Kaizen 2 go 370 : Automatisierung der Mensch-Maschine-Schnittstelle


 

Inhalt der Episode:

  • Wie haben die Anfänge Ihrer Automatisierungslösung ausgesehen?
  • Was war der ursprüngliche Auslöser?
  • Welche Bereiche deckt die OperAID-Lösung ab?
  • Welcher Nutzen ergibt sich für die Anlagenbetreiber und -bediener daraus?
  • Welche Seiteneffekte haben sich durch die Automatisierung noch ergeben?
  • Wie reagieren die Maschinenbediener und Techniker die Veränderung ihres Arbeitsumfelds?
  • Wie sieht die typische Einbindung von OperAID in die IT-Landschaft eines Anlagenbetreibers aus? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus?
  • Welche Rolle wird KI zukünftig im Automatisierungskontext spielen? Wo liegen (noch) die Grenzen?

Notizen zur Episode:


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(Teil)automatisiertes Transkript

Episode 370 : Automatisierung der Mensch-Maschine-Schnittstelle

Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.

Götz Müller: Heute habe ich Julian Gerst bei mir im Podcast-Gespräch. Er ist der Gründer einer Digitalisierungsfirma mit dem Produkt OperAID. Hallo Herr Gerst.

Julian Gerst: Hallo Herr Müller, vielen Dank für die Einladung. Ich freue mich.

Götz Müller: Ja, ich mich auch und schön, dass Sie dabei sind. Jetzt habe ich Sie schon kurz mit ein, zwei Stichworten vorgestellt. Ergänzen Sie das gerne noch mit ein paar Sätzen, damit die Zuhörer Sie da auch kennenlernen.

Julian Gerst: Ja, gerne. Mein Name ist Julian Gerst. Ich komme aus der Nähe von Stuttgart, also hier Maschinenbau-Cluster. Ich habe Bachelor of Engineering studiert, auch in einer tiefschwäbischen Stadt. Man hört's bestimmt auch an meinem Dialekt, habe es in Aalen studiert und habe vor inzwischen vier Jahren die Firma LEAD gegründet, unter der wir das Produkt OperAID vertreiben. Das Interesse an dem Maschinenbau, das gab's schon immer, hatte ich auch internationaler Wirtschaftsingenieur studiert und dann im Laufe meines Lebens, meines noch recht kurzen Lebens, bin 28 Jahren alt, das Interesse an Software-Entwicklung gefunden, und führe das jetzt zusammen mit dieser Firma und sind da ganz glücklich mit dem Weg, den wir eingeschlagen haben, aber da kann man bestimmt nachher auch noch viel dazu erzählen.

Götz Müller: Was mich an der Stelle interessieren würde, weil Digitalisierung ist natürlich ein sehr breites Feld, was waren so die Anfänge und vielleicht auch der Auslöser? Weil ich finde es auch spannend, Sie haben gesagt, einerseits Maschinenbau, andererseits Software. Wenn ich über mich selber nachdenke oder meine Studienzeit, auch wenn sie schon ewig zurückliegt, da war das ja durchaus eher so ein gewisser Widerstreit.

Julian Gerst: Ja, definitiv. Das ist ein guter Punkt. Finde ich auch ist es heute noch teilweise oder eher häufig sogar. Die Interdisziplinarität ist da nicht so sehr gegeben. Es gibt selten irgendwie die Kompetenz vom Maschinenbau, das mechanische Verständnis, das Software-Verständnis, vor allem in Hochsprachen, weil im Maschinenbau dann eben doch oft die hardwarenahe Programmierung auf SPS-Seite heimisch ist und nicht so sehr die Hochsprachenprogrammierung, die man jetzt für eine Webentwicklung oder für Digitalisierung oder für KI-Lösungen braucht. Entstanden ist es aus privaten Gründen. Mein Vater, der war Redakteur, stellvertretender Chefredakteur in einer Zeitschrift, in einer Druckzeitschrift, hatte da einen tollen Lohn und einen tollen Job. Und dann gab es eben über die letzten 20 Jahre das Aussterben der Printmedien, sage ich mal. Und dann hat die Branche einfach nicht mehr so viel Spaß gemacht. Und das hat mich dazu getrieben, irgendwas Zukunftsträchtiges zu machen, weil ich Bock hatte, was zu machen, was halt irgendwie in 30 Jahren auch noch interessant ist. Und dann habe ich während meinem Studium ein Auslandssemester gehabt und habe mich dann beworben auf eine Stelle beim Bosch in Singapur. Und da ging es dann um Software-Entwicklung. Und da habe ich dann so AR-Applikationen entwickelt zum Unterstützen von Technikern beim Austauschen von High-Voltage-Komponenten bei Automobilen. Da gab es dann ganz neu diese 48-Volt-Infrastruktur oder was das ist und da sind regelmäßig Leute draufgegangen, weil die das nicht richtig umgesetzt haben. Und es hat mir dann gezeigt, wie einfach man mit Software Sachen umsetzen kann, auch ohne großen Kapitalbedarf, wie wenn man jetzt eine Maschinenbaufirma gründen möchte, sage ich mal, und wie einfach man den Leuten auch helfen kann mit ein paar Zeilen Code, auch irgendwie Text, auch irgendwie dann doch ähnlich zu meinem Vater, ganz witzig. Und dann bin ich zurück nach Deutschland gekommen und hatte diese Software-Affinität und fand das cool und habe dann einen Werkstudenten gemacht bei einer Maschinenbaufirma hier um die Ecke. Und dort habe ich dann mein Wissen eingesetzt und habe denen geholfen, ein Tool zu programmieren. Ich habe da einen Kollegen kennengelernt. Die haben zu der Zeit angefangen, eine Lohnproduktion aufzubauen, heißt, sie haben ihren Kunden angeboten, die Maschinen, die sie herstellen, auch gleich bei ihnen stehen zu lassen, weil sie sagen, sie haben das Wartungspersonal und die Ersatzteile und das Know-how. Und dieses Business Model ist sehr stark gewachsen und dann hatten die ruckzuck 30 Maschinen dastehen und hatten halt gar keinen Überblick mehr, was eigentlich in ihrer Produktion abgeht. Und da habe ich ganz einfach denen mal ein Tool entwickelt gehabt, um eine Visualisierung, um zu sehen, was in der Produktion los ist. Das fanden dann deren Kunden ganz cool und daher kam dann die Idee, das professioneller zu machen und da was auszugründen.

