Die Frage nach dem Werkzeug hatte ich schon in einem früheren Artikel „nicht“ gestellt. Damals ging es um die Einbeziehung der Menschen, die noch vor den passenden Werkzeugen kommen. Dieses Mal geht auf Rückfrage eines Lesers dann doch konkret um die Werkzeuge und wann welche eingesetzt werden.
Auf jeden Fall steht vor dem Einsatz eines Werkzeugs die Klärung, um welches Problem es denn geht. Was nicht funktioniert, ist, jedes Problem zum Nagel zu machen, weil man selbst nur einen Hammer hat. Es gilt auch hier die NLP-Vorannahme „der Flexiblere kontrolliert das System“.
Die folgende Liste gibt einige typische Problemstellungen wieder und beinhaltet dann auch die einsetzbaren Werkzeuge.
1: Unklare Prozesse – Prozess-Mapping
Neben dem Nutzen als Ausgangspunkt für Verbesserungen dient das Prozess-Mapping der Erzielung eines gemeinsamen Verständnisses für den Ist-Zustand in den Abläufen ebenso wie der Normierung der Vorgehensweise.
Das gemeinsame Verständnis wird dadurch erzielt, dass die Beteiligten entlang der Wertschöpfungskette (oder entlang der Prozesskette im Fall von Unterstützungs- oder Führungsprozessen) am Prozess-Mapping in Form von Schwimmbahnmodellen teilnehmen. Das gemeinsame Verständnis betrifft sowohl Aktivitäten, die zeitlich vor- oder nacheinander ablaufen, wie auch Aktivitäten in unterschiedlichen Bereichen (also auf unterschiedlichen Bahnen).
Die Normierung entsteht dadurch, dass einzelne Personen, die an der gleichen Stelle arbeiten, auf einer gemeinsamen Basis arbeiten oder in Vertretungssituationen der gleichen Vorgehensweise folgen.
Nur durch einen definierten Arbeitsstandard als Ausgangspunkt kann bei Verbesserung diese verifiziert werden und damit sichergestellt werden, dass es sich nicht nur um zufällige Schwankung handelt.
2: Zu lange Durchlaufzeiten – Value Stream Mapping, Rüstzeitoptimierung
Grundlage der Aussage von zu langen Durchlaufzeiten müssen natürlich Vergleichswerte sein, um gezielt vorgehen zu können. Mit dem Value-Stream-Mapping wird, ähnlich wie beim Prozess-Mapping, ein Ist-Zustand der Ablaufstruktur festgehalten, der noch um Zeiten ergänzt wird.
Erst auf Basis von Ist-Werten können Prioritäten festgelegt werden, an welchen Stellen die größten positiven Effekte erwartet werden. Wenn dann festgestellt wird, dass die Engpässe in der Produktion liegen und sie bei Wechsel zwischen Varianten entstehen, ist die Rüstzeitoptimierung ein Weg, um diese zu verbessern.
3: Unordnung an den Arbeitsplätzen – 5S/5A
Diese Unordnung kann Arbeitsplätze in der Produktion ebenso wie Büroarbeitsplätze betreffen. Der Ablauf der 5S/5A-Aktivitäten ist auch sehr vergleichbar. 5s/5A wird sehr oft als Einstieg ins Lean Management genutzt, weil dabei sehr schnell sichtbare Ergebnisse erzielt werden und alle Personen eines Bereichs einbezogen werden. 5S/5A jedoch auf reines Aufräumen und Ordnung halten zu reduzieren, würde bedeuten viel verstecktes Potenzial in diesem Werkzeug zu verschenken. Ein wichtiger Aspekt des Werkzeugs ist Schritt 4 und 5, durch die Standards und Routinen geschaffen werden, die eine zentrale Basis des Kontinuierlichen Verbesserungsprozesses sind.
4: Zu hohe Kosten, zu viel Zeit – Verschwendungssuche
Die Ursachen für diese Probleme können vielfältig sein. Ein Weg dabei ist, die aufgenommenen Prozesse mit ihren einzelnen Schritten gezielt zu hinterfragen und auf Basis der sieben Verschwendungsarten zu analysieren. Manchmal bedeutet das nur, mit offenen Augen entlang des betreffenden Prozesses zu gehen (physisch oder im übertragenen Sinn).
5: Reduktion von Pufferbeständen und Zwischenlagern – Kanban
Durchlaufzeit geht oft durch Zwischenlager verloren, weil diese erst einmal umgeschlagen werden müssen, damit sich ein bestimmte Teil durch sie hindurch bewegt. Das Kanban-Prinzip – also die Produktion nur auf Anforderung des nachfolgenden Prozessschritts ist der ultimative Weg Zwischenlager abzubauen und zu steuern. Dabei darf aber nicht verkannt werden, dass dieses Werkzeug kein einfacher Hammer ist, mit dem mal so geschwind ein Nagel in die Wand geschlagen wird.
