Kaizen 2 go 338 : Arbeitsanweisungen und Sprache


 

Inhalt der Episode:

  • Was war der Auslösung für die Beschäftigung mit Arbeitsanweisungen?
  • Wie bist Du auf TWI bzw. die Job Instructions gestoßen?
  • Welche Aspekte sind wichtig für gute Arbeitsanweisungen?
  • Welche Defizite nimmst Du wahr?
  • Was sind die Auswirkungen dieser Defizite?
  • Welche Ursachen stecken dahinter?
  • Wie lassen sich diese Ursachen beseitigen?

Notizen zur Episode:


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(Teil)automatisiertes Transkript

Episode 338 : Arbeitsanweisungen und Sprache

Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.

Götz Müller: Heute habe ich Sonya Dase bei mir im Podcast-Gespräch. Sie ist Expertin für Sprache und wird das sicher gleich noch ein bisschen tiefer ausführen. Hallo Sonya.

Sonya Dase: Ja, hallo Götz. Danke, dass ich bei dir sein darf.

Götz Müller: Ja, schön, dass das heute klappt. Ich glaube, wir haben ein, wahrscheinlich für die allermeisten Zuhörer, etwas ungewöhnliches Thema, das aber wahrscheinlich schon mit einer Selbstvorstellung ein bisschen intensiver, dann ein bisschen klarer wird und vor allen Dingen dann im Verlauf unseres Gesprächs.

Sonya Dase: Ja, das ist halt schon das Absurde an dem Thema, weil Sprache so allgegenwärtig ist. Wir alle benutzen sie, alle arbeiten damit oder über Sprache, und trotzdem ist es für manche ein exotisches Thema, auf Sprache zu gucken. Genau, Sprache ist, also, glaub seit 25 Jahren beschäftige ich mich damit, ich bin ich habe Literatur- und Sprachwissenschaft studiert, hab als Lektorin lange gearbeitet, habe Deutsch als Zweitsprache unterrichtet, beschäftige mich auch jetzt immer noch damit, also Sprache ist immer der rote Faden in meinem Berufsleben gewesen und es ist immer noch. Und was vielleicht noch interessant ist, was ich jetzt mache, ich habe vor einem Jahr gemeinsam mit einer Kollegin eine Firma gegründet, „Deutsch im Job“, und wir unterstützen Unternehmen, die Menschen ausbilden, einstellen, einstellen wollen, Menschen, für die Deutsch nicht die Muttersprache ist, also Deutsch als Zweitsprache, Deutsch lernen, Deutsch am Arbeitsplatz ist so ein Riesenthema.

Götz Müller: Ja, ich denke, da deutet sich ja schon ein bisschen der Bezug zu unserem Thema an, eben Arbeitsanweisungen. Jetzt bin ich aber mal ganz neugierig, wie, in Anführungszeichen, ein bisschen flapsig ausgedrückt, wie kommt man darauf, als, ja, Sprachwissenschaftlerin, die das eben sehr intensiv studiert hat, sich mit so etwas, vielleicht profanen, wie Arbeitsanweisungen zu beschäftigen?

Sonya Dase: Ja, ich glaube, da hat man schon, da stichst du genau ins Problem, also ich finde Sprache total spannend und es sind gar nicht immer die großen Themen, die großen Wörter, sondern es ist eher das Kleine, das Unscheinbare und Kommunikation, Verständigung, gelingendes Sprechen, dafür brauchen wir, also es ist ja im Alltag da, und vieles, was nicht funktioniert, liegt daran, weil selbst so etwas Einfaches, vermeintlich Einfaches, wie eine Arbeitsanweisung, oft schwieriger ist als der Inhalt. Also ich finde an Sprache das Spannende diese Diskrepanz zwischen Inhalt und Form. Vielleicht, genau, kann ich dir mal kurz erzählen, wie ich überhaupt aufs Thema gestoßen bin. Ich habe ja viel Deutsch für den Beruf unterrichtet früher, Menschen, die sich eben auf den Berufseinstieg vorbereitet haben und dann vielleicht auch im Rahmen dieser, vor der Berufstätigkeit auch ein Praktikum gemacht haben und wenn ich in Unternehmen war und meine Praktikanten begleitet habe und mir dann den Arbeitskontext, die Arbeitsplätze angeschaut habe, bin ich eben auf Arbeitsanweisung gestoßen und habe festgestellt, dass die Praktikanten nicht gut vorbereitet sind auf die Dinge dort und da habe ich einfach festgestellt, die Inhalte sind meistens recht einfach, die Arbeitsanweisungen sind wahnsinnig schwierig. Und das ist, das Thema hat mich immer schon beschäftigt, das hat mich auch als Lektorin beschäftigt, dafür zu sorgen, dass Texte so formuliert sind, dass sie verständlich sind für die Person, für die sie einfach geschrieben sind.

Götz Müller: Ja, was, glaube ich, im Kontext von Sprache als einer Form von Kommunikation ja ganz entscheidend ist, jetzt so eine NLP-Vorannahme drückt das, finde ich, sehr treffend aus, der Wert einer Kommunikation ist die Reaktion des Gegenübers, und da habe ich dann schon die große Herausforderung, nämlich den einzigen Hebel, den, in meinem Weltbild, man hat, das ist im Grunde so der Griff an die eigene Nase, weil ich ja nicht im Kopf des anderen schrauben kann, wenn er es in Anführungszeichen halt nicht versteht.

Sonya Dase: Nee, und ich glaube, jeder, der, also ich spreche über Dinge, die ich sehe und ich wahrnehme und die ich ausdrücke und das ist ja etwas anderes als das, was der andere sieht und das finde ich nach wie vor faszinierend. Ich glaube jeder, der eine Familie hat oder in einer WG gewohnt hat, weiß wovon ich spreche, wenn zwei auf ein und denselben Raum gucken oder auf ein und denselben Tisch und der eine sagt, er ist sauber, der andere sagt, er ist nicht sauber, man sieht dasselbe und was bedeutet das wirklich, da fängt es schon an. Das, was ich sehe, ist nicht das, was du siehst und das, was ich benenne, ich denk immer etwas mit, das kann ich gar nicht vermeiden, also ein Wort hat seine Bedeutung durch den Kontext, in dem ich das Wort sehe oder verstehe.

