Kaizen 2 go 372 : Erkenntnisprozesse


 

Inhalt der Episode:

  • Welche Formen mehr oder weniger ablehnender Reaktionen begegnen Dir typischerweise im Kontext von Führungskräfte-Coaching im Vorfeld einer Beauftragung?
  • Welche Ursachen vermutest Du dahinter?
  • Wie gehst Du mit diesen Widerständen bzw. der Ablehnung um?
  • Wie lässt sich der Nutzen von Coaching vermitteln, ohne im Zweifelsfall eigene Defizite oder Versäumnisse der betreffenden Person offenzulegen und damit weiteren Widerstand auszulösen?
  • Welche „Denkfehler“ liegen möglicherweise dieser Einstellung zugrunde?
  • Wie gehst Du mit Reaktionen um, die das Thema primär erstmal auf andere ableiten?
  • Gibt es so etwas wie „Schlüsselmomente“, in denen die betreffenden Personen doch den Wert von Coaching erkennen?
  • Wenn es einen einzigen Impuls gibt, der den Erkenntnisprozess anstößt, welcher wäre das? Wie kann man ggf. diesen Impuls vorbereiten, ohne dass wieder Widerstand die Folge ist?

Notizen zur Episode:


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(Teil)automatisiertes Transkript

Episode 372 : Erkenntnisprozesse

Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.

Götz Müller: Heute habe ich Imre Marton Reményi bei mir im Podcast-Gespräch. Er ist der Geschäftsführer der Vienna International Management School. Hallo Imre.

Imre Marton Reményi: Hallo Götz, schön bei dir zu sein.

Götz Müller: Ja, schön, dass du dabei bist heute. Ich habe schon ein kurzes Stichwort zu dir gesagt, aber stell dich gerne nochmal den Zuhörern in ein paar Sätzen vor.

Imre Marton Reményi: Ja, sehr gerne. Ich bin Dr. Imre Marton Reményi und Geschäftsführer und Gründer der Vienna International Management School. Und die hat noch eine kleine Unterabteilung, das ist Leo Wien. Bei Gelegenheit erkläre ich das sehr gerne. Daneben bin ich Universitätslektor, Vortragender und auch Psychotherapeut, Organisationsberater und was alles dazu daherkommt.

Götz Müller: Jetzt haben wir, glaube ich, auf den ersten Blick uns heute ein spannendes Thema ausgesucht, beziehungsweise den Titel, den ich so gewählt habe, Erkenntnisprozesse.

Imre Marton Reményi: Ja.

Götz Müller: Und so ein bisschen einleitend meine erste Frage. Im Kontext von Erkenntnis haben wir ja Reaktionen, im Coaching zum Beispiel ja auch, hattest du gerade schon als Stichwort gesagt, und immer mal wieder ablehnende Reaktionen. Was würdest du sagen, was begegnet dir da und vielleicht ein Stück weit schon, woran liegt es?

Imre Marton Reményi: Also die Ablehnung beginnt meist gleich vor dem Coaching oder der Beratung oder wie immer man es nennt und wird dann erst im ersten, zweiten, dritten Treffen so aufgelöst, weil verschiedene Menschen, die zu mir kommen oder zu mir geschickt werden, falsche Vorstellungen davon haben, was sie da erwartet. Manche denken, jetzt werden sie kontrolliert, überprüft, ob sie denn auch wirklich gut sind für die Position, die sie haben. Andere sehen das vielleicht als eine Art Strafmaßnahme sogar ihrer Vorgesetzte, im Sinn von: Du warst schlimm, du musst ins Coaching oder du musst in die Beratung. Wieder andere sehen das auch als eine Art Korrekturmaßnahme im Sinn von, sie sollen hier im Coaching, in der Beratung repariert werden, so wie in einer Autowerkstatt. Man gibt das Auto mal kurz ab, es wird repariert und dann wird es wieder abgeholt. Und da am Anfang gleich dagegen zu wirken, ist die erste und wichtigste Herausforderung, die ich immer wieder habe. Und vor allem, ich beschäftige mich seit 30 Jahren mit dem Thema Leadership, also Führung, im Gegensatz zum Management. Und daher habe ich es auch sehr oft mit Führungskräften zu tun, die dann noch mehr Ängste haben im Sinne von: Oh, das könnte das Ende meiner Karriere sein oder da wird über mich berichtet anschließend, was ich da alles gesagt habe. Und die Gegenbewegung dazu ist einfach, mir am Anfang solcher Prozesse, und das sind immer Prozesse, das sind nie einmalige kurze Interventionen, Zeit zu nehmen. Einfach den Leuten, die zu mir kommen, auch Zeit zu lassen, ihnen Raum zu geben und ihnen vor allem die Möglichkeit zu geben, mich und die Situation richtig einzuschätzen. Das heißt, dass ich sie vielleicht am Anfang frage, was führt sie überhaupt zu mir und dann heißt es: Ja, mein Chef hat mich geschickt. Oder so etwas. Und dann aber gleich, bevor wir anfangen: Was müssen Sie denn über mich wissen, damit Sie hier etwas Gutes für Ihre eigene persönliche Entwicklung mitnehmen können? Und allein die Tatsache, dass sehr schnell die Coachees eingeladen werden, Fragen über den, der sie coachen soll, zu stellen, löst schon sehr viel Anspannung. Gleichzeitig gibt es auch Gelegenheit, Befürchtungen anzusprechen und Sorgen zu artikulieren.

