Inhalt der Episode:
- Was war der Auslöser zur Beschäftigung mit Innovationsprozessen im KI-Bereich?
- Was zeichnet Innovationsprozesse dabei besonders aus bzw. unterscheidet sie von „normalen“ Innovationsprozessen?
- Was sollte man bei Innovationsprozessen im Allgemeinen und im KI-Bereich besonders beachten bzw. welche „Fehler“ werden dabei häufig gemacht? Von Anwender einerseits und Anbietern andererseits?
- Welche Folgen ergeben sich daraus?
- Wie lassen sich diese „Fehler“ initial vermeiden bzw. wie kann man die Folgen eindämmen?
- Wie sollte ein idealer Innovationsprozess aussehen?
- Welche Voraussetzungen sollte man berücksichtigen bzw. schaffen, bevor man in das Thema einsteigt?
- Welche Rolle spielt der Faktor Mensch im KI-Kontext im Allgemeinen und in diesbezüglichen Innovationsprozessen im Besonderen?
- Wo kann man mehr über das Thema erfahren und von den Erfahrungen anderer profitieren (und nicht alle Fehler selbst machen)?
Notizen zur Episode:
- LinkedIn-Profil von Thomas Usländer
- Website des Fraunhofer IOSB
- KI-Engineering
- Wissen & Tools
- KI-Allianz
- KI-Challenge der KI-Allianz
- Buch-Tipp
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Wenn Sie selbst ein interessantes Thema für eine Episode im Umfeld von Geschäftsprozessen haben, können Sie mir das auf dieser Seite mit Vorbereitungsfragen vorschlagen.
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(Teil)automatisiertes Transkript
Episode 377 : KI-Innovationsprozesse
Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.
Götz Müller: Heute habe ich Thomas Usländer bei mir im Podcast-Gespräch. Er beschäftigt sich beim Fraunhofer-Institut IOSB in Karlsruhe mit dem Thema Business Development im Umfeld KI-Engineering. Hallo, Herr Usländer.
Thomas Usländer: Ja, guten Tag, Herr Müller.
Götz Müller: Ich habe schon ein kurzes Stichwort zu Ihnen gesagt, aber stellen Sie sich gerne mal ein paar Sätzen den Zuhörern vor.
Thomas Usländer: Ja, gerne. Also ich bin von Haus aus Informatiker und arbeite schon viele Jahre im Bereich der angewandten Forschung bei Fraunhofer IOSB in Karlsruhe. Dort viele Jahre als Abteilungsleiter für das Thema Informationsmanagement und Leittechnik. Und da haben wir natürlich schon immer uns mit den Themen, wie kann ich da KI-Verfahren einsetzen, wie kann ich das integrieren in IT-Systeme, beschäftigt. Das war also schon viele Jahre immer ein Thema. Und ich bin jetzt übergetreten seit Anfang 2024 in die Rolle des Business Developers genau für dieses Thema KI-Engineering.
Götz Müller: Genau, und jetzt haben wir uns, aufgrund Ihres Vortrags auch, den ich besuchen konnte, auf das Thema Innovationsprozesse im KI-Bereich … und vielleicht da für mich mal die Nachfrage, ich meine, mit Innovationsprozessen beschäftigen wir uns als Menschheit im Grunde schon lange, aber jetzt im KI-Bereich, was war der Auslöser, damit sich zu beschäftigen?