Götz Müller: Ja, da kommt mir jetzt noch ein zweites Thema in den Sinn, in dem Kontext, wobei das vielleicht dann ein bisschen von unserem eigentlichen Thema abschweift, aber ich habe, ich zitiere da wieder NLP, da spricht man ja sogar vom Meta-Modell der Sprache, also Modell eines Modells und ich glaube, das macht es dann halt herausfordernd.

Sonya Dase: Genau. Aber wenn wir so bei ganz pragmatischen Sachen sind, fängt das ja schon an, dass wir ja manchmal denken, dass ein Wort einfach ist, aber ein Wort ist nie einfach. Das sieht vielleicht einfach aus, das kann auch sehr gebräuchlich sein, aber es kann in einem Arbeitskontext schon wieder eine andere Bedeutung haben oder viele Wörter stehen ja auch für Konzepte und ich gehe dann … weiß ich, ob jemand das Konzept kennt. Ich mache mal ein ganz banales Beispiel, das Wort „Kurzarbeit“, ich mein „kurz“ ist ein ganz einfaches Wort und „Arbeit“ auch. Wo ist der Unterschied zwischen „in Teilzeit arbeiten“ und „Kurzzeit arbeiten“? Also eigentlich ist das Wort „Kurzarbeit“ viel logischer, aber das Konzept dahinter ist sehr anspruchsvoll. Und wenn ich jemanden frage, kennst du das Wort „Kurzarbeit“, kann es sein, dass er sagt „Ja, klar“, weil man das Gefühl hat, „Ich weiß, worum es geht“ und ich glaube, das ist auch noch mal eine zusätzliche Herausforderung in Arbeitskontexten, wie stelle ich sicher, wenn beide glauben, dass sie sich verstanden haben, dass sie sich wirklich verstanden haben, ich merke das ja oft nicht, dass ich das vielleicht gar nicht im Sinne des Senders verstanden habe, wir merken das erst, wenn ich entweder etwas Falsches tue oder unangemessen reagiere.

Götz Müller: Genau, eben diese Reaktion.

Sonya Dase: Mhm.

Götz Müller: Jetzt ist unser, in Anführungszeichen, gemeinsamer Punkt, gemeinsames Thema und das hat jetzt viel damit zu tun, wie wir uns in Anführungszeichen begegnet sind, ist das Thema „Training Within Industry“ beziehungsweise noch konkreter, dort die Job Instructions. Wenn ich jetzt selber drüber nachdenke, wie das mir begegnet ist, im Grunde durch einen Zufall, bin ich unheimlich darauf gespannt, weil das ist eine Frage, die ich dir ja noch nie gestellt habe: Wie bist du eigentlich drauf gestoßen?

Sonya Dase: Auch durch einen Zufall. Ich war nämlich, ich glaube, es war im Juni ’23 war ich bei der Veranstaltung „Seven Hours Lean“, da waren ja mehrere Vorträge und unter anderem war auch der Alexander Ruderisch da, und der hat über das Konzept gesprochen und ich war wegen eines anderen Vortrags da, fand es aber so spannend, dass ich gedacht habe, ich bleibe mal, höre mir alles an und dann bin ich darauf gestoßen, war gleich fasziniert und habe mir sofort dein Buch auch gekauft, weil ich gedacht habe, oh ja, Job Instructions, überhaupt dieses „Training Within Industry“ ist schon ein großartiges Thema, da ist vieles drin, was mit Sprache zu tun hat oder eben mit dem Blick, gut zu didaktisieren und Stück für Stück Informationen weiterzugeben und die Sprache auch gezielt einzusetzen.

Götz Müller: Ja, und was ich eben so spannend finde und wenn ich das jetzt mit deinem Thema und was du schon angedeutet hast, in Bezug setze, dieses manchmal sehr blumige und oder sehr ausführliche Beschreiben, wo ich mal davon ausgehe, dass es durchaus gut gemeint ist, aber halt nicht immer seinen Zweck erfüllt und das ist ja zum Beispiel innerhalb der Job Instructions beziehungsweise bei den Arbeitsaufschlüsselungen ja eine ganz bewusste, nennen wir es mal Gegenbewegung, zu sagen: Hey, reduzier es auf das Minimum, aber reduzier es auf die wichtigen Dinge, nämlich das Was, das Wie und das Warum. Und dass einem jetzt nicht der sprichwörtliche Gaul durchgeht und man das als einen Roman niederschreibt.

Sonya Dase: Genau. Also bevor ich „Deutsch im Job“ gegründet habe, ich wohne ja in Bremen und arbeite auch in Bremen, da hatte ich auch die Servicestelle „Deutsch am Arbeitsplatz“ und wir haben, also das ist vom Land gefördert, und wir haben Unternehmen begleitet, auch beim Thema Deutsch am Arbeitsplatz und in dem Bereich haben wir auch viele Unternehmen unterstützt, ihre Dokumente umzuschreiben beziehungsweise sprachlich anders zu fassen und da habe ich genau das eben auch schon viel gemacht und viel erlebt. Genau, das sind wahnsinnig lange Arbeitsanweisungen häufig und ich nehme oft den Vergleich zu Bäumen. Bäume wachsen ja auch und kriegen so Jahresringe und Arbeitsanweisungen kriegen auch so Jahresringe. Für jeden Fehler, der irgendwie gemacht wird, wird noch mal ein Satz angefügt. Und das ist eine Sache, die ich beobachtet habe, dass Dinge, die falsch gelaufen sind, da reingeschrieben werden in die Arbeitsanweisung, was ja eben nicht die Richtige, also aus meiner Sicht nicht zielführend ist, wenn ich einen Fehler beschreibe, heißt das noch lange nicht, also wenn ich weiß, was alles falsch ist, heißt es noch lange nicht, dass ich weiß, was richtig ist. Und ich finde das Relevante nicht mehr wieder.

