Kaizen 2 go 369 : Wie klappt es mit dem kontinuierlichen Verbesserungsprozess


 

Inhalt der Episode:

  • Was sind typische Herausforderungen, die den KVP behindern können?
  • Was sind die entscheidenden Einflussfaktoren für einen funktionierenden KVP?
  • Was wird dabei immer wieder unterschätzt, ignoriert oder auch mehr oder weniger bewusst falsch gemacht?
  • Auf welchen Ebenen sind die Ursachen zu suchen?
  • Was Gründe stecken letztlich hinter diesen Ursachen?
  • Wie lassen sich diese Probleme beheben oder umgehen?
  • Was behindert die Problemlösung?
  • Wo steckt typischerweise noch Verbesserungspotenzial im Verbesserungsprozess selbst?
  • Wo kann man sich noch weiter zu dem Thema informieren?

Notizen zur Episode:


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Wenn Sie selbst ein interessantes Thema für eine Episode im Umfeld von Geschäftsprozessen haben, können Sie mir das auf dieser Seite mit Vorbereitungsfragen vorschlagen.

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(Teil)automatisiertes Transkript

Episode 369 : Wie klappt es mit dem kontinuierlichen Verbesserungsprozess

Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.

Götz Müller: Heute habe ich Daniel Odermatt bei mir im Podcast-Gespräch schon zum zweiten Mal, aber da kommen wir gleich noch dazu. Er ist Lean Mastercoach bei der Migros in der Schweiz. Hallo Daniel.

Daniel Odermatt: Hallo Götz, danke für die Einladung. Gerne bin ich dabei.

Götz Müller: Ja, und wie gesagt, schon zum zweiten Mal, in Anführungszeichen, wenn man halt beim ersten Mal die Aufnahme nicht vergessen würde, dann müssten wir es auch kein zweites Mal machen. Aber das wird sicher trotzdem eine interessante Unterhaltung. Ich habe ja jetzt schon ein kurzes Stichwort zu dir gesagt, aber stell dich gerne nochmal den Zuhörern vor, weil die ja beim letzten Mal nicht zuhören konnten.

Daniel Odermatt: Ja, genau. Gut, ja, mein Name ist Daniel Odermatt. Ich bin bei der Migros-Industrie in der Schweiz tätig, als Lean Master Coach. Dort bin ich verantwortlich für die Lean Academy und die Lean Community. Inzwischen beschäftige ich mich schon über 20 Jahre tagtäglich mit der Begleitung von Menschen, Abteilungen, Unternehmen, Unternehmensgruppen in ihrer Lean-Transformation. Ich war vorher, vor der Migros selbstständig, habe ein Beratungsunternehmen mit einem Kollegen aufgebaut, das wir dann 2020 verkauft haben. Vorher war ich bei der Firma Synthes und auch dort war ich zuständig, an zwei Standorten Lean-Management einzuführen, war damals auch schon der Lean-Trainer für alle Standorte in Europa und hatte in dieser Zeit fast zehn Jahre lang einen Lean-Sensei. Der wurde alle paar Wochen von Tokio eingeflogen, um uns das doch relativ unsanft beizubringen. War nicht immer einfach, aber sehr, sehr lehrreich, sehr, sehr spannend. Und im Nachhinein bin ich natürlich sehr, sehr dankbar für diese Zeit.

Götz Müller: Ja, da kommt mir gerade noch eine Aussage in den Sinn. Ich glaube, sie ist von Mike Rother. Lernen muss unbequem sein. Wenn es völlig bequem ist, lernt man nichts. Und ich glaube, das kann man wahrscheinlich auf deine Erlebnisse ziemlich schön abbilden.

Daniel Odermatt: Das mag gut sein. Wenn man drin ist, dann nervt es natürlich und stört es einen selber, aber im Nachhinein muss ich schon sagen, ich habe unheimlich viel gelernt durch diese unbequeme Art und Weise.

Götz Müller: Ja, jetzt haben wir uns heute den kontinuierlichen Verbesserungsprozess vorgenommen und zwar eben Dinge, die ihn behindern oder unterstützen und was man eben dafür bzw. dagegen tun kann. Und jetzt vielleicht zum Einstieg eben in deiner Erfahrung, was sind typische Herausforderungen, die eben den kontinuierlichen Verbesserungsprozess behindern können?

