Kaizen 2 go 311 : Transformation am Bau


 

Inhalt der Episode:

  • Wo ordnest Du die Bauindustrie auf einer Lean-Reife-Skala ein?
  • Was sind typische Auslöser (Schmerzen) für die Beschäftigung mit einer Lean-Transformation des Unternehmens?
  • Was sind die größten Herausforderung für Lean im Baukontext?
  • Wie gelingt das bei einer stark verzahnten Wertschöpfungskette?
  • Wie können Nachunternehmer/Teilgewerke in die Transformation einbezogen werden, ohne dass diese externen Unternehmen auf links gedreht werden müssen?
  • Was können Unternehmen in den Einzelgewerken selbst tun, wenn sie für sich eine Lean-Transformation anstreben? Mit welchen Hindernissen müssen sie in der Zusammenarbeit mit anderen Gewerken rechnen?
  • Welche besonderen Herausforderungen bestehen ggf. auf der menschlich-sozialen Ebene?
  • Was kann die Bauindustrie von der klassisch-produzierenden Industrie lernen?
  • Was können klassische Industriezweige von der Bauindustrie lernen?

Notizen zur Episode:


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Wenn Sie selbst ein interessantes Thema für eine Episode im Umfeld von Geschäftsprozessen haben, können Sie mir das auf dieser Seite mit Vorbereitungsfragen vorschlagen.

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(Teil)automatisiertes Transkript

Episode 311 : Lean-Transformation am Bau

Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.

Götz Müller: Heute habe ich René Huppertz bei mir im Podcastgespräch. Er ist der Leiter IPA bei der Schiffers Bauconsult. Hallo René.

René Huppertz: Ja, hallo Götz, Hi.

Götz Müller: Ja, schön, dass es heute klappt. Ich habe schon ein kurzes Stichwort gesagt, unter anderem die Abkürzung, da wird es sicher sinnvoll sein, wenn du dich selber noch mal in ein paar Worten vorstellst und auch auf diese Abkürzung, glaube ich, eingehst.

René Huppertz: Ja, sehr gerne. Wie du schon gesagt hast, mein Name Huppertz, Leiter IPA und Lean bei der Schiffers Bauconsult mit Hauptsitz in Köln und hier vor allem, IPA steht für die integrierte Projektabwicklung, ist so quasi die, ja, die erweiterte Form des Leans, nenne ich es jetzt mal ganz banal ausgedrückt, aber es ist tatsächlich die gemeinsame, kollaborative Abwicklung eines Projektes mit einem gemeinsamen Mehrparteien-Vertrag. Also, dass alle Parteien tatsächlich sehr früh in einem Projekt gebunden sind. Das nur hier schon mal direkt in Kürze vorab.

Götz Müller: Und ich glaube, auch in einem Boot sitzen und nicht wie das sonst ganz oft, in meiner Wahrnehmung, auf Baustellen im Grunde herrscht da ja Krieg.

René Huppertz: Richtig, genau und die IPA soll halt dafür sorgen, dass man zu einem frühen Zeitpunkt Planer, Ausführende, Bauherr und auch entscheidende Schlüsselgewerke sogar vertraglich an einem Strang ziehen und tatsächlich auch das Thema gemeinsame Chancen und Risiken teilen und am Ende des Tages auch gemeinsam gewinnen oder, ja, in dem Sinne sogar verlieren.

Götz Müller: Ja, ich denke, das wird uns die ganze Episode begleiten, möchte ich es mal ausdrücken, vielleicht zum Einstieg, damit auch die Zuhörer, die jetzt keinen Baukontext, die keinen Bezug zur Bauindustrie, wenn man es mal so nennen möchte, haben, auf einer beliebigen Skala von 1 bis 10, mit 1 Albtraum, und 10 noch 2 über Toyota, wo würdest du die Bauindustrie einordnen?

René Huppertz: Das ist extrem schwer, da etwas Konkretes einzuordnen, aber ich würde jetzt tatsächlich ist dann eher bei der 3 einordnen, auch im Kontext, ich bin in verschiedenen Fachgruppen, Expertengruppen tätig, wo man sich auch mit diesem Reifegrad et cetera befasst und es ist ja auch bekannt, dass wenn man ein Lean-Enthusiast ist, man eher kritischer draufschaut und sagt „Ja, wir sind eher schlechter“, also deshalb eher so bei der 3 und 4, also es ist noch viel Luft nach oben, würde ich mal sagen. Also, wir haben halt vor allem, würde ich mal sagen, in der Baubranche eins schon recht gut verstanden, und zwar das Methodenverständnis, also viele Unternehmen, viele Firmen kennen die Methoden zum Beispiel, das Last-Planner-System oder die Takt-Planung, die Takt-Steuerung, aber wo ist vor allem hapert, ist an diesen Grundlagen und an der Philosophie. Das ist so eigentlich das Entscheidendste, aber wie man das auch so kennt, auch aus der Schule, die Methoden sind meistens einfach zu verstehen und das Warum dahinter, das ist meistens, da muss es Klick machen.

Götz Müller: Ja, ich glaube, ich habe mal einen Blogartikel geschrieben über Handwerk und Werkzeug, ganz griffig, und habe gesagt: Nur weil ich eine Säge benutzen kann, bin ich halt noch kein guter Schreiner. Trotzdem, um ein guter Schreiner zu sein, muss ich ziemlich gut mit der Säge umgehen können.

René Huppertz: Genau so sehe ich das auch. Also viele haben mittlerweile die Säge und wissen, wie man sägt, aber man ist halt, wie du gerade sagst, noch nicht der gute Handwerker. Da fehlt dann noch das Grundverständnis dahinter, um diese Säge auch wirklich so anzuwenden, dass ein richtiger Mehrwert am Ende rauskommt oder der mögliche Mehrwert rauskommt.