Götz Müller: Da könnte man jetzt auch auf den Punkt, wenn man den Produktnamen hört, OperAID, könnte man ja vermuten, okay, man schreibt es halt, wie man es spricht, wenn man es aber gelesen hat, dann steckt da ja was anderes dahinter.

Julian Gerst: Ja, das ist ganz richtig. Man muss es tatsächlich, wenn es nur phonetisch erklärt wird, mal kurz erklären. OperAID kommt aus dem Wortteil Operate, also operieren, bedienen, eine Anlage bedienen und Aid, dem englischen Begriff für helfen. Das heißt, der Hauptfokus liegt bei unserer Anwendung inzwischen darauf, dass wir Anlagenbedienern oder Technikern, jeder, der mit einer Anlage umgeht, unterstützen in seinem Daily Doing, immer mit der Motivation, dass die Anlage morgen besser läuft als gestern.

Götz Müller: Da würde ich jetzt ganz gerne noch ein bisschen tiefer reingehen, im Sinne von, weil natürlich eben Digitalisierung ja so ein unheimlich breites Spektrum ist und jeder sein eigenes, also ein Stück weit wahrscheinlich eine eigene Form von Vorerfahrung irgendwie mitbringt, dass wir das noch ein bisschen abgrenzen, was da jetzt eben dann in dieser große Schublade Digitalisierung, was da also wirklich drinsteckt.

Julian Gerst: Ja, die Abgrenzung ist tatsächlich sehr schwer. Das habe ich in den ersten Jahren auch gemerkt, wenn man da einen Kunden anruft und sagt: Hey, wir verkaufen Digitalisierung. Frisch vom Studium, keine Ahnung von dem, was ich da eigentlich tue im Vertrieb. Dann haben alle Kunden gesagt. Ja, das haben wir bereits. Und da gab es Kunden, die hatten eine voll durchdigitalisierte SAP-Produktion und andere Kunden, die hatten ein Excel-Sheet, wo einmal einer am Tag durchgelaufen ist, vom HMI der Maschine abgeschrieben hat, wie viele Gutteile die produziert hat oder Paletten gezählt hat und dann auf einem ausgedruckten Excel-Sheet mit einem Stift eine Linie gezogen hat, damit es ein Balkendiagramm ergeben hat. Und das haben die am Ende digitalisiert. Deshalb ist es tatsächlich ein sehr weit gefasster Begriff. Wir fokussieren uns vor allem auf die Digitalisierung von Prozessabläufen auf dem Shopfloor. Das heißt, wir haben Maschinen-Daten und Betriebsdaten, die wir erfassen, müssen wir auch nicht selber tun. Wir können auf existierende Daten zugreifen. Und auf Basis von diesen Daten versuchen wir dann, Prozesse, die im Unternehmen stattfinden, abzubilden, zu digitalisieren und zu automatisieren. Natürlich gibt es auch irgendwo eine Art von Visualisierung an dem Dashboard, wo man sich Auswertungen anzeigen lassen kann, wie sind meine Maschinen gelaufen, wo gibt es Probleme in der Produktion, wo gibt es Verbesserungspotenzial, dass man auch seine Aufgaben priorisieren kann, gerade jetzt in dem Beispiel von der Lohnproduktion, die da aufgebaut wurde, in den ersten Tagen unserer Firma, da war es dann am Anfang ganz klar, welche Aufgabe man tun muss und bei 34 Maschinen war das dann nicht mehr so klar, weil alle hatten irgendwelche kleinen Sperenzchen und Problemchen, aber es war schwierig zu bewerten, was jetzt von technischer und betriebswirtschaftlicher Seite das größte Potenzial birgt, heißt die Priorisierung von den Aufgaben, war ohne Daten grundsätzlich gar nicht möglich oder halt nach subjektivem Empfinden möglich.

Götz Müller: Da höre ich jetzt eben auch raus und ich glaube, so ein Lohnfertiger, der dann unter Umständen ein extrem breites Spektrum abdeckt, weil ja gar nicht mal sein ureigenes Geschäftsmodell dahinter steckt, sondern jede Maschine hat irgendwie wahrscheinlich ein eigenes. Was hat also dann der Betreiber und vor allen Dingen eben auch der Bediener davon? Da würde ich ganz gerne ein bisschen tiefer bohren.