Götz Müller: Jetzt an der Stelle vielleicht nochmal nachgefragt. In meiner Wahrnehmung, in anderem Kontext gibt es ja einerseits offenen Widerstand und manchmal eben auch versteckten Widerstand. Vielleicht da nochmal abgegrenzt, wenn es wirklich wichtig ist. Ich stelle mir da jetzt selber gerade spontan die Frage, ob es wirklich wichtig ist. Ist es mehr versteckter Widerstand? Ist es mehr offener Widerstand? Und b, wie sieht dann eben in den beiden Fällen der Umgang damit aus?

Imre Marton Reményi: Also es gibt natürlich beide Formen, das ist ganz klar und sie vermischen sich auch oft. Oft wird eine Sorge oder eine Befürchtung artikuliert wie ‚Und was werden sie dann nachher meinem Chef berichten?‘ oder ‚Wie vertraulich ist das denn wirklich, was wir hier miteinander besprechen?‘ und andererseits aber auch versteckt im Sinn von, dass die Klienten einfach um den heißen Brei herumreden. Und natürlich merke ich das auch und ich sage mir, das ist durchaus legitim, weil Coaching oder Beratung in jeglicher Form, auch Psychotherapie natürlich, ist eine sehr vertrauensvolle Angelegenheit. Das heißt, wir brauchen eine vertrauensvolle Basis, eine Situation, in der der Klient, die Klientin sich sicher fühlt. Und daher kommt auch immer wieder von mir die Frage: Was brauchen Sie von mir, damit Sie sich hier sicher fühlen, damit Sie über die Dinge, die wirklich wichtig sind für Sie, reden können. Und es wird auch gerade bei versteckten Widerständen nicht sofort das wichtigste Thema kommen, sondern zuerst vielleicht sogar ein Test: Was hat Ihnen denn mein Chef über mich gesagt? Und ich sage dann ganz genau, was der Chef gesagt hat. Ich zeige vielleicht sogar das E-Mail, das mir der Chef geschrieben hat, wie er mich angeheuert hat, um mit diesem Mitarbeiter ein Gespräch zu führen. Und vor allem sage ich dem Mitarbeiter, der bei mir ist, auch: Schauen Sie, nach der Sitzung von heute haben Sie die Möglichkeit zu entscheiden, ob Sie den Prozess weiter bei mir machen wollen oder ob Sie sich nach jemand anderem umschauen wollen. Ich stelle also meine Position zur Disposition und damit hole ich meinen Klienten und natürlich auch mich auf eine Lage, auf ein Setting der Augenhöhe ein. Das heißt, es ist nicht so, dass er mir hilflos ausgeliefert ist, noch bin ich da unbedingt verpflichtet, dieses Coaching zu machen. Und ganz spezielle Fälle gibt es, wo klar ist, die Firma hat mich mit zehn Einheiten Coaching beauftragt, wo ich dann auch sagen kann: Schauen Sie ganz ehrlich, Sie sind offenbar nicht freiwillig da. Vielleicht beruhigt es Sie zu wissen, ich auch nicht. Ich habe den Vertrag schon unterschrieben und wir müssen jetzt schauen, wie wir das Beste für Sie aus dieser Situation herausholen. Und dann kann es sein, dass die ersten zwei oder drei Sitzungen eher dafür sind, einander kennenzulernen, zueinander Vertrauen zu gewinnen und allmählich erst in die eigentliche Materie einzutauchen.

