Kaizen 2 go 156 : Lean Pharma


 

Inhalt der Episode:

  • Welche Randbedingungen und Herausforderungen bestehen in der Pharma-Industrie, welche Auswirkungen hat das auf Lean & Co.?
  • Was wird reguliert? Welche direkten und indirekten Auswirkungen hat die Regulation auf die Unternehmen?
  • Wie gehen die Unternehmen mit der Regulation um?
  • Welchen Nutzen kann Lean trotzdem bieten? Wo bestehen Ansätze für Lean?
  • Welche Voraussetzungen bestehen, damit Lean und GMP ko-existieren können?
  • Wie beginnt man mit Lean in der Pharma-Branche? Was lässt sich auf andere Branchen übertragen?

Notizen zur Episode:


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(Teil)automatisiertes Transkript

Episode Kaizen 2 go 156 – Lean Pharma

Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.

Götz Müller: Heute habe ich Eckhardt Grethlein bei mir im Podcastgespräch. Er ist Fachmann für Lean in Pharma-Umfeld. Hallo Herr Grethlein.

Eckhardt Grethlein Hallo Herr Müller.

Götz Müller: Schön, dass Sie heute dabei sind. Jetzt habe ich ein Stichwort schon gesagt, aber vertiefen Sie ist noch ein bisschen, was so ihr Hintergrund Pharma, was Lean angeht, ist und dann kommen wir nachher noch zu vielen Punkten.

Eckhardt Grethlein Ja, von Haus aus bin ich Chemie- und Wirtschaftsingenieur, habe Biotechnik studiert, das ist schon lange, lange her und bin also schon bereits im Studium mit der pharmazeutischen Industrie im Kontakt gewesen und Lean, ich bin ich schon über 20 Jahre involviert im Lean-Bereich, natürlich in der pharmazeutischen Industrie, aber auch in anderen Industrien, Medizintechnik, Stückgutindustrie, Automotive, also in vielen diversen Bereichen mit Schwerpunkt pharmazeutische Industrie.

Götz Müller: Genau und das ist ja auch heute unser Thema. So weit wie ich, jetzt eher von außen betrachtet, das Thema Lean und Pharma mir angucke, für mich hat so ein großes Kriterium Pharmaindustrie eine hoch regulierte Branche, mit einigen Konsequenzen und vielleicht zum Einstieg eben genau diesen Punkt. Was sind denn so die besonderen Randbedingungen, die dann, was wir später noch diskutieren werden, eben die Auswirkungen auf Lean und Co haben?

Eckhardt Grethlein Also wenn Sie ein Arzneimittel zulassen, dann müssen Sie auch entsprechend die Zulassungsunterlagen einreichen und die Zulassungsunterlagen beinhalten sehr genaue Beschreibung, wie Sie das Produkt herstellen und wie sie Qualität sicherstellen das nennt man ganze Good Manufacturing Practice, GMP, das heißt diese Grundsätze sind eigentlich ganz entscheidend, nämlich man muss nachweisen als Hersteller oder Inverkehrbringer von Arzneimitteln, dass man gleichbleibende und reproduzierbare Produktqualität hat, dass man Kontaminationen auf jeden Fall vermeidet und dass man eine eindeutige Rückverfolgbarkeit hat. Also wenn sie in Kasachstan etwas ausliefern muss es eindeutig sein, diese Kette, diese Lieferkette, die sie da entsprechend aufgebaut haben.

Götz Müller: Ja, ich denke mal, soweit ich das mal von einem Bekannten mitgekriegt habe, der auch in der Medizintechnik unterwegs ist, diese Regulation und dieses Aufschreiben, was ich mache, hat natürlich so in meiner Wahrnehmung dann den Nachteil, ich kann es ja nicht so einfach ändern, weil ich sonst vielleicht die Zulassung wiederholen müsste.

Eckhardt Grethlein Also es gibt da zwei verschiedene Sachen. Einerseits, Sie haben recht, ich kann jetzt, wenn in diesen Zulassungsdokumenten, was die Behörde genehmigt hat, drin steht, dass das Produkt, ich sage jetzt mal bei dreißig plus/minus zwei Grad erhitzt wird, Sie können dann nicht anfangen und das Ganze bei dreiunddreißig oder vierunddreißig Grad erhitzen, das geht nicht. Also ein Herstellverfahren, das entsprechend validiert ist, können Sie nicht einfach ändern. Sie müssen es wieder einreichen, aber es gibt sehr wohl Dinge, die Sie ändern können, nämlich Abläufe in der Vorbereitung, in den administrativen Prozessen, in den Vorbereitung beispielsweise, wenn Sie eine Maschine rüsten, also dort gibt es sehr viele Ansätze, wo sie verbessern können.