Julian Gerst: Ja, können wir gerne machen. Also beim Lohnfertiger, da gibt es ja mehrere verschiedene, entweder es sind wirklich Leute, die ausschließlich das Produkt produzieren. Das heißt, sie besitzen keine Maschine, vielleicht nicht mal eine Halle. Vielleicht besitzen sie einen Kompressor und haben einen Stromzugang, denen ihr einziges Potenzial, wirklich Geld zu erwirtschaften, ist es, diese Anlagen möglichst effizient zu betreiben. Heißt geringe Rüstzeiten, geringe Standzeiten, geringer Ausschuss und die Maschinen so oft und so schnell, in Anführungszeichen, laufen zu lassen, wie es irgendwie möglich ist. Das heißt, da geht es um sehr, sehr kleine Nuancen, die dann schon sehr viel Geld erwirtschaften können. Beim Product Owner ist es ein bisschen anders. Also wenn sie dann selber das Produkt besitzen, da sind die Hebel sehr viel größer. Da kann man tatsächlich in meinen Augen noch viel mehr Geld erwirtschaften. Der Lohnfertiger hat manchmal ja nicht mal Einfluss auf die Halbfabrikate, die er in seine Maschine reinschmeißt. Und wenn er da schlechte Halbfabrikate bekommt, also welche, die nicht dem Qualitätsstandard entsprechen, dann hemmt das so eine Produktion natürlich extrem. Der große Vorteil für den Lohnproduzenten ist, dass er Probleme in seiner Produktion direkt sieht, dass er eine objektive Informationsgrundlage hat, um Entscheidungen zu treffen. Das heißt, objektivere Entscheidungen, schnellere Entscheidungen und auch seine Maßnahmen, die er auf Basis von diesen Entscheidungen oder die er da eben trifft, validieren kann. Das heißt, früher ist ein Techniker zum Beispiel durch die Produktion gerannt, weil sein Chef gesagt hat: Maschine XYZ läuft nicht so gut, kümmer dich drum. Dann kam er vier Stunden später zurück, hat gesagt: Ich habe es erledigt. Dann hat der Chef gesagt: Gut, und glaubst du, es tut jetzt? Er hat gesagt: Ja, ich glaube, das tut jetzt. Und darauf hat man sich halt verlassen und dann gehofft, dass es tut und keiner mehr schreit. Und anhand von Daten kann man jetzt eben wirklich nachweisen: Gut, diese Abhilfsmaßnahme war die korrekte für dieses Problem. Und kann es dann auch replizieren und sagen: Das nächste Mal, wenn dieses Problem auftritt, bitte mach genau diese Abhilfsmaßnahme. Gerade in großen Firmen, wo es mehrere Techniker gibt, kann es gut sein, dass es für dasselbe Problem vier verschiedene Lösungen gibt. Der Anlagenbediener im Gegenteil, der hat einen anderen Vorteil, der bekommt einfach eine direkte Möglichkeit, in diesem Komplex, in dieser Firma, in dieser Wirtschaft mitzuwirken. Oft sind die ja, ich sage mal ganz böse, das unterste Glied in der Hierarchie, die machen Arbeit an der Maschine, aber das ist tatsächlich auch die Arbeit, die das Geld bringt, die getan werden muss, aber haben nicht wirklich einen Impact, an den Prozessen in der Firma teilzunehmen. Heißt, wenn die ein Problem haben, müssen sie zum Schichtmitarbeiter laufen, hoffen, dass der dieselbe Sprache spricht, mit dem kommunizieren, an Informationen zu kommen, wie man ein Problem beheben kann, kann unter Umständen sehr, sehr schwierig sein. Oft haben die gar nicht die Mittel und Wege, um Probleme zu beheben. Oft wird ihnen das Rüsten oder das Reinigen von der Anlage gar nicht zugetraut, weil es eben keine klaren prüfbaren Prozesse gibt. Und mit so einer unterstützenden Software wie OperAID gibt man Mitarbeitern die Möglichkeit, Tätigkeiten zu übernehmen, die über ihren Alltag hinausgehen, weil man sie befähigt, mit Guidances, mit Anleitungen, mit heutzutage auch KI, Aufgaben zu übernehmen, die eigentlich nicht in dem Tätigkeitsspektrum sind, was natürlich dann auch wieder Kapazität schafft bei den Technikern, um tatsächliche Optimierung anzustreben. Und ein Kunde von mir sagt immer so nett: Vor die Welle zu kommen, nicht immer nur hinterher zu rennen, sondern auch mal so zu arbeiten, dass man sagt, gut, in Zukunft wird dieses Problem nicht mehr auftreten.

Götz Müller: Jetzt habe ich, da wo ich Sie kennengelernt habe, bei dem Vortrag, habe ich auch noch was anderes rausgehört, nämlich, ich nenne es jetzt mal Seiteneffekte, die ja ein Stück weit, so habe ich es zumindest wahrgenommen, rausgehört, die fast nur indirekt entstehen und vielleicht am Anfang gar nicht der Grund sind, jetzt etwas zu digitalisieren oder zu automatisieren.

Julian Gerst: Ja, ich weiß jetzt tatsächlich nicht ganz genau, was Sie raus wollen, Herr Müller, aber da gibt es definitiv etliche, wenn ich die Frage richtig verstanden habe. Also wenn man so eine Lösung implementiert, dann muss man ja erstmal Vertrauen schaffen in die Daten, in die Ergebnisse, die da angezeigt werden. Und da gibt es als Nebeneffekt, sage ich mal, immer ein bisschen Misstrauen am Anfang, weil jeder Produktionsleiter gibt seit zehn Jahren Gas in seiner Firma und gibt sein Bestes und wenn man dann so eine objektive Visualisierung oder Reporting da reinbringt, dann zeigt das natürlich Defizite auf und das kann man dann als Chance sehen und sagen, cool, ich habe ja noch richtig Luft, ich kann ja wirklich noch was tun, aber gleichzeitig ist es natürlich auch ein bisschen ein Ego-Ding, dass man sagt, hä, ich dachte ja, alles läuft hier schon super. Ja, so gut läuft es dann ja vielleicht doch nicht. Das heißt, es ist auch sehr viel beim Implementieren von so einem System, Vertrauen in das System schaffen, die Mitarbeiter, denen beizubringen, wie man mit so einem System umgeht, wie man dann entsprechende Maßnahmen ableitet und wie man dann auch langfristig davon profitiert, dass einen das System auch motiviert. War das ein bisschen der Punkt, auf den Sie raus wollten oder habe ich das falsch verstanden?