Götz Müller: Ja, was ja, durchaus ein, ja, nennen wir es mal fast bekannten Fluch darstellt, dass man ja einerseits aus Fehlern viel leichter lernt, weil man halt dann da sehr, oft sehr zwingend, mit der Nase draufgestoßen wird, was halt nicht funktioniert hat, aber diese Reduktion auf das, was es eigentlich ausmacht, dann manchmal eine ganz andere Richtung gehen sollte, was jetzt zum Beispiel den Umfang angeht.

Sonya Dase: Genau. Also ich bin mittlerweile der Meinung, dass man, dass wir eigentlich so wenig wie möglich verschriftlichen sollten, weil wir natürlich auch vieles haben, was sich auch immer wieder verändert und wenn Abläufe nicht funktionieren, kann es viel sinnvoller sein, miteinander zu sprechen und rauszufinden, also wenn fünf Leute einen Fehler machen, heißt es noch lange nicht, dass sie fünfmal denselben Grund haben, diesen Fehler zu machen, jeder braucht etwas anderes. Und dann macht das vielleicht viel mehr Sinn, ins individuelle Gespräch zu gehen und das Thema abzuräumen oder es mal herauszufinden, was weiß jemand nicht und eine Arbeitsanweisung ersetzt ja auch keine gute Einarbeitung.

Götz Müller: Genau. Das ist dann, glaube ich, auch ein Thema, also zumindest mir begegnet es ganz oft und ich würde mal fast vermuten, das habe ich so rausgehört aus dem, was du da gemacht hast, begegnet es dir ganz ähnlich und jetzt möchte ich im Grunde noch mal so bisschen einen Rundumschlag starten und da auch die Chance nutzen, mit jemandem, in Anführungszeichen, fachfremdem, was die Arbeitsanweisung an sich angeht, darüber zu sprechen, was es denn aber ausmacht, weil ich glaube dieses, ja, ich bleibe mal vielleicht bei dem trotzdem ein bisschen blöden Begriff „fachfremd“, weil du mit dem, glaube ich, neutraleren Auge, das ist wahrscheinlich ein besserer Ausdruck auf eine Arbeitsanweisung schaust als die beiden Direktbeteiligten, nämlich einerseits die Person, die unterweist oder das halt irgendwann mal erstellt hat und hoffentlich ziemlich gut wusste, was sie da tut, vielleicht sogar im Schlaf das gemacht hat, in Anführungszeichen, oder im Schlaf kann, das, was sie da beschrieben hat und dadurch eine wieder ganz andere Herausforderung da ist und dann umgekehrt die Person, für die es geschrieben wird, die am Anfang wahrscheinlich völlig unwissend ist und dann aber vor anderen Herausforderungen steht und da jetzt eben, durch deine neutrale Brille: Was ist wichtig und aber eben auch durchaus, was für Defizite nimmst du wahr?

Sonya Dase: Mhm. Schwierige Frage, weil natürlich viele Arbeitsbereiche sehr, sehr unterschiedlich sind. Ich habe viel im Bereich der Lagerlogistik gemacht und da habe ich oft sehr, sehr umfangreiche Arbeitsanweisungen gesehen, wo mir manchmal gar nicht klar war, was ist eigentlich der eine zugrundeliegende … worum geht es eigentlich genau?

Götz Müller: Mhm.

Sonya Dase: Wenn es jetzt darum geht, Pakete einzulagern, mal als ein Beispiel, das ist natürlich ein riesengroßes Thema, dann hat so eine Arbeitsanweisung plötzlich zehn oder zwölf Seiten, weil dann, denke ich, das ist, glaube ich, zum Beispiel eine Sache, wo ich denke, eine Arbeitsanweisung, wann habe ich die eigentlich? Sollte es für einen bestimmten Arbeitsbereich sein, den ich noch nicht gut kenne oder den ich nicht so häufig mache, wo ich mich noch mal vergewissern kann, um die eigenen Punkte nachzuschauen? Wann gucke ich überhaupt noch mal in ein Schriftstück? Oder lese ich das im Vorfeld, um mich einzuarbeiten? In welchem Arbeitskontext wird das tatsächlich gemacht und wenn, also das war eine Sache, dass ich, wenn ich manchmal auch mit Qualitätsmanagern oder Prozessmanagern an den Arbeitsanweisungen gearbeitet habe, war denen das dann auch manchmal sogar nicht klar.

Götz Müller: Mhm.

Sonya Dase: Das ist so jetzt mal eine These, die ich habe, dass viele Anweisungen auch geschrieben sind, weil das ein Teil des Qualitätsmanagements ist. Wir haben halt Prozesse definiert, wir haben die verschriftlicht und dann muss auch alles irgendwie beschrieben sein. Das heißt, der Fokus bei dem Verschriftlichen liegt gar nicht auf Verständlichkeit und Nützlichkeit für die Mitarbeiter, sondern dass man beim nächsten QM-Audit viele Häkchen bekommt. Jetzt mal überspitzt.

Götz Müller: So die Kategorie „Wer schreibt, der bleibt“ unter Umständen.

Sonya Dase: Ja, es hat ja auch. Wir haben ja auch, also in Unternehmen gibt es ja auch viele andere Zwänge, das ist ja nicht nur eine gute Anweisung, gute Einarbeitung zu machen, sondern eben auch genau den Qualitätsstandards zu entsprechenden, Audits zu bekommen, Anweisungen gemacht zu haben, damit man im Falle eines Unfalls auch nachweisen kann, dass man bestimmte Informationen weitergegeben oder niedergelegt und zugänglich gemacht hat. Das ist, glaube ich, auch nochmal ein wichtiger Punkt. Das ist auch mein zweiter Punkt, warum ich glaube, dass viele Schriftstücke im Unternehmenskontext so schwer verständlich sind, weil es viele Vorlagen auch gibt, von den Berufsgenossenschaften zum Beispiel, die auch in der Art zu schreiben ja oft sehr kompliziert sind und rechtssicher formuliert sind, sodass auch viele Unternehmen natürlich genau die Formulierung so übernehmen, um auf der sicheren Seite zu sein, weil umschreiben auch wieder bedeutet, ich interpretiere, ich straffe, ich lasse vielleicht möglicherweise etwas weg, wo man nachher sagen kann „Du hast es verkürzt“, insofern ist so eine gute Anweisung zu schreiben, natürlich auch immer ein Spagat zwischen verschiedenen Interessen, die man auch hat: Rechtssicherheit, Verständlichkeit. Die schließen sich ja fast aus.

