Dokumentation ist keine Erfahrung – warum Handbücher Prozesse nicht retten

Dokumentation

Prozesse leben von Wiederholbarkeit, Verlässlichkeit und Transparenz. All das scheint eine gute Dokumentation zu versprechen. Wenn etwas beschrieben, bebildert oder digital erfasst ist, dann ist es doch sicher. Zumindest ist das eine verbreitete Annahme. Und doch entsteht eine stille Diskrepanz zwischen dem, was auf Papier steht, und dem, was in der Praxis tatsächlich geschieht. Die Differenz zwischen Handbuch und Handlung ist oft größer, als man wahrhaben möchte.

Erfahrung zeigt sich nicht in Worten, sondern in Entscheidungen. Es sind die kleinen, kaum sichtbaren Anpassungen an den Moment, die den Unterschied machen. Sie lassen sich schwer erfassen, weil sie nicht aus einem festen Ablauf, sondern aus einem inneren Verständnis entstehen. Wenn dieses Verständnis verschwindet, bleibt nur die Hülle eines Prozesses zurück – formal intakt, funktional geschwächt.

Die Versuchung ist groß, fehlendes Wissen durch noch mehr Dokumentation zu kompensieren. Checklisten, Prozessbeschreibungen, digitale Wissensdatenbanken sind alles sinnvolle Instrumente, solange sie nicht den Anspruch erheben, Erfahrung zu ersetzen. Wissen lässt sich archivieren, Erfahrung muss erlebbar bleiben. Wo der lebendige Austausch fehlt, verliert auch die beste Beschreibung an Wirkung.

Gerade hier entsteht ein gefährlicher Trugschluss. Dokumentation vermittelt Sicherheit, aber oft nur die Illusion davon. Wenn ein erfahrener Mitarbeiter geht, bleibt meist ein vollständiges Handbuch zurück, doch das Handbuch weiß nichts über das Warum hinter den Handlungen. Es enthält keine Intuition, keine situative Logik, keine Abwägung, die sich aus unzähligen Einzelfällen ergeben hat. Diese Leerstelle bleibt unsichtbar … bis sie relevant wird.

„Der aus Büchern erworbene Reichtum fremder Erfahrung heißt Gelehrsamkeit. Eigene Erfahrung ist Weisheit.“

– Gotthold Ephraim Lessing

In manchen Unternehmen zeigt sich das, wenn plötzlich Fragen auftauchen, die es „früher nie gab“. Ein Kunde hat ein spezielles Anliegen, eine Maschine verhält sich anders, ein Lieferant ändert seine Spezifikationen. Die Prozessbeschreibung schweigt dazu. Erst in solchen Momenten zeigt sich, wie viel Wissen tatsächlich in Personen gebunden war. Erfahrung ist eben nicht nur das, was man weiß, sondern das, was man erkennt, wenn es darauf ankommt.

Ein nachhaltiger Umgang mit diesem Phänomen erfordert mehr als strukturierte Dokumentation. Es braucht Räume, in denen Wissen geteilt, ausprobiert und kritisch hinterfragt werden kann. Gespräche, in denen der Kontext sichtbar wird, und Lernformen, die über reine Wissensweitergabe hinausgehen. Wenn erfahrene Fachkräfte mit jüngeren Kolleginnen und Kollegen nicht nur Abläufe, sondern Denkwege teilen, entsteht das, was Dokumentation nie leisten kann: ein kollektives Erfahrungswissen, das Prozesse widerstandsfähig macht.

Das bedeutet auch, dass Prozessmanagement nicht am Ende der Wissensdokumentation aufhört, sondern dort erst beginnt. Prozesse, die aus Erfahrung lernen, sind dynamisch. Sie verändern sich mit den Menschen, die sie gestalten. Und genau darin liegt ihre Stärke: in der Verbindung von Struktur und lebendigem Lernen.

Wenn Sie wissen möchten, wie Sie den Wissenstransfer in Ihren Prozessen lebendig und zukunftsfähig gestalten können, nehmen Sie gerne Kontakt mit mir über dieses Formular auf oder greifen Sie einfach zum Telefon und rufen Sie mich unter 0171-7342717 an.

Falls die Umstände für Sie aktuell eine Kontaktaufnahme verhindern, legen Sie sich doch eine Wiedervorlage an.

Frage: Wie viel Ihrer Prozessqualität beruht auf implizitem Wissen einzelner Personen? Was würde geschehen, wenn dieses Wissen plötzlich nicht mehr verfügbar wäre? Und welche Schritte wären heute nötig, um diese Lücke gar nicht erst entstehen zu lassen?

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