Götz Müller: Jetzt möchte ich noch einen Punkt, den ich bei Ihrem Vortrag da wahrgenommen habe, über den man sich, glaube ich, so allgemein im Klaren sein muss. Wie sieht denn die Pharmaindustrie, der Markt, die Unternehmen, wie sieht denn das überhaupt aus? Ich glaube, da haben die wenigsten ja so ganz einen aktiven Einblick.

Eckhardt Grethlein Also, wenn man es im Vergleich, die meisten kennen ja die Automobilhersteller in Zusammenhang mit Lean und das sind große Unternehmen. Wenn man sich das Thema der Pharmaindustrie anschaut, dann haben wir in Deutschland etwa 580 Firmen und von den 580 Firmen sind über neunzig Prozent kleiner als 500 Mitarbeiter. Das heißt, wir haben eine sehr ausgeprägte mittelständische Unternehmensstruktur in Deutschland und die großen Unternehmen, die man entsprechend kennt aus Nordrhein-Westfalen oder Richtung Basel, auch deutschseitig, sind eben nur acht Prozent, das heißt sehr kleine Unternehmen, mit sehr kleinen Unternehmensgrößen haben wir es zu tun, nicht von den Produkten.

Götz Müller: Wie weit runter geht das dann? Was sind so die kleinsten Pharmaunternehmen?

Eckhardt Grethlein Also es gibt tatsächlich welche, die haben unter 100 Mitarbeiter, die machen ein oder zwei Produkte.

Götz Müller: Noch mal ein bisschen vertieft dieser Punkt, was sind denn die besonderen Herausforderungen allgemein, ohne dass wir jetzt mal auf Lean speziell gucken, für die Pharmaindustrie?

Eckhardt Grethlein Also der Markt ist sehr stark durch Kostendämpfungsmaßnahmen reguliert, das heißt, die Patientenzuzahlung oder Abschlagszahlungen, die entsprechend auf die Generika erfolgen, das sind alles gesetzliche Rahmenbedingungen, wo die Bundesregierung versucht, die Kosten, die ständig steigenden Kosten im Gesundheitsmarkt zu reduzieren beziehungsweise konstant zu halten, das wäre schon eine Herausforderung, entsprechend dies zu erreichen. Das heißt Pharmaunternehmen sind einfach ein sehr stark mit einem Kostendruck involviert, den die Pharmaindustrie lange Zeit gar nicht kannte. Die Generikahersteller, also Nachahmerprodukte, hatte ich bereits schon genannt. Das heißt, die Generikahersteller reduzieren weiter die Kosten und auf der anderen Seite haben Pharmaunternehmen durch auslaufende Patente, oder viele haben auch keine neuen Produkte mehr in der Pipeline, entsprechend Schwierigkeiten, Ihre langfristige Strategie durch neue Produkte zu verbessern.

Götz Müller: Wenn wir über neue Produkte reden, über was für einen Zeitraum redet man, bis so von der ersten Idee, „Da könnte ich etwas machen.“, bis ich dann die Zulassung habe und das Produkt marktreif ist?

Eckhardt Grethlein Also durchschnittlich zehn bis fünfzehn Jahre dauert das.

Götz Müller: Okay.

Eckhardt Grethlein Das heißt, wir haben eine sehr, sehr lange entsprechende, wie nennen wir es, entsprechende Auswahlverfahren. Sie müssen entsprechende klinische Studien machen, Sie müssen es entsprechend in den Ländern zulassen zum Beispiel die europäische Arzneimittelbehörde oder in der amerikanischen, FDA, Food and Drug Administration, Sie müssen es zulassen und dann typischerweise dauert es zehn Jahre, bis Sie überhaupt soweit sind, dass aus dem hunderten oder gar tausenden Ideen, und vielleicht auch Produktvariationen, ein Produkt auf den Markt tatsächlich entsprechend verkauft werden kann.

Götz Müller: Kann man auch sagen, Sie haben gesagt, hunderte, tausende Ideen, wie viel Prozent der Ideen werden wirklich marktreif? Gibt's da irgendwie Zahlen?