Götz Müller: Ja. Obwohl ich jetzt kein Jurist bin, aber zumindest im Patentkontext geht mir gerade durch den Sinn, da hat man, sagt man ja so flapsig, eine gute Patentschrift ist dann wunderbar oder ist dann gut, wenn der Erfinder es nicht mehr versteht. Und das kann ich durchaus unterschreiben so, also was ich dann manchmal zurückgekriegt habe von dem, was ich vorher zu Papier gebracht habe, war mir manchmal nicht klar, dass das von mir ursprünglich kam. Okay, jetzt würde mich aber eben noch ein bisschen spezifischer interessieren, weil ich glaube, das ist dann auch der Wert für die Zuhörer, wenn sie da dann in der Lage sind, noch mal zu reflektieren, sofern sie selber in irgendeiner Form und ich glaube, das wird an den meisten nicht spurlos vorbeigehen, mit Arbeitsanweisungen in Berührung kommen, entweder weil sie selber welche erstellen oder weil sie selber welche lesen müssen, bewerten müssen, in welcher Form auch immer … aus deiner Praxis raus dann wieder, und das, glaube ich, ist eben das Wertvolle jetzt, dass eben nicht nur mit dem Blick der Sprachwissenschaftlerin darauf schaust, sondern eben auch mit einem Anwendungsblick, wie du es angedeutet hast. Welche Defizite haben dann eben ganz oft, über so die nackte Länge hinaus die Anweisungen und dann, was für Folgen ergeben sich daraus?

Sonya Dase: Mhm, genau die Länge ist ein gutes Stichwort. Es ist oft zu viel drin und das, was, also dass man das, was relevant ist, dann suchen muss, also dieser Perspektivwechsel, wann liest jemand diese Arbeitsanweisung, in welcher Situation ist er, was weiß er schon und was braucht er in diesem Moment. Und wenn man das im Hinterkopf hat, könnte man, kann man gut Dinge rausschmeißen und sagen: Das muss ich hier gar nicht reinschreiben. Ich nehme mal das Beispiel eines Gabelstaplers, wenn da steht, ich muss den Führerschein haben, denke ich: Ja, wenn ich jetzt wissen will, wie ich ihn anmache, also kann ich das nicht voraussetzen? Muss ich das da reinschreiben, welchen Führerschein und was ich brauche etc.? Also was kann ich rausschmeißen, was gehört in einen anderen Kontext? Und dann, wenn ich die Information reduziere auf die, die jemand wirklich braucht, dass ich sie auch in die Reihenfolge der Arbeitsschritte bringe. Es gibt ganz einfache, schon allein durch eine Strukturierung, kurze Sätze, eins nach dem anderen, Absätze machen, Zwischenüberschriften und eben immer beziehen auf den Anwender, was mache ich. Das sind ganz einfache Tricks, die aber eine große Wirkung haben, weil oft eben nicht gesagt wird, was ich jetzt konkret tue, sondern worauf man achten soll, so dieses „Pausen müssen eingehalten werden“, nehme ich mal als Beispiel, das ist nicht sehr hilfreich, aber zu sagen „Du musst zwei Stunden Pause machen“ ist etwas ganz anderes, oder „Wenn du das Gerät abgestellt hast, dann musst du das und das tun“, also eine direkte Ansprache, ob ich jetzt du oder Sie sage, ist ziemlich wurscht, aber eben genauso dieses immer auf den Bezug des Lesers. Was bedeutet das für mich, für meinen Arbeitsplatz, was muss ich jetzt tun, so konkret wie möglich? Das ist eine hohe Leserfreundlichkeit. Ich glaube, das ist so mit eins der wichtigsten Dinge, dieser Perspektivwechsel ändert ganz viel.

Götz Müller: Mhm, was für ja im Grunde, wenn man das durch die Lean-Brille betrachtet, keine neue Botschaft sein sollte, weil es unter das erste Lean-Prinzip der Kundenorientierung fällt.

Sonya Dase: Genau, ein Leser ist ja auch der Kunde. Genau. Damit hat man ganz viel abgeräumt. Ich habe auch festgestellt, ich bin ja eine große Freundin von Überschriften, allein wenn man eine Überschrift so formuliert, dass man eben schreibt „Worauf muss ich achten?“ oder „Das ist wichtig, wenn ich das und das tun will“, dann ist im Prinzip schon durch die Überschrift klar, was jetzt kommt und dann weiß ich: will ich das lesen oder nicht. Und wenn das, was da drinsteht, mich eigentlich nicht interessiert, dann lese ich auch nicht weiter. Aber eine aussagekräftigen Überschrift, gute Zwischenüberschriften, dass ich auch schnell mich orientieren kann, wenn ich zum Beispiel einen Arbeitsvorgang habe, der zwölf Schritte hat oder acht und ich weiß eigentlich, den Anfang kann ich gut, aber irgendwie so in der Mitte waren drei Dinge, wo ich nicht mehr die Reihenfolge weiß, dann hilft mir natürlich eine schöne optische Strukturierung, dass ich sofort sehe, wo ist der der Teil, der für mich wirklich interessant ist, weil wir haben ja auch immer mehr mit Menschen zu tun, die gar nicht viel lesen oder nicht mehr geübt sind zu lesen. Man kann das ja auch wieder verlernen, oder wenn man mit einem anderen Alphabet aufgewachsen ist, dann ist es einfach wahnsinnig anstrengend, sich zu orientieren in einem Text.

Götz Müller: Ja, jetzt, wo du es so erzählst und ich vor meinem geistigen Auge eben die Job-Instruction-Arbeitsaufschlüsselung habe, wird mir jetzt im Grunde klar, dass diese drei Spalten, die dort existieren, das Was, das Wie und das Warum, das Was im Grunde genau diese Rolle dieser Überschrift übernimmt, da noch mal vielleicht mit dem zusätzlichen Aspekt: Bringt es die Arbeit vorwärts? Also nur im Grunde klassisch wertschöpfende Dinge beschrieben werden und jetzt das Von-A-nach-Bewegen zum Beispiel gar nicht erwähnt wird das, das wird mir jetzt in der in der Unterhaltung mit dir noch mal bewusster, dass die, ja, vielleicht ganz automatisch oder durch tiefes Überlegen auf ähnliche Aspekte gekommen sind, wobei ich mal ganz stark vermute, dass es eben nicht durch diese theoretisch-sprachwissenschaftliche Brille betrachtet wurde, sondern der halt durch einen ganz praktischen Aspekt, aber eben das jetzt auf einer neutraleren Ebene, abstrakteren Ebene, im Grunde mit einer Überschrift gleichbedeutend ist.