Götz Müller: Ich glaube persönlich, was die Bauindustrie vielleicht im Vergleich zu, wenn wir jetzt mal klassisch die Automobilindustrie nehmen, auch noch differenziert ist, dass wir halt eine noch sehr große Spannbreite haben bezüglich dessen, wenn man es Reifegrad nennen möchte. Oder?

René Huppertz: Ja, das ist ja auch da eine Branche, wir reden häufig über die Planung, dann reden wir über die Ausführung, dann reden wir über die Inbetriebnahme, Gewährleistungsphasen, das ist ja auch ein großer Zeitraum, das sind viele verschiedenste Akteure, die da beteiligt sind, die auch absolut unterschiedliche Denkweisen haben, also zum einen, ja, auch tatsächlich diese Handwerker, die draußen vor Ort sind, aber die Planer sind dann wieder, um es jetzt mal so zu sagen, eigentlich eine andere Welt und das erschwert das Ganze natürlich, da so alle über einen Kamm zu scheren, ne.

Götz Müller: Ja, und ich glaube, es gibt eben, natürlich gibt es einerseits den Architekten, den Bauleiter oder den Generalunternehmer, der den Bauherren vertritt, trotzdem ist auch das, in meinen Augen wieder eine andere Situation, wenn ich es wieder mit der Automobilindustrie vergleiche, wo es diesen einen Kristallisationspunkt in der Mitte gibt, den Hersteller, egal ob das jetzt ein Pferd oder ein Stern oder sonst was vorne drauf ist, aber der steuert im Grunde alles und, ja, ohne dem Kunden jetzt zu nahe zu treten, aber da spielt der einzelne Kunde, weil es halt so viele sind, nicht diese Rolle wie im Baukontext.

René Huppertz: Richtig. Klar, bei uns im Baukostenindex ist es natürlich der Bauherr, der dann tatsächlich meistens für große Projekte, für viel Investitionsvolumen sorgt und einen großen Einfluss auch noch über den gesamten Prozess hat, ist, glaube ich, schon ein entscheidender Unterschied zur ansonsten stationären Industrie, wie zum Beispiel der Automobilbranche.

Götz Müller: Jetzt, natürlich das Thema Lean, klassisch, wenn wir auf Toyota gucken, ist es aus einer bestimmten Situation heraus entstanden, auch wenn sie das vielleicht damals nie so im Blick hatten, das, was dann fünfzig, siebzig Jahre später entstanden ist … was ist in deinen Augen so der typische Auslöser, also im Grunde eben ein Schmerz, ein Mangel, dass man sich im Lean-Kontext mit dem Thema Lean und speziell auch Lean-Transformation beschäftigt?

René Huppertz: Also ich sage immer gerne leider sind es natürlich ganz oft die wirtschaftlichen Gründe, also, dass man sagt, man möchte in irgendeiner Art und Weise Geld sparen, wobei man jetzt auch eins mittlerweile immer mehr hört, dieses „Ich habe gar keine Lust mehr auf die alte Welt im Bauen“, vor allem geprägt durch Streiten, viele Nachträge, Behinderungsanzeigen, also man sitzt gefühlt mehr, am Ende des Tages, am Rechner und schreibt über die Dinge, die nicht geklappt haben und muss das irgendwie nachhalten, als dass man sich auf das fokussiert, was geklappt hat, und das ist halt so etwas, wo dieser Wandel ist und dann, vor allem die, ich nenne es jetzt mal gerade die neue, junge Generation, die da kommt, die hat vor allem keine Lust darauf, sich zu streiten, die wollen das machen, wofür sie ausgebildet sind, also zum Beispiel der Trockenbauer will seine Wand stellen, der Maler will malern und die wollen nicht die ganze Zeit hier Behinderungsanzeigen oder Nachträge schreiben, weil es eben nicht so läuft, wie man es sich gedacht hat und das ist meiner Meinung nach so ein Punkt, wo immer mehr sagen: Ja, wir müssen etwas verändern. Also es hat irgendwie die letzten Jahre gut geklappt, wir haben uns viele Jahre viel gestritten und es gab scheinbar eine Phase, da hat das auch allen mehr oder weniger gefallen, aber man findet da auch immer weniger Personal, was Lust drauf hat und selbst die Alten, Erfahrenen sagen: „Ach komm, ich will jetzt hier nicht das Projekt beenden und mich wieder streiten wie bei allen anderen, sondern ich will mal, dass es rund läuft, dass man sich versteht, dass man auseinandergeht und quasi ein Team ist und nicht auseinander geht und man sich gar nicht mehr leiden kann.“

Götz Müller: Ja, und ich glaube, es kommt dann schon auch zu so Situationen, wie, man trifft sich ja immer zweimal, wie man so schön sagt.

René Huppertz: Ja, richtig.

Götz Müller: Wenn wir jetzt noch mal ein bisschen so differenzieren, ich glaube also, ich denke, das ist auch wertvoll für die Zuhörer dieses, wie ist es da, wie ist es da, was sind in deiner Ansicht nach, jetzt eben durch die Lean-Brille eben geschaut, die größten Herausforderungen im Bau-Kontext?