Eckhardt Grethlein Oh je, also unterschiedlich, aber man sagt typischerweise von hundert an maximal einer, rechnerisch.

Götz Müller: Ja. Dann kann man sich, glaube ich, vorstellen bei der Dauer, die dann noch dazu kommt, wo die Kosten auch herkommen.

Eckhardt Grethlein Richtig. Das ist ein sehr großer Bereich.

Götz Müller: Ja. Okay. Wenn wir jetzt noch mal ein bisschen reingucken in das Thema Regulation. Was konkret wird denn reguliert? Was betrifft denn dann die Unternehmen und welche Auswirkung hat das unter Umständen?

Eckhardt Grethlein Ich hatte vorhin schon gesagt, dass im Prinzip die Regulierung ist, Sie müssen es nachweisen. Das heißt, der Nachweis entsprechend, dass ein Produkt bitte entsprechend validiert ist, dass entsprechend keine Abweichungen auftreten, dass validierte Prozesse entsprechend vorhanden sind, das sind Beispiele, die klar entsprechen aufgelistet sind in den GMP-Dokumenten der verschiedenen Behörden und das bedeutet, dass sie dann nachweisen müssen, dass sie entsprechend dieser GMP-Voraussetzungen produzieren.

Götz Müller: Das heißt im Grunde, ich definiere zwar selber, wie ich produziere, aber in dem Augenblick, wo ich es gesagt habe, dass ich es so mache, dann muss ich es halt auch auf erstmal auf eine ganze Weile so machen.

Eckhardt Grethlein Richtig, genau. Also Prozessrobustheit ist das Schlagwort und validierte Prozesse.

Götz Müller: Da könnte ich mir eben dann vorstellen, so der klassische Lean-Ansatz „Ich probier halt mal etwas aus und mache vielleicht auch mal einen Fehler.“, da schreit jetzt nicht jeder Hurra wahrscheinlich.

Eckhardt Grethlein In der Entwicklungsphase ja, da dürfen Sie es noch. Wenn Sie es einmal definiert haben, in den Zulassungsunterlagen, dürfen Sie es nicht mehr verändern. Es sei denn, Sie weisen es nach, dass es aus den und den Gründen entsprechend keinen Einfluss auf die Produktqualität hat, wenn sie, mein Beispiel von vorhin, die Temperatur ändern, dann müssen Sie aber das den ganzen Ländern, teilweise Europa oder sogar weltweit, jeweils den Behörden wiederum melden und die Behörden können sagen, sie akzeptieren es, sie akzeptieren es nicht. Das heißt Unternehmen gehen nur sehr langsam diesen Schritt oder vermeiden ihn einfach, weil es sehr aufwändig und sehr teuer ist.

Götz Müller: Da höre ich eine ziemliche Änderungsaversion heraus.

Eckhardt Grethlein Richtig, genau.

Götz Müller: Und dann kann ich mir gut vorstellen, dass erstmal geschlossen die ganze Belegschaft einen Schritt zurück tritt, wenn es heißt „Jetzt ändern wir mal irgendwas.“.

Eckhardt Grethlein Na ja, zurücktritt nicht, aber das heißt im Prinzip, es muss schon einen fundamentalen Nutzen einerseits für das Produkt oder auch vielleicht für das Unternehmen haben, wenn man tatsächlich einen Änderungsschritt geht. Die Behörden akzeptieren das, aber es dauert eben wiederum sehr lange. Das heißt, die Komplexität nimmt dann, zum Beispiel, Sie haben ein Land, das es akzeptiert, ein anderes Land, das es nicht akzeptiert, und Sie müssen es in zwei verschiedenen Verfahren sogar vielleicht herstellen, das Produkt, oder auch, es gibt auch in der Qualitätskontrolle oft dann verschiedene Verfahren, die Sie länderspezifisch einsetzen müssen. Also die Komplexität nimmt dann sehr schnell sehr gewaltig zu.

Götz Müller: Wie gehen dann die Unternehmen damit um, weil, Sie sind ja jetzt in Pharma, im Lean Bereich unterwegs, Sie würden es nicht machen, wenn es nicht nirgendwo ankommen würde, aber wie gehen die Unternehmen dann damit um, überhaupt etwas ändern zu wollen, zu können.