Daniel Odermatt: Ich könnte es ganz, ganz allgemein sagen: der Mensch. Wir Menschen haben nicht so gerne Veränderungen. Wir Menschen haben gerne Stabilität und Sicherheit. Und jede Veränderung ist Unsicherheit und Instabilität. Und gleichzeitig, wenn ich jemandem sage, man könnte etwas verbessern, dann verstehen das die einen oder anderen dann als Anschuldigung. Was habe ich denn falsch gemacht bis jetzt? Also der Mensch ist sicher ein ganz entscheidender Faktor, wie bereit wir überhaupt sind, etwas zu verändern. Und der zweite, ganz entscheidende Faktor ist der Prozess. Den kann man sehr einfach gestalten oder eben sehr komplex. Und das entscheidet dann darüber, ob er gelebt wird oder eben nicht.

Götz Müller: Und ich könnte mir vorstellen, dass es da eben durchaus auch Wechselwirkungen gibt. Nichtdass, jetzt kann man natürlich ein bisschen flapsig sagen, Menschen sind einfach gestrickt, aber ich vermute mal unnötige Komplexität schadet dem ja nur. Und die wenigsten schreien da Hurra, endlich mal wieder etwas Komplexes.

Daniel Odermatt: Genau. Ja, sobald man so einen bürokratischen Prozess hat mit Formularen, wo man ellenlang ausfüllen muss, sobald es nicht mehr Spaß macht, überhaupt eine Verbesserung anzupacken, dann ist die Hürde schon so groß, dass die Verbesserungskultur oder der Verbesserungsprozess schon in Stocken gerät.

Götz Müller: Jetzt kann man die Fragestellung natürlich auch umdrehen. Was sind Einflussfaktoren, positive Einflussfaktoren für einen funktionierenden KVP? Die Lösung, die vielleicht, vermeintlich auf der Hand liegt, den Menschen abzuschaffen, wird wahrscheinlich auch nicht wirklich der richtige Weg sein.

Daniel Odermatt: Nein, den Menschen abzuschaffen definitiv nicht. Sehr, sehr häufig wird keine Zeit gegeben für eine Veränderung, für eine Verbesserung. Das ist sicher einer der Faktoren, dass die Führungskräfte, weil die sind ja letztendlich die Ermöglicher oder die Verunmöglicher von einer Veränderung, dass die der Veränderung oder der Verbesserung eben auch eine hohe Priorität geben. Und wenn die Verbesserung eine hohe Priorität hat, dann sollte sie auch genügend Zeit bekommen. Ich glaube, das ist einer der Punkte, wenn ich die Zeit habe, ich mich persönlich einbringen kann, ich wirklich mitgestalten, mitwirken kann und das noch auf eine einfache, unbürokratische Weise, die mir Spaß macht, dann sind die Chancen sehr, sehr gut, dass wir ein wirklich funktionierendes KVP-System aufbauen können.

Götz Müller: Jetzt vermute ich mal, also das ist jetzt eher eine rhetorische Frage, die wenigsten sagen: Ich mache es mal richtig schwierig für die Beteiligten. Das heißt, ich glaube, dass viele Dinge auf einer unbewussten Ebene ablaufen, wo man sich vielleicht über bestimmte, so wie du es gerade aufgezählt hast, über bestimmte Aspekte gar nicht bewusst wird, dass man sie vielleicht unterschätzt, dass man sie, das ist dann schon ein bisschen aktiv, dass man sie ignoriert oder im Extremfall halt auch bewusst falsch macht. Was ist da, wenn wir wieder auf den Menschen zurückkommen, weil der, glaube ich, schon eben ein zentraler Einflussfaktor ist, Führungskräfte hast du gerade genannt, aber jetzt nur die Führungskräfte sprichwörtlich an den Pranger zu nageln, ist wahrscheinlich auch nicht die Lösung.