Sonya Dase: Mhm, denke ich auch ja.

Götz Müller: Und dann auf der nächsten Ebene dann das Wie praktisch den eigentlichen Inhalt umschreibt und dann noch mal, und das finde ich an den Aufschlüsselungen so spannend, noch das Warum dazu nimmt, was mir im Job- Instruction-Kontext das erste Mal begegnet ist, was aber, glaube ich, eben auch für die persönliche Klarheit des Schreibers, also des Erstellers noch mal einen, ja, riesigen Sprung macht, weil ich mich ganz auf einer ganz anderen Ebene mit dem Inhalt noch beschäftige.

Sonya Dase: Genau. Und ich finde dieses Warum auch, da ist natürlich auch wahnsinnig viel Arbeit drin, aber wenn man das verstanden hat, weiß man auch bei Abweichungen, beim Wie, was relevant ist und was nicht oder wie ich auch intervenieren kann. Ansonsten weiß ich nur bei Abweichungen, irgendwie mache ich das jetzt falsch, aber ist es wichtig oder nicht oder wie kann ich das kompensieren, das wird ja klar, wenn ich das Warum habe.

Götz Müller: Ja, und ich schränke, durchaus gezielt an der Stelle, natürlich auch ein Stück weit die Kreativität ein, weil ich damit verhindere, dass sich jemand unbewusst diese Frage stellt und dann vielleicht auf eine andere Antwort kommt aus einem vielleicht noch laienhaften Verständnis raus, wobei sich hoffentlich vorher jemand ja ganz intensiv die Warum Frage gestellt hat, auf einer sehr fachlichen Ebene und da dann schon die Antwort gegeben hat, also durchaus eine gezielte Beschränkung wieder, aber jetzt nicht, um jemandem Handschellen anzulegen, sondern, um sich a) selber erstmal bewusst zu machen und b) dann eben, ja, schon ein Stück weit zu verhindern, dass da Verbesserungen stattfinden, die dann hinterher doch keine sind.

Sonya Dase: Ja, aber das ist, glaube ich, auch das, was bei einfacher Sprache oder verständlicher Sprache ja auch so ist. Da ist viel Denkarbeit drin. Und ich glaube, deshalb ist das auch so unpopulär und so schwer, weil das natürlich, man denkt dann ganz lange nach und versucht, etwas rauszufinden, das ist ja so ein bisschen, wie so ein Schwammausquetschen, dass man wirklich auch alles Überflüssige rausdrückt und nachher hat man dann so ein dröges, banales Ding dasitzen und andere gucken dich an und fragen: Warum hast du jetzt so lange gebraucht, um diese fünf Sätze aufs Papier zu bringen? Aber genau, man muss viel nachdenken und auf den Punkt bringen und nicht sieben Wörter anbieten, sondern das eine, was wirklich treffend ist finden. Das sind ja auch Suchbewegungen. Und was vielleicht auch noch ein Punkt ist bei Arbeitsanweisungen. Ich finde es immer ganz wichtig, das auch eben im Team zu machen, zu prüfen, mit anderen Menschen auch, also gegenlesen zu lassen, viele.

Götz Müller: Mhm.

Sonya Dase: Um nachher auch herauszufinden, muss ich noch, also wo sind noch Lücken und wenn ich selber einen Text geschrieben habe, kann ich ihn ja auf Verständlichkeit gar nicht prüfen, weil ich dann ja blind bin für die Schwierigkeiten des Textes. Ich glaube, das hatte ich mal bei dem Stammtisch auch berichtet. Ich habe ja auch viel mit Menschen gearbeitet, die, also in dem einen Logistikunternehmen zum Beispiel, die Qualitätsmanager, die alle ihre Arbeitsanweisung gegenseitig nicht verstanden haben, obwohl sie am selben Standort, am selben Thema gearbeitet haben. Die Texte waren für alle unverständlich. Das ist ja schon mal der erste Schritt, lesen, können die anderen das verstehen? Und dann kann man Stück für Stück das abbauen und später eben auch noch mal die Menschen an den Arbeitsplätzen, die damit arbeiten müssen, auch noch mal gegenlesen lassen. Was auch immer wieder eine Hürde ist, ich kenne das von Initiativen und einfacher Sprache oder leichte Sprache, die haben richtige Testleser, die dann diesen Job haben, Texte zu lesen, zu sagen, wie verständlich finde ich, die markieren dann die Wörter, bei denen sie merken, über die stolpere ich, die sind mir unvertraut, und das ist ja für manche Personen dann auch immer wieder peinlich, weil die sagen: Der Text, der ist schon extra vereinfacht und jetzt verstehe ich den immer noch nicht. Deshalb ist das auch, finde ich, und dann geben sie es manchmal gar nicht zu oder strengen sich viel zu sehr an. Da gehört also auch ein gutes Team, was sich schätzt, miteinander arbeitet und auch sagt, wenn du den Text nicht verstehst, habe ich etwas falsch gemacht. Und ein Text, wenn ich lese, sollte ich mich nicht mit der Sprache beschäftigen, sondern auf den Inhalt gucken können.

Götz Müller: Ja, mir geht gerade noch so ein Punkt, wieder im Kontext vom Modell, durch den Kopf, an so einem ganz einfachen Beispiel: Baum kann ja alles Mögliche sein, wenn es jetzt Ende November, Anfang Dezember, ist vielleicht Baum nicht gleich Baum, wenn ich nämlich eigentlich über eine Nordmanntanne fürs Wohnzimmer rede?

Sonya Dase: Jeder hat ein ganz anderes Bild im Kopf bei Baum, ja.