René Huppertz: Also, da ich schon seit vielen Jahren auch als Lean-Berater im Baukontext unterwegs bin, kann ich eines sagen, zum einen die Akzeptanz. Also überhaupt mal, dass man akzeptiert, dass etwas Neues, in Anführungszeichen, gemacht wird, weil neu ist Lean ja, wie du eben auch schon gesagt, dass nicht Toyota-Produktionssystem, 50er-Jahre, ist siebzig Jahre her, aber jetzt für die Baubranche ist es etwas Neues und dass die Leute sagen, wir machen etwas Neues, also das ist ganz spannend, denn einerseits wollen sie nicht mehr so weitermachen wie es jetzt ist, aber auf der anderen Seite wollen sie auch keine Veränderungen, weil „Oh nee, was Neues machen, das kostet ja Zeit und Geld.“ und das ist schon mal die erste große Herausforderung, meiner Meinung nach, und dann das Thema, diese Zusagen einhalten, also für mich bedeutet Lean immer ganz stark, wenn ich eine Zusage gebe, muss ich die halten und das ist im Bauen, ja, eine sehr spannende Sache, weil es passiert sehr viel mit „Ja ja, das mache ich schon“ oder „Ja ja, das wird schon fertig“ und das ist selten eine realistische Zusage, sondern eher, ja, wir schauen mal und vielleicht klappt es auch und dass man plötzlich konkret Zusagen gibt, Zusagen halten soll und diese Prozesskette entsteht, wie es halt jetzt zum Beispiel bei den Automobilern ja ist, man hat eine schöne Kette, die baut aufeinander auf, man weiß, was zu tun ist und das ist im Bau noch tatsächlich sehr herausfordernd, weil es hat in der letzten Zeit oder in den letzten Jahrzehnten doch sehr gut geklappt und das ist die größte Herausforderung, wie ich sie sehe, also die Akzeptanz für Neues und offene, transparente Kommunikation. Ich habe das ja eben gesagt, jahrelang hat man immer nur das Thema Nachträge, man holt das Geld über die Nachträge rein, man schreibt Behinderungsanzeigen, um halt irgendwie noch an Geld zu kommen und plötzlich soll ich offen transparent reden, damit ich das vermeide, ja, Moment mal, das ist doch eigentlich das Mittel, wo ich noch mal auch wieder Geld holen kann, also eine große Herausforderung auf jeden Fall.

Götz Müller: Ja, wo du erzählt hast, sind mir zwei Dinge eingefallen, zum einen einer meiner Standardsprüche, die ich dann oft Kunden sage, schwacher Trost für mein Gegenüber, aber das ist halt dann doch bei vielen so. Von den Veränderungen, da kann ich dich insofern beruhigen, das ist jetzt nicht nur in der Bauindustrie so, und das Zweite, was mir eingefallen ist und da könnte ich mir auch vorstellen, dass das mit eine Herausforderung ist, das hat mir mal ein Onkel gesagt, der war Bausachverständiger, vereidigter, und er hat gesagt, es gibt die drei Säulen der Baufinanzierung, also jetzt aus Sicht vielleicht eher des Privateinzelkunden: Eigenkapital, Fremdkapital und die Regress-Forderungen. Das heißt, wenn so etwas ein Stück weit schon ins System oder gar ins Geschäftsmodell eingebaut ist, wird es natürlich noch mal schwieriger.

René Huppertz: Richtig, genau. Ich glaube, das ist genau das Problem, das ich gerade quasi geschildert habe, weil für viele ist das einfach ein Teil des Systems, dass es eben nicht rund läuft.

Götz Müller: Ja, und ich glaube, es kommt eben, auch da hast du den Begriff ja schon genannt, Wertschöpfungskette, ich glaube, auch da kommt eben nochmal etwas dazu, wenn ich mir jetzt ein Auto vor mein geistiges Auge hole, das sind halt 4 Räder dran und vielleicht noch ein fünftes und ein sechstes, Lenkrad, Ersatzrad, da ist eine Windschutzscheibe drin, da sind dann die technischem Elemente, Motor, Getriebe, Bremsen und all diese Dinge, die kann ich einzeln anfassen und ich kann eine Bremsscheibe drehen, gießen, drehen, schleifen, völlig unabhängig von dem, was der macht, der sich um die Lichtmaschine kümmert, und ich glaube, das ist halt dieser ganz große Unterschied, dass wir im Baukontext da eine wahnsinnig verzahnte Wertschöpfungskette haben, die ich auch nicht so auseinander krieg, weil ich kann nun mal, Trockenbauer Stichwort, ich kann nun mal nicht tapezieren, bevor der Trockenbauer nicht drin war.

René Hupperts: Richtig, ja. Also ich glaube, da gibt es so einen ganz wichtigen Aspekt, zum einen das Silodenken ein bisschen aufbrechen, also wirklich dieses „Jeder denkt nur für sich“, der Trockenmauer denkt einfach darüber nach „Ich stelle die Wand und dann geh ich wieder“, nee Moment mal, der Trockenbauer hat ja quasi einen Kunden, jetzt in dem Fall unter Umständen den Maler, Tapezierer, der die Wand tapeziert, was muss er machen, damit der nächste Schritt erfolgen kann, also da das Thema Silodenken aufbrechen und dann kommunizieren, Transparenz schaffen. Also das ist genau das Schwerste, wie wir vorhin schon gemerkt haben. Wenn ich jahrelang in meinem Silo war, in meinem Silo gut Geld verdient hab, warum soll ich jetzt plötzlich offen reden, warum soll ich kommunizieren, aber ich glaube, das ist da der Schlüssel zum Erfolg, um diese Wertschöpfungskette zu erstellen, weil ohne Kommunikation geht es nicht. Ich muss offen, transparent, darüber reden, wann bin ich fertig, wann kannst du weitermachen und was brauchst du denn eigentlich, um weiterzumachen? Und da finde ich dieses Thema auch, mehr oder weniger aus dem Lean, aber Visualisierung, es darstellen, sei es jetzt heutzutage in digitaler Form oder ganz analog, bin ich totaler Freund von, mit Post-its an der Wand visualisieren, was wann gemacht wird und dann können die anderen Gewerke immer noch sagen: „Moment, wenn du aber jetzt erst am Dienstag fertig wirst, dann habe ich ein Problem, weil ich wollte am Montag schon mit meiner Leistung anfangen.“ Dann redet man plötzlich drüber und stimmt sich ab und nur so schafft man diese Verzahnung in dieser Wertschöpfungskette, das ist so meine persönliche Meinung.