Daniel Odermatt: Nein, es ist nicht. Viele Unternehmen haben sich inspirieren lassen von anderen Unternehmen, die so einen Prozess eingeführt haben. Und sind wir mal ehrlich, eigentlich ist das ja relativ einfach zu verstehen: Mach mal einen Vorschlag, wenn der gut ist, werden wir ihn umsetzen und die Welt ist besser. So komplex kann doch das gar nicht sein. Nur wird dabei sehr oft einfach unterschätzt, was das mit den Menschen zu tun hat, was im Change Management dabei auch zu berücksichtigen ist, was das für Ängste auslösen kann, wo der Mensch sich fragt, ja, eben: Habe ich alles falsch gemacht? Oder: Was ist denn drin für mich? Wenn der Mensch nicht den Nutzen für sich selber sieht: Boah, wieso soll ich jetzt etwas verbessern, das mir nichts bringt, meinem Chef noch mehr Gewinn bringt? Boah, also ich bin bezahlt zum Arbeiten, nicht zum Verbessern. Also es braucht viel, viel mehr als nur: Ah, da haben wir schöne Formulare, die hängen wir mal irgendwo hin, vielleicht noch im Briefkasten nebendran, und bitten alle, sie sollen doch ihre Ideen einbringen. Es braucht viel, viel mehr. Und ich glaube, das Wichtigste dabei ist die Zeit, habe ich vorhin gesagt, und die Einfachheit. Und wenn es dann noch eine Führungskraft schafft, sich ein bisschen zurückzuhalten und den Menschen im Team wirklich die Möglichkeit gibt, sich wirklich, wie soll ich sagen, den Prozess zu gestalten oder die Verbesserung selber zu gestalten, dann bestehen die höchsten Chancen, dass es auch langfristig überlebt.

Götz Müller: Jetzt zu der Stelle die Frage, wie siehst du das Verbesserungen einfordern, würdest du das eher als dann vielleicht lästiges Übel oder ist das ein Teil der Führungsaufgabe? Ich möchte mich da nicht zu 100 Prozent entscheiden. Ich glaube, es hängt unheimlich vom Einzelfall ab. Ja, und da würde mich einfach mal deine Meinung interessieren.

Daniel Odermatt: Ja, aus meiner persönlichen Erfahrung kann ich Folgendes sagen. Am Anfang braucht es sehr oft den Druck. Es braucht das, dass die Führungskraft das einfordert. Ich gebe dir die Zeit, aber ich fordere dich auch auf, diese Zeit, die ich dir jetzt gebe, einzusetzen zum Verbessern. Verbesserung gehört zur täglichen Arbeit und ich erwarte das, dass du hier mitmachst und dass du deine Ideen bringst und ich verspreche dir, dass ich die anpacke, dass ich die ernst nehme und ich dir zuhöre und deine Arbeitswelt verbessern möchte. Am Anfang, glaube ich, es braucht Druck, aus meiner ganz persönlichen Erfahrung, sehr oft. Aber wenn das über Jahre Druck brauchen würde, dann machen wir etwas falsch. Denn nach sehr kurzer Zeit sollten ja die Mitarbeitenden merken, oh, das bringt ja nicht nur im Unternehmen was, sondern mir persönlich bringt das was. Meine Arbeit macht mehr Spaß, ich habe weniger Arbeitslast, ich muss mich weniger bücken oder was auch immer. Ich habe eine schöne Arbeitsumgebung, meine Prozesse laufen runder, ich muss weniger suchen, weniger fluchen. Dementsprechend sollte das irgendwann so weit sein, nach einigen Monaten, dass die Mitarbeiter gelernt haben und gemerkt haben: Uff, das ist eine coole Sache. Ich kann all die Dinge, die mich nerven, all die Dinge, die mir im Weg stehen, die darf ich verändern, die darf ich verbessern. Mein Chef, meine Chefin gibt mir die Zeit, gibt mir die Möglichkeit, meinen Arbeitsplatz so zu gestalten, dass ich effizienter bin, effektiver bin und dass es mir sogar mehr Spaß macht. Und sobald das reicht, dann braucht es keinen Druck mehr. Aber die Erfahrung müssen wir sie zuerst machen lassen und dafür braucht es halt am Anfang öfter mal Druck, damit sie die Erfahrung machen können.

Götz Müller: Ja, ich habe gerade die Metapher des Schwimmenlernens. Wenn man noch nicht schwimmen kann, glaube ich, ist es natürlich auch eine gewisse Herausforderung, egal ob man jetzt schon älter ist oder halt noch ganz kleines Kind, jetzt ins Wasser zu gehen und halt merken, dass irgendwie der Boden weg ist. Aber im trockenen lernt man halt nicht schwimmen.

Daniel Odermatt: Ja, genau.

Götz Müller: Jetzt habe ich vor kurzem, kommt mir gerade in den Sinn, wo du über Druck und andere Dinge geredet hast, hatte ich die Frage, die Aussage, die Geschichte, das hat jemand erzählt, ich bin mir gar nicht mehr ganz sicher, wer es war, der praktisch von jemand anders, der eher Controlling-orientiert war, die Frage gestellt bekommen hat: Was bringt uns denn jetzt die Verbesserung? Können wir das irgendwie ausrechnen? Wie stehst du zu dieser Fragestellung?