Götz Müller: Ich würde es nicht als falsch verstehen bezeichnen. Das ist jetzt nicht genau das, was ich im Hinterkopf hatte, aber ich finde es einen absolut wichtigen Punkt. Was, und Sie hatten es ja angedeutet, was meiner Ansicht nach durchaus eine gewisse Hürde sein kann, die man ein Stück weit, glaube ich, sogar von dem Thema Digitalisierung und Automatisierung lösen kann, weil im Grunde betrifft es mich indirekt selber als Berater, wenn ich halt irgendwo hingehe und dann vielleicht rauskommt, dass, besagter Produktionsleiter oder irgendein anderer Verantwortungsträger, vielleicht einen Tick zu wenig gemacht hat, was auch immer die Ursache des Zu-wenig- gemacht-habens sein mag. Dann entsteht halt durch solche externen Dinge, nenne ich es jetzt mal ganz allgemein, entsteht halt eine Transparenz, die manchen dann so ein bisschen im Extremfall sogar am Stuhl sägt.

Julian Gerst: Ja, definitiv. Keine Frage. Wobei ich unterstelle da keinem, dass er irgendwie zu wenig tut, sondern ich sehe es tatsächlich immer wieder, und das ist die absolute Mehrheit, dass man einfach nicht die Handlungsgrundlage hatte. Man wusste nicht, was man besser tun kann. Man handelt immer aus bestem Gewissen. Ich denke, fast jeder in der führenden Position von SME, von Small-Medium-Sized-Enterprises, der ackert. Also die Leute, die ich kenne, die geben wirklich Gas und die geben ihr Bestes, aber oft fehlen ihnen einfach die Mittel. Deshalb auch das Aid in OperAID. Wir versuchen, wir sind nur ein Enabler. Vielleicht dann nochmal zu dem Thema Digitalisierung, um das dann nochmal zurückzugreifen. Digitalisierung ist ja wirklich ein weitläufiger Begriff. Wir kennen die Prozesse nicht besser als die Firma selbst, aber wir versuchen sie zu enablen, die Prozesse digital abzubilden, zu optimieren, replizierbar zu machen und den Mitarbeitern tatsächlich die Hilfestellung zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu geben, die sie benötigen. Oft ist es ja nicht die Tätigkeit an sich, hier einen Spaltmaß anders einzustellen, hier eine Schraube fester anzuziehen, hier eine Kamera zu reinigen, sondern nur das fehlende Wissen, dass das jetzt die richtige Tätigkeit gewissen wäre.

Götz Müller: Weil man die, weil die Kopplung halt auf das, was dann dabei rauskommt, weil das halt nicht offensichtlich ist, im Sinne von transparent.

Julian Gerst: Erstens Transparenz, ganz klar. Zweitens aber auch die Aufgabe Priorisierung. Je größer die Produktion ist, sagen wir mal 20 Maschinen, da läuft keine Maschine mit 100 Prozent Gesamtanlageneffektivität zu 99,9 Prozent. Ich kenne keine Produktion, wo es so ist. Und jede Maschine hat so seine Sperenzchen und hat so seine Problemchen. Wenn jetzt jeder Operator, Anlagenbediener zum Techniker oder zum Instandhaltungspersonal kommt und die Wehwehchen der Maschine aufzählt, woher weiß das technische Personal, wo es hingehen soll? Wo hat es den größten Hebel? Es hat ja einerseits mal einen technischen Aspekt. Wie groß ist das Problem, das an der Maschine anliegt tatsächlich? Ist die Störung wirklich tausendmal aufgekommen, wie es der Anlagenbediener gesagt hat, aber vielleicht immer nur eine Sekunde lang. Oder gab es vielleicht bei einer anderen Maschine eine Störung, die nur einmal aufgetreten ist, aber in der Gesamtlänge insgesamt länger. Das heißt, wir können ein technisches Potenzial errechnen, um zu sagen, welche Priorität von technischer Seite aus, welche Aufgabe hat die höchste Priorität. Und dann kann man noch den wirtschaftlichen Aspekt reinspülen, dass man sagt, es gibt bestimmte Produkte, die aktuell Vorrang haben. Es gibt bestimmte Maschinen oder Badges oder weiß der Geier, dass man auch diesen wirtschaftlichen Aspekt mit reinbringt, um dann eine Gesamtsignifikanz der einzelnen Aufgaben zu bewerten.

Götz Müller: Das geht jetzt so ein bisschen in Richtung des Punktes, den ich da im Kopf hatte, was ich eben rausgehört habe, nämlich, dass es dem Anlagenhersteller, also nicht dem Betreiber, der ganz dicht dran ist, sondern dem Hersteller auch, so habe ich es rausgehört, eben tiefere Einblicke gibt in Dinge, die er möglicherweise sonst so nie beobachten könnte. Jetzt in diesem konkreten Fall natürlich des Lohnfertigers, der die Maschinen für seine Kunden, die selber gefertigten Maschinen für seine Kunden selber betreibt, glaube ich, multipliziert sich dieser Effekt ja nochmal.