Eckhardt Grethlein Also man muss unterscheiden bezüglich den internen Abläufen, den internen Prozessen und den tatsächlichen validierten Produktherstellverfahren. Die Herstellverfahren als solche versucht man nur geringfügig zu ändern und die eigenen Prozesse und Abläufe, um die geht es, da steckt auch sehr viel Verschwendung drin. Man geht als erstes diesen Schritt, man kehrt im eigenen Haus erstmal, bevor man an die externen und quasi an die behördlichen Änderungswünsche herantritt.

Götz Müller: Was sind dann typische Ansätze für Lean? Verschwendungsarten haben Sie jetzt gerade angedeutet.

Eckhardt Grethlein Also grundsätzlich geht es darum, dass die Prozessabläufen, also sprich typischerweise auch die gesamte Wertstromkette von den Lieferanten bis tatsächlich zur Auslieferung untersucht werden hinsichtlich Verschwendungsursachen, hinsichtlich den entsprechenden Prozessen, Vorbereitungen, Nacharbeit, Rückverfolgbarkeit bei den Dokumentationen, fehlerfreie Dokumentation, zum Beispiel, das sind nur einige Punkte, die man ansetzen kann.

Götz Müller: Jetzt so ein klassischer Ansatz, einerseits One-Piece-Flow, da könnte ich jetzt mir vorstellen, dass es grundsätzliche ein bisschen schwierig, weil wir ja keine Dinge haben, die man zählt, außer vielleicht zum Schluss die einzelne Tablette, sondern eher Dinge, die man misst. Aber so ein zweiter Ansatzpunkt ist ja die Durchlaufzeit, wie sieht da die Situation in der Pharmaindustrie aus?

Eckhardt Grethlein Mit der Durchlaufzeit sprechen Sie einen guten Punkt an. Die Flexibilität kennt man ja aus dem One-Piece-Flow, da spricht man von Durchlaufzeiten in Stunden, manchmal in Tagen, wir sprechen hier von Durchlaufzeiten von Jahren, teilweise Jahren, also wir sind teilweise bei 200 bis 400 Tagen Durchlaufzeit. Das heißt, vom Start eines Wirkstoffes bis tatsächlich zur fertigen Tablette verpackt, im Lager, zum Versand ist man sehr schnell bei hunderten von Tagen und aus verschiedenen Gründen und da versucht man natürlich diese zu reduzieren, damit man flexibler in Zukunft werden kann. Aber es ist kein Vergleich zu Stückgutindustrie.

Götz Müller: Was sind denn die Zeittreiber, also jetzt in der Stückgutindustrie, wie Sie es auch genannt haben, ich nenne es auch so, da sind es halt die Lagerzeiten, die Liegezeiten. Kann man das eins zu eins übertragen oder sind es ganz andere Dinge, die so lange dauern?

Eckhardt Grethlein Es ist eine Vielzahl, das sind nur Beispiele, die ich jetzt nenne. Einerseits sind das Liegezeiten, die haben Sie auch sehr stark, Liege- und Wartezeiten auf den nächsten Prozessschritt, das haben Sie. Und einen sehr großen Einfluss hat die Qualitätskontrolle, denn Sie Produkte, Wirkstoffe, beispielsweise erst freigeben, bevor Sie sie wieder verpacken dürfen und diese Durchlaufzeiten der Qualitätskontrolle machen zum Teil vierzig bis fünfzig Prozent der Gesamtdurchlaufzeit aus und da ist dann natürlich auch ein entsprechender Hebel durch wiederum Lean-Maßnahmen eine Reduzierung der Durchlaufzeit oder Verkürzung der Durchlaufzeiten in der Qualitätskontrolle und Freigabe hinzubekommen.

Götz Müller: Wenn ich über Qualitätskontrolle, wenn ich das Stichwort höre, dann denke ich einerseits daran, dass im Grunde Qualitätssicherung ja keine Wertschöpfung ist, das wollen wahrscheinlich die meisten, die jetzt aus der Qualitätsecke kommen nicht hören, und das Zweite ist natürlich das Thema Poka Yoke, wo ich dann mir überlege „Ok, funktioniert das überhaupt?“