Daniel Odermatt: Ah ja, die kommt sehr sehr oft. Natürlich müssen sich die Verbesserungen lohnen. Ist ja logisch. Wenn wir nur „Schöner wohnen“-Verbesserungen machen und der Spaßfaktor soll erhöht sein und alle sollen sich wohlfühlen, eine Wohlfühloase generieren, dann bringt das wahrscheinlich dem Kunden, dem Unternehmen nichts oder wenig. Aber ich glaube, oder aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass sehr schnell, sehr oft diese Frage gestellt wird und damit ein bisschen auch der Geist der kontinuierlichen Verbesserung geschmälert wird oder die Motivation geschmälert wird. Weil wenn ich jede einzelne kleine Verbesserung, die ich ja typischerweise in wenigen Stunden eigentlich umsetzen könnte, hinterfrage und eine Kalkulation machen muss, ob sich dieser Aufwand wirklich lohnt, ob der Payback entsprechend den Vorgaben ist, dann sinkt die Motivation sehr schnell, überhaupt noch irgendwelche Vorschläge zu machen. Dann würden auch wahrscheinlich sehr viele abgelehnt werden und die Mitarbeiter würden sagen, da brauchst du gar nicht einen Vorschlag zu machen, was nicht eine Million bringt, wird so oder so nicht bewilligt. Und damit ist eigentlich die Kultur schon im Keim erstickt. Ich ganz persönlich habe die Erfahrung gemacht, wenn man es als Führungskraft zulässt, dass die Mitarbeitenden auch mal eine Verbesserung machen, wo der Nutzen für die Mitarbeiter sogar höher ist als für das Unternehmen, habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Mitarbeitenden dadurch stark motiviert sind, noch viel, viel mehr Verbesserungen umzusetzen. Und für mich als Führungskraft muss es einfach wichtig sein, dass die Summe pro Woche oder die Summe pro Monat an Verbesserungen positiv ist. Also dass das Unternehmen auch wirklich einen Nutzen daraus hat. Aber wenn einzelne Verbesserungen, sage ich jetzt negativ, oder nicht direkt gewinnbringend für so Unternehmen sind, dann würde ich das zulassen, solange es dem Unternehmen keinen Schaden hinzufügt, einfach auch um den Mitarbeitern Möglichkeiten zu geben, sich wirklich einzubringen und einen Nutzen auch persönlich daraus zu ziehen.

Götz Müller: Gut, jetzt würde ich ganz gern im Sinne eines Verbesserungsprozesses die Ursachen ein bisschen hinterfragen von den Dingen, die du geschildert hast, zum Beispiel unnötige Komplexität, oder eben halt auch zu früh die Frage stellen, was bringt es, beziehungsweise das dann auf Heller und Pfennig ausrechnen lassen. Was ist deine Theorie oder deine Erfahrung, woran liegt es? Weil ich glaube, jeder, der jetzt uns so zuhört, der kann im Grunde ja nur nicken. Wenn er da jetzt ins Kopfschütteln kommt, dann ist irgendwas anderes auch schiefgelaufen.