Götz Müller: Ja, das finde ich insofern interessant, das war ja auch ein bisschen der Impuls, dass ich auf das Thema eingestiegen bin, weil ich da schon gewisse Ähnlichkeiten zu dem weiten Lean-Kontext sehe, wo man ja auch so ein bisschen die coachende Führungskraft, wo sich auch beide Seiten das im Grunde ja nicht aussuchen können. Da haben wir dann vielleicht noch die andere zusätzliche, wie soll man es ausdrücken, ein bisschen krasse Situation, dass manchmal die Führungskraft als Coach sagt: Ich bin Führungskraft, aber ich bin ja kein Coach.

Imre Marton Reményi: Da bist du an einem wunden Punkt des Lean-Managements angekommen, nämlich an dem, dass die Führungskräfte vielleicht, aber auch das ist relativ selten, gelernt haben zu führen, aber sicher nicht gelernt haben, Coaches zu sein und das dann in ein paar Wochen in Seminaren mal schnell zu lernen. Das ist eine heillose Überforderung. Die zweite große Überforderung für die Führungskräfte in der Situation ist, dass sie ganz klar unterscheiden müssen: Welchen Hut habe ich heute auf? Bin ich heute Coach meines Mitarbeiters oder bin ich heute Vorgesetzter oder Führungskraft meines Mitarbeiters? Und vielleicht schafft es noch die Führungskraft, der Mitarbeiter, die Mitarbeiterin tut sich aber sehr schwer damit, das auseinanderzuhalten, weil der Chef als Coach wird dem Chef als Chef natürlich alles erzählen, in dem Sinn, was in dem Coaching gesagt wurde. Und daher verstehe ich dieses Lean-Management im Sinn, der Vorgesetzte ist der Coach seines Mitarbeiters, lediglich dahingehend, dass der Vorgesetzte seinem Mitarbeiter dabei hilft, die Ziele, die er ihm vorgesetzt hat und vorgegeben hat, möglichst gut zu erreichen. Es ist aber kein echtes Coaching, wo zum Beispiel Spannungen zwischen den beiden artikuliert werden könnten, was im realen Coaching, also mit einem Außenstehenden, sehr wohl oft der Fall ist und wo es dann darum geht: Wie kann ich als Mitarbeiterin, als Mitarbeiter diese Themen ansprechbar machen? Wie spreche ich mit meinem Chef darüber, dass ich mich von ihm benachteiligt fühle, nicht wahrgenommen fühle, vielleicht auch übervorteilt oder ausgenutzt fühle? Das kann ich ja alles in diesem Coaching mit dem Chef als Coach nicht wirklich artikulieren. Und daher ist meines Erachtens die Führungskraft als Coach schon an gewissen Grenzen angekommen.

Götz Müller: Ja, da kann ich dir zustimmen. Ich sage da immer gern den Führungskräften, wenn sie zum Beispiel in bestimmten Trainings, in Workshops sagen, so im Sinne von, ich bin heute einer von euch, also wenn sie versuchen, diese Augenhöhe zu schaffen, was man halt nie, und das hast du ja angedeutet, was man halt nie vernachlässigen kann in den Augen der Mitarbeiter, kommt man aus der Führungskraftnummer, ich sage es ein bisschen flapsig, aus der Nummer kommt man ja nicht raus.