Eckhardt Grethlein Also der erste Punkt ist, da haben Sie recht, die große Frage, die immer gestellt wird, „Ist die Qualitätskontrolle wertschöpfend, ja oder nein?“, aus Sicht des Kunden und des Endverbrauchers, also uns, kann man durchaus sagen, dass die Qualitätskontrolle wertschöpfend ist, denn sie stellt sicher, dass die Prozesse, zwar auch nur durch Kontrolle, aber ein Arzneimittel entsprechend den Qualitätsangaben entspricht und im Vergleich zu asiatischen-chinesischen Lieferanten ist es schon ein großer Nutzen entsprechend die Qualitätskontrolle hier tatsächlich auch anzuerkennen als wertschöpfenden Anteil an der gesamt Herstellungskette. Poka Yoke, Qualitätssicherungsmaßnahmen sind zum Teil nur beschränkt möglich sie können aber Poka Yoke, indem sie beispielsweise ein Analyseinstrument, HPLC zum Beispiel können Sie mit Poka Yoke Ansätzen versuchen, dass nicht dort die falschen Säulen eingebaut werden, die dann wiederum falsche Ergebnisse liefern und damit einen großen Aufwand haben zur Nachkontrolle. Damit können Sie punktuelle Ansätze tatsächlich, um Verschwendung zu reduzieren, durchführen.

Götz Müller: Ja ich habe dann auch rausgehört, wie sie gesagt haben, wie viel Aufwand die Qualitätskontrolle verursacht, vermute ich mal, dass das ja dann auch zu einem ganz hohen Teil eben auch Menschen sind und dementsprechend das natürlich dann wieder die Personalkosten steigert.

Eckhardt Grethlein Richtig, ja. Also typischerweise ist der Anteil an Personen, die sich mit weiteren im engen und weiteren Sinne mit der Qualität beschäftigten circa dreißig bis vierzig Prozent des gesamten Personals eines pharmazeutischen Unternehmens und das ist natürlich ein enormer Faktor, den man versucht einerseits nicht weiter wachsen zu lassen, aber auf der anderen Seite entstehen durch sogenannte Audits von Behörden immer mehr Auflagen, die wiederum zusätzliches Personal nach sich ziehen.

Götz Müller: Okay, gut. Wenn wir dann jetzt aber eben wieder Richtung Lean gucken, wo kann, Sie haben es schon angedeutet, ich möchte ein bisschen vertiefen, wo kann ich dann konkret eben etwas anpacken? Liegezeiten geht nicht, Qualitätskontrolle geht nicht.

Eckhardt Grethlein Doch. Die Liegezeiten gehen schon. Also zwischen einzelnen, also sie können innerhalb … die Liegezeit beispielsweise, wenn sie in der Planung ein Produkt, einen Wirkstoff fertig haben, der verpackt werden soll, entsprechend dann durch verkürzte Zeiten in der Qualitätskontrolle. Also nicht, dass sie dann zwanzig oder fünfundzwanzig Tage auf die Ergebnisse warten von der Qualitätskontrolle warten, sondern Sie versuchen kürzere Durchlaufzeiten innerhalb der Qualitätskontrolle sicherzustellen, sodass diese Liegezeiten auf Basis der Untersuchung reduziert werden können. Dort können Sie beispielsweise ansetzen. Sie können die Maschinenverfügbarkeit über OEE steigern. Sie können das Lieferantenmanagement verbessern, dass eben die langen Vorlaufzeiten von beispielsweise Packmitteln reduziert wird. Also es gibt sehr viele Ansätze, um Verschwendung und damit auch die Gesamtdurchlaufzeit zu reduzieren.

Götz Müller: Jetzt hatten Sie in ihrem Vortrag, und das möchte ich noch ein bisschen vertiefen, in ihrem Vortrag hatten Sie da eine schöne Gegenüberstellung zwischen Lean einerseits und GMP andererseits, wo ich finde sehr schöne, ja, Koexistenz sich dargestellt hat und vielleicht aber auch ein bisschen „Ok, warum kommt da nicht jeder von alleine drauf?“.

