Kaizen 2 go 264 : Kamishibai in der IT


 

Inhalt der Episode:

  • Was ist Kamishibai?
  • Für welche Probleme in der IT leistet Kamishibai Abhilfe?
  • Wie unterscheidet sich dieser Kanban-Einsatz von klassischen Einsatzfällen (in der IT)?
  • Welchen Zweck verfolgen die speziellen Karten?
  • Praktischer Umgang mit einem Kamishibai-Board.
  • Wie wird Kaizen darin integriert?
  • Welchen Vorteil bringt ein physisches Kamishibai-Board mit sich, speziell im Vergleich zu Software-Lösungen?
  • Transfer ins klassische Shopfloor-Management, Einsatz im TPM (Total Productive Maintenance)

Notizen zur Episode:


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(Teil)automatisiertes Transkript

Episode 264 : Kamishibai in der IT

Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.

Götz Müller: Heute habe ich Tim Themann bei mir im Podcast- Gespräch. Er ist der Leiter des Beratungsbereichs eines Systemhauses. Hallo Herr Themann.

Tim Themann: Hallo Herr Müller.

Götz Müller: Ja, schön, dass das heute klappt. Ich habe schon ein kurzes Stichwort zu Ihnen gesagt, aber stellen Sie sich gern nochmal den Zuhörern in zwei, drei Sätzen vor.

Tim Themann: Ja, sehr gern. Sie sagten ja schon: Mein Name ist im Themann. Ich arbeite als Consultant und Führungskraft bei einem mittelständischen hamburger Systemhaus und betreue da die IT-Abteilung einer ganzen Reihe von mittelständischen Kunden. So ganz nebenbei betreibe ich einen Blog zu Visualisierungs- und Projektmanagement-Themen vor allen Dingen mit IT-Bezug und genau aus diesem Block stammt ja auch das Thema, über das wir heute reden wollen. Interessant dabei ist, für mich ist das Thema ein total visuelles Thema und mir fehlt jetzt gerade der visuelle Kanal. Das wird spannend.

Götz Müller: Ja, aber ich glaube, das wird funktionieren.

Tim Themann: Ich versuche einfach Bilder entstehen zu lassen.

Götz Müller: Genau. Der Titel, und Sie haben es gerade auch gesagt, der Titel deutet es an, es ist ein Werkzeug, was im Grunde gar nicht direkt aus der IT kommt beziehungsweise eigentlich gar nicht. Kamishibai. Vielleicht beschreiben Sie es mal allgemein und das fand ich auch so spannend, dass Sie in Ihrem Blog ja ganz speziell eben auch das Toyota-Produktionssystem und andere, in Anführungszeichen, Lean-Themen erwähnen, die sonst im IT-Kontext manchmal, ja ich drücke es vielleicht ein bisschen überspitzt aus, vermieden werden.