Julian Gerst: Einerseits ja, andererseits nein, um ehrlich zu sein. Der Maschinenbauer hat auf jeden Fall ein immenses Potenzial. Wir arbeiten auch sehr, sehr gerne mit Maschinenbauern zusammen. Wir sind ja eine kleine Firma und für uns ist das der größte Hebel. Wir befähigen den Maschinenbauern, ein digitales Produkt mit anbieten zu können und wettbewerbsfähig zu bleiben, um die Maschine zu verbessern. Und der Maschinenhersteller hat dann einen Wettbewerbsvorteil plus die Möglichkeit, seine Maschine, wenn sie beim Kunden steht, noch ein bisschen besser kennenzulernen. Unser Fokus liegt ja auf Montage- und Verpackungsmaschinen und Abfüllanlagen, heißt mehrstufigen Prozesssystemen. Das ist das, wo wir herkommen. Und da sind es ganz oft Einzelfertigungen der Maschine. Das heißt, beim Verlassen des Maschinenherstellers gibt es maximal fünf oder drei bis zehn Stunden Zeit, wo die Maschine mal kontinuierlich gelaufen ist für die Final Acceptance Tests. Und das reicht in der Regel nicht aus, um einen Dauerbetrieb der Maschine abzubilden. Das heißt, es gibt wenig Erfahrung über die Maschine, die Prozesse und die Langzeitauswirkung bei vollem Betrieb. Und wenn wir jetzt dem Maschinenhersteller die Möglichkeit geben, auch Übersee, also gar nicht unbedingt wie in dem Beispiel mit dem Lohnfertiger, der gleich nebendran ist, sondern auch Übersee, wenn die Maschine nach Brasilien ausgeliefert wurde, die Möglichkeit zu geben, draufzuschauen, wie läuft meine Anlage, was für Probleme gibt es, spart der sich natürlich arg viel Kohle, bevor er einen teuren Mitarbeiter nach Brasilien schickt, mal zu schauen: Ist es denn überhaupt ein technischer Defekt der Maschine? Ist es vielleicht eine Fehlbedienung des Anlagenbedieners? Liegt es vielleicht am Halbfabrikat, dass der Maschine zugefügt wird? Das heißt, hier kann man dann schon mal anfänglich differenzieren. Plus: Aktuelles Beispiel, ein Maschinenbauer, auch bei uns um die Ecke, Automobilzulieferer, baut modulare Maschinen, da hat es verschiedene Operational Processes in einer großen, komplexen Linie, hier auch Zusammenhänge zwischen den einzelnen Modulen zu betrachten. Heißt Lagezeiten, wie lange werden Teile gebuffert, sind einzelne Module vielleicht zu schnell oder zu langsam für den Dauerbetrieb, wie lange muss man den Ofen vorheizen, ist der Ofen lang genug, braucht man vielleicht noch neue Buffer da drin. Das sind alles Erfahrungen, die man dann für neue Angebote, für neue Linien desselben Typs mit implementieren kann, was dann auch wieder ein Verkaufsargument ist beim Anbieten neuer Anlagen.

Götz Müller: Jetzt würde ich ganz gerne noch mindestens zwei Punkte adressieren. Das eine hatten Sie auch schon ein bisschen erwähnt, eben nochmal auf die Ebene des Menschen kommen, also Bediener einerseits, direkt an der Maschine, die Techniker. Jetzt verändert für die sich ja ihr typisches Arbeitsumfeld. Und ich könnte mir vorstellen, weil Menschen sind ja alle Individuen, nicht jeder reagiert gleich auf solche Dinge. Und einfach da auch die Frage, die ich im Grunde immer stelle, was erleben Sie da und welche Tipps können Sie ein Stück weit auch geben, wie man typischerweise eben mit Vorbehalten umgeht?