Imre Marton Reményi: Also das habe ich auch schon in meinem Training sehr oft festgestellt. Und da habe ich mir eine Methode zugelegt, die vielleicht für andere auch sehr hilfreich ist, wenn sie in einer hilflosen Situation sind. Also diese Methode, die ich entwickelt habe, die ist wirklich hilfreich in solchen Situationen, wo Chefs sagen wollen: Ja, aber ich bin einer von euch. Und zwar geht das oft auch darum, bestimmte Übungen zu machen, Gesprächsübungen, Präsentationsübungen und dergleichen. Und da sage ich immer dazu, dass die Zuschauer mindestens so viel lernen wie der, der gerade die Übung macht. Und deshalb lade ich alle, die eine Präsentation zum Beispiel machen, dazu ein, eine bestimmte Anzahl von Fehlern ganz bewusst einzubauen, damit die Zuhörerinnen und Zuhörer diese finden können. Und damit ist der Druck einerseits an der Führungskraft, sie muss der Beste sein und andererseits an den Mitarbeitern, ich werde beurteilt, mein Chef sieht ja, ob ich hier einen Blödsinn mache oder nicht, zum Großteil doch entfernt, weil Fehler machen auf einmal nicht etwas Furchtbares ist, sondern ein Dienst an der Gruppe. Und dann nach der Übung, nach der Präsentation fordere ich die Zusehenden und Zuhörenden auf: Entdecken Sie doch, was ist Ihnen alles aufgefallen, was Ihr Kollege richtig und was Ihr Kollege falsch gemacht hat. Denn damit schärfe ich die Aufmerksamkeit derer, die zusehen. So wie ich es erlebt habe in meinen Seminaren, war es immer so, wir saßen da, irgendjemand macht eine Präsentation und wir schauen mehr oder weniger gelangweilt zu, weil der Trainer ja eh am Ende erklären wird, was da richtig und was da falsch war. Also diese Aufmerksamkeit als tatsächlich Feedbackgebender im Sinne von, was ist mir aufgefallen, was gut war, was ist mir aufgefallen, was ein Fehler war, die war da nie dabei. Und dadurch, dass sie jetzt dabei ist, erlebe ich eine viel, viel stärkere Mitarbeit und Beteiligung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, weil sie zeigen wollen: Hey, ich habe den Fehler gesehen.

Götz Müller: Und speziell, wenn es nämlich ein Fehler der Führungskraft ist.

Imre Marton Reményi: Genau, weil die Führungskraft macht auch Fehler, absichtlich natürlich. Es ist ja nie überprüfbar, ob absichtlich oder nicht. Aber auch der hat dann die Fehler gemacht, um seinen Mitarbeitern zu zeigen: Ja, ich kann auch Fehler machen. Und damit ist er sozusagen exkulpiert.

Götz Müller: Ja, jetzt aber an der Stelle nochmal nachgefragt unter so einem Aspekt wie psychologische Sicherheit. Eine Situation, die ich ja vorher, ja, ich glaube, ein Stück weit ja schon aktiv geschaffen haben muss, damit die Mitarbeiter eben, wie soll man es ausdrücken, den Mut haben, den Vorgesetzten auf den Fehler hinzuweisen. Da könnte ich mir vorstellen, dass das ja auch nicht einfach nur so mit einem Fingerschnippen gelingt.

Imre Marton Reményi: Nein, nicht mit dem Fingerschnitten, sondern psychologisch gesehen heißt das Priming, also Vorbereitung. Und das heißt, dass ich schon am Anfang sage: Wir werden Übungen machen und dort wird es darum gehen, dass Sie, weil ja zuschauen und dabei sein, eine wichtige Lernfunktion hat, dass Sie auch absichtlich Fehler einbauen werden, damit die anderen was zum Finden haben. Also das wird schon vorbereitet und dann ist es endlich soweit und wer hat als erster Lust, ein paar große Fehler zu machen, statt wer will es jetzt genau zeigen, wie es richtig geht, sondern wer hat Lust, die möglichst großen Fehler gleich am Anfang zu machen, bevor es ihm jemand anderer wegschnappt. Und damit ist das auf den Kopf gestellt. Es geht nicht mehr darum, perfekt zu sein. Es geht darum, Fehler zu machen. Es geht für die anderen darum, die Fehler zu entdecken und vielleicht auch Vorschläge zu machen, wie sie es denn richtig gern gehabt hätten. Und innerhalb von einer Stunde hat das eine Gruppe, vor allem wenn sie höher in der Hierarchie unterwegs ist, vollkommen verstanden. und hat sogar Spaß daran.

Götz Müller: Jetzt würde ich ganz gerne nochmal auf einen Punkt zurückkommen, den du auch ganz am Anfang genannt hast, dass Mitarbeiter, dass Führungskräfte, wenn sie, ich drücke es jetzt vielleicht ein bisschen flapsig aus, wenn sie zu dir geschickt werden, ja selber bei sich irgendwo ein Defizit vermuten. Und das kann ja durchaus, und so habe ich es auch bei dir rausgehört, verstanden, das kann ja durchaus eine Herausforderung sein. Andererseits ist aber, so sehe ich es persönlich, ist es ja aber eben eine Chance zur Weiterentwicklung. Wie löst du dieses Dilemma, wie löst du das auf?