Götz Müller: Ja und man erfährt es halt nicht erst, wenn man mit dem Trupp morgens auf die Baustelle kommt und der Bauleiter sagt: „Sorry, Leute, kommt übermorgen wieder“ Und dann stehen da ja die zehn Leute rum.

René Huppertz: Richtig, das ist tatsächlich ja noch, ich nenne es mal gerade alte Welt, in der alten Welt ist der Standard, man kommt morgens an und sieht „Oh, die Wand ist gar nicht da. Mist, jetzt stehen meine Leute hier rum oder ich muss spontan andere Aufgaben für die suchen.“ und das ist auch tatsächlich ganz einfach visualisiert, an einer Wand dargestellt, dann kann ich schon eine Woche vorher drüber reden und dann vielleicht jeden Tag, jeden Morgen einmal kurz auf die Wand schauen: Sind wir im Plan, sind wir nicht im Plan? Wenn nein, okay, dann sag ich meinem Nachfolger Bescheid, dass ich nicht im Plan bin und nicht: Ja, ich bleibe in meinem Silo, mir ist egal, was nach mir kommt. Das ist, glaube ich, das Entscheidende, um hier wirklich diese Verzahnung hinzubekommen.

Götz Müller: Ja, und ein Stück weit glaube ich eben, und das ist möglicherweise dann auch mit ein Teil der Herausforderungen, ich muss natürlich auch gewisse Anreize bieten, dass jemand, weil im Grunde machen wir uns nichts vor, der Mensch ist ein selbst optimierendes Wesen, dieses „Was habe ich davon?“, selbst wenn man sich nicht bewusst die Frage stellt, sie schwingt immer unbewusst mit und ich gebe darauf idealerweise halt eine aktive Antwort, damit sich nicht jemand selber die Antwort sucht und sagt: „Äh, nee.

René Huppertz: Die Frage kommt immer wieder: „Warum soll ich denn jetzt hier offen transparent sein?“ Dann sage ich immer: „Ja, na ja, wenn dein Vorgänger auch offen transparent zu dir ist, dann kannst du deine Leistung viel besser einplanen, sparst dadurch Zeit und Geld, viel Ärger, viel Schriftverkehr, viele Telefonate, weil du ja selber weißt, wann du welche Leistung zu erbringen hast.“ Und auf der anderen Seite musst du jetzt wissen, wenn du so transparent bist, dann weiß dein Nachfolger das auch. Also ich glaube, genau das ist es, wenn wir es schaffen, diese Verzahnung herzustellen, dann profitiert automatisch jeder davon. Also das ist der entscheidende Punkt dabei, dass den Leuten bewusst wird: Ah ja, stimmt, wenn ich transparent bin und alle anderen auch, dann habe ich da ja auch etwas davon und wenn ich nicht transparent bin, dann sagen die anderen vielleicht auch: „Warum sollte ich denn jetzt transparent meinen Prozess darlegen?“

Götz Müller: Wenn wir jetzt mal noch mal den Punkt Transformation stärker, sagen wir in den Fokus setzen, jetzt in einem klassischen, ich nehme halt wieder die Automobilindustrie, da tue ich mich vielleicht insofern leichter, weil ich halt als Automobilhersteller dieser eine bin, der alle anderen steuert und wenn ich es verstanden habe, Klammer auf, noch nicht alle haben es verstanden, aber wenn ich jetzt mal unsere Musterbeispiel Toyota nehme, glaube ich schon, dass die es verstanden haben, so etwas wie Lieferanten-Entwicklung. Ich fange ja durchaus an, eben auch einen Lieferanten mit einzubeziehen, vielleicht im Extremfall auch zu verändern. Die Frage ist jetzt: Wie gelingt es in einem Bau-Kontext, wo ich glaube ich schon eine höhere Unabhängigkeit habe und trotzdem, wie wir es jetzt ja hatten, trotzdem diese viel stärkere Verzahnung bei der Leistungserbringung?

René Huppertz: Also ich glaube, da ist der entscheidendste Punkt halt auch dieses Thema durch die Transparenz dieses Einbeziehen der Beteiligten, also tatsächlich die Beteiligten auch zu fragen: Wer ist der Experte? Das ist der Trockenbauer selber, der weiß, wie man die Wand stellt und dementsprechend den Trockenbauer auch mit einbeziehen in den Prozess, in die Terminplanung, fragen „Pass auf, passt das, was wir gemacht haben? Wie würdest du das machen, siehst du Optimierungsmöglichkeiten?“ und das Spannende ist, dass dann ganz häufig, also ich erlebe es als Beispiel, wenn ich das Last-Planner-System einführen, also jetzt meistens auf Post-it-Basis, 6 Wochen, auf Tagesbasis einplane, dass die Beteiligten sagen: „Wow, das bringt mir eine Transparenz. Das System nutze ich jetzt auch in meinem Unternehmen.“ Und dann hat man automatisch diese Verzahnung, die gar nicht geplant war. Das entwickelt sich von alleine, weil die einfach merken, das hilft mir hier im Projekt und ehrlich, das würde mir auch zu Hause bei mir helfen, oder in meinem Unternehmen helfen. So als Beispiel, ich hatte das letztens, da meinte ein Maler zu mir: „Herr Huppertz, darf ich das System auch bei mir nutzen?“ Ich so: „Wie dürfen?“ „Ja, ist das von Ihnen geschützt?“ Ich so: „Nee, das ist ein ganz offenes System. Nehmen Sie sich Post-its und machen Sie das bei sich an der Wand und ich kann Ihnen auch gerne eine Vorlage schicken, die Sie sich ausdrucken können. Dann haben Sie einfach dieses vorgedruckte Grid, habe ich gar kein Problem mit.“ Also deshalb … das ist das Spannende, wenn man dann sieht, dass die Leute einen Vorteil sehen und den mitnehmen. Und manchmal kommen die tatsächlich auf einen zu und sagen: „Ja, können wir das nicht bei uns auch tatsächlich aktiv durch Sie geleitet einführen?“ Dann merkt man: „Ah, okay, die nehmen was mit.“ Und ich glaube. Das ist dieses Thema im Lean, dass man offen damit umgeht, egal von welcher Seite, ob es jetzt das General-Unternehmen, der General-Planer, ob es jetzt die Einzelgewerke sind oder der Bauherr. Wichtig ist halt, dass die Leute eigentlich alle offen dafür sind und mitmachen und dann überzeugt man interessanterweise auch meistens den letzten Kritiker noch davon.