Tim Themann: Ich weiß gar nicht mehr, ob die noch so sehr vermieden werden. Kanban ist ja auch in die IT hinüber geschwappt, stark adaptiert, und damit kommen natürlich auch viele eben Lean-Themen hinterher, weil einfach das eine das andere dann bedient. Ja, also Kamishibai ist heute das Thema, ich muss dazu sagen, ich selber komme überhaupt nicht aus der Produktion, da haben Sie mir dann wieder etwas voraus und ich komme ganz klassisch aus der IT und schaue mir halt solche Dinge an und schaue, wie ich sie übertragen kann und wie sie nutzbar sind in dem Kontext. Und ja, das ist letztlich das, was ich da getan hab, wenn sie den Produktionsaspekt reinbringen, dann komme ich vermutlich relativ schnell ins Schleudern. Grundsätzlich an dem Thema Kamishibai ist total interessant, wenn Sie in die Wikipedia gucken, dann werden Sie denken: Wovon redet der denn da eigentlich? Und meine Frau war auch total überrascht, als ich anfing, mich mit dem Thema Kamishibai zu beschäftigen. Meine Frau arbeitet im Bereich der Elementarpädagogik und da wird das Wort Kamishibai in Deutschland völlig anders verwendet. Da wird es nämlich in seiner ursprünglichen Bedeutung verwendet. Ursprünglich ist ein Kamishibai eine Art Papier-Theater. Das ist also ein Holzrahmen, den man aufstellt und einen Erzähler schiebt dort, während er eine Geschichte erzählt, Papier hinein mit Zeichnungen, die zu dieser Geschichte passen. Das ist also eine Art Bühne für Geschichtenerzählen, ist relativ alt. Soweit ich gelesen habe ist das vom buddhistischen Wandermönchen schon vor über 1000 Jahren benutzt worden und quasi als analoges Powerpoint zur Vermittlung buddhistischer Weisheiten verwendet worden. In Japan wird das immer noch als eine Art Straßentheater zelebriert, ganz ähnlich wie bei uns die Puppentheater, und in Deutschland ist es halt als bildbegleitende Erzähltechnik in der Elementarpädagogik recht verbreitet. Insofern war meine Frau etwas überrascht und ich merke auch immer, dass, wenn ich darüber rede, Leute den Wikipedia-Artikel aufrufen und da steht nur diese Bedeutung. Das führt dann zu einer gewissen Verwirrung. Mit dem Kamishibai, über das wir heute reden, hat das natürlich nur im übertragenen Sinne etwas zu tun. Das Kamishibai-Bord, von dem ich reden möchte, ist eine Tafel, auf der wiederkehrende Aufgaben und wiederkehrende Kontrolltätigkeiten mit ihrem Status dargestellt werden. Das heißt, ich habe typischerweise, also im Produktionsbetrieb dann häufig T-Karten-Boards mit Karten, die auf der einen Seite rot und auf der anderen Seite grün sind und damit visualisiere ich dann eben den Status von Kontrolltätigkeiten, von wiederkehrenden Tätigkeiten, von Routineaufgaben. In der IT sieht das ganz häufig aus wie ein Kanban-Board und dann werden die Karten mit Magneten hingehängt. Der große Unterschied ist, die Spalten auf so einem Kamishibai-Board zeigen nicht den Schritt im Arbeitsfluss, sondern zeigen die Kadenz. Es gibt also dann eine Spalte für tägliche Aufgaben, eine für wöchentliche, eine für monatliche oder zweiwöchentliche oder wie auch immer man selbst für sich strukturieren muss. Das Schöne ist, dann sehe ich auf den ersten Blick alle meine Routinearbeit und ich sehe den dazugehörigen Status und ich habe das auf eine andere Weise noch nicht sinnvoll visualisiert gesehen. Wenn man guckt, wo diese Idee herkommt, dann stammt die wohl tatsächlich aus dem Toyota-Produktionssystem und hat ihre Verbreitung dann in der Lean-Welt gefunden, meiner Wahrnehmung nach vor allem in der klassischen Produktion. Da hängt dann so ein Board vor Ort, also quasi am Gemba, an dem Ort, an dem die regelmäßige Wartungs-, Kontrolltätigkeit, tatsächlich notwendig ist, und ist dann im Rahmen des Gemba Walks quasi die Bühne, und so kriegen wir dann den Bogen zurück zum Kamishibai als Bühne, die Bühne auf der Status gleichsam vorgeführt wird. Ich vermute, dass das sozusagen, dass dieser Kontext der Ursprung der Bezeichnung ist. Im Original, also bei Toyota, werden solche Boards, nach allem was ich gelesen habe, vor allen Dingen für Audits, also für Kontrolltätigkeiten, die regelmäßig stattfinden verwendet. Verwalten kann man damit aber aus meiner Sicht wiederholende Tätigkeiten aller Art.

Götz Müller: Ja, und jetzt haben Sie es ja auf den IT-Kontext übertragen und dann ist bei mir immer eine beliebte Frage: Was sind die besonderen Herausforderungen im IT-Kontext? Beziehungsweise nochmal vielleicht ein bisschen allgemeiner ausgedrückt, wenn ich, so wie ich Kanban-Boards ja auch in der IT, in der Entwicklung, nutze möchte ich ja damit ein Problem lösen, sonst würde ich ja nicht in der Regel, Ausnahmen bestätigen die Regel manchmal, sonst würde ich ja kein neues Werkzeug einführen, wenn ich in einer heilen Welt unterwegs wäre.