Imre Marton Reményi: Also es ist richtig, dass in unseren Unternehmern leider noch immer sehr stark defizitorientiert gedacht wird, und das jetzt umzuwandeln in eine Entwicklungschance und in einen Bereich, der Möglichkeiten eröffnet. Ich habe zum Beispiel jetzt einen Novizen von einem Kloster bei mir, den sein Magister Studiorum zu mir geschickt hat zur Persönlichkeitsentwicklung, und ich habe ihm die Hausaufgabe gegeben nach dem ersten Treffen: Machen Sie doch eine Liste der Bereiche, in denen Sie selber sich gerne entwickeln möchten. Also entscheiden Sie doch, in welchem Bereich Sie besser werden wollen. Sie spüren es ganz genau, welche Situationen bereiten Ihnen Schwierigkeiten, mit welchen Situationen möchten Sie gerne souveräner, sicherer, lockerer umgehen können. Und ich zitiere manchmal gern den von manchen leider schon vergessenen, manchen sehr wohl bekannten Boxer Sven Ottke, der ja in großartiger Weise 34 Profikämpfe bestritten und alle 34 gewonnen hat. Er ist dann als Europameister und Weltmeister einfach zurückgetreten. Und sein Mentalcoach hat mir gesagt, der wollte die Leute nicht K.O. schlagen. Er wollte einfach locker durch sie durch. Sie waren halt im Weg. Und in diesem Sinn die Herausforderung, wo sind die Situationen, durch die Sie in Zukunft locker durchgehen möchten. Und damit haben wir dann schon die Bereiche, wo sich die Klientinnen und Klienten selber entwickeln möchten. Denn gegen ihren Willen kann niemand etwas bewirken.

Götz Müller: An welcher Stelle, wenn man das so nennen kann, wenn es diese Stelle so gibt, tritt dann diese, ja, eben im Sinne unserer Episode, tritt dann diese Erkenntnis ein: Ja, Coaching hat eben doch einen Sinn für jemanden, der vielleicht am Anfang dachte, da wird jetzt bei mir im Kopf rumgeschraubt und da wird vielleicht irgendein Defizit behoben, repariert, das er vielleicht jetzt aus einem betrieblichen Kontext mit Maschinen so kennt.

Imre Marton Reményi: Nun, in der Regel gibt es in jedem Coaching-Prozess, in jedem Beratungsprozess, oft auch in jedem privaten Gespräch, irgendwann so ein sogenanntes Aha-Erlebnis, wo plötzlich kommt: Ach, deshalb ist es mir damals nicht so gut gegangen. Ach, deshalb habe ich mich so geärgert. Jetzt verstehe ich etwas, was ich vorher nicht verstanden habe über mich. Und da am Anfang schon klargestellt wird von mir, dass unsere Prozesse, die wir miteinander anfangen, Gespräche auf Experten-Ebene sind. In dem Sinn, dass mein Klient Experte für seine Situation, für seinen Kontext, für seine Firma, für sein Leben ist und damit auch für die Auswahl der für ihn passenden Lösungen. Bin ich der Experte für das Setting, also wie ich die Beratungsarchitektur gestalte? Ich bin der Experte für gutes Zuhören und für gute Fragen. Aber ich bin nicht der Experte dafür, dass ich ihm sage, was er oder sie machen soll. Das findet diese Person selbst heraus und da kommen sehr schnell, schon oft in der ersten Sitzung, aber spätestens in der dritten Sitzung diese Aha-Erlebnisse, wo jemandem, wie es so schön heißt, die Schuppen von den Augen fallen.

Götz Müller: Da würde ich jetzt gerne noch ein bisschen nachfragen, weil das natürlich jetzt im, ich nenne es jetzt halt mal Lean-Kontext, das natürlich ein bisschen anders ist. Da haben wir ja ganz oft die Situation, dass die Führungskraft als Coach zur Führungskraft geworden ist, weil sie halt in einem bestimmten Kontext Experte ist. Und jetzt muss sie, wenn sie mit dem Mitarbeiter spricht und den an seiner Stelle entwickeln möchte, ein Stück weit, damit der Mitarbeiter selber in der Lage ist, diese Rolle zu übernehmen, weil ich ja Führungskraft bin und das jetzt nicht mehr alles selber machen kann. Was wäre da ein Tipp, wenn man das so ausdrücken kann, für die Führungskräfte, dass ihnen das Loslassen gelingt?