Götz Müller: Ja, jetzt möchte ich den Punkt mal noch ein bisschen weiterspinnen. Angenommen, jetzt haben wir einen Einzelgewerk, nehmen wir halt den Trockenbauer, der jetzt in einem größeren Kontext eben festgestellt hat, coole Sache, nutze ich für mich auch und fängt vielleicht schon, er, wird das wahrscheinlich nie so ausdrücken, aber fängt an, sich selbst zu transformieren und jetzt kommt er in einen anderen Baukontext rein, auf eine andere Baustelle, wo noch klassisch, Peitsche wie bei Pharaos Zeiten herrscht, was wäre so deine Empfehlung für jemand, der ja vielleicht im Extremfall hier zwischen zwei Stühlen sitzt?

René Huppertz: Also das passiert natürlich häufiger und meistens sind die Gewerke dann natürlich auch frustriert, wenn sie es anders kennen, anders leben und jetzt plötzlich in die alte Welt kommen. Zum einen gibt es natürlich die Möglichkeit, dass die dann mal aktiv vorschlagen: „Hier wir machen das so und so wir könnten das hier vielleicht auch mal umsetzen.“ Tatsächlich die größeren Gewerke sagen dann auch ganz klar schon in einem frühen Zeitpunkt, hier, also die aktuelle Marktsituation gibt es ja teilweise her, dass die sagen: „Ja, wir würden den Auftrag annehmen, aber … wir haben auch eine Bedingung, und zwar, dass zum Beispiel mit dem Last-Planner-System oder mit der Taktung gearbeitet wird, weil wir damit sehr gute Erfahrungen haben und wir wissen, das bringt uns und euch etwas.“ Ansonsten ist es tatsächlich so, dass man natürlich vieles auch für sich selber schon optimieren kann, dass man natürlich selber schon sagt, wir nehmen das mit, wir nutzen die Tools bei uns, wir leben dann mit den Vertragsterminen, die uns genannt werden, aber intern koordinieren, optimieren wir uns trotzdem noch, basierend auf den Erkenntnissen, die wir gelernt haben. Zum Beispiel auf den Lean-Prinzipien. Es wird allerdings schwer, vor allem für kleine Gewerke, es auf Baustellen richtig durchzukriegen. Also das ist einfach so, vor allem, wenn man irgendeinen Nachfolgergewerk ist, dann wird es schwer, die anderen davon zu überzeugen, nur weil man als kleines Gewerk jetzt eine gute Idee hat, dass die umgesetzt wird.

Götz Müller: Ja, und ich habe natürlich halt …

René Huppertz: Das bremst dann schnell aus, dann würde ich immer die Empfehlungen geben, dann tatsächlich in Richtung Bauherren oder Generalunternehmer, Generalplaner und denen sagen: „Pass auf, wir haben gute Erfahrungen damit gemacht.“ Das sind so ein paar Möglichkeiten, weil der Markt ist da mittlerweile offen und auch die Bauherren sind mittlerweile sehr offen, auch solche Systeme zu unterstützen und tatsächlich auch zu sagen: Okay, wir nehmen mal ein bisschen Geld in die Hand und holen uns zum Beispiel einen externen Berater, der das aufsetzt oder GUs, Generalplaner haben selber oft diese Leistungen schon bei sich im Hause und wickeln die Baustellen dann auch damit ab.

Götz Müller: Jetzt würde ich ganz gerne noch ein Thema adressieren, was im Grunde einerseits schon mitschwang und andererseits eben bei vielen ein Thema ist, dass sich diese menschliche, soziale Ebene und auch da nochmal ein bisschen rausarbeiten: Gibt es Unterschiede? Gibt es Besonderheiten im Baukontext, um dann zum Schluss, in Anführungszeichen, dazu überzugehen, was kann man eben voneinander lernen?