Tim Themann: Ja. Also das Grundproblem in der IT aus meiner Sicht ist, dass es in aller Regel keine klare Trennung gibt zwischen der Projektarbeit, der Betriebsarbeit und dem Support, zumindest in mittelständischen IT-Abteilungen machen die Mitarbeiter in aller Regel beides und dann muss man ja sagen, über den Fachkräftemangel in der IT wird ja ausreichend viel geschrieben. Mitarbeiter machen also all diese drei Tätigkeiten, sind eigentlich drei verschiedene, und davon eigentlich auch zu viel, zumindest für die Arbeitsorganisation, die aktuell üblich ist. Und dann steht ein Konflikt. Projekte sind zwar wichtig, um prozessual und technisch voranzukommen, um die IT auf dem aktuellen Stand zu halten, aber der Support ist eigentlich immer dringender und der womöglich da im Wort Sinne am Telefon schreiende Anwender oder der Anwender, der immer wieder anruft, bis sein Problem gelöst ist, der ist auch faktisch einfach dringlicher und der, der erzeugt ja auch diese Dringlichkeit. Das heißt, letztlich ist es so, die Arbeitsorganisation, die muss so ausgelegt sein, dass sie das Spontanreaktive und die Projektarbeit sinnvoll gemischt kriegt und sinnvoll verwaltet kriegt. Das tu ich total gerne mit Kanban. Ich empfehle immer Kanban dafür und das gelingt auch gelegentlich, weil ich dann beide Arten von Arbeit, eben das, was spontan reaktiv reinschwappt, der Anruf vom Anwender, das Support-Ticket auf der einen Seite und die Arbeitspakete aus dem Projekt auf der anderen Seite, in ein und demselben System managen kann. Und dann kann ich sie eben auch sinnvoll priorisieren, kann sinnvoll den Fluss der Arbeit steuern und sehe halt alle Arbeit auf einem Board. Und das ist letztlich die einzige Chance, wie man heutzutage noch dahinkommt, dass die Projekte nicht unter den Tisch fallen, wenn ich eben beide Tätigkeiten als Aufgabe habe. Was da noch unter den Tisch fällt, und dann kommen wir beim Thema Kamishibai an, sind halt alle Wartungs- und Routineaufgaben. Die sind ja nun wieder dringlich noch werden sie als wichtig wahrgenommen, was ein echtes Problem ist. Und das Problem dabei ist, diese Themen werden immer aufwendiger und sie sind einfach extrem wichtig. Ganz viel, was man in den letzten Monaten an Hackerangriffen erlebt hat und was auch wirklich zu Datenabfluss, zu massivem Datenabfluss bei IT-Anwendern gefunden hat, wäre überhaupt nicht möglich gewesen, wenn dieses Thema bei allen auf dem aktuellen Stand gewesen und ordentlich gewartet worden wäre. Das heißt, irgendwas zu haben, was die Routine Aufgaben verwaltet, Qualität sichert und vor allen Dingen auch in ihrer Qualität verbessert, ist aus meiner Sicht künftig elementar für eine stabile IT. Das war schon immer elementar dafür.

Götz Müller: Das sehe ich natürlich auch die hohe Parallelität zwischen, klassisch, Produktion und der IT jetzt, weil da habe ich im Grunde genau die gleichen Szenarien. Jetzt eine Wartung zu machen beziehungsweise da hält nicht vielleicht sogar noch ein weiterer kleiner, zusätzlicher Aspekt ab, die Wartung zu machen, weil wenn ich die Wartung mache, kann ich in der Regel nicht produzieren und das fehlt mir dann unter Umständen unterm Strich bei meinem Ausstoß. In der IT würde ich sagen, fehlt mir halt die Zeit einfach, die der Mitarbeiter eine Wartungstätigkeit macht, könnte er ja auch für etwas anderes einsetzen.