Götz Müller: Und da muss man sich eben auch, selbst bei so etwas simplem, immer wieder selber klar machen, um was geht es jetzt eigentlich. Geht es jetzt um den Baum, der dann anschließend geschmückt werden soll oder geht es halt um Holz von einem Baum, das anschließend im Kamin das Wohnzimmer warm machen soll? Da habe ich nämlich ganz andere ganz andere Randbedingungen, über die mir aber selber jetzt bewusstwerden muss, weil sonst eventuell einer in den Wald geht und mit einer, mit einem Nicht-Tannenbaum zurückkommt und ich will es aber als Weihnachtsbaum haben oder er sucht und sucht und sucht und sucht und mir wäre einfach ein Stück Holz wichtig gewesen.

Sonya Dase: Genau, also gelingende Kommunikation ist die Ausnahme und immer eine Überraschung. Also das finde ich, glaube ich, auch noch mal ganz wichtig in diesem Zusammenhang, dass es nie so ist, dass alle dasselbe sehen und hören, verstehen können und dass man da einfach auch entspannt mit umgeht und das ist, glaube ich, ja auch noch mal ein ganz wichtiges Thema, was ihr auch immer wieder habt in eurer Arbeit, dass nur, weil eine Sache einmal geschrieben ist, dass die dann nicht, also dass es immer regelmäßig wieder angeguckt und überprüft und weiterentwickelt wird und wenn man feststellt, eine Sache kann falsch verstanden werden, dann bessere ich da nach, mache entweder eine Ergänzung oder stelle fest, dass muss ich bei der Einarbeitung anders aufsetzen, aber es gelingt nie, Sachen so zu verschriftlichen, dass alle Möglichkeiten der Missverständnisse ausgeräumt sind, das kann man gar nicht verhindern.

Götz Müller: Mhm, Mhm. Gut, jetzt geht mir noch eine Frage durch den Kopf, was natürlich sicher ein bisschen was mit Lean und Co zu tun hat. Jetzt haben wir über, ja, in Anführungszeichen, Symptome gesprochen, also eine Ist-Situation, bestimmte Defizite und natürlich bohrt man dann gerne mal ein bisschen tiefer und da möchte ich jetzt auch die Chance nutzen, mit jemandem, der sich eben mit Sprache an sich sehr intensiv auch beschäftigt. Woran kann denn sowas liegen? Ein bisschen andeutungsweise schwang es ja mit, aber wenn man es noch ein bisschen abstrahiert, sofern das möglich ist? Woran kann das liegen, dass es eben, zu diesen, ja, zu diesen Missverständnissen kommt es ja offensichtlich, aber was ist das Problem hinter dem Problem?

Sonya Dase: Ja. Ich habe ja … meine These ist, dass … erstmal lernen wir, umständlich zu schreiben, also wenn wir schreiben lernen oder überhaupt unsere Sprache lernen, in der Schule, später in der Berufsschule oder an der Uni, sollen wir immer ja auch zeigen, was wir alles gelernt haben, oder wir haben ja auch insgesamt eher so eine Tradition von langen, komplizierten Sätzen, dass wir uns aufwerten durch komplizierte Dinge. Wenn mich mein Gegenüber nicht versteht, heißt das ja, ich habe einen anspruchsvollen Job. Einfache, klare Sprache wird ja auch mit Einfachheit gleichgesetzt, so „Du machst ja etwas einfaches, aber ich mache etwas kompliziertes“ und ich … also das ist eine Sache, die ich immer wieder erlebt habe, dass Menschen denken, sie werten sich auf. Ist ja in der Schule auch so, dass man dann Punktabzug kriegt, wenn man nicht genug Fremdwörter benutzt hat, zumindest, wenn man Lehrer hat, die nicht deutlich machen, es gibt Fremdwörter, die muss man manchmal nutzen, manchmal ist es aber auch sinnlos, also in welchem Kontext mache ich das. Wenn wir Sprache lernen, sind wir aufgefordert, möglichst alles zu zeigen und die ganzen Konstruktionen, die wir gelernt haben, anzuwenden. Und damit habe ich viel zu tun, wenn ich dann auch Schreibtrainings mache mit Personen, dass die dann denken „Aber, das klingt ja ganz einfach“, oder „So kann ich doch nicht schreiben“. Wenn die mündlich kommunizieren, machen die es sehr klar und sobald sie anfangen zu schreiben, also viele haben ja auch Angst davor oder schreiben ungerne, kommen gleich in so einen inneren Krampf, ich denke, ich hätte ja genau damit zu tun, dass wir keinen entspannten Umgang mit Sprache dann haben, muss dann irgendwie immer anspruchsvoll klingen. Und deshalb haben wir es nicht gelernt und praktizieren es nicht. Wir kriegen dafür ja auch … es ist ja auch eine, sagen wir mal, eine Kunst ohne Anerkennung, wenn man das denn macht, dann gucken sie alle an … Ich habe jetzt im Vorfeld zu unserem Gespräch, da musste ich noch in eine Situation denken, ich habe mal, ich glaube, ein oder zwei Wochen darüber nachgegrübelt, wie ich in einer Stellenausschreibung. Also ich wollte die möglichst diskriminierungsfrei benennen und dieses, wie schreibe ich eigentlich, dass ich mich auch freue, wenn XYZ, also wer sich alles bewerben könnte. Du kennst ja auch diese Stellenausschreibung, wo dann ein Hinweis auf alle möglichen, vermeintlichen Minderheiten ist. Jedenfalls habe ich lange daran rumgeknabbert und nachher kam der Satz raus: Ich freue mich über jede Bewerbung. Ja, und das sind, also, das ist so ein Ergebnis von langem Nachdenken, aber es klingt natürlich, wenn man sich den Satz anguckt, der könnte ja auch als banal durchgehen.

Götz Müller: Ja, und ich glaube, ein ganz wichtiger Punkt, den du erwähnt hast, dass wir im Grunde in der Schule schon fast dafür bestraft werden, wenn wir Dinge einfach ausdrücken. Und mir ging dann in deiner Erzählung gerade dieses Beispiel von Hemingway mit dem kürzesten, ich weiß gar nicht, wie er es genannt hat, aber „Baby Shoes Never Worm“, diese kürzeste, minimalste Kurzgeschichte, wo aber alles drinsteckt.