René Huppertz: Ja, also die Besonderheit ist, glaube ich, schon mal eins, dass im Allgemeinen häufig ein rauer Ton herrscht. Dass dieser Ton, halt vielen, das ist das, was wir ganz am Anfang gesagt haben, vielen nicht mehr gefällt, die wollen Veränderungen und sagen, wir wollen uns nicht mehr die ganze Zeit anscheinend beziehungsweise nur, weil du am lautesten schreist, ist deine Meinung nicht die Richtige oder nicht besser als meine. Deshalb, da ist schon mal im menschlich-sozialen, ja, diese Besonderheit da und dann das Thema Stress, das wir eben auch hatten, diese Verzahnung der Wertschöpfungskette, das sind so viele Abhängigkeiten, also nur weil man selber seine Leistung nicht erbracht hat auf dem Papier heißt es nicht, dass man selber dafür Schuld trägt, weil unter Umständen sind ja die Vorgewerke schuld, dass es nicht erledigt wurde und dann fängt das ganz schnell an: Ja, wer ist denn eigentlich der Schuldige? Diese Schuldzuweisung, das heißt, man hat da ganz oft im Menschlich-sozialen damit zu kämpfen, dass da sehr, sehr viel diese Fingerzeig-„Hier du bist Schuld, du hast einen Fehler gemacht“-Kultur herrscht und das ist am Anfang, finde ich, selber immer herausfordernd, die Leute dazu zu bringen, zum einen Fehler einzugestehen und mal weg von der Problemorientierung hin zur Lösungsorientierung zu kommen. Also ich sage immer, es ist wichtig, dass wir mal die Probleme ansprechen und dass die Probleme auf den Tisch kommen, weil jeder muss mal diesen Dampf ablassen, dann sammeln wir die und dann suchen wir aber Lösungen und was häufig gemacht wird, ist, der eine hat ein Problem, dann kommt der nächste, springt direkt mit auf den Zug und sagt „Boah, wenn du das Problem hast, dann hab ich aber das Problem“ und das baut sich auf und am Ende kommt quasi raus, ja, wir brauchen gar nicht mehr weiter zu bauen, so ungefähr und das, also tatsächlich, vom Gefühl her ist das so, da kommt dieses Menschlich-soziale, man schaukelt sich hoch, dann ist man plötzlich auch ein Team, weil jeder merkt, das klappt ja nicht, es geht nicht. „Hier, ja gut, lieber Bauherr, du brauchst gar nicht mehr weiterzumachen, weil wir sind alle einer Meinung, das klappt nicht.“ Und wenn man das jetzt hinkriegt, dieses Umzuwandeln in „Hey, wir sind alle ein Team und guck mal, wir schaffen das, also wir arbeiten jetzt gemeinsam daran.“, das ist die Herausforderung, und ich glaube, das ist immer das, was auch in diesen ganzen, im Transformationsprozess, im Lean-Prozess entsteht, also in Projekten, wo ich länger dabei bin, sage ich immer ganz schön, aus diesen Individuen entsteht ein Team, und das ist total schön zu sehen, dass diese Leute halt wirklich sukzessiv zu einem Team zusammenwachsen und plötzlich auch über Privates reden. Das gehört dazu, dass man mal ein bisschen Smalltalk hält über den Urlaub, wo war man, was hat man gemacht. Dass waren auch abends mal zusammen weggeht oder dass man als Team mal den Grill anschmeißt, ne, und nicht so genötigt wird so dieses: „Ja, wir machen den Grill an, jetzt haben wir ein Team-Event gemacht, sondern dass das aus dem Team selber rauskommt. Und ich glaube, da bietet die Baubranche unfassbares Potential, weil man arbeitet nun mal eng miteinander zusammen, also bauen ist ein sozialer Prozess, weil wir haben die Abhängigkeiten untereinander. Also Herr Meier ist abhängig von Herrn Müller und dementsprechend müssten eigentlich beide zusammenarbeiten und wenn man jetzt diese ganze Gewerkekette anschaut, dann merkt man, wenn einer da drin ein Problem hat, dann haben wir alle ein Problem. Also unfassbar sozial, dieser Prozess, und deshalb, glaube ich, ganz wichtiges Thema hier auch darauf zu achten, dass es menschlich-sozial abläuft und dass wir diese Prozesse und die Umgebung schaffen. Da sind wir auch hier beim Toyota-Produktionssystem, respect for people and resources. Also wir wollen den Faktor Mensch, wir wollen die Menschen auch respektieren, die Arbeiter, die da sind und wollen denen ein Umfeld schaffen, in dem sie arbeiten können, um gleichzeitig natürlich auch Ressourcen in Form von Material und so weiter und Zeit einzusparen.

Götz Müller: Ja, ich höre da auf jeden Fall auch raus eben das Thema Fehlerkultur, das ist eins zu eins in, nennen wir es mal klassisch produzierenden Industrien genau das Gleiche, vielleicht ein bisschen weniger, dass man über die einzelnen Elemente der Wertschöpfungskette hinaus Fehler zuweist. Aber selbst wenn irgendein Bauteil habe, wo ich irgendeine Füge-Situation habe, also ein Bauteil muss in ein anderes rein und es passt nicht: Wer war jetzt schuld, dass es nicht passt? Ist es ein Fertigungsproblem, ist der Entwickler schuld gewesen? Und dann aber da eben zu verstehen: Nee, wenn ich das Auto vom Hof kriegen will, dann bringt es nichts, jetzt hier mit aufgezogenem gegeneinander vorzugehen, sondern mal einen Schritt zurückzugehen und im Grunde, und auch da sehe ich eine hohe Gemeinsamkeit, es ist halt der Prozess, der den Fehler provoziert. In der Regel ist es, glaube ich, auf Baustellen genauso. Keiner kommt morgens hin und sagt: „Hey, heute setze ich die Fliesen mal völlig schief rein.“

René Huppertz: Richtig und das Einzige, was da passieren kann, ist jetzt das Thema Krankheit, Corona hat uns ja vor allem gezeigt, dass plötzlich ganze Kolonnen ausfallen, aber selbst dann kann ich den Prozess anpassen, also selbst dann kann ich über den Prozess wieder diese Störung, nennen wir sie jetzt mal so, regulieren und halt auch ganz klar zeigen, was hat das für eine Auswirkung, ohne dass ich jetzt hier unfassbar emotional werden muss, was leider häufig der Fall ist?

Götz Müller: Ja. Gut, wenn wir jetzt zum Schluss eben, du hast es schon ein bisschen angedeutet, was kann die Bauindustrie von der klassischen Industrie lernen? Da habe ich wieder unheimlich viele Gemeinsamkeiten herausgehört und dann drehe ich eben ganz gern auch den Spieß um: Was läuft denn, was würdest du ganz zum Schluss sagen, was läuft denn so richtig gut in der Bauindustrie, wovon wieder die klassische Industrie etwas lernen kann?