Julian Gerst: Ja, also ich weiß nicht, ob ich da der Richtige bin, um Tipps auszusprechen. Da gibt es vielleicht auch noch Leute wie Sie zum Beispiel, die da mehr Erfahrung haben, weiß ich nicht, aber die Erfahrung, die ich habe, die teile ich gerne und die sind eigentlich recht positiv, muss ich sagen. Wir haben, oder mein größtes Learning war, die Mitarbeiter haben gar kein Problem mit einem neuen System, abgesehen mal von technischen Schwierigkeiten, wenn sich jemand grundsätzlich weigert, ein Handy oder ein iPad zu verwenden und das noch nie gemacht hat, dann muss er das halt lernen oder er lässt es sein, aber so ist es auch mit einem Schraubenzieher. Man kann die Leute sehr gut mitnehmen, wenn für die Leute selber ein Benefit rausspringt. Das war wirklich unser Learning. Wenn man denen nur über ein digitales System Aufgaben zuschustert und sagt, du machst jetzt das, du machst jetzt das, du machst jetzt das, dann haben die keinen Bock darauf. Die wollen nicht von der Maschine diktiert werden. Das ist meine Erfahrung. Wenn man denen aber die Möglichkeit gibt, selber was in das System mit einzubringen, das ist das, was ich am Anfang erwähnt hatte, dann finden die das cool. Jetzt gehen wir mal von einem Anlagenbediener aus, der an der Anlage steht. Der hatte bisher vielleicht gar nicht die Möglichkeit, auf Basis seiner Leistung Bonuse zu bekommen. Mit einer technischen Erfassung von den Leistungsdaten ist das möglich. Das heißt, hier kann was für ihn rausspringen. Wenn er schon die Möglichkeit hatte, dann hatte er immer das Problem, nachzuweisen, dass seine Anlage vielleicht gar nicht gut lief, weil die Anlage einen Defekt hatte. Das heißt, er möchte eigentlich mitteilen: Die Anlage läuft gerade nicht ganz gut, aber es liegt nicht an mir, sondern es liegt an dem technischen Defekt der Anlage oder an dem zugeführten Halbfabrikat. Deshalb sind die immer auch auf das technische Personal zugegangen oder auf ihren Schichtleiter und haben gesagt: Hey, meine Anlage macht Probleme, bitte hilf mir doch, bitte mach das. Wenn sie denn konnten und keine Sprachbarriere hatten. Jetzt haben wir denen ein System gegeben, das sie nicht nur zuschustert mit Aufgaben, sondern eben auch die Möglichkeit gibt, Probleme an ihrer Anlage zu melden. Das heißt ein mehrstufiges Eskalationssystem. Wenn er ein Problem hat, wird im Ersten die KI angefragt und die KI gibt ihm eine Abhilfsmaßnahme auf Basis von hinterlegten Handbüchern, GMP-Dokumenten, Qualifizierungsdokumenten und solche Geschichten. Wenn das nicht ausreicht, hat er die Möglichkeit, selber Guidances anzulegen oder existierende Guidances, also Anleitungen, Schritt-für-Schritt-Anleitungen durchzuführen. Sollte dann ein Problem immer noch existieren, kann man individuelle Eskalations-Workflows anlegen, wo man sagt, welcher Mitarbeiter mit welcher Information benachrichtigt wird. Das heißt, der Mitarbeiter, der Anlagenbediener hat dann die Möglichkeit zu sagen: Ich habe ein Problem an meiner Anlage. Das ist technischer Natur. Alle Standard Operating Procedures, die ich durchgeführt habe, haben das Problem nicht beheben können. Ich benötige die Hilfe von einem Techniker. Und das macht er mit einem Knopfdruck an seiner Anlage. Und dadurch wird der gesamte Prozess angetriggert. Der, wo er sich um den Bonus kümmert oder um die Leistungsdaten kümmert, weiß, ab jetzt liegt es nicht an dem Anlagenbediener. Und die Aufgabe wird weitergeleitet an den Techniker, der dann vorbeikommt. Und hier ist dann die Rückkopplung. Der muss nicht mehr rumrennen und fragen, sondern kann an seiner Anlage bleiben. Der Techniker oder entsprechendes Personal kommt auf den zu und sagt: Hey, ich habe mitgekriegt, du hast ein Problem. Das wurde bei uns jetzt hier sehr wichtig priorisiert. Wie kann ich dir helfen? Und das fanden die alle ziemlich cool.

Götz Müller: Ich bin da absolut bei Ihnen. Ich kann mir das sehr gut vorstellen, weil es eben den Menschen einen weiteren Hebel gibt gleich, auch wenn jetzt vielleicht der Begriff Echtzeit da jetzt im klassischen Sinne ein bisschen übertrieben ist, aber ich eben nicht erst am Schichtende oder im Extremfall am Wochenende, am Ende der Woche merke, da hatte ich irgendein Problem und deshalb ist der Ausstoß nicht so hoch, wie er hätte sein sollen, ich jetzt an der Stelle aber nichts mehr korrigieren kann, weil die Woche ist rum.

Julian Gerst: Ja, und dann geht es wieder nur um Rechtfertigung, sondern man hat unmittelbar die Möglichkeit, sein Problem kundzutun und eine entsprechende Standard Operating Procedure anzustoßen und mit diesem Prozess, den man digital abgebildet hat, auch zu wachsen. Heißt, wenn sich hier neue irgendwelche Ereignisse aufzeigen, neue Probleme, die in dem Workflow, in diesem SOP noch nicht abgebildet sind, kann man die nachträglich einbetten. Das heißt, man kann hier so mit seinem Unternehmen dann wachsen, die Prozesse wachsen lassen, kann das personenbezogene Wissen auf ein digitales System übertragen, hat dann auch kein so großes Problem mehr bei Fluktuation oder bei einem Verlust von einem sehr wissensreichen Mitarbeiter. Bietet schon viele Vorteile.

Götz Müller: Ja, das ist ein Stück weit Wasser auf meine Mühlen.

Julian Gerst: Sie müssen es doch genau wissen, also wenn Sie zu einem Unternehmen gehen und sagen: komm wir machen jetzt mal hier Prozesslandschaft und fragen, wie ist denn die Eskalationsstrategie bei einem Ausschussthema an Ihrer Anlage und dann in die Runde gucken, bekommen Sie von drei Leuten wahrscheinlich vier verschiedene Antworten.

Götz Müller: Sie sagen es.

Julian Gerst: Und von daher es ist schon cool.

Götz Müller: Und jeder guckt immer den anderen an und der Finger weist dann auch immer in die andere Richtung, ja.

Julian Gerst: Genau. Und da ist natürlich schön, auch so Grundlagenarbeit zu machen und sich mal grundlegende Gedanken über Prozesse zu machen und dann ein System zu haben, das sich an die Prozesse im Unternehmen anpasst und nicht andersrum. Das ist der Vorteil in einem kleinen Unternehmen jetzt im Vergleich zu einem SAP.

