KVP – eine Frage des Zeitpunkts oder warum später besser als früher sein kann

Zeitpunkt

Die These dieses Artikels mag sich zuerst etwas merk- und frag­würdig anhören. Wenn Sie ihn gelesen haben, denke ich aber, dass Sie mir zustimmen werden. Den Impuls zu diesem Gedanken habe ich bekommen, als ich kürz­lich das Buch „Der schwarze Schwan“ von Nassim Nicholas Taleb gelesen habe. Dort berichtet er von einem ein­fachen Versuch der Bilder­kennung durch Gruppen von Personen.

Beide Personen­gruppen erhalten das gleiche, anfäng­lich unscharfe Bild, das langsam an Schärfe zunimmt. Bei der einen Gruppe aller­dings in der doppelten Geschwin­dig­keit im Vergleich zu anderen Gruppe. Die beiden Gruppen sollen dann zum gleichen Schärfe­stand des Bildes eine Aus­sage über seinen wahren Inhalt machen. Das heißt, die eine Gruppe hat zu diesem Zeitpunkt schon doppelt so viele Bilder gesehen wie die andere. Auf den ersten Blick para­doxer­weise trifft die Gruppen der lang­samer zuneh­menden Schärfe schlech­tere Aus­sagen über den wahren Inhalt des Bilds als die andere. Die These zu diesem Versuch besagt, dass diese Gruppe früher beginnt Theorien über den Inhalt des Bilds zu machen als die Gruppe der schnel­ler zuneh­menden Schärfe und dann stärker bei dieser einmal gemach­ten Theorie haften bleibt. Die Gruppe der schnel­leren Veränderung durch weniger Bilder ent­wickelt nicht so schnell und vor­eilig Theorien zum Inhalt.

Auf den Kontinuier­lichen Verbes­serungs­prozess über­tragen bedeutet dies, dass es besser ist, erst zu einem späteren Zeitpunkt Theo­rien über Ursachen zu ent­wickeln als zu früh, weil anfäng­lich ent­wickelte Theo­rien erstens eher falsch sind und dann aber zweitens sich eher hart­näckiger halten. Dieser spätere Zeitpunkt muss aller­dings bewusst ausge­wählt werden und die rele­vanten Randbe­dingungen ebenso bewusst berück­sich­tigt werden.

„Gut Ding will Weile haben.“

– aus dem Roman ‚Wilhelm Meisters Wanderjahre‘ von Johann Wolfgang von Goethe

Im KVP kommt dieser Punkt durch verschie­dene Aspekte zum Ausdruck.

In der 5xWarum-Fragetechnik geht es darum, durch ausrei­chend häufiges Fragen nach der wahren Ursache dieser auf den Kern zu gehen, statt das das erst­beste Symptom – das oft ein anscheinend mensch­licher Fehler ist – als Ursache anzu­nehmen aber damit die Chance zum Beheben der wahren Ursache zu ver­schenken.

Auch der gesamte PDCA-Zyklus ist darauf ausge­richtet, erst sehr spät und nach ausrei­chenden Tests eine neue Vor­gehens­weise zu stan­dardi­sieren. Dieser späte Zeitpunkt wird noch dadurch verstärkt, dass die Plan-Phase als erste von vieren aber minde­stens 50 % der gesamten Zeit in Anspruch nimmt.

Diese Vorgehens­weise muss jedoch bewusst verfolgt werden, damit es nicht zu verfrüh­ten Schnell­schüssen – gerne durch oft ungedul­dige Führungs­kräfte – kommt, die sich durch die eingangs geschil­derten Effekte leicht verstärkt werden und dann besonders hart­näckig halten können – speziell wenn sie wiede­rum dem Geist der ungedul­digen Manager entsprungen sind.

Eine zu frühe Entschei­dung für eine bestimmte Lösung hat dann den großen Nach­teil, dass alle anderen Lösung damit in der Regel ausge­schlossen werden, oft damit auch die Personen, die hinter diesen Alter­nativen standen. Um sowohl positive Aspekte dieser Alterna­tiven als auch die beteiligten Per­sonen in den weiteren Ver­lauf zu inte­grieren, ist die Pugh-Konzeptauswahl ein sehr nützliches Werk­zeug.

Die Erkenntnis über diese Mecha­nismen im Zusammen­hang mit den richtigen Zeitpunkt ist oft der erste und wichtigste Schutz davor, selbst in diese Falle zu treten.

Im Sinn des Goethe'schen Zitat heißt das aber nicht, dass ein unspe­zifi­scher Zeitpunkt einfach abgewar­tet wird, sondern „nur“, dass der Zeitpunkt der Lösungs­auswahl so lange verscho­ben wird, bis wirk­lich kausale Ursachen gefunden werden, statt ein­facher Korre­lation aufzusitzen.

Frage: Wann Sie sind schon mal einem Schnell­schuss aufge­sessen? Wie werden Sie das zukünftig vermeiden? Welche Fragen können Sie zur Vermei­dung stellen?

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