Letzte Woche hatte ich eine Diskussion mit einem Freund und Beraterkollegen. Darin ging es um ein vergleichbares Thema wie im letzten Artikel (KVP – eine Frage des Kontextes). In unserem Gespräch haben wir die verschiedenen Perspektiven der Beteiligten an einem Beratungsprojekt beleuchtet. Letztlich gibt es zwei zentrale Blickwinkel, die es zu differenzieren gilt. Dazu kommen noch unterschiedliche Phasen in einem Beratungsprojekt, die ebenfalls Einfluss auf diese Blickwinkel ausüben. Ich habe in der Folge bewusst neutrale Bezeichnungen gewählt, weil ich glaube, dass die beschriebenen Aspekte ziemlich allgemeiner Natur sind und auch in anderen Szenarien Gültigkeit haben.
Leistungsempfänger
In einem Beratungsprojekt nimmt sich der Leistungsempfänger, speziell in der Vorphase, m.E. mit seinem zu lösenden Problem und dessen Umfeld (im Unternehmen und wiederum dessen Umfeld) sehr individuell wahr. Ebenso individuell erwartet er auch die Lösung für dieses Problem. Nur in dem Maße, wie er selbst eine Lösung vordenken kann, wächst auch seine Vorstellung und Akzeptanz einer Lösung „von der Stange“.
In der Regel befindet sich das „Problem“ und sein Umfeld in einem komplexen System, das nicht durch einfaches Aufteilen in seine Bestandteile lösbar wird. Bei dieser Vorgehensweise kann es sonst sehr leicht zu lokalen Optimierungen kommen, die aber im Gesamtsystem kein akzeptables Ergebnis erzielen.
– George Bernhard Shaw
Leistungserbringer
Der Leistungserbinger setzt im Unterschied zum Empfänger von Anfang an und in stärkeren Maß auf standardisierte Leistungsprodukte. Dies ist bereits in der Vor- oder Angebotsphase relevant.
Das Bild, das wir in oben genanntem Gespräch vor Augen hatte, war das eines Maßschneiders. Im Ergebnis seiner Arbeit und schon in der Vorphase besteht eine hohe Individualität – zumindest in der Wahnehmung seines Kunden (was diesen letztlich bewogen hat, keine Konfektionsware zu kaufen). In Wahrheit jedoch folgt seine Arbeit einem sehr geregelten Prozess.
- Auswahl des Kleidungsstücks entsprechend dem Wunsch des Kunden
- Auswahl der Stoffe entsprechend den Vorlieben des Kunden, ggf. mit (farb-) stilistischer Beratung
- Ausmessen des Kunden. Unabhängig vom Körperbau des Kunden werden die gleichen Maße genommen. In dieser Phase und den folgenden Phasen ist es angebracht, dass der Kunde sich auf die Fähigkeiten des Schneiders verlässt und keine „klugen“ Ratschläge gibt.
- Zuschnitt des Stoffs
- Zusammenheften der Stoffteile
- Anprobe und Korrekturen. Erst in dieser Phase kommt es wieder zur Interaktion zwischen Leistungserbringer und Leistungsempfänger.
- Vernähen der Stoffteile
Damit will ich nicht sagen, dass es in einem Beratungsprojekt nicht zur Interaktion zwischen den beiden Parteien kommen kann oder soll. Das Beispiel des Schneiders soll nur aufzeigen, dass es zwischen einer individuellen Leistung aus der Sicht des Empfängers und einem standardisierten Produkt des Leistungserbringers keinen Widerspruch gibt.
Letztlich basiert der gesamte KVP auf dem Grundgedanken, dass es bei aller Individualität der Verbesserungsthemen einen standardisierten Prozess auf der Meta-Ebene zur Erreichung dieser Verbesserungen gibt. Das gilt sowohl für die Abläufe – egal, ob es der PDCA-Zyklus ist, die Theory of Constraints, der DMAIC in Six Sigma oder die Verbesserungs- und Coaching-Kata – ebenso wie für die eingesetzten Methoden und Werkzeuge – Value Stream Mapping, 5S/5A, DoE, A3-Reports, um nur ein paar aufzuzählen.
Aus der Sicht des Leistungsempfängers sind aber nicht Produkte, Abläufe, Methoden oder Werkzeuge relevant, sondern nur der für ihn dadurch erzielte Nutzen. Der wiederum – obwohl es die gleichen Ergebnisse sind – kann völlig unterschiedliche Ausprägungen in der Wahrnehmung haben.
Für den einen sind es die erzielten Einsparungen durch einen optimierten Prozess, für einen anderen sind es die zufriedeneren Kunden und für einen dritten sind es die Freiräume, die er als Unternehmer oder sogar „nur“ für sein Privatleben gewinnt. Das alles können unterschiedliche relevante „Ergebnisse“ des scheinbar gleichen Ergebnisses sein.
Dazu kommt außerdem noch die Tatsache, dass es sehr wahrscheinlich den einzelnen Leistungsempfänger gar nicht gibt, sondern er eine inhomogene Gruppe von Menschen darstellt. Dafür bieten die Konzepte des Stakeholder-Managements aus dem Projektmanagement wertvolle Ansätze zum Umgang mit den Beteiligten, Betroffenen, Interessierten und Einflussnehmern.
Das Bewusstsein für die individuellen Unterschiede wird in der Regel beim Leistungsempfänger in dieser breiten Sichtbarkeit und Vielfalt gar nicht vorhanden sein. Es ist dafür Sache des Leistungserbringers sich dieser individuellen Unterschiede bewusst zu werden und sie entsprechend zu behandeln.
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