Eckhardt Grethlein Na ja, es ist einerseits auch die Sensibilisierung. Das Verständnis, was heißt denn eigentlich Lean und was sind die Grundsätze in GMP und darüber machen sich nur wenige Gedanken, wenn man nämlich anschaut, dass zum Beispiel die Prozessrobustheit als elementarer Faktor oder elementarer Bestandteil gilt und wir auf der anderen Seite Lean-Management unseren [20:27] und die Prozessorientierung haben und auch die Prozesse qualitativ verbessern wollen, dann ist es eins zu eins mit der Denkweise des GMP-Ansatzes zu sehen. Wir haben auf der einen Seite auch, dass wir Qualitätssicherung entsprechend bei der GMP haben, dass man eben die Reklamationen reduziert oder auch die Abweichungen innerhalb des Prozesses verhindert, Fehler reduziert, das sind alles Voraussetzungen, die im GMP beschrieben sind und diese Denkweise hat das Lean Management per se. Und auch auch wenn man an die … auch ein wesentlicher Beitrag, die das Lean Management für die GMP liefern kann, an die Fehlerursachen wirklich heranzugehen und Fehler wirklich an ihren Ursachen anzupacken, auch das ist ein Grundsatz, der in GMP drinsteckt. Das heißt, wenn man das Lean tatsächlich verinnerlicht, hat man viele Bestandteile oder viele Ideen von GMP tatsächlich mit aufgesogen, sage ich mal, oder sogar abgearbeitet.

Götz Müller: Jetzt würde mich noch einen Punkt interessieren, ich meine im Automobilbereich wissen wir es alle, irgendwo die ersten Anfänge waren in den Fünfzigern, seit wann beschäftigt man sich im im Umfeld Pharma damit? Weil da könnte ich mir schon vorstellen, Sie kennen es ja vielleicht auch, zumindest mir begegnet es immer wieder so, „Das haben wir schon immer so gemacht und das funktioniert bei uns nicht.“, ich schätze mal, so eine Aussage haben Sie auch schon mal gehört.

Eckhardt Grethlein Häufig. Sowas hört man tatsächlich immer noch häufig. Wann hat es angefangen? Also die ersten Gedanken, dass dieser Ansatz des Lean Management tatsächlich etwas auch für die Pharmaindustrie sein kann, muss man eigentlich sagen, waren erst Mitte der 90er Jahre, hat man so manchmal gewisse Grundsätze in der Produktion darüber nachgedacht „Ja, das könnt ihr ja für uns auch etwas sein.“, das heißt im Vergleich zu zur Automobil sind wir da zehn bis fünfzehn Jahre, Die deutsche meine ich jetzt, tatsächlich zurück, nicht an Toyota gedacht, da sind wir noch weiter zurück dann.

Götz Müller: Ja, ich könnte mir auch vorstellen, um wieder auf den Punkt ganz vom Anfang zurückzukommen, dass es eben eher mittlere Unternehmen, Mittelstand ist, wo wir ja auch wissen, da ist Lean generell noch neuer, wie im Vergleich zur Großindustrie, Automobilindustrie, spielt es da auch eine Rolle? Was ist da ihre Erfahrung?

Eckhardt Grethlein Also es hängt eigentlich eher mehr damit zusammen, wie quasi der Eigentümer, meistens sind es ja Eigentümer von kleineren Unternehmen, wie er denkt und wenn … das hat mit der Größe des Unternehmens wenig zu tun, sondern wenn Interesse des Eigentümers oder der Geschäftsführung besteht, mit dem Gedankengut sich zu beschäftigen, dann kann es sehr schnell gehen mit der Einführung.

Götz Müller: Das ist richtig. Das ist im Grunde allgemein. Ich glaube, da sind alle Branchen, zumindest in meiner Wahrnehmung, gleich. Gut. Wenn jetzt vielleicht der ein oder andere sogar aus der Branche zuhört oder vielleicht aus einer anderen Branche und sagt „Das könnte ja auch was für mich sein.“, was ich so Ihre Empfehlung, wo sollte man speziell in einer regulierten Branche, wo sollte man starten?

Eckhardt Grethlein Als das wichtige ist, mit den unterschiedlichen Personen der verschiedenen Abteilungen selbst erstmal erleben, also das wichtige ist zu sagen, ich kann in meinem täglichen Ablauf kann ich, da Verschwendung erkennen und ich selbst, also der Mitarbeiter selbst sieht, wie es, trotz dass er Double Checks, also Kontrollen durchführen muss, trotzdem sehr viel Potenzial der Verbesserung gibt. Also typischerweise nimmt man einen kleinen Prozess auf, beispielsweise in der Freigabe oder auch im Bereich der Planung und Steuerung, so dass man sieht im Prinzip, welchen Nutzen das uns tatsächlich für die Mitarbeiter bringt und das ist eigentlich mal der Kick, das Sie sagen „Okay, wir können ja doch einiges verändern.“ und das zeigt eigentlich relativ schnell auf, 5s jetzt mal davon ausgenommen, ist natürlich auch ganz klar, dass man sieht, dass man das Thema 5s und Verschwendungsreduzierung überall anwenden kann, aber ich starte typischerweise auch dann parallel mit Prozessen, so dass Sie ihre Abläufe überdenken und tatsächlich auch Verbesserung in ihren Abläufen durchführen. Das sollte eigentlich jeder dann machen zu Beginn als Pilot, kleine Abteilungen, verschiedene Bereiche. Das ist so mein Vorschlag für Unternehmen, die damit starten wollen.