Daniel Odermatt: Ja, woran liegt es? Ich glaube, es ist häufig eine kurzfristige Denkweise, dass wir kurzfristige Gewinne anstreben. Da ist ja nichts Schlimmes dabei. Aber wenn wir die langfristige Weiterentwicklung nicht im Blick haben, dann ist typischerweise so eine Einführung von einem KVP-System oder die nachhaltige Einführung gefährdet. Ich habe mal gelesen, Toyota nimmt kurzfristige Nachteile in Kauf, falls es dem langfristigen Erfolg dient. Ich glaube, das ist etwas, was wir in westlichen Ländern selten tun. Also wir haben nicht den langfristigen Erfolg vor Augen, sondern wie überlebe ich dieses Quartal und das führt dann halt schon sehr schnell dazu, dass ich nur die Dinge machen möchte, die auch in den nächsten drei Monaten sofort messbar eine Veränderung bringen. Ich glaube, es braucht eine andere Kultur letztendlich, eine andere Denkweise auch, dass das nicht eine Verschwendung ist, sondern eine Investition und dass nicht jede einzelne Verbesserung sofort eine Wirkung hat. Aber insgesamt, wenn wir an dieser Kultur arbeiten, das eine riesengroße Veränderung sein wird. Und wenn jemand das schafft, fünf Minuten weniger Verschwendung zu haben, dann ist das für diese einzelne Person, naja, fünf Minuten pro Tag, wahrscheinlich nicht die große Welt. Wenn man das zusammenaddiert, ich weiß nicht, in der Schweiz arbeiten wir etwa 220 Arbeitstage im Schnitt, dann sind das zweieinhalb Arbeitstage, die man pro Jahr gewinnt, pro Mitarbeiter. Also wenn diese Verbesserung fünf Minuten pro Tag bringt, aber das bei zehn Mitarbeitenden, dann haben wir schon 25 Arbeitstage gewonnen. Ich glaube, die Summe aller kleinen Dinge macht schon sehr viel aus. Und die Ursache ist, dass wir das oft nicht sehen. Wir machen das so klein und sagen: Ja, das ist ja nicht signifikant. Ich brauche ein großes Einsparprojekt und da die kleinen Tropfen, die bringen mir nichts. Aber tausend kleine Tropfen geben eben auch einen Eimer voll Wasser. Ich glaube, das müssen auch die Führungskräfte zuerst einmal lernen, müssen das zuerst einmal erleben. Und wenn man mal in einem Unternehmen gearbeitet hat, wo die Mitarbeiter tagtäglich Verbesserungsvorschläge bringen, tagtäglich Verbesserungen auch wirklich umsetzen, das strukturiert machen, ausgerichtet an den Zielen vom Unternehmen. Wenn man das mal erlebt hat, dann versteht man nicht, weshalb man das nicht macht. Aber ich glaube, es ist wirklich eine Art und Weise, wie man denkt. Also letztendlich die Unternehmenskultur.

Götz Müller: Was ist deine Empfehlung, wie ich so eine Kulturveränderung, nehme ich jetzt einfach mal hypothetisch an, dass es halt noch nicht perfekt ist, sonst würde man ja nicht drüber reden, wie kann man sowas initiieren?

Daniel Odermatt: Eine Kultur direkt kann man ja eigentlich nicht verändern. Eine Kultur ist die Art und Weise, wie wir es hier machen, wie wir es bei uns machen, kann man so salopp sagen. Eine Kultur kann jetzt zum Beispiel sein, bei uns im deutschsprachigen Raum ist es höflich und normal, dass man relativ pünktlich kommt zu einem Termin. Fünf Minuten zu früh, fünf Minuten zu spät ist noch höflich und anständig. In anderen Kulturen wäre es schon unanständig, wenn man pünktlich kommt. Wir haben vielleicht abends um halb acht abgemacht zum Abendessen, man erscheint dort um halb acht und dann fragt die Person: Was machst du hier? Ich sage: Es ist halb acht. Ich bin pünktlich. Ja, aber dann kommt man doch nicht um halb acht. Da ist es eher üblich, dass man halt dann 10 oder 15 oder 20 Minuten zu spät kommt und dass das dann als normal gilt. Also die Kultur ist die Art und Weise, wie sich Menschen in einem Umfeld verhalten. Und genau das können wir beeinflussen. Die Kultur selber nicht. Aber die Kultur ist vereinfacht gesagt die Summe der gleichen Denk- und Verhaltensmuster. Und genau da können wir ansetzen, beim Denk- und Verhaltensmuster. Und zwar kann man ein Verhaltensmuster, ein Denkmuster zu einer Routine werden lassen, indem man es einfach immer wieder wiederholt. Meine Lieblingsstory dazu ist, stell dir vor, ich wäre deinen Chef, lieber Götz, und ich würde dich fragen: Götz, was hast du eigentlich gestern verbessert? Dann sagst du: Ah Chef, gestern hatte ich wirklich so viel zu tun, gestern bin ich nicht dazugekommen, nein, ich hatte keine Zeit. Sag ich: Kein Problem, Götz, kein Problem. Ich wünsche dir einen ganz schönen Tag. Am zweiten Tag frage ich: Du, Götz, gestern, was hast du gestern jetzt eigentlich verbessert? Dann sagst du vielleicht: Gestern bin ich schon mit einem Kollegen zusammengesessen, wir haben Ideen ausgetauscht, wir haben die Ideen schon priorisiert, wir wissen, was wir anpacken wollen, aber es hat nicht mehr gereicht, das anzupacken. Ich sage dann, kein Problem, ich wünsche dir einen ganz schönen Tag. Dritter Tag: Lieber Götz, was hast du gestern eigentlich verbessert? Spätestens jetzt merkst du, das scheint meinem Chef wirklich wichtig zu sein. Der fragt jeden Tag danach. Am vierten Tag werde ich wahrscheinlich nicht mehr dazukommen, die Frage zu stellen, sondern du wirst auf mich zukommen und sagen: Du übrigens, ich habe das und das und das. Das sind die nächsten Schritte. Das heißt, durch regelmäßig genau das zu fragen, was mir wirklich wichtig ist, kann ich auch das Denk- und Verhaltensmuster über eine längere Zeit natürlich verändern. Und dafür braucht es auch viel, viel Geduld. Es braucht genauso viel Geduld, wie die Eltern haben müssen, den Kindern das Zähneputzen beizubringen. Hast du heute Abend schon die Zähne geputzt? Hast du heute Abend schon die Zähne geputzt? Und das tausendmal. Und wenn die Führungskraft diese Geduld hat, dieses Verständnis hat und zum Ausdruck bringt, was der Führungskraft wirklich wichtig ist, glaube ich, dass man dadurch wirklich auch etwas verändern kann. Und dann hoffentlich, ist klar, Vorbild, hoffentlich ist dann die Führungskraft selber auch ein Vorbild und lebt das vor und setzt hohe Prioritäten in die Verbesserung, also wird selber auch sich die Zeit nehmen für Verbesserungen, weil die Verbesserung nur zu delegieren, funktioniert nur bedingt.