Tim Themann: Ja, ich glaube, es ist sogar noch paralleler. Also zuallererst ist es so, von der von der Organisation und der Notwendigkeit her kann ich jetzt, also vielleicht habe ich dafür zu wenig Ahnung von Produktion, aber ich kann keinen großen Unterschied erkennen zwischen, ich muss jeden Monat bestimmte Updates machen und ich muss jeden Monat das Schmiermittel da und da auffüllen, sonst bleibt die Maschine stehen. Das ist erstmal sehr, sehr ähnlich. Zeit fehlt, klar, IT-Abteilungen sind notorisch überlastet, zumindest die meisten IT-Abteilungen, die ich kenne und die Produktion steht auch still, wenn ich bestimmte Wartungstätigkeiten mache. Das ist natürlich auch in der IT der Fall. Das wird immer besser vermieden durch entsprechende Redundanzen, durch entsprechende Architekturen, aber im Grundsatz habe ich auch da Ausfallzeiten, wenn ich Wartung mache. Das ist schon sehr, sehr ähnlich, denke ich.

Götz Müller: Mhm. Jetzt, wenn sich das Thema grundsätzlich mit Kanban lösen lassen würde, auch da noch mal ein bisschen nachgebohrt, hätte man ja nichts Neues ins Spiel gebracht, das heißt, und neu an der Stelle ist, Sie haben es schon erwähnt, die T-Karten, vielleicht das noch ein bisschen vertiefen, auch im IT-Kontext, weil ich glaube, dass es sich dann da sehr, sehr leicht wieder gedanklich, für die Produktionszuhörer, möchte ich sie mal nennen, wieder zurück übertragen lässt: Was habe ich denn davon?

Tim Themann: Ja, Kanban ist halt, nach meiner Erfahrung, nicht besonders gut darin, sich wiederholende Aufgaben abzubilden. Also natürlich kann ich eine Karte von ganz hinten wieder nach ganz vorne schieben und eine typische Software, die das macht, unterstützt das auch. Das schafft aber keinen Überblick über den Status meiner Wartungstätigkeiten und ich sehe nie wirklich kompakt die Routineaufgaben, die ich in ihrer Gesamtheit habe. Und ich finde es immer sehr, sehr wichtig oder auch eine wichtige Eigenschaft dieses System steht oder dieses visuellen Managements eben alles mal als Ganzes zu sehen und zu sehen, wie viel Arbeit ist da eigentlich? Und ja, den Überblick haben ganz viele Menschen nicht, und das würde ich nicht, wenn ich meine Routinearbeiten ganz normal auf dem Kanban-Board abbilde, realisieren können und das ist eben der Grund, dass ich immer dafür plädieren würde, quasi daneben gewissermaßen als eine Art zweites Backlog, als eine zweite Menge Arbeit, die getan werden muss, daneben auch noch ein Kamishibai-Board zu hängen.

Götz Müller: Ja und was ich definitiv auch spannend finde, wenn jemand aus der IT, wie Sie, nicht primär sofort die Software-Lösung aus der Tasche zieht, sondern wirklich von diesem Board erstmal spricht, und da entsteht bei mir natürlich das Bild im Kopf, so wie man es klassisch kennt, mit Karten zum Reinstecken und Sie haben es ja auch angedeutet, Vorderseite grün, Rückseite rot, wohl nochmal ein visueller, farbig visueller Aspekt mitreinkommt, neben diesem Überblickscharakter, das finde ich dann auch noch hochspannend. Und vielleicht auch noch ein bisschen vertieft, Sie haben es schon angedeutet, diesen, ich nenne es mal, oder hatten Sie es so genannt, konsolidierten Überblick.

