Veränderung in der Regel nicht oder nur ganz geringfügig da ist.

Götz Müller: Ja, da kann ich schon sagen, das ist im Grunde im KVP, wo ich im Grunde in kleinen Schritten vorgehe, auch da ist es schon manchmal spannend, was man letzten Endes an Widerstand erlebt, was mit dem Thema Veränderungsmanagement einhergeht. Was sind da so Ihre Erfahrungen? Ich könnte mir vorstellen, Sie kriegen da über die Studenten auch so manches mit, die da Sachen erleben, mit dem sie vielleicht im ersten Schritt, vielleicht aufgrund auch des jungen Alters, sagen: Damit kann ich gar nicht umgehen.

Michael Huth: Da sprechen Sie genau den richtigen Punkt an. Das ist immer interessant, dass die StudentInnen da auch plötzlich auf Widerstände stoßen können. Sie gehen oftmals an das Thema Prozesserhebung, Prozessveränderung, sehr positiv ran, haben Ideen, was man verändern kann und realisieren aber in diesem ersten Schritt noch nicht, aufgrund ihrer positiven Naivität, das ist jetzt nicht abwertend, sondern einfache ihre Begeisterung, nicht, dass Mitarbeiter plötzlich in ihrem, manchmal sogar Fürstentum gestört werden oder plötzlich Veränderungen haben, bei denen sie nicht wissen, was passiert. Das Thema Prozessveränderung kann ja bis dahin gehen, dass Prozesse redundant werden und Aufgabenfelder oder Mitarbeiter werden redundant. Da gibt es oftmals Befürchtungen. Das kann aber auch im kleinen Bereich sein: „Mensch, da sagt mir jemand, wie ich etwas zu tun habe, ich arbeite aber seit zwanzig Jahren in dem Verantwortungsbereich, ich weiß es doch eigentlich besser.“ Und das ist so die große Schwierigkeit, die Studierende natürlich haben, weil sie oftmals auch nicht die Erfahrung haben, diese Prozesse so anzugehen, dass die Mitarbeiter auch mitgenommen werden.
Da ist im Grunde, ich meine, dieser Satz mag zwar abgedroschen klingen, Betroffene zu Beteiligten machen, aber es ist etwas dran. In dem Augenblick, wo ich die Mitarbeiter relativ frühzeitig einbinde, zumindest mal den Großteil und in den meisten Entscheidungen, da habe ich zumindest und vielleicht können Sie das bestätigen und da habe ich doch auch bei den meisten die Motivation verspürt, auch so eine 80/20-Regel, mitzumachen und sich einzubringen und auch dann Prozessanpassungen zu akzeptieren und aktiv mitzugestalten.

Götz Müller: Was ich immer wieder sage, ich bin mir ziemlich sicher, dass ich es in der ein oder anderen Podcastfolge schon gesagt habe, was man halt auch bedenken muss: Wenn ich jemandem sage, er muss aus welchen Gründen auch immer etwas anders machen, selbst wenn man mal diesen ganzen Gewohnheitsaspekt mal weglassen, der schon schwer genug ist, aber im Grunde sage ich der Person ja, dass sie es falsch macht, denn sonst gäbe es ja keinen Grund, es anders zu machen. Und ich glaube, das ist eine Sache, die niemand gern hört, vor allem, speziell, wenn es vielleicht gar nicht offen ausgesprochen wird. Was ich dann immer mache, ist, dass ich es halt schon im Vorfeld adressiere und dann, vielleicht Wochen oder auch noch später, die Fahne hochheben und sagen kann „Wisst ihr noch? Jetzt haben wir halt diesen Punkt.“ Und das heißt dann nicht notwendigerweise, dass es die letzten zwanzig Jahre falsch war. Wenn sich aber irgendwo im Markt etwas völlig verändert und ich jetzt so weitermache, könnte es im Extremfall in die Hose gehen.

Michael Huth: Ja. Das sehe ich auch so und da haben Sie ja auch diese frühzeitige Einbindung. Das ist vielleicht auch noch – wir hatten ja vorhin das Thema Umsetzung von Prozessmanagement – ein Punkt, dass man darauf achtet, auf der einen Seite hatten wir gesagt, das Top-Management muss es wollen und unterstützen und dann wird es vermutlich jemanden geben, der das Prozessmanagement innehat, also einen Prozessmanager, der verantwortlich dafür ist, dass die Prozesse aufgenommen werden, aber die Gefahr ist, wenn der vor sich hin wurschtelt. a) nimmt er nicht alles auf und b) ist er gedanklich vom Rest isoliert. Wenn er aber mit den Abteilungen zusammensitzt, dann wächst das Prozessmanagement über seine Grenzen hinaus in die Einzelabteilungen hinein.