– Aristoteles
6: Ursachenanalyse – 5-Warum, Ishikawa-Diagramm
Bei der Ursachenanalyse ist es entscheidend, wirklich nach der kausalen Ursache zu suchen und sich nicht von vermeintlichen Korrelationen blenden zu lassen. Das Ishikawa-Diagramm spannt dabei ein Feld möglicher Ursachen auf. Mit der Fragetechnik des 5x Warum geht man der wahren Ursache auf den Grund und vermeidet es oberflächliche Symptome zu bekämpfen, die keine dauerhafte Behebung eines Problems erlauben.
7: Lösungsauswahl – Pugh-Konzeptauswahl
Die zentrale Ursache eines Problems gefunden zu haben, bedeutet nicht notwendigerweise, dass es dafür nur eine Lösung gibt. Oft ergeben sich mehrere Lösungen, die miteinander in Konkurrenz stehen. Sich dann nur für die „erste beste“ Lösung zu entscheiden, kann bedeuten, dass viel Potenzial der anderen Lösungen verschenkt wird. Mit der Pugh-Konzeptauswahl lassen sich die besten Anteile verschiedener Lösungen kombinieren. Darüber hinaus integriert es auch die Personen in die ausgewählte Lösung, die ursprünglich andere Lösungen vertreten haben und deshalb leicht als Verlierer aus dem Wettstreit hervorgehen könnten.
8: Abbildung von Kundenanforderungen auf Funktionen – Quality Function Deployment
Die Realisierung von Kundenanforderungen durch Funktionen eines Produkts oder einer Dienstleistung ist eine zentrale Aufgabe, die sich in Entwicklungsprojekten immer wieder stellt. Ein Aspekt aus dem Lean Startup Umfeld kann auch hier eingesetzt werden, um zu vermeiden, dass Funktionen entwickelt werden, die sich nicht auf Kundenanforderungen zurückführen lassen. Das höchste Maß an Verschwendung tritt dann auf, wenn Leistungsmerkmale entwickelt werden, für die es keinen Kundenbedarf gibt. Blindes Entwickeln von Leistungsmerkmalen kann dabei sehr leicht mit Innovation verwechselt werden.
9: Bewertung von Leistungsmerkmalen – Kano-Modell
Leistungsmerkmale können in drei Kategorien eingeteilt werden – Basismerkmale, Leistungsmerkmale, Begeisterungsmerkmale. Die Klarheit über die Einordnung von Merkmalen erlaubt es, die richtigen Prioritäten zu setzen und auch in der Zukunft richtig zu behandeln (wenn Begeisterungsmerkmale durch Gewöhnungseffekte zu Basismerkmalen werden). Das Kano-Modell schafft dazu das notwendige Bewusstsein.
10: Risikobewertung, Fehlervermeidung – FMEA, Poka Yoke
Risiko und Fehler sind Effekte, die in der Vergangenheit bereits aufgetreten sind und deshalb auch auf zukünftige Szenarien abgebildet werden können. Die Fehlermöglichkeitseinflussanalyse (FMEA) ist ein zugegebenermaßen kompliziertes bis tw. auch komplexes Werkzeug, das bei gekonnter Anwendung gute Ergebnisse bringt, weil es einen strukturierten Ablauf folgt. Pokal Yoke ist dagegen mehr ein Prinzip als ein Werkzeug zur Fehlervermeidung, bei dem angestrebt wird, vorallem Fehlbedienungen auszuschließen. Beide Werkzeuge haben dort ihre Grenzen, wo es bei neuen Szenarien keine Abbildungen aus der Vergangenheit möglich sind, weil es in der Zukunft ungewisse Fälle auftreten, die noch gar nicht bekannt sind. In diesem Fall kann eine trügerische Sicherheit entstehen (Stichwort „Schwarzer Schwan“).
Wie schon in dem früheren Artikel gesagt, möchte ich noch mal betonen, dass die Lean & Co. viel mehr ist, als nur der Einsatz bestimmter Werkzeuge. Die Reduktion auf Werkzeuge ohne den Zusammenhang mit der Unternehmenskultur, einer Vision für die Geschäftsprozesse und die Routine der Verbesserungsarbeit schöpft deren Potenzial nur an der Oberfläche aus. Wenn dann die kurzfristigen Probleme behoben sind, kommt der Fortschritt leicht zum Erliegen und ein neuer Anlauf für einen erfolgreichen KVP wird um so schwerer.
Schreiben Sie mir, wenn Sie bestimmte Problemfälle vorfinden, für die Sie noch kein geeignetes Werkzeug gefunden haben.
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