Imre Marton Reményi: Du hast genau den zentralen Kern und Nerv der Sache getroffen, das Loslassen. Meistens werden Führungskräfte deshalb Führungskräfte, weil sie an einer bestimmten Position wunderbare, tolle Leistung geliefert haben. Und der Schmerz im Führungskraftsein liegt darin, dass du etwas, was du wirklich gerne machst und gut machst, nicht mehr machen darfst. Das muss jetzt jemand anderer machen. Und erstens zu akzeptieren, dass der das vielleicht anders macht und auch das gut ist. Sondern, dass deine Aufgabe nicht mehr ist, ich nehme jetzt ein ganz blödes Beispiel, die Lötlampe richtig zu halten. Sondern, dass es deine Aufgabe ist, dem Mitarbeiter zu helfen, egal wie er die Lötlampe angreift, gute Ergebnisse zu produzieren, und ihm dabei behilflich zu sein, auf seine Art trotzdem die Ergebnisse zu erreichen, die du willst. Das heißt, du hast als Führungskraft einen ganz anderen Fokus, etwa den größeren Blick auf das Ganze, während der Mitarbeiter vielleicht nur eingeschränkt den Blick auf seinen eigenen Bereich hat. Das Zweite ist, dass im Grunde deine Aufgabe als Führungskraft ist, deinem Mitarbeiter dabei zu helfen, dass er besser wird als du. Und das bedeutet für viele einen sehr großen Einschnitt in ihr Ego-Bedürfnis, der Beste zu sein, der Bessere zu sein. Und daher habe ich die Befürchtung, dass sehr viele unserer Führungskräfte zwar so genannt werden, aber nie gelernt haben, Führungskraft zu sein, weil Führen nicht bedeutet, bestimmte Werkzeuge zu verwenden, sondern führen in unserem Sinn bedeutet, die richtige Haltung zu haben, zum gesamten Bereich, zum gesamten Unternehmen. Und hier gibt es einen ganz großen Unterschied, der oft übersehen wird. Es gibt die Führungskraft und es gibt den Manager. Der Manager sorgt dafür, dass alles, was gemacht wird, richtig gemacht wird. Die Führungskraft hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die richtigen Dinge gemacht werden, dass also Entscheidungen fallen: Das machen wir und das machen wir nicht. Und meine Erfahrung zeigt, dass gerade nicht nur im Lean-Management, sondern in allen Bereichen der Führung viel mehr Manager unterwegs sind als tatsächliche echte Führungskräfte, die eine Vision haben, wie das Unternehmen in 10, 20 Jahren dastehen soll, die sich vorstellen, welchen Beitrag leisten wir denn zum allgemeinen Wohlbefinden der Gesellschaft oder zumindest unserer Gemeinde, in der wir eingebettet sind. Und letztlich auch die Erkenntnis, dass nur Mitarbeiter, die wirklich gut behandelt werden, also menschlich behandelt werden, gerne auch selber gute Leistung bringen. Es ist ein Lehrsatz aus der Führungstätigkeit geboren. Der nachhaltige Erfolg eines Unternehmens resultiert aus der freiwillig erbrachten zusätzlichen Leistung engagierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und das kann man sehr leicht überprüfen, weil das Schlimmste für einen Betrieb ist nicht, dass die Mitarbeiter streiken. Das Schlimmste für jedes Unternehmen, auch jede Firma, auch jede Verwaltungsbehörde ist Dienst nach Vorschrift. Das ist die absolute Lähmung, wo nichts mehr weitergeht, wo deine Sekretärin zu dir kommt und sagt: Lieber Chef, wo hätten Sie denn gerne die Ausrufungszeichen? Wo soll ich einen Beistrich machen? Ich möchte es Ihnen ja recht machen. Und das reibt jede Führungskraft auf die Dauer auf.

Götz Müller: Ja, da kommt mir jetzt gerade und ich glaube, das lässt sich eins zu eins von klassischer Weiterbildung auf den Coaching-Aspekt übertragen, diese fiktive Unterhaltung zwischen dem CEO und seinem CFO, wo der CFO sagt: Was kostet es hier, die Leute auf ein Training zu schicken oder auf ein Coaching zu schicken und dann entwickeln die sich und dann gehen die fort? Und dann sagt der CEO zu ihm, du kennst den Spruch sicher auch: Ja, was passiert denn, wenn wir das nicht tun und sie bleiben da?