René Huppertz: Also zum einen glaube ich, und da sind wir jetzt auch gerade immer mehr dran, ist dieses Thema Modularisierung. Also du hast es ja eben auch gesagt, wie viel Einfluss und wie groß das Thema Bauherr, es ist alles total individuell, wir müssen teilweise jedes Mal das Rad neu erfinden, um halt hier den Link zu den Automobilern herzustellen, weil einfach jedes Bauwerk in Gänze individuell gestaltet ist. Und wenn wir Prozesse optimieren wollen, dann ist es natürlich sehr hilfreich, wenn wir einen Standard-Prozess haben, den man immer wiederkehrend hat, und da sind zum einen modulare Bauweisen sinnvoll, also wirklich so Baukasten-System, wie man es dann auch bei den Automobilern in Teilen so kennt, meiner Meinung nach sehr hilfreich, vor allem auch im Kontext Nachhaltigkeit, im Kontext: Wir wollen jetzt hier vierhunderttausend Wohnungen bauen in einem Jahr, das geht nicht, wenn wir das konventionell machen, sondern wir müssen modular bauen. Wir müssen modular denken. Und trotzdem kann man ja noch individuelle Aspekte reinbringen, also so ist das ja nicht. Modularisierung heißt ja nicht, es sieht alles gleich aus und jede Stadt sieht plötzlich identisch aus, aber ich glaube, das ist ein Aspekt, wo ich immer wieder mal dran denke, ja, bei den Automobilern, man hat sein Fließband, man hat seine Elemente, seine Standardelemente, aber man kommt da jetzt nicht auf die Idee, dass ich meinen Spiegel plötzlich, keine Ahnung, rund statt eckig haben will und das gibt es eigentlich gar nicht. Also ich gehe ja nicht hin und bestelle etwas, im Standardfall nicht, beim Auto, was es gar nicht gibt. Und das erschwert es im Bau natürlich immens. Also da genau dieses Thema Vereinfachung, halt ein paar mehr Standards vielleicht zu haben in Prozessen, und du hast eben auch schon angesprochen, diese Partnerschaft mit dem Zulieferern. Das ist natürlich problematisch, weil wir im Bauen sehr, sehr viele Unternehmen haben, sehr, sehr viele Zulieferer, aber auch hier diese Partnerschaftsdenke, man hat das im Bauen ganz oft, dass man natürlich mit seinen einzelnen Nachunternehmern irgendwann ein partnerschaftliches Verhältnis hat und sagt, wir bauen immer mit denselben Nachunternehmern und das aber auch immer mehr mal prägt auch zu den Zulieferern, mit wem habe ich denn hier dieses Verhältnis und da zu überlegen: „Hey, wir bauen sehr viele Objekte, Projekte mit dir, können wir nicht gemeinsam unsere Prozesse angleichen?“ Das wird gemacht, also ich möchte jetzt nicht behaupten, dass das niemand tut, aber ich glaube, da kann man noch mehr machen, würde ich jetzt mal ganz klar so sehen, also da sehe ich auf jeden Fall eine Möglichkeit, tatsächlich von der klassisch produzierenden Industrie halt zu lernen. Also dass man da sagt, dieses Thema, mehr Standards schaffen beziehungsweise Standards auch mal hinterfragen. Beim Bauen habe ich manchmal das Gefühl, es gibt schon viele Standards, aber die sind halt so, ne, wie sagt man: Das haben wir schon immer so gemacht, das machen wir weiter so, warum soll ich jetzt etwas anderes machen? Ja, weil etwas anderes vielleicht besser ist?

Götz Müller: Ja, und wir bauen ja eben, ich meine, das ist vielleicht ein Stück weit auch, ja, nennen wir es mal Fluch, ich meine vor 4000, 5000 Jahren gab es schon Bauindustrie, da sind wir sonst noch mit Baumstämmen unterwegs gewesen.

René Huppertz: Ja. Aber ich glaube, das ist so dieser Punkt, wir sind heute bei manchen Teilen, würde ich sagen, sind wir immer noch sehr ähnlich wie vor Jahrhunderten unterwegs. Und dass man mal überlegt, es kann sich etwas verändern und da jetzt vor allem auch, wenn wir an Digitalisierung denken, da ist natürlich auch die Baubranche, also ein ganz eigenes Fass, aber ich glaube, da hat man sich lange, ja, da hat man Angst gehabt davor und auch heute, ich muss auch ehrlich sagen, ich habe immer gesagt, das Thema Lean ist und bleibt absolut go to gemba, Ort der Wertschöpfung, aber das heißt nicht, dass man das nicht verbinden kann mit digitalen Elementen. Und ich glaube, das ist da ganz entscheidend, sich mal zu öffnen und zu sagen, ja, wir können auch von anderen lernen, weil ein enormer Kritikpunkt ist, die Baubranche ruht sich immer darauf aus, dass sie sagt: Ja, wir sind eine besondere Branche. Die Baubranche ist einfach anders als andere Branchen. Richtig ist sie, aber das heißt ja nicht, dass wir nicht von anderen Branchen lernen können und das ist ja das Thema Lean. Das Thema, das Last-Planner-System ist ja quasi genau, okay, wie kann man Lean im Bauen anwenden, also das ist einfach eine Methodik, die genau dafür da ist, um es im Bauen zu nutzen und da komme ich so ein bisschen auch zu dem Punkt, was du eben meintest und was können andere Industrien auch von der Baubranche lernen, ja, eben genau das, dieser Umwandeln mit Sonderthemen, mit Einzelfertigungen, die ja im Bauen Standard sind, Unikatfertigungen, da können andere Branchen natürlich auch gucken: Okay, wie läuft das in der Baubranche? Also da sind wir dann auch bei diesem agileren Umfeld, auch wenn das vom Vokabular her vielleicht nicht ganz zur Baubranche passt, weil man mit agilen dann eher das neue moderne Software vergleicht, aber es ist ja eigentlich so, das Bauen ist unfassbar agil, weil plötzlich regnet es und ich kann meine ganzen Prozesse, die ich geplant habe, gar nicht mehr umsetzen, weil eigentlich sollte das Dach abgedichtet werden und das kann ich beim Regen nicht. Also muss ich sehr agil reagieren und gucken, was mache ich jetzt anderes und das klappt ja im Bauen, also das heißt ja nicht nur, weil es regnet, passiert dann drei Wochen gar nichts mehr, sondern die Leistungen werden ganz kurzfristig dann ummodelliert, um es mal so auszudrücken.