Sonya Dase: Ja, das haben wir im Deutschen, da haben wir diese Tradition nicht, oder wir haben diese großen behäbigen … wir haben ja auch, ist mir auch noch mal aufgefallen, es gibt ja auch, wir machen das sogar schon mit Wörtern. Das Wort Räumlichkeiten für Raum ist ja auch so eine Sache. Wo ist der Unterschied? Also diese Aufwertungssachen, ein Gewicht geben, durch mehr Silben, noch mal eine Extraschleife. Das ist so die, zumindest die Schreibtradition, die wir haben und die macht das natürlich schwer.

Götz Müller: Jetzt aber da noch mal eine, vielleicht auch wieder ein bisschen provokant flapsige Frage. Wie geht’s jetzt, ja, ich adressiere dich jetzt direkt, wie geht es dir da jetzt als Germanistin damit? Wenn ich mir jetzt einen Gymnasiallehrer vorstelle, der ja auch typischerweise Germanistik studiert hat, ein Deutschlehrer, dem müssen sich doch dann eigentlich fast so Stück weit die Fußnägel aufrollen.

Sonya Dase: Hmm, bei was jetzt genau?

Götz Müller: Ja, also dieser Konflikt zwischen, möglichst kurz, im Sinne einer Arbeitsanweisung und dann aber möglich blumig, und das war für mich persönlich in der Schulzeit der absolute Horror, im Sinne eines Deutschaufsatzes.

Sonya Dase: Ach, ich … Schule ist ja nochmal ein schwieriges Thema. Man muss ja als Lehrer zwei Fächer haben und ein Hauptfach und ich habe ja die böse Theorie, dass viele Leute Deutschlehrer sind, die gar keinen so großen Bezug zur Sprache und zu Deutsch haben, die das nur gemacht haben, weil sie keine Naturwissenschaft oder Mathe nicht gut können und sich Englisch und Französisch als Hauptfach auch nicht zutrauen, oder was immer heute auch Fächer möglich wären als Hauptfächer. Also, und ich glaube auch, ich kenne auch viele Germanisten oder Sprachliebhaber, die sind eben auch sehr sprachverliebt in funktionale oder in Sprache, und ich habe ja einen Hang zu funktionaler Sprache. Ich könnte ja auch anders, aber eben, wenn Sprache funktional ist, wie bei einer Arbeitsanweisung oder einem Protokoll, dann gelten aus meiner Sicht eben ganz, ganz andere Regeln als bei einer Kurzgeschichte oder einem Roman oder einem Gedicht. Und das ist für mich das Schöne an Sprache, dass man spielen kann, aber in dem funktionalen Modus geht es nicht um das Ego des Schreibers, sondern um einen Service für den Leser oder die Leserinnen.

Götz Müller: Ja, wobei ich das jetzt durchaus ein Stück weit auf beide Kontexte abbilden würde, aber ich gebe dir natürlich recht in diesem, ja, nennen wir es mal künstlerischen Kontext, geht einem vielleicht, dann eher kommt oder schießt einem dann da eher das Ego zwischen die Füße? Und man nimmt sich selbst als. Das Maß der Dinge und weniger eben den Leser.

Sonya Dase: Ja, oder die Sprache darf auch dann wieder mal im Vordergrund stehen. Man kann ja auch mit Sprache spielen oder auch eben bewusst Bilder erzeugen, die möglicherweise diffus sind oder beim Gegenüber neue Bilder erzeugen, also auch so einen kreativen Raum entstehen lassen. Und genau das soll ja bei einer Arbeitsanweisung oder bei einem Protokoll gerade nicht entstehen.

Götz Müller: Ja, oder ich habe den, keine Ahnung, wie ich da jetzt draufkomme, den Literaturkritiker als meinen eigentlichen Empfänger vor dem geistlichen Auge, der vielleicht ganz andere Maßstäbe anlegt als durchschnittliche Laser.

Sonya Dase: Genau.

Götz Müller: Durchschnittliche Laser guckt sich dann wieder nach, was steht denn in der großen Wochenzeitschrift hinten drin in der Bestsellerliste, dann muss das ja gut sein, warum auch immer das dann dasteht.

Sonya Dase: Genau. Und bei der Arbeitsanweisung soll die Sprache eigentlich gar nicht sichtbar sein, die soll nicht auffallen, sie hat eine absolut dienende Funktion, ist eigentlich wie so ein Gefäß, was nicht auffallen soll. Ganz schlichte …, wenn ich jetzt mal an Flaschen denke, wie eine durchsichtige Wasserflasche, die hält einfach den Inhalt.

Götz Müller: Ja, und es kommt dann eben trotzdem, das ist ein gutes Beispiel, und es kommt dann eben trotzdem darauf an, was ich mit dem Inhalt mache, nämlich an dieser Stelle meinen Durst stillen und das ist dann, vermute ich mal, fast der Bezug, der einem manchmal halt aus dem Sichtfeld rutscht, möchte ich es mal ausdrücken. Wenn man eine Arbeitsanweisung schreibt und sich das immer wieder vors geistige Auge zu holen, glaube ich, ist ein ganz wichtiger Punkt, um diese Reduktion leisten zu können.

Sonya Dase: Genau. Wer liest sie, wer braucht sie wann, in welcher Situation, wo liegen sie, wo hängen sie. Das ist ja auch so eine Sache, sind sie … Ich habe jetzt in der letzten Zeit viel in der Großküche gearbeitet, so für Reinigungs- und Küchenhilfe, Reinigungskräfte und Küchenhilfe und da sind eben ja viele Aushänge, wenn es zum Beispiel um Händewaschen geht, die sind in an die Wand geklebt, und die sind natürlich sehr kurz und da geht es um eine sehr kurze, knackige Sache, Händewaschen, 5 Schritte zum Beispiel, und das ist ja etwas anderes, als wenn ich nachher noch mal einen Hinweis habe auf so etwas wie, war jetzt in der Hygieneschulung auch ebenso ein Thema, welche Lebensmittel dürfen wie lange warmgehalten werden. Das ist so ein Thema, mit dem man sich dann eben nicht beschäftigt, während des Arbeitsalltags, sondern eher, wenn ich vor der Arbeit dann noch mal eine Stunde im Aufenthaltsraum sitze und lese.