Götz Müller: Also gar nicht mal der Ansatz, zu sagen, jetzt habe ich so einen langen laufenden Wertstrom, Sie haben über mehrere hundert Tage gesprochen, den mal komplett aufzunehmen, wäre vielleicht dann wieder schon zu viel, auch weil er so lang ist, weil wahrscheinlich auch viele Beteiligte dabei sind, richtig?

Eckhardt Grethlein Ja, das ist richtig. Also ich merke oft, dass wenn man gleich mit dem großen Wertstrom anfängt, das mag für große Firmen wichtig sein, auch für die Vorstände zu sehen, dass ein Gesamtzusammenhang existiert und dass nur das gesamte Rad, der einzelnen Abteilung, den Wertstrom, die Durchlaufzeiten reduzieren können, aber um es wirklich nachhaltig zu etablieren, braucht es die kleinen Ansätze in den Teams, die dann von sich aus anfangen, Verbesserungen tatsächlich zu erkennen und umzusetzen und große Wertströme gleich von Beginn aber als Ziel herauszugeben und die bei der Einführung sofort das Thema Wertstrom anzugehen ist natürlich, im Hinterkopf sollte man es auf jeden Fall durchführen und spätestens nach einem halben Jahr sollte man auch das Thema angehen.

Götz Müller: Das ist auch meine Erfahrung. Und ich könnte mir sehr gut vorstellen, wenn ich dann so einen extrem langlaufenden Wertstrom habe, dass das natürlich zwar einerseits viel Erkenntnisgewinn bringt, aber andererseits natürlich eben sich da schon ein ganz großes Rad beginnen zu drehen.

Eckhardt Grethlein Richtig. Da muss praktisch jemand einerseits … dann müssen alle Abteilung zusammenspielen und da müssen Sie erst mal durch die Widerstände vielleicht von einzelnen Personen durchgehen und je mehr Abteilungen Sie haben, desto größer wird der Widerstand sein und desto weniger Erfolg haben sie gleich am Anfang tatsächlich in den Durchlaufzeiten Erfolge zu sehen. Also erstmal die Sensibilisierung in kleineren Teams anfangen und dann auf das Große umsteigen.

Götz Müller: Und da kommt dann, ich könnte mir vorstellen, dass das ähnlich ist, Sie haben so ein bisschen dieses Stichwort inhabergeführt, dann nehme ich zum Teil eben bei der Art von Unternehmen immer schon eine gewisse Ungeduld gegenüber der Erwartungshaltung oder eine hohe Erwartungshaltung, da müsste jetzt schnell was passieren.

Eckhardt Grethlein Ja, das ist richtig. Also, vor dem steht man, glaube ich, grundsätzlich, wenn man Lean einführt, dass manche meinen, wir machen jetzt ein Programm und in einem halben Jahr sehen wir die ersten Ergebnisse, die ersten messbaren Ergebnisse und vielleicht auch sogar GMV-wirksame Ergebnisse nach einem halben Jahr. Da muss man immer sagen, so schnell geht's manchmal, wenn sie Bestände reduzieren, können Sie tatsächlich GMV sehr schnell wirksam nachweisen, aber das andere dauert und da ist manchmal der ein oder andere Eigentümer nicht … verursacht einen hohen Druck auf die Mannschaft, doch schnell Ergebnisse zu liefern.

Götz Müller: Ja, ich glaube, das ist dann aber auch der Punkt, wo wir eben als Externe, wenn wir ehrlich sind und wir sollten es definitiv auch sein, eben auch da, selbst wenn es uns mal den ein oder anderen Auftrag kostet, da nicht das Blaue vom Himmel runter zu versprechen.