Götz Müller: Ja, auch dieser Gedanke, den kennen Sie vielleicht von der Hochschule auch, den Begriff zumindest, so Elfenbeinturm. Ich glaube aber gerade da ja eine klassische Hochschule, also keine Universität, da ist die Gefahr ja nicht so groß, weil die Studenten frühzeitig mit der Praxis in Berührung kommen.

Michael Huth: Ja, das stimmt. Es ist tatsächlich bei uns so, in den Masterstudiengängen mehr als in den Bachelorstudiengängen, dass die Abschlussarbeiten zu 95% in und für Unternehmen sind und das ist natürlich auch wieder ein Punkt, von dem wir als Hochschule profitieren und einen Wissensaustausch haben und genau diesen Elfenbeinturm vermeiden wollen.

Götz Müller: Gut, ich habe ja auch so eine halbe Mütze Projektmanagement auf dem Kopf und da beschäftigt man sich ganz zentral eben auch mit Risiken. Wo haben wir im Prozessmanagement den Aspekt Risiken und wie geht man damit um?

Michael Huth: Also letztendlich birgt jeder Prozess irgendwelche Risiken. Risiken sind ja erst mal irgendwelche Abweichungen von einem Zielzustand, die kommen können, aber nicht müssen. Das heißt, ich habe im Grunde eine Lotterie und es kann gutgehen oder es kann nicht gutgehen. Und das haben Sie im Projektmanagement natürlich auch und mittlerweile ist es ganz interessant, dass die neue ISO 9000 ganz konkret auf Risiken eingeht. Das ist tatsächlich das erste Mal in der Revision 2015, dass Risiken explizit adressiert werden und das macht es natürlich auch sinnvoll, beim Prozessmanagement Risiken zumindest mit zu berücksichtigen. Also, dass Prozesse möglicherweise nicht funktionieren, dass eine Gefahr besteht, dass ein Prozess länger dauert, dass eine Maschine ausfällt. Das sind Dinge, natürlich, der Maschinenführer weiß das. Wenn Sie jemanden fragen, der seit 20 Jahren für die Maschine verantwortlich ist, weiß der das, aber dieses intuitive und implizite Wissen mit reinzunehmen in das Prozessmanagement. Und auch da ist wieder ein sehr einfacher Ansatz, ich kann im Rahmen von einer Prozessaufnahme, gleichzeitig auch versuchen, die Risiken in den Prozessen zumindest zu identifizieren und zumindest grob zu klassifizieren und dann zu wissen: ist es ein großes Risiko, das mich tangiert, wenn es eintritt, oder ist es ein kleines Risiko, das vernachlässigbar ist.

Götz Müller: Ja, und ähnlich wie bei den Kennzahlen, mache ich die Erfahrung, dadurch, dass man eben jetzt etwas visualisiert, was dokumentiert hat, habe ich plötzlich die Möglichkeit, bildlich gesprochen, irgendwo ein Fähnchen hinzustecken oder eben einen Blitz hinzumachen und zusagen: Da habe ich ein Risiko, da können Dinge passieren, passieren vielleicht real schon oder potentiell erst irgendwann in der Zukunft.

Michael Huth: Das ist richtig. Und auch da ist wieder das Gespräch das Interessante. Ich hatte vor zwei Wochen einen Risikomanagement-Workshop. Da gibt es um Risiken in Prozessen und natürlich kennen die Mitarbeiter das und wir machen am Anfang ein Brainstorming mit Kartenabfrage und plötzlich kommen die Risiken. Und dann spricht man darüber und plötzlich wird klar: „Das eine ist ein Risiko und das ist tatsächlich da und wir haben es bisher gar nicht aktiv angegangen. Wenn das realisiert wird, haben wir ein großes Problem.“
Auch hier wieder ein einfacher Ansatz, also auch hier wieder ein qualitativer Ansatz, in dem man Risiken identifiziert und darüber spricht und plötzlich ist da eine Transparenz über diese Risiken da, die vorher gar nicht vorhanden war.

Götz Müller: Gut. Jetzt möchte ich ein bisschen zum Abschluss, zum Ausblick – hatte ich eingangs ja gesagt – ich bin auf Sie letzten Endes über Ihr Buch gestoßen, wo das Thema Prozessmanagement, ich würde schon sagen, durch die akademische Brille, durch die Lehre-Brille angeguckt wird, aber ich glaube eben, aufgrund dieses Praxistransfers, die Unternehmen ja schon was mitnehmen können. So habe ich auch Ihr Buch verstanden. Erzählen Sie darüber ruhig noch ein paar Sätze.