Tim Themann: Ja. Den habe ich halt in Software sehr selten. Das merke ich schon bei einer reinen Kanban-Software. Ich habe selten den wirklichen Überblick über das gesamte Board, ich muss in aller Regel scrollen und das Board ist halt nicht omnipräsent. Und ich finde tatsächlich physische Kanban-Boards deutlich praktischer, gerade in einem frühen Stadium der Einführung und in einem frühen Reifegrad, als eine Software-Lösung. Das fängt damit an, dass die Arbeit sich in Software hervorragend verstecken kann und hervorragend ignoriert werden kann. Also eine Kanban-Software kann ich genauso gut ignorieren, wie ich mein Ticket-System ignorieren kann? Und das ist einfach nicht mehr der Fall, wenn das Ganze im Flur hängt und wenn mir auf dem Kamishibai-Board lauter rote Karten entgegen leuchten und das Interessante an diesen vielen roten Karten ist natürlich auch, dass es so ein bisschen Chancengleichheit erzeugt, weil dann diese roten Karten so ein bisschen Gegengewicht liefern zu dem Anwender, der am Telefon gerade unmittelbar ein Bedürfnis hat. Weil ich habe halt so ein bisschen Gleichgewicht damit erzeugt. Und ich finde, dass so ein Board im Flur eben auch, also für mich ist das immer ein Ort des Flusses. Das ist ja der Ort, an dem man zusammenkommt, um dann auch darüber zu reden, wie der Fluss organisiert wird, indem man im Zweifel sein Kanban-Meeting macht. Ich glaube so ein Ritual und so ein virtueller Ort hilft den Teams auch gerade in der frühen Phase und der dritte Punkt ist in dem Moment, in dem ich Software einsetze, bin ich immer an die Restriktionen dieser Software gebunden, und das führt eben gerade in einer frühen Phase einer Einführung dazu, dass ich das so mache wie die Software will und nicht so wie es für mein System gut wäre. Und insofern bin ich jetzt nicht, also zumindest in frühen Phasen, kein großer Fan von Software-Lösungen. Das hat sich jetzt natürlich den letzten anderthalb Jahren geändert, denn wenn irgendwie drei Viertel des Teams im Home-Office sitzen oder das gesamte Team im Home-Office sitzt, dann wird das mit dem mit dem physischen Board so ein bisschen schwierig. Aber das ist ja zum Glück, oder ist ja hoffentlich nicht der endgültige Normalzustand.

Götz Müller: Ja ich glaube, der Punkt dieses physischen Boards, manchmal auch das reine, ich glaube auch dieser haptische Aspekt ist nicht zu unterstützen, dieses wirklich da mal was nehmen und woanders hinzusetzen, so wie ich, also zumindest gehe ich da von mir aus. Wenn ich eine Papierliste habe, wo ich etwas drauf geschrieben habe, ist das ein nicht zu unterschätzender Aspekt, wenn man dann mit dem dicken Stift einen Strich durchmachen kann.

Tim Themann: Das ist, finde ich, etwas Befriedigendes. Also es geht ja so weit, ich kenne Scrum-Teams, die im Anschluss an Sprints, die benutzen ja auch ein Task-Board, das so ähnlich aussieht wie ein Kanban-Board in den meisten Fällen, und ich kenne Scrum-Teams, die am Ende ihres Sprints dann gemeinsam grillen und dabei eine Kartenverbrennung durchführen? Und daran, dass es sowas gibt, sieht man schon, dass das Physisch-haptische schon natürlich auch solche Aspekte hat, ganz klar. Man muss ansonsten sagen, für Kamishibai-Boards gilt halt, mir ist gar keine wirklich fertige, umfassende Lösung als Software bekannt, die sich auch noch mit Kanban kombinieren lässt. Ich kenne Software-Lösungen, ich habe recherchiert, und das, was ich sehe, sind Software-Lösungen, die eher aus dem Produktionsbereich kommen, die dann also ein Kamishibai-Board auf dem iPad haben, mit dem ich durch die Fabrikhalle gehen kann oder ähnliches. Das heißt, im Moment, glaube ich, stellt sich die Frage dafür nur sehr begrenzt, was ich natürlich immer machen kann, ist eine Kanban-Lösung so customizen, dass sie mir das mehr oder minder gut abbildet, aber in schön habe ich das tatsächlich in Software noch nicht gesehen.