Imre Marton Reményi: Genau. Und deshalb ist das nicht als Kosten zu betrachten, sondern als eine Investition. Investition in meine Belegschaft, in mein Unternehmen, weil ich meine Belegschaft dadurch, dass ich sie weiterbringe, auch dazu ermächtige und gewinne dafür, dass sie mein Unternehmen weiterbringen. Es wird sofort investiert in neue Maschinen. Es wird sofort investiert in neue Technologien, in neue Verwaltungssysteme. Ich möchte das gefürchtetste Instrument nicht namentlich nennen, also keine Negativbotschaft. Aber es gibt schrecklich verbreitete Ängste, wenn angekündigt wird: So, wir führen jetzt zum Management, zur Verwaltung dieses bestimmte Produkt ein. Das hat in meiner Erfahrung schon etliche Mitarbeiter dazu bewegt, sofort zu kündigen und sich nach anderen Jobs umzusehen, weil sie da keine Bezüglichkeit zu ihren eigenen Vorgesetzten mehr feststellen konnten, sondern das Gefühl hatten: Jetzt bin ich wirklich nur noch eine Inventarnummer und werde so behandelt. Das heißt umgekehrt, gute Führung ist immer menschlich. Das heißt von Mensch zu Mensch. Und es gibt Führungskräfte, die wunderbar, auch im Lean-Management gerade diese beiden Rollen, nämlich wann bin ich Chef und wann bin ich Coach, also wann habe ich welchen Hut auf, beherrschen. Und es gibt andere, die es leider nicht tun. Ich erzähle dir umgekehrt ein Beispiel. Meine allerersten Aufträge hatte ich von einer sehr, sehr großen Organisation in Österreich. Und ich habe mich mit dem zuständigen Bereichschef sehr gut angefreundet. Und dann kam eines Tages ein Telefonat und er sagt mir: Hallo Imre, ich muss mir jetzt mein Amtskapperl aufsetzen. Du wurdest gestern Abend in einem Bereich gesehen, wo du nichts verloren hast. Was hattest du dort zu tun? Ja, und ich habe gesagt: Ja, weißt du, im Erdgeschoss, wo ich mein Seminar für euch halten sollte an dem Abend, war der Kopierer kaputt. Also bin ich in den vierten Stock gegangen, weil ich wusste, dass dort auch einer ist. Und er sagt: Ja, aber dort wurdest du von der Putzfrau gesehen und dort sind alle Direktionstüren weit offen. Also dort hast du in Zukunft nichts verloren. Da habe ich gesagt: Okay, verstanden. Und was mache ich, wenn der Kopierer jetzt länger kaputt ist? Und dann sagt er, ich weiß, du bist gut genug als Trainer, dass du auch ohne Unterlagen ein gutes Seminar halten kannst. Und dann: Übrigens, wie war es denn gestern Abend? Und das Amtskapperl war wieder weg.

Götz Müller: Ja, ich glaube, also ich höre da jetzt raus, dass man bewusst mit diesem Kapperl umgehen muss und sich, glaube ich, auch ein Stück weit bewusst eben in die Rolle des Mitarbeiters versetzen, beziehungsweise ständig hinterfragen, sieht er jetzt die Kappe gerade oder sieht er sie halt nicht, weil sie nicht da ist. Und manchmal sieht er sie halt, obwohl sie vermeintlich nicht auf meinem Hut der Führungskraft ist.

Imre Marton Reményi: Und genau damit hast du auch einen ganz zentralen Punkt angesprochen. Die Führungskraft liegt hier in der Verantwortung. Sie muss dem Mitarbeiter ganz präzise sagen: Du, jetzt bin ich dein Chef und jetzt bin ich mit dir im Gespräch als dein Mentor, als dein Coach, wie auch immer. Aber es gibt einfache Methoden dafür. Es gibt zum Beispiel eine klare Sitzordnungsveränderung. Als Chef kann ich gerne meinem Mitarbeiter gegenübersitzen. Das heißt, wir haben hier ein Thema, das ist zwischen uns und das muss zwischen uns geklärt werden. Und sich dann aber neben den Mitarbeiter setzen, im Sinn von: So und jetzt schauen wir zwei miteinander auf das Problem und ich unterstütze dich dabei, es zu lösen. Also allein schon, wie wir miteinander beisammensitzen, kann diesen großen Unterschied machen zwischen Konfrontation im Gegenüber und Schulterschluss sozusagen im gemeinsamen Tun, in der gemeinsamen Weiterentwicklung des Unternehmens, des Mitarbeiters, auch der Führungskraft. Auch die Führungskraft darf hier dazulernen.