Götz Müller: Ja, das war jetzt aber schon ein gutes Stichwort, im Grunde fast wie eine natürliche Überleitung. Nämlich, hinter SAP steckt für mich jetzt sowas wie eine IT-Landschaft eines Anlagenbetreibers. Und da nehme ich durchaus auch mal immer wieder, nennen wir es mal vorsichtig, gewisse Vorbehalte wahr. Und auch da die Frage, weil ich in meiner Wahrnehmung immer wieder auf Unterschiede stoße, wie damit umgegangen wird, wenn neue, und jetzt glaube ich in Ihrem Fall könnte man es, und das soll jetzt keine Wertung sein, ein relativ kleines System auf einer relativ, in Anführungszeichen, niedrigen Ebene, in eine IT-Landschaft eingebunden wird, passiert es dann manchmal, dass bestimmte Gruppen irgendwie so geschlossen einen Schritt zurückgehen. Und da eben auch nochmal die Frage, wie gehen Sie damit um? Wie erleben Sie das? Vielleicht ist es für Sie ja überhaupt kein Thema. Wenn es doch ein Thema sein sollte, wie gehen Sie damit um? Weil ich auch da eben glaube, über den Aspekt Veränderung man immer nur voneinander lernen kann.

Julian Gerst: Ja, ist ein Punkt, was ein bisschen ein Problem ist im Vertrieb von unserem Produkt, ist, dass der große Mehrwert bei den Anwendern entsteht und nicht bei demjenigen, der einen Geldbeutel aufmacht. Das heißt, wenn wir das an produzierende Unternehmen und nicht über Maschinenbauer verkaufen, dann entsteht der größte Mehrwert beim Anlagenbediener und beim technischen Personal, vielleicht noch beim Produktionsleiter. Das ist aber in der Regel nicht der, der das Budget dafür verfügbar hat. Wir haben unsere Lösung als schlüsselfertige Lösung. Das heißt, wir können vorbeikommen, wir implementieren das für eine Evaluierungsphase, für einen schmalen Taler und versuchen in diesen Monaten der Evaluierungsphase den Mehrwert des Systems zu beweisen, in Anführungszeichen. Und wenn man das monetär aufzeigt, dann fällt es dem Entscheider auch nicht mehr so schwer, da Entscheidungen zu treffen. Aber für uns ist der größte Vertriebshebel nach wie vor die Maschinenbauer, mit denen wir kooperieren, weil man hier mit Neumaschinen den sehr großen Mehrwert liefern kann, gerade beim Ramp-up von solchen Maschinen, Erfahrung sammeln mit den Maschinen. Und über die Maschinenbauer kommt man dann auch bei den Kunden ganz gut rein. Die sammeln Erfahrung mit dem System und haben dann Interesse, das natürlich auf weitere Maschinen in ihrem Anlagenpark auszurollen. Ich denke, die größte Hürde bei uns ist die IT, die dann ab und zu einen Riegel vorschiebt und sagt: Oh, oh, oh, Digitalisierung und vielleicht sogar Cloud und, Achtung, und weiß der Geier. Hier haben wir verschiedene Möglichkeiten. Wir können das dem Unternehmen an die existierende IT-Infrastruktur anbinden. Wir müssen die Daten auch nicht selbst erfassen. Wir können auf existierende Daten zugreifen. Wir können die Daten aber erfassen. Wir können die dann auch für andere Systeme bereitstellen. Oder wir machen es als komplett autarke Lösung, machen einen UMTS-Stick und ein kleines Edge-Gateway rein und schließen das dann an die entsprechende Steuerung der Maschine an und sind dadurch komplett außen vor von der IT-Infrastruktur. Oft ist es auch eine Zwischenlösung, gerade die Maschinenbauer für sich nutzen, um Einblick auf die Maschine zu erhalten. Oder bevor die Maschine in Betrieb geht oder ans interne Maschinennetzwerk des Kunden überhaupt angebunden wird, direkt nach der Auslieferung, damit man hier keine wichtigen Daten verpasst und man ein bisschen zwischenzeitlich trotzdem die Lösung nutzen kann.

Götz Müller: Ja, das entspricht auch den Dingen, die ich immer mal wieder raus höre. Gerade das Stichwort Cloud wird ja manchmal als Voodoo dritten Grades oder sowas betrachtet.

Julian Gerst: Ja, durchaus. Aber ich habe fast das Gefühl inzwischen, dass das Thema Cloud, es wird definitiv immer mehr akzeptiert, vor allem von den größeren Kunden, die da natürlich auch mehr Geld rein investieren, mehr Erfahrung haben, mehr Personal dafür haben. Jetzt inzwischen ist das Voodoo-Thema wohl eher KI. Wo sind meine Daten? Wer hat darauf Zugriff und wer sieht das? Und die ganze Geschichte. Das rückt das IT-Thema fast manchmal ein bisschen in den Hintergrund, weil das ja schon die Grundvoraussetzung ist, um überhaupt mal irgendwas mit KI machen zu können.

Götz Müller: Ja, das bringt mich im Grunde jetzt auch zu meiner letzten Frage, nämlich so ein bisschen in die Zukunft und im Kontext von KI, im Kontext von Automatisierung. Was ist Ihre Prognose, wo es hingehen wird, wo vielleicht aktuell aus heutiger Sicht immer noch Grenzen bestehen, wo man noch nicht weiß, wie man drüber kommt?