Götz Müller: Ja, und jetzt kommt mir noch ein weiterer Punkt in den Sinn, wo du den Last Planner nochmal erwähnt hast, was mir sonst in der, wie gesagt, wieder klassischen Industrie immer wieder begegnet, ich möchte es gar nicht quantifizieren, eben dieses cut and paste, copy and paste, da funktioniert bei Toyota etwas und das versuche ich eins zu eins bei mir genauso zu machen und das finde ich am Last Planner so spannend, dass man es, dass es hier nämlich im Grunde gelungen ist, etwas wirklich Eigenes zu schaffen und nicht irgendwas drüber zu stülpen und da wäre jetzt mein Appell an die klassische Industrie: Hey, kopiert nicht einfach nur blind, sondern denkt mit, was braucht ihr wirklich?

René Huppertz: Ja, und ich glaube, das ist ja auch jetzt gerade im Kontext der Digitalisierung das, ich glaube, wir haben ja auch mal darüber geredet. Was bringt es, wie der Telekom-Chef gesagt hat, einen Scheißprozess zu digitalisieren, dann habe ich nur diesen digitalen Scheißprozess, und das ist ja genau dieses Thema. Ich muss mir mal angucken, was brauche ich denn eigentlich und unter Umständen brauche ich etwas anderes, als ich vorher dachte und dann passe ich das System aber mal an meine Gegebenheiten an und das ist halt genau dieses Last Planner und ich glaube, ich bin der festen Überzeugung, dass Last-Planner-System ist interessanterweise ein System, was ich sehr einfach auch in anderen Branchen nutzen kann, wie eben gesagt, ob das jetzt Nachunternehmer selber nutzen oder ob ich es zuhause mache, ich habe bei mir häufig Werkstudenten, die sagen mittlerweile, wir planen die Abschlussarbeit nach dem Last-Planner-System, wir setzen uns einen Meilenstein und Fahrplan auf, in welcher Woche wir was machen und gucken dann auf Tagesbasis, wie wir diese Ziele erreichen und ich glaube, das können andere Industrien lernen, also das Last-Planner-System ist meiner Meinung nach ein sehr schönes, agiles Tool, was auch in meinem Verständnis, wenn ich das agile Manifest mir angucke und das Last-Planner-System verstanden habe, da ist sehr viel identisch. Und ich glaube, das ist das, wo andere Industrien vielleicht von lernen können, also diese eine Methode, die speziell für die Baubranche entwickelt wurde, ist meiner Meinung nach aber sehr gut übertragbar auf viele andere Industrien.

Götz Müller: Ja, und es ist eben nicht dieses, ja, dieses copy/paste, da hat etwas bei denen gut funktioniert, dann muss das bei mir auch gut funktionieren und dann, glaube ich, werde ich auch so Aspekte los wie dieses: „Ja, wir bauen ja keine Autos.“

René Huppertz: Richtig, ja. Weil das hört man ja immer, vor allem, wenn man jetzt in Bauprojekten eine Taktplanung macht, dann kommt auch immer ganz genau dieses Argument: „Ja, wir bauen keine Autos, ich kann das nicht takten.“ Doch es gibt häufig Elemente, die Takten kann, weil ich habe ganz klare Sequenzen, die sich wiederholen, vor allem, wenn ich jetzt an den Hotelbau denke, Bürobau oder halt Wohnungsbau, wo fünfhundert gleiche Wohnungen gebaut werden, das ist ja quasi wie ein Auto, jede Wohnung, weil jede Wohnung hat dieselben Bestandteile. Und dann kann ich da auch einen Takt reinbringen und ich glaube, das ist das Wichtige dabei, dass man weiß, ja, es stimmt, man kann nicht überall einen Takt reinbringen, aber deshalb diese Kombination auch. Ich habe einen Last Planner, der sehr agil ist, mit dem ich grundsätzlich alles abdecken kann, aber es gibt auch Bereiche, für die ich wunderbar, prozessmäßig eine Sequenz erstellen kann, eine Gewerke-Sequenz, einen Ablauf, den ich mit Zeiten hinterlegen kann, die Gewerke wissen genau, an welchem Tag sie in welchem Bereich sein müssen, und das lasse ich komplett durchlaufen durchs Gebäude und da sieht man dann diese Symbiose, ja, man kann teilweise etwas kopieren aus anderen Bereichen, minimal anpassen und das aber jetzt noch kombinieren mit etwas Neuentwickelten, damit ich alles abdecke. Das ist, glaube ich, das entscheidende.

Götz Müller: Ja, prima, René, dieses Wort entscheidend, das fand ich jetzt ein sehr gutes Stichwort, man muss über die Dinge halt nachdenken und nicht blind etwas kopieren, deshalb, René, ich danke dir für deine Zeit, für das wieder sehr interessante Gespräch.

René Huppertz: Ja, ich habe zu danken. Vielen, vielen Dank für das Interview und wenn noch Rückfragen sind, immer gerne melden.

Götz Müller: Genau, ich nehme dann deine Kontaktdaten in die Notizen, da findet man dich dann auch.

René Huppertz: Genau, sehr gut.

Götz Müller: Das war die heutige Episode im Gespräch mit René Huppertz zum Thema Lean-Transformation am Bau. Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 311.

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Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.

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