Götz Müller: Mhm. Jetzt fand ich auch echt spannend in Ihrem Artikel, den ich dann, wenn dann noch jemand nachlesen möchte, auch in den Notizen auf jeden Fall verlinken würde, da hatten sie auch den Aspekt integriertes Kaizen erwähnt und das würde ich auch ganz gern noch ein bisschen vertiefen, wo Sie da die Verknüpfungen, die Integration sehen.

Tim Themann: Mhm. Also die Karten sind ja Rot-Grün und die haben zwei Seiten, auf die man etwas draufschreiben kann und auch in der Produktion ist es so, dass diese Seiten genutzt werden, um etwas draufzuschreiben. Das, was ich immer empfehle, ist auf der grünen Seite tatsächlich einfach die Tätigkeit zu dokumentieren, das sieht dann aus wie eine Liste, die die Reinigungsintervalle auf Toiletten in Schnellrestaurants irgendwie dokumentiert, da wird ja immer abgezeichnet, mehr oder minder glaubwürdig. Aber es ist, glaube ich, tatsächlich so, viele Routineaufgaben in der IT werden schlechter dokumentiert als die Toilettenreinigung im Schnellrestaurant und da sollten wir aus meiner Sicht deutlich besser werden und das kann man eben auf der grünen Seite tun. Das kann man natürlich auch in Software tun, aber ich finde, wenn ich schon so ein Board habe, bietet sich die grüne Seite an, weil ich dann auch die Karte zur Hand habe, wenn ich vor dem Board stehe. Noch spannender finde ich die rote Seite. Dort würde ich immer dokumentieren, was schiefgegangen ist, warum es schief gegangen ist, was man dagegen getan hat und wie man überprüft, ob das wirksam war. Und dann habe ich eben ein Board, das tatsächlich auch schon einen Kaizen-Ansatz beinhaltet und wenn ich das in die Kanban-Kadenzen integriere, das heißt, im klassischen Fall in den Service Delivery Review, da würden solche Themen ja hingehören, oder halt, falls ich so etwas habe, in den Gemba Walk, dann habe ich letztlich ein auf Kaizen basierendes QM-System nebenbei für meine Routine-Tätigkeiten implementiert, das sich einfach in diesen roten Karten manifestiert.

Götz Müller: Mhm ja, und da – ja, bitte?

Tim Themann: Ja, und letztlich ist es ja so, Verbesserung lohnt sich ja vor allen Dingen bei sich wiederholenden Tätigkeiten, weil da einfach sich auch auf der Verbesserungseffekt sich natürlich wiederholt und insofern finde ich hat das gerade auf dem Kamishibai-Board definitiv etwas zu suchen das Thema.

Götz Müller: Mhm ja, und genau da kommt es aber in meiner Wahrnehmung, ja, ich will nicht sagen, immer, aber durchaus immer mal wieder, halt eben zu kurz, weil die Dinge, ja, nicht diese vermeintliche Priorität haben, die sie eigentlich haben sollten, weil wenn ich die Maschine halt nicht öle, wird sie früher oder später, jeder, der ein Auto fährt, hat mal erfahren, was passiert, wenn man die Wartungsintervalle nicht einhält.

Tim Themann: Klar. Also in der IT geht es ja noch weiter. In der IT würde ich persönlich immer dafür plädieren, dass, wenn ein Problem aufgetreten ist, ich sehr genau darüber nachdenke, ob es das Potential hat, wieder aufzutreten und ich dann die Lösung automatisiere. Und letztlich ist es so, vor dem Hintergrund der der Arbeitsmenge, die ansteht, hilft nur noch Automatisierung. Und wenn mir zu irgendeinem Zeitpunkt mal, keine Ahnung, Protokolldatenbanken übergelaufen sind, oder Ähnliches, dann wird es wieder passieren, dann sollte ich das automatisieren. Das heißt, auch da ist es so, dass das sozusagen ein Kaizen-Ansatz, ich verbessere kontinuierlich, indem ich dafür sorge, dass ein Problem eben nur einmal auftritt, der ist extrem lohnend und ist tendenziell die einzige Chance, mit der personellen Ressourcenlage auch klarzukommen, die wir da inzwischen haben. Und das geht, glaube ich, auf Basis, so eines Kamishibais und auf Basis einer roten Seite der Karten, auf die man das entsprechend dokumentiert und dann eben auch nachhält, indem man eben auch guckt, hat es wirklich das getan, was ich tun will, war die Maßnahme wirklich wirksam, kann man das, glaube ich, sehr, sehr gut umsetzen.