Julian Gerst: Also ich bin nicht der größte KI-Experte vorm Herrn. Ich denke, da gibt es viele Leute, sehr kluge Leute, die sich da Gedanken drüber machen. Aus meiner Perspektive kann ich aber sagen, dass ich denke, die KI wird ganz viel helfen bei Anomalieerkennung in Produktionen. Heißt das reine Monitoring und Reporting, denke ich, wird mittelfristig nicht mehr notwendig sein, zumindest auf dieser flacheren Ebene bei Anlagenbedienern und Technikern, weil hier Algorithmen in der Lage sein werden, entsprechende Auffälligkeiten zu entdecken, Aufgaben daraus zu erstellen und die zu priorisieren und mehr oder weniger automatisch selbstlernend an die richtigen Mitarbeiter im Unternehmen zu distributieren. Das heißt, große Aufgaben, Pakete, die jetzt ein technischer Leiter, ein Produktionsleiter hat, werden hier abgenommen und werden hier unterstützt. Wo ich Hürden sehe oder was ich als schwierig erachte, ist gerade bei dem Thema vollautomatisch Abhilfsmaßnahmen zu generieren oder Vorschläge von Parametern für Maschinen zu generieren auf Basis von vergangenen Daten durch KI. Hier, denke ich, braucht man in Zukunft immer noch einen Human in the Loop, der das bestätigt oder nicht bestätigt. Man kann hier natürlich in gewissen Toleranzen arbeiten, aber gerade die Pharmaziekunden, die GMP-konform produzieren, haben da strikte Vorgaben und da dürfen nur Werkzeuge genutzt werden, die eindeutig definiert sind, wo man weiß, auf Basis von welchen Daten wurden welche Entscheidungen getroffen, was bei manchen KIs nicht ganz so einfach ist und wo man ganz strikt in bestimmten Parameterbereichen, sage ich mal, bleiben muss. Ich glaube, da wird man auf sehr lange Zeit noch irgendwo ein Human in the Loop bleiben. Weniger aufgrund der technischen Restriktionen, sondern eher aufgrund der legislativen Restriktionen.

Götz Müller: Ja, und dann die Algorithmen, glaube ich, also das ist zumindest meine Schlussfolgerung, weil die Algorithmen innerhalb der KI, ein Stück weit glaube ich sogar, dass es so sein muss, dass sie gar nicht mehr nachvollziehbar sind, weil wenn es im Grunde nur das menschliche Denken abbilden würde, man dann maximal auf die Geschwindigkeit abzielen könnte, aber mehr nicht. Und andererseits ist es aber noch ein Stück weit ein Fluch, also ein Segen und Fluch zugleich.

Julian Gerst: Ja, also da ist auf jeden Fall noch ganz viel Luft. Ich denke, die wenigsten, die im produzierenden Gewerbe unterwegs sind, nutzen KI überhaupt schon gewinnbringend, die allerwenigsten, meine Erfahrung. Und da ist sehr, sehr viel Potenzial mit sehr, sehr einfachen Anwendungsfällen, wo es jetzt gar nicht um so eine Hightech geht, sondern tatsächlich um einfache Textgenerierung oder einfache Anomalieerkennung, wo man keine fixen Grenzwerte mehr braucht oder solche Geschichten. Man muss auch gar nicht immer mit Kanonen auf Spatzen schießen, sondern ich habe wirklich die Erfahrung gesammelt in den letzten Jahren, dass man mit sehr kleinen Modellen, mit sehr kleinen Algorithmen so einen echten großen Mehrwert bringen kann. Die Einfachheit macht es oft.

Götz Müller: Ja, und die dann wiederum eben auch die Möglichkeit birgt, da hatte ich, wenn ich mich recht entsinne, auch schon eine Episode dazu, dass ich halt autonome KI-Systeme habe, wo die Daten mein Werkstor gar nicht verlassen und dann auch wieder eine mentale Hürde gar nicht existiert, weil die Daten eben gar nicht weg sind, sondern weil es wirklich eine ganz lokale KI-Lösung ist.

Julian Gerst: Ja, das ist immer eine Frage vom Geld. Aber da haben die wenigsten Kunden meiner Erfahrung nach Interesse, eine eigene KI aufzusetzen, weil man es pflegen muss, weil man Leute braucht, die sich darum kümmern, die da auch das Know-how aufbauen. Technisch ist das heutzutage alles mit wenigen Handgriffen möglich. Es ist immer die Frage, ob man seine Kernkompetenz darin sieht oder ob man das vielleicht dann doch lieber abgibt. Es gibt ja auch größere Anbieter wie bei uns in Deutschland, die Schwarz-IT oder so, die einen da unterstützen können.

Götz Müller: Ja, gut. Wenn ich so meine Liste der Punkte durchgehe, bin ich durch. Habe ich Sie irgendwas noch nicht gefragt, wo Sie sagen, das wäre noch ein spannender Punkt gewesen?

Julian Gerst: Spontan fällt mir nichts ein, aber ich habe das hier auch echt eher als ein offenes, entspanntes Gespräch gesehen und ich fand, das war's. Vielen Dank auf jeden Fall für die Einladung. Hat sehr Spaß gemacht. Ich denke, wenn es da noch irgendwelche großen Rückfragen zu geben sollte, werden Sie das mitbekommen, dann kann man da bestimmt auch nochmal dran anknüpfen.

Götz Müller: Genau, ich werde auf jeden Fall Ihre Kontaktdaten mit in die Notizen zur Episode nehmen. Und an der Stelle danke ich Ihnen für die Zeit, für die wieder interessanten Einblicke.

Julian Gerst: Besten Dank auch an Sie, Herr Müller. Hat Spaß gemacht.

Götz Müller: Das war die heutige Episode im Gespräch mit Julian Gerst zum Thema Automatisierung der Mensch-Maschine-Schnittstelle. Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 370.

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Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.
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