Gelassenheit im Prozess: Was Lean Management und Stoizismus verbindet

Stoizismus

Es wirkt manchmal wie ein Widerspruch: einerseits die Suche nach Stabilität und Orientierung in Prozessen, andererseits das Eingeständnis, dass die Kontrolle über das, was geschieht, sehr begrenzt ist. Genau in diesem Spannungsfeld lassen sich erstaunliche Parallelen zwischen dem stoischen Denken und dem Lean Management erkennen.

Die Frage, worauf Einfluss genommen werden kann, ist dabei zentral. Die Haltung der Stoiker, nur das eigene Handeln, die innere Haltung und die Art der Reaktion gestalten zu können, verweist auf ein klares Abgrenzungskriterium. Dasselbe gilt für Lean, wo der Fokus auf dem liegt, was im eigenen Gestaltungsbereich verändert und verbessert werden kann. Märkte, Kundenentscheidungen oder unvorhersehbare Ereignisse entziehen sich der direkten Steuerung. Prozesse, Strukturen und die Art des Umgangs damit sind jedoch beeinflussbar.

Damit verbindet sich der Gedanke, äußere Umstände anzunehmen, ohne sie zum Vorwand für Untätigkeit werden zu lassen. Im stoischen Sinn geht es darum, äußere Widrigkeiten nicht als Katastrophe, sondern als Tatsache zu begreifen. Ähnlich im Lean-Kontext: Schwankungen in der Nachfrage oder Störungen in der Lieferkette lassen sich nicht verhindern, aber es ist möglich, Abläufe so zu gestalten, dass die Organisation anpassungsfähig bleibt und auf Veränderungen reagieren kann, ohne die Grundausrichtung zu verlieren.

Ein weiterer Punkt ist die Bedeutung des Prozesses im Verhältnis zum Ergebnis. Der stoische Gedanke, dass das Ergebnis nie vollständig kontrolliert werden kann, aber die Haltung und der Weg dorthin schon, findet ein Pendant in der Lean-Praxis. Ein guter Prozess erzeugt mit höherer Wahrscheinlichkeit gute Resultate, auch wenn das einzelne Ergebnis von Faktoren beeinflusst wird, die sich der direkten Einflussnahme entziehen. Der Blick verschiebt sich damit von der reinen Ergebnisorientierung auf die systematische Gestaltung dessen, was verlässlich wiederholbar ist.

„Es sind nicht die Dinge selbst, die uns beunruhigen, sondern die Meinungen, die wir über die Dinge haben.“

– Epiktet

Sowohl im Stoizismus als auch im Lean Management taucht die Vorstellung des Übens und des kontinuierlichen Arbeitens an sich selbst oder am System auf. Keine einmalige Initiative, sondern eine Haltung, die sich Tag für Tag bewährt. Die stoische Lebensführung entwickelt sich in ständiger Reflexion und Praxis, Lean-Kultur lebt von Kaizen, dem stetigen Hinterfragen und Anpassen. Weder im persönlichen noch im organisatorischen Kontext ist der Zustand je „fertig“.

Wenn Rückschläge auftreten, geht es darum, nicht in Resignation zu verfallen. Stoische Gelassenheit zeigt sich darin, das Unerwartete als Anlass zur Reflexion und Neujustierung zu nehmen. In Lean-Projekten entspricht das einer Kultur, in der Fehler nicht bestraft, sondern als Lernquelle betrachtet werden. Der Unterschied liegt weniger im Ereignis selbst als in der Art und Weise, wie darauf reagiert wird.

Schließlich kommt noch eine Haltung hinzu, die Schuldzuweisungen vermeidet und stattdessen das System in den Blick nimmt. Stoisches Denken trennt das, was andere Menschen tun, klar vom eigenen Einflussbereich. Lean fokussiert ebenfalls darauf, nicht die Menschen in erster Linie für Probleme verantwortlich zu machen, sondern die Prozesse und Strukturen, die ihr Handeln prägen.

Die Summe dieser Parallelen eröffnet eine Perspektive, die sowohl in individuellen wie auch in organisatorischen Kontexten hilfreich ist. Es geht darum, Klarheit über die eigenen Einflussmöglichkeiten zu gewinnen, mit Gelassenheit das Unkontrollierbare zu akzeptieren und mit Konsequenz an dem zu arbeiten, was veränderbar ist.

Frage: Welche Faktoren in Ihrem Verantwortungsbereich lassen sich tatsächlich steuern? Welche Umstände bleiben dagegen unbeeindruckt vom eigenen Handeln? Und wie könnten Prozesse aussehen, die gerade dadurch stabil werden, dass sie diese Unterscheidung berücksichtigen?

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