Michael Huth: Ja sehr gerne. Also das interessante ist, der Verlag Wiley, der auch diese Dummies-Reihe, die kennen Sie bestimmt und auch die Hörer werden sie kennen, der hat einen Wiley-Schnellkurs und dieser Schnellkurs richtet sich zunächst mal an StudentInnen, die durch ein Fach schnell durchkommen wollen, was ja auch verständlich ist, da hat man rationale Gesichtspunkte, die im Vordergrund stehen, aber tatsächlich ist es so, dass dieser konzeptionelle Theorie-Praxis-Transfer im Vordergrund steht. Ich glaube, gerade beim Thema Prozessmanagement, wo noch einige Unternehmen in ihren Kinderschuhen stecken mit ihren Ansätzen, kann es sinnvoll sein, so ein Buch, was man, glaube ich, in zwei Nachmittagen durchlesen kann, weil es aus meiner Sicht auch nicht besonders schwierig oder akademisch geschrieben ist. Man bekommt einfach einen guten Einstieg. Es ist sicher kein Buch für den Experten, weil es tatsächlich nur den Einstieg in so ein Thema bedeuten soll. Von daher, dass es für die Praktiker genauso interessant ist, gerade wenn man so ein Thema angehen möchte, sich aber bisher nicht getraut hat.

Götz Müller: Ja, ich könnte mir jetzt spontan auch vorstellen, dass es dann auch für die Studenten vielleicht wieder leichter wird. Im Sinne von: „Jetzt drücke ich dem Betreuer im Unternehmen dieses Buch in die Hand.“ So nach dem Motto: „Hier, lies erst mal, sodass du nachher weißt, was der Student nachher bei dir treibt.“

Michael Huth: Ja. Das ist richtig.

Götz Müller: Um vielleicht auch zum Teil diesen Aspekt Widerstand bei dem ein oder anderen wieder zu reduzieren, dass die Menschen im Unternehmen wissen: Ja, was macht denn der da jetzt, der da kommt.

Michael Huth: Ja. Das ist richtig. Es ist auch, wenn wir eine Hochschule sind, früher Fachhochschule, heute Hochschule für angewandte Wissenschaften, ja doch immer noch so ein bisschen das Vorurteil: „Mensch, da kommen die Theoretiker.“ Das überträgt sich auch auf die Studentinnen und Studenten und glaube, mit so einem Buch, wenn man das verdeutlicht, „Mensch, da steckt total viel Praxis drin.“, dann ist auch die Akzeptanz höher und auch das Verständnis „Mensch, die machen gar nicht so viel Theorie.“, sondern die machen konzeptionelle Arbeit, die aber für die Praxis relevant ist.

Götz Müller: Ja. Gut. Prima. Fand ich eine spannende Unterhaltung.

Michael Huth: Ja. Herzlichen Dank. Ich fand die Fragen spannend und freue mich natürlich, wenn es auf positive Resonanz stößt.

Götz Müller: Ich werde Ihr Buch auf jeden Fall in den Notizen verlinken. Ich denke, wir nehmen auch irgendetwas rein, wie man Sie im Zweifelsfall, falls jemand Interesse hat, sich vielleicht einen Studenten ins Unternehmen zu holen, wie man Sie auch vielleicht kontaktieren kann. Auch wenn man da vielleicht eine kleine, sagen wir mal räumliche Einschränkung, hat, aber ich vermute mal fast, dass es vergleichbare Lehrstühle und Themen an vielen, in meinem Wortgebrauch noch Fachhochschulen, gibt, wo man sich auch jetzt nicht nur in Fulda, sondern auch im sonstigen Bundesgebiet etwas gibt.

Michael Huth: Ja. Also, das ist ja auch gut, dass es diesen lokalen Bezug jeweils gibt. Andererseits sehe ich gerade bei unseren Masterstudierenden, die sind deutschlandweit unterwegs, teilweise auch sogar im Ausland. Es ist schon ganz interessant, dass die auch selbst sehr mobil sind.

Götz Müller: Ok. Prima. Also, ich danke Ihnen noch mal.

Michael Huth: Herr Müller. Auch an Sie herzlichen Dank.

Götz Müller: Bitte schön.

Das war die heutige Episode im Gespräch mit Michael Huth zum Thema Prozessmanagement für Einsteiger. Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 097.

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Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder zu lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.

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