Götz Müller: Ja, beim Zähneputzen Beispiel kam ja dann auch in den Sinn, in der Regel, zumindest wenn ich mal an so meine Kinder zurückdenke und ganz, ganz, ganz, ganz entfernt und auch an meine eigene Kindheit, in der Regel lässt man es ja dann da nicht beim Fragen oder beim Sagen, sondern man geht halt dann mit dem Kind gemeinsam zum Waschbecken und putzt die Zähne. Und ich glaube, im Grunde etwas Vergleichbares wird sich auch lohnen, mag vielleicht nicht so auf der Hand liegen wie das Zähne putzen, wird sich auch lohnen, wenn es ums Verbesserung geht, oder?

Daniel Odermatt: So was von ganz genau. Also indem man sich schon mal mitgehe, begleite, selber es auch vormache, später dann kontrolliert man bei den Kindern nur noch: Hast du die Zähne geputzt? Zeig mal. Wenn man sieht, dass sie geputzt sind, spricht man ein Lob aus. Genauso ist es bei den Erwachsenen auch. Das heißt, ich als Führungskraft bin als Vorbild da. Ich begleite die, ich gebe ihnen die Zeit, ich lobe sie. Ich wertschätze, was sie machen und übrigens Lob und Wertschätzung ist der bessere Lohn als monetär irgendwelche Prämien auszurichten für Verbesserungen. Wenn ich mir die Zeit nehme und das mache, dann entsteht wirklich auch die Motivation bei den Mitarbeitern, das zu tun. Weil, sind wir mal ehrlich, eigentlich möchten wir alle unserem Chef, unserer Chefin gefallen. Ausser wir haben schon die innere Kündigung geschrieben. Wir möchten doch Lob und Anerkennung. Wir möchten doch mit dem Gewissen oder mit dem Gefühl nach Hause gehen. Ich habe heute etwas Gutes gemacht und ich habe auch etwas gemacht, was meinem Vorgesetzten gefallen hat und ich habe Lob dafür bekommen. Das ist doch eine super tolle Sache. Und gleichzeitig habe ich die Chance bekommen, meinen Arbeitsplatz so zu verändern, dass es für mich einfacher wird. Ich glaube, ja, es braucht die Begleitung von der Führungskraft, definitiv.

Götz Müller: Wenn man jetzt, und natürlich steckt da schon manches drin, wenn wir jetzt über den Verbesserungsprozess selber nachdenken und wo da noch Verbesserungspotenzial drinsteckt, das ist natürlich jetzt eine sehr abstrakte Frage vielleicht, vielleicht aber auch da wieder die Frage nach deiner Erfahrung. Was hast du schon, vielleicht über das hinaus, du hast ja schon das eine oder andere erwähnt, festgestellt, wo sich manchmal, ja, vielleicht sprichwörtlich die Menschen auch noch selber im Weg stehen?