Götz Müller: Und ich habe halt den direkten Bezug. Ich meine, natürlich kann man auch Shopfloor-Karten ausfüllen, was ein Weg ist, aber das Dilemma, dass ich da halt sehe, speziell, wenn wir uns auf den Wartungsaspekt beziehen, dass dieser Bezug ein Stück weit verloren geht, weil ich halt einen anderen physischen Zettel hab und nicht auf diesem Kärtchen draufhabe. Tim Themann: Der Bezug ist weg. Ich vermute, dass im Produktionsbereich auch der Ort ein anderer ist. In der IT ist das mit dem Ort ja immer so eine Sache, der Ort ist ja eigentlich eher virtuell. Aber der Bezug ist weg und die Unmittelbarkeit ist weg, wenn ich vor diesem Board stehe und sehe, das steht auf Rot und dann nachgucken kann, warum es auf Rot steht und nachgucken kann und diskutieren kann, was ich jetzt damit tue, dann ist das, glaube ich, etwas ganz anderes, als wenn ich das jetzt irgendwo getrennt in einem weiteren System verwalte.

Götz Müller: Ja, und was ich, was ich auch spannend fand an Ihren Artikel, wo ich dann eben wieder den Bogen in die Produktion rüber geschlagen habe, natürlich gibt es große Produktionen und dann habe ich dezidierte Wartungsabteilungen, die, in Anführungszeichen, 24 Stunden am Tag nur Wartung machen. Anders vielleicht, wie Sie es angedeutet haben, im IT-Kontext, wo möglicherweise, zumindest habe ich es rausgehört, diese Zwei-/Dreiteilung immanent enthalten ist. Speziell, wenn es sich um kleinere IT-Abteilungen oder eben kleinere Produktionsabteilungen handelt, wo es diese dezidierten Wartungsabteilung gar nicht gibt, wo eben die Mitarbeiter diese Aufgaben mitmachen. Und ich glaube, da spielt dann so ein Ansatz, seine wahre Stärke noch viel stärker aus.

Tim Themann: Das denke ich auch, also das dürfte ja vermutlich sogar für die Produktion gelten, denn wenn ich sozusagen lokal an den Maschinen ein lokales Kamishibai-Board habe, dann ist das ja eigentlich eine ideale Grundlage für eine managebare und qualitätsgesicherte autonome Instandhaltung, die eben anders skaliert und unter Umständen auch besser funktioniert, da bin ich jetzt nicht Experte, aber letztlich ist es … Also in der IT gibt es ganz selten tatsächlich dedizierte Wartungsabteilungen, die sich nur um Wartungsaufgaben kümmern und der Trend ist aus meiner Sicht eher, dass man versucht, in zwei Dimensionen interdisziplinärer zu arbeiten. Einerseits interdisziplinärer was die fachliche Zusammenarbeit angeht, andererseits aber auch in der Aufgabe und sich die Aufgaben ganz, ganz stark mischen und man versucht, die drei verschiedenen Aufgaben eben sehr, sehr stark bei den jeweils Fachverantwortlichen zu halten. Das heißt, jeder steckt in diesem Konflikt, und jeder braucht eigentlich eine Möglichkeit, diesen Konflikt zu lösen und das ist das, was man aus meiner Sicht mit einem Kamishibai und einem Kanban gut hinkriegt, vor allem wenn man die beiden noch weiter integriert. Wenn man also die Kamishibai-Karten auch über das Kanban-Board wandern lässt.

Götz Müller: Ja, weil dann eben wieder diese Integration stattfindet und ich diesen kompletten Überblick habe.