Götz Müller: Und ich glaube, das ist eben die Chance, die sich aus einem Coaching ergibt, dass ich ein Stück weit aus meiner klassischen Rolle ja auch rauskomme, in eine andere Rolle reingehe, jetzt selber als Coachee und dort natürlich andere Wahrnehmungen habe, die ich vielleicht vorher in der Form gar nicht hatte.

Imre Marton Reményi: Das ist die große Hoffnung, die wir als Coaches alle haben. Und bisher, ich klopfe irgendwo auf Holz, ist das auch immer in Erfüllung gegangen. Das heißt, ich habe das Glück, auf über 30 Jahre erfolgreiche Tätigkeit als Coach zurückblicken zu können, und zwar sowohl für Mitarbeiter als auch für Führungskräfte.

Götz Müller: Ja, aber vielleicht zum Abschluss, im Sinne des von mir gewählten Titels unserer Episode Erkenntnisprozesse, diese Erkenntnis, glaube ich, muss man unterm Strich als Coachee dann eben trotzdem selber machen. Ich meine, als Coach kann ich den Coachee da, wie soll man es nennen, hinleiten, vielleicht ein Stück weit auch führen, aber ähnlich wie im Sport, da gibt es den Spruch, das T-Shirt schwitzt nicht von alleine, muss ich die Übung halt selber machen, also sprich, ich muss die Erkenntnis selber haben, selber gewinnen können.

Imre Marton Reményi: Richtig, genau darum geht es beim Coaching und vielleicht ein guter Einstieg manchmal ist, um möglichst schnell zum Punkt zu kommen, eine einfache Frage. Und zwar angenommen, Sie könnten mit einem Fingerschnippen irgendetwas, was Sie sehr belastet oder sehr beschäftigt, verändern. Was würden Sie da wählen? Aber nur eins, also Sie können nicht mehrere wählen. Was würden Sie da wählen? Selbst wenn es im Moment noch nicht ganz klar ist. Allein der Gedanke, ich kann etwas verändern, ich kann ein Problem lösen. Also ob es mit dem Fingerschnitten geht, weiß ich nicht, aber ja, was würde ich da wählen? Und das führt fast immer genau zum Schmerzpunkt, zu dem Thema, das dem Mitarbeiter oder auch der Führungskraft Leidensdruck verschafft. Und dann können wir genau da ansetzen. Und wenn da die ersten Veränderungen und positiven Erfolge da sind, dann hat diese Person das Coaching für sich gewonnen und gekauft. Dann ist echte, tiefgehende Arbeit wirklich möglich. Und das sind dann die beglückenden Momente auch für den Coach, wo man sieht: Ja, die Person, die zu mir kommt, die holt sich das, was sie braucht. Und ich kann vorher gar nicht wissen, was diese Person brauchen wird. Wenn ich es systemisch, das ist meine Arbeitsweise, kurz definiere, dann breite ich das große, große Buffet aus und mein Coachee kann wählen, was sie oder er davon essen will, aber essen muss sie schon selber.

Götz Müller: Das war jetzt zum Abschluss, finde ich, eine wunderbare Metapher. Mal nicht aus dem Sport, sondern aus dem Essen, aber genauso passend. Imre, ich danke dir für deine Zeit.

Imre Marton Reményi: Danke dir, lieber Götz. Und es war wieder sehr schön, mit dir zu reden und jederzeit wieder gerne.

Götz Müller: Das war die heutige Episode im Gespräch mit Imre Marton Reményi zum Thema Erkenntnisprozesse. Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 372.

Wenn Ihnen die Folge gefallen hat, freue ich mich über Ihre Bewertung bei Apple Podcasts. Sie geben damit auch anderen Lean-Interessierten die Chance, den Podcast zu entdecken.

Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.
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