Eckhardt Grethlein Ja. Das ist ganz wichtig. Ich frage immer, was glauben Sie, wie lange dauert es, bis man es tatsächlich umsetzt, und wenn man die Zahl sagt, dass das Jahre sind, dann kriegt man oft große Augen, die dann sagen, „Ja, das dauert mir alles viel zu lang.“, aber typischerweise, wenn die Eigentümer oder auch die Führungskräfte sehen, welchen tatsächlichen Nutzen das Ganze bringt, ist es dann relativ schnell ruhig mit der langen Zeit und man kann tatsächlich gemeinsam an der Transformation arbeiten.

Götz Müller: Ja, da kommt mir jetzt gerade noch zum Abschluss der Gedanke, und vielleicht von Ihnen jetzt die Bestätigung oder der Widerspruch, wenn ich natürlich insgesamt so lange Zyklen habe, einerseits in der Durchlaufzeit, andererseits in der Entwicklungszeit, wo man ja noch mal über ein Vielfaches gesprochen haben, könnte das sein, dass es dadurch vielleicht sogar ein Stück weit einfacher wird, weil die Menschen eher diese langen Zeiträume gewohnt sind?

Eckhardt Grethlein Einfacher, glaube ich, wird es nicht, nein. Es ist das Gleiche, es hängt immer von den Menschen ab. Einfacher, dass es sehr lange ist im Prinzip, die ganzen Sachen zu verändern, hat nicht unbedingt damit etwas zu tun, sondern im Prinzip die Gesamtkette der Durchlaufzeit tatsächlich zu reduzieren bedeutet nur, dass tatsächlich alle involvierten Abteilungen gemeinsam an einem Strang ziehen müssen und dass sie natürlich die die Durchlaufzeit nicht innerhalb von Wochen reduzieren können, sondern … wir hatten zum Beispiel ein Programm, das sind die Beispiele der Ausgangswerte lagen über zweihundert Tage und es dauerte zwei Jahre um die bei fünfzig Prozent nachhaltig zu senken. Also das heißt, man ist dann tatsächlich über zwei Jahre unterwegs gewesen an verschiedenen Stellen.

Götz Müller: Ja, wobei ich das jetzt aber vom Ergebnis her, dann gar nicht so schlecht finde.

Eckhardt Grethlein Richtig. Genau, aber das ist kein Grund, dass es leichter geht, weil es alles so lange dauert. Die gleichen Voraussetzungen haben Sie ja auch in der Stückgutindustrie oder bei Behörden, also in administrativen Bereichen, wenn Sie anschauen, da geht es immer darum, die Menschen mitzunehmen und darum, gemeinsam auf auf das Ziel hinzuarbeiten, die Gesamtdurchlaufzeit zu reduzieren, das sein ein wichtiger Beitrag, oder Kosten zu reduzieren.

Götz Müller: Das ist auch meine Erfahrung, der Faktor Mensch ist im Grunde immer der der Entscheidende.

Eckhardt Grethlein Richtig. Genau und deswegen bin ich bisher ganz gut gefahren, dass wir mit mit kleinen Gruppen erstmal anfangen, aus verschiedenen Abteilungen und sie sehen dann ihren Nutzen innerhalb der Abteilung und dann gehen wir quasi den gesamten Wertstrom an.

Götz Müller: Gut Herr Grethlein, ich danke Ihnen für die interessanten Einblicke. Ich, der das jetzt eher so von außen betrachtet, aber es kam für mich da wieder deutlich raus, im Grunde geht es überall, man muss halt die Bereitschaft bei Menschen wecken.

Eckhardt Grethlein Richtig, ja. Und die Erfolge sprechen für sich. Also die, ich sage sogar, dass wenn sich die Pharmaunternehmen nicht in diese Richtung begeben, dass sie dann Schwierigkeiten haben tatsächlich auf dem Markt noch attraktiv zu sein, um ihre Produkte kostengünstig anzubieten.

Götz Müller: Was bestätigt, dass Druck manchmal auch hilfreich sein kann.

Eckhardt Grethlein Richtig genau. Genau, Herr Müller. Die Branche hat länger gebraucht als die Automobilindustrie, aber sie hat es auch erkannt.

Götz Müller: Gut, also ich danke Ihnen noch mal.

Eckhardt Grethlein Danke, Herr Müller fürs Gespräch. Schönen Tag noch.

Götz Müller: Das war die heutige Episode im Gespräch mit Eckardt Grethlein zum Thema Lean Pharma. Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 156.

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Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder zu lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.

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