Tim Themann: Ich habe den kompletten Überblick auf der einen Seite, auf der anderen Seite, wenn ich eine Kamishibai-Karte, die sozusagen rot geworden ist, weil sie jetzt fällig ist oder weil es ein Problem gibt, wenn ich die dann quasi aus einem zweiten Backlog, wenn ich das Kamishibai als zweites Backlog begreife und dann aufs Kanban-Board bewegen, dann fließt sie auch diesen normalen Arbeitsfluss mit all seinen Regeln. Das heißt, diese dritte Sorte Arbeit wird genauso gemanagt wie die beiden anderen auch, mit allen Regeln, mit allen Vereinbarungen im kompletten Überblick und gegebenenfalls auch mit den entsprechenden Limits in den einzelnen Bereichen. Und das ist, glaube ich, wenn ich diesen Integrationsgrad erreiche, dann habe ich, glaube ich, eine Chance, die Konflikte aufzulösen und die Konflikte, am Schluss ist ja auch eine sehr menschliche Sache, die Konflikte auch für den einzelnen Mitarbeiter aufzulösen, der gar nicht weiß, wie er sonst mit denen umgehen soll.

Götz Müller: Ja, das war jetzt noch ein gutes Stichwort zum Abschluss, das ist auch immer eine Frage, die ich sehr gerne stelle, weil das auch nochmal ein bisschen den Horizont erweitert und auch Parallelen offenlegt. Welche Reaktionen erleben Sie jetzt in dem IT-Kontext? Speziell natürlich, wenn man mit so etwas Physischem, ich sage es mal ein bisschen flapsig, ums Eck kommt. Da könnte ich mir vorstellen, dass da vielleicht der ein oder andere, ja, zuckt.

Tim Themann: Also das wird meistens sehr schnell eine Software. Ich muss jetzt ganz ehrlich sagen, dass ich da gerade gar keinen so richtig gutes Datenmaterial habe, einfach weil viele der Projekte, in denen ich versucht habe, das das umzusetzen, dann die Pandemie und die Home-Office-Phase reingekommen ist und damit war das physische Board einfach tot. Das ist, deswegen kann man, glaube ich, kann ich gerade gar nicht messen, wie problematisch das ist, aber letztlich ist es in der IT immer so, ich kriege etwas, für das ich eine Software bereitstellen kann, die ich zeigen kann, die irgendwie fancy und hübsch, kriege ich in aller Regel einfacher umgesetzt und einfacher durchgesetzt und auch einfacher überzeugt, als wenn ich da Zettel an die Wand hänge. Das gilt nicht für Flipchart und Whiteboard. Ich beschäftige mich ja auch viel mit Visualisierungsthemen und Flipchart und Whiteboard sind sehr akzeptiert, aber ein Board voller Post-its oder voller, wie auch immer man das dann haptisch realisiert, ist tatsächlich etwas, wovon ich schwieriger überzeugen kann als von einer Software-Lösung.

Götz Müller: Mhm. Ja, da könnte ich mir dann wieder vorstellen, dass es vielleicht in reinen Produktionsbereichen, oder jetzt, rein ist der falsche Begriff gewesen, in Produktionsbereichen dann wieder vielleicht eher dieser haptische Aspekt angenommen wird, um es mal so auszudrücken.

Tim Themann: Das glaube ich, da werden ja sowieso Dinge angefasst und man ist sowieso auf jeden Fall vor Ort und das passt vielleicht auch besser in die Kultur und zu den Menschen, das kann ich mir gut vorstellen.

Götz Müller: Ja, sehr spannend. Also unsere Unterhaltung hat mich jetzt bestätigt, dass es eine gute Idee war, Sie anzusprechen, wo ich Ihren Artikel gelesen und deshalb, Herr Themann, ich danke Ihnen für Ihre Zeit.

Tim Themann: Ja, ich habe zu danken.

Götz Müller: Das war die heutige Episode im Gespräch mit Tim Themann zum Thema Kamishibai in der IT. Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 264.

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Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.

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