Daniel Odermatt: Die größten Verbesserungspotenziale im Verbesserungsprozess habe ich persönlich so erlebt, dass entweder werden nur die ganz, ganz grossen Projekte gemacht und all die kleinen Dinge, Just-Do-It-Dinge, die man tagtäglich verbessern könnte, nicht. Oder gerade umgekehrt, es werden hunderte, tausende von lokalen kleinen Verbesserungen gemacht und dafür keine langfristigen, großen Projekte. Wenn man das Toyota Way, das Buch, liest, dann steht da, man sollte in allen Kategorien, bei den kleinen Kieselsteinen, bei den mittelgroßen Steinen, bei den großen Felsen, sollte man Verbesserungen umsetzen und nicht nur sich auf eins konzentrieren. Ich glaube, am Anfang, wenn man überhaupt mal startet mit deinem KVP-System, ist es viel, viel, viel wichtiger, mal überhaupt ins Tun zu kommen. Es ist noch nicht so wichtig, ob jede einzelne Verbesserung wirklich einen riesengroßen Nutzen gebracht hat, sondern mal ins Tun kommen, nicht nur darüber zu sprechen und zu jammern, was man alles könnte und sollte, sondern einfach mal tun. Ich würde es am Anfang so unkompliziert wie möglich machen, die Zeit und die Möglichkeiten geben, dass etwas passiert. Dann aber mit steigendem Reifegrad würde ich unbedingt empfehlen, nicht nur bei diesen täglichen KVPs, Just-Do-It, zu bleiben, sondern eben eine strukturierte Problemlösung zu implementieren für mittelgroße Vorhaben. Das kann mit einem A3-Problemlösungsprozess sein und unbedingt auch die ganz großen Verbesserungsprojekte anzupacken. Aber ich würde wirklich bei den Kleinen beginnen, dann zu den Mittleren und dann zu den Großen und nicht umgekehrt. Wenn man davon spricht, man möchte diesen Prozess zum Leben bringen und eine Kultur entwickeln. Wenn man diese Zeit nicht hat, weil das Wasser gerade unter der Nase ist und man eher ein Turnaround braucht, natürlich würde man dann bitte zuerst bei den großen Projekten starten, damit das Unternehmen überlebt. Das ist eine andere Ausgangslage. Ich habe jetzt die Story erzählt mit der Brille an, ich möchte eine Kultur entwickeln. Ich würde wirklich empfehlen, nicht auf einer Problemgröße stehen zu bleiben. Das ist das, was ich am häufigsten erlebt habe als großes Verbesserungspotenzial.

Götz Müller: Jetzt möchte ich ganz gerne noch ein bisschen vertiefen, diesen Punkt Einstieg. Weil das hört sich jetzt, ich glaube für uns natürlich, die wir mit dem Thema mehr oder weniger tagtäglich umgehen, hört sich das ja so einfach an. Dieser alte abgegriffene Spruch auch, die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt und so weiter. Aber ich könnte mir vorstellen, jemand, der halt noch gar nicht mit dem Thema vertraut ist, fühlt sich vielleicht so ein bisschen unbewusst wie der Ochs vorm Berg. Und was wäre deine Empfehlung, in das Thema einzusteigen, ganz griffig auch?

Daniel Odermatt: Ja, ich glaube, wenn ich sage, einfach, einfach. Je einfacher es gestaltet ist, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass man Lust bekommt, es zu tun. Ich würde empfehlen, nicht irgendwelche langen Prozesse zu machen, wo es mit Genehmigungsschleifen, irgendjemand im dritten Stock dann darüber entscheidet, ob mein Vorschlag dann wirklich etwas Gutes ist für das Unternehmen und dann vielleicht drei, vier Wochen später mir ein Feedback gibt, ob ich dann vielleicht diese Verbesserung auch umsetzen darf oder nicht. Ich würde empfehlen, dass die Vorschläge am Ort, wo die Idee entstanden ist, bleiben. Das heißt, man müsste eigentlich eine Regel am Anfang schon einführen, dass 80 Prozent, das ist so eine Faustregel, Daumenregel, 80 Prozent unserer Vorschläge in unserem eigenen Team umsetzbar sein müssen. Und nur 20 Prozent der Vorschläge nehme ich mit zu meinem Vorgesetzten oder zu meinen Kollegen links und rechts. Weil wenn man das nicht macht, dann passiert sehr häufig, dass es einfach eine Klagemauer gibt. Weil wenn ich Menschen frage in einem Unternehmen, was kann man in deinem Unternehmen verbessern? Und da spielt es gar keine Rolle, wie groß das Unternehmen ist oder in welcher Branche. Wenn ich frage: Was kann man in deinem Unternehmen verbessern? Dann zeigen die meisten nach oben, zu den Chefs, rechts und links, die anderen dort hinten und da vorne. Aber die wenigsten zeigen auf sich selber. Und wenn man so eine Regel nicht hat, heißt das, wahrscheinlich wären dann die meisten Verbesserungsvorschläge, was die anderen da drüben verbessern sollten. Und wenn dann alle auf die anderen zeigen, dann passiert überhaupt gar nichts. Deshalb will ich am Anfang wirklich darauf achten, eine Regel einzubauen, dass die meisten Vorschläge im eigenen Team umsetzbar sind, dass der Vorgesetzte die Entscheidungskompetenz hat, das zu bewilligen. Und dann wird wirklich etwas passieren. Stell dir mal vor, wenn jetzt wirklich in jedem Team, im ganzen Unternehmen würden die Dinge tun, Dinge verbessern, wo sie selber umsetzen können. Dann haben wir zwar die Schnittstellen noch nicht verbessert und die großen Projekte noch nicht angepackt, aber was damit mit der Kultur passiert, ist phänomenal.