Götz Müller: Mhm, Mhm. Ja, also da steckte jetzt deutlich mehr drin, als ich im Vorfeld mir überlegt habe und mir sind jetzt in unserer Unterhaltung noch mal ein paar Dinge klar geworden, die ich vorher so auch nicht auf dem Schirm hatte. Deshalb, Sonya, ich danke dir sehr für deine Zeit, für einen anderen Blick auf ein sehr wichtiges Thema, das, glaube ich, in vielen Fällen, zumindest in meiner Wahrnehmung, viel zu sehr unterschätzt wird und du hast es auch an ein paar Stellen angedeutet, dass es mehr Zeit kostet, da etwas Gutes zu erstellen und hinterher aber in Anführungszeichen viel weniger auf dem Papier steht, sprichwörtlich, und man sich dann vielleicht fragt oder gefragt wird, im Extremfall, warum steht da so wenig drauf und warum hat es jetzt so lange gedauert?

Sonya Dase: Genau, genau. Das ist, glaube ich, noch der wichtigste Punkt, finde ich. Schön, dass du den zum Abschluss auch so rausschälst. Ich glaube nämlich auch, dass Sprache super anspruchsvoll ist. Es wird immer wieder unterschätzt, was für eine Arbeit das ist und es ist so, also in meiner idealen Welt würden sich alle dafür verantwortlich fühlen und hätten Interesse daran, dass zum Beispiel Texte gutgeschrieben sind, weil das aber so anstrengend ist und man, wenn man es selber nicht mal gemacht hat, man es gar nicht glauben kann, wie viel Zeit man damit braucht, wird es nicht gemacht. Das ist ein bisschen so ein Paradox, dass die Zeit gut investiert wäre, wenn man das einmal gemacht hat. Man lernt das sehr schnell, das ist auch so ein bisschen Perspektivwechsel, hat das große Effekte. Aber es ist ein unterschätztes Thema.

Götz Müller: Ja, mir geht da jetzt zum Abschluss, auch wenn wir jetzt noch eine Minute dranhängen, noch ein anderes, ich glaube Zitat, im Sinne eines Briefes, ich will mich kurzfassen und deshalb dauert es ein bisschen länger.

Sonya Dase: Genau.

Götz Müller: Du weißt wahrscheinlich mit Sicherheit aus dem Stegreif, wer das gesagt hat, aber das fand ich, war es Marc Twain …

Sonya Dase: Das Zitat wird mehreren Leuten zugeschrieben, unter anderem auch Marc Twain genau, „Entschuldige den langen Brief, ich hatte keine Zeit für einen kurzen.“

Götz Müller: So, genau. Wunderbar auf den Punkt.

Sonya Dase: Ja, und genau auch noch ein Gedanke zum Abschluss. Also dadurch, dass ich eben promovierte Sprachwissenschaftlerin oder Germanistin bin, kann ich es mir erlauben, auch dumme Fragen zu stellen und einfach zu schreiben und zu sprechen. Ich verstehe mich manchmal so als Themenbotschafterin, wenn andere Personen, die jetzt eben einen anderen akademischen Abschluss haben oder die nicht in Deutschland geboren aufgewachsen sind, wenn die so einfach schreiben und sprechen würden wie ich, würde man denen bestimmt sagen: An der Sprache musst du noch arbeiten. Bei mir traut sich das keiner.

Götz Müller: Das find ich jetzt einen guten Gedanken. Ja, und da ist aber etwas dran und allein sich das, glaube ich, bewusst zu machen, kann einem über diese, ja, ein Stück weit unbewusste Hürde wahrscheinlich sogar helfen.

Sonya Dase: Mhm.

Götz Müller: Und dann im Zweifelsfall einfach dich zitieren. Wenn einem da sonst kein, wenn man glaubt, für das Gegenüber bräuchte man noch ein besseres Argument, dann kann man sagen, „Die Doktor Sonya Dase hat gesagt Punkt, Punkt, Punkt“.

Sonya Dase: Ja, ich merke das oft, wenn ich in Unternehmen bin, dass Personen immer ganz überrascht sind, wenn ich ständig sage „Das kenne ich nicht, das hab ich noch nie gehört, dieses Wort verstehe ich gar nicht, erklär mir das“, weil dann kommt „Oh, ich dachte, du würdest das oder Sie würden das kennen“, dann denke ich, nein, das ist total anspruchsvoll und schwierig und das, was Sie hier machen oder wie Sie sprechen, das ist total schwierig und das sind sehr schwierige Sachen, die sind nicht einfach. Also das hilft dann ja oft auch, um deutlich zu machen, wenn jetzt neue Mitarbeiter irgendetwas nicht verstehen, liegt es nicht daran, dass die nicht gut Deutsch können oder dass die Sachen nicht verstehen, sondern das sind anspruchsvolle Dinge. Dann merke ich manchmal, bei meinem Gegenüber ist es auch noch mal so eine Aufwertung, dass ich denke: Oh, ich wusste gar nicht, dass das so schwierig ist. Doch, das ist ganz schwer und schwierig.

Götz Müller: Gut, prima. Sonya, ich wiederhole mich an der Stelle, aber ich danke dir sehr für deine Zeit, für die interessanten Aspekte und ich bin mir ziemlich sicher, der ein oder andere, der jetzt sich auch mit dem Thema Arbeitsanweisungen beschäftigen muss oder darf, hat einen ganz anderen Blick auf die Sache bekommen. Ich werde auch da deine Kontaktdaten mit in die Notizen zur Episode nehmen, ich könnte mir vorstellen, der ein oder andere möchte das noch bisschen vertiefen.

Sonya Dase: Ja, ich danke dir ganz herzlich Götz. Das freut mich, weil du weißt, es ist mein leidenschaftliches Thema und ich freue mich immer jeden, der merkt: Wow, da ist richtig Spannung drin. Danke schön.

Götz Müller: Das war die heutige Episode im Gespräch mit Sonya Dase zum Thema Arbeitsanweisungen und Sprache. Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 338.

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Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.

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