Götz Müller: Ja, ich höre ein Stück weit auch das raus, was, ich glaube, Paul Akers, diesen Gedanken ‚fix what bugs you‘, also das, was dich nervt in deinem eigenen Umfeld, typischerweise kann man da ja, weil man vielleicht selber auch beteiligt ist, ja am schnellsten etwas dagegen tun.

Daniel Odermatt: Ja, man könnte eigentlich am schnellsten etwas tun. Warum tun wir es dann oft eigentlich nicht? Sehr oft werden wir mit der Zeit, werden wir Menschen alle betriebsblind, wir sehen es gar nicht mehr, wir haben es schon akzeptiert, dass es so ist oder glauben sogar, es sei unveränderbar oder mein Chef und Chefin haben mir schon gezeigt, dass das keine Priorität hat und damit habe ich es akzeptiert und dann werde ich damit leben, obwohl es mich nervt. Und sobald ich dieses Ventil öffne und sage: Hey, all die Dinge, die dich nerven, die darfst du jetzt anpacken, du bekommst die Zeit dafür. Solange es mehrheitlich Zeit kostet, nicht die großen Investitionen, gebe ich dir die Möglichkeit, dass du dein Arbeitsumfeld so verändern kannst, dass du effizienter arbeiten kannst, gesünder arbeiten kannst und mehr Spaß hast, dann passiert was.

Götz Müller: Also mit einem kleinen Blick auf die Zeit zum Abschluss, kleiner Werbeblock, weiß ich jetzt zufällig oder auch nicht zufällig, dass du da ja etwas ganz Nettes geschrieben hast dazu?

Daniel Odermatt: Genau, ich habe ein Buch geschrieben, das heisst Lean Transformation oder Deutsch, Lean Transformation. Dort habe ich doch aus den letzten 20 Jahren ganz, ganz viele von meinen Erfahrungen niedergeschrieben, auch viele Stories, die ich erlebt habe in ganz verschiedenen Unternehmen, unterschiedlichen Branchen, Unternehmensgrößen. Stories von meinem Lean Sensei, wie er uns das beigebracht hat. Es hat Dinge zum Downloaden, es hat Fragestellungen drin, die du dir stellen solltest unterwegs. Ich glaube, da kann man sicher das eine oder andere da rausnehmen für seine eigene Lean-Transformation und ich würde dir auch empfehlen, nicht nur ein Buch zu lesen, ein paar Videos anzuschauen und das Netz zu durchforsten, sondern auch wirklich dann in einen Austausch zu gehen mit anderen Experten. Der Anlass, wo wir gemeinsam waren, Lean Around the Clock, ist sicher etwas im deutschsprachigen Raum, das sehr empfehlenswert ist, wo man unter sich ist, unter Experten ist, all seine Fragen und Befürchtungen, Probleme dort mit anderen austauschen kann und von anderen lernen, profitieren kann. Also ich würde da empfehlen, sich wirklich die Zeit zu nehmen, in sich selber zu investieren.

Götz Müller: Ja, das war ein gutes Schlusswort, Daniel. Ich danke dir für deine Zeit.

Daniel Odermatt:Sehr, sehr gerne. Danke auch dir. Gute Zeit und viel Erfolg beim Anwenden.

Götz Müller: Das war die heutige Episode im Gespräch mit Daniel Odermatt zum Thema Wie klappt es mit dem kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 369.

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Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.
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