Thomas Usländer: Ja, also ich bin der Meinung, KI ist eine hochinteressante und eine sehr, sehr leistungsfähige Technologie, aber sie wird erst dann zur Innovation, wenn die KI-Technologie wirklich nachhaltig und dauerhaft angewandt wird, in Produkten und in Prozessen, in Unternehmen oder in Behörden. Und daran scheitern oft KI-Projekte. Man kommt oft nur bis zum Prototyp. Man schafft es nicht, dann die nächste Hürde zu nehmen und wirklich zu sagen, diese KI-Verfahren, diese Werkzeuge kann ich dauerhaft einsetzen, die bringen einen Mehrwert. Da kann ich wirklich ein Geschäftsmodell drauf aufsetzen oder ich kann bestehende Prozesse verbessern, optimieren. Da ist die eigentliche Innovation drin und diese systematisch zu machen, sodass von Anfang an klar ist, ich will dahin. Ich will wirklich KI-Verfahren nachhaltig einsetzen unter Beachtung aller möglichen Randbedingungen. Und da gehören auch regulatorische Randbedingungen dazu, da gehören auch IT-Sicherheitsanforderungen dazu. Wenn ich diese ganzen Fragen wirklich einbauen will von Anfang an, dann brauche ich eine Systematik und diese Methodik haben wir entwickelt für eine systematische KI-Entwicklung, die nennen wir KI-Engineering.
Götz Müller: Bei vielen Dingen, die Sie jetzt erzählt haben, hatte ich das Gefühl, ja, das ist natürlich KI, aber andererseits scheitern auch viele, in Anführungszeichen, ganz normale Innovationen in ihrem Prozess. Und da vielleicht noch ein bisschen nachgefragt, was muss man bei Innovationsprozessen ganz im Allgemeinen beachten und vielleicht eben dann auch nochmal vertieft, was unterscheidet sich jetzt, wenn man das Thema KI da behandelt?
Thomas Usländer: Ja, Innovation heißt ja irgendwie etwas Neues schaffen, was es vielleicht in der Form noch nicht gab, um neue Dinge anzugehen, mit neuen Geschäftsmodellen wirklich am Markt erfolgreich zu sein, dann mit neuen Technologien. Das ist generell das Thema Innovation, also nicht nur etwas Tolles, Neues zeigen, demonstrieren, was alles möglich ist. Das würde ich sagen, das ist ein toller Prototyp oder ein toller Demonstrator, ist auch wichtig, um Awareness zu schaffen, um die Leute darauf aufmerksam zu machen, was alles geht.
Aber Innovationsprozesse zeichnen sich dadurch aus, dass ich wirklich bis zum Ende denke und dann auch den Prozess danach denke, wie kann ich ein neues Produkt am Leben erhalten? Wie kann ich das pflegen? Wie kann ich das weiterentwickeln? Und jetzt im Bereich der KI ist es besonders wichtig, weil, aus zweierlei Gründen. Zum einen braucht man, um KI-Anwendungen wirklich erfolgreich zu platzieren, viele, viele Daten. Das können Daten sein aus dem eigenen Unternehmen, aus Produktionsprozessen, aus Einkaufsprozessen, über Kunden, über Materialien. Diese Daten brauche ich, ich brauche vielleicht aber auch Dokumente, die irgendwelche Fachbereiche abbilden, Fachinformationen abbilden, vielleicht Standards abbilden, die Regulatorik abbilden. Und vielleicht brauche ich auch Daten von anderen, die ich selbst gar nicht im Griff habe, die ich von anderen beziehen muss. Und das sind Dinge, die zeichnen jetzt insbesondere KI-Innovationen aus. Diese Daten systematisch wirklich aufzubereiten, also erst mal zu bekommen und dann aufzubereiten und zu integrieren und weiterhin vielleicht dann im Bereich der aktiven Nutzung der KI-Innovation dann auch wieder zu dynamisieren und neu zu bekommen. Das sind ganz besondere Herausforderungen und machen auch den Großteil von KI-Projekten aus, was den Aufwand anbelangt und was die Kosten damit anbelangt. Deshalb, das muss ich mit betrachten. Der zweite Punkt, der bei KI wichtig ist, man setzt ja da auf KI-Modelle auf, die vielleicht zum Zeitpunkt X in der Entwicklung gut sind und richtig sind und mit den richtigen Daten trainiert wurden, aber in der Nutzung muss ich bedenken, dass sich der Kontext ändert, dass sich die Umgebung vielleicht ändert, dass sich Dinge halt einfach ändern in der Umgebung meines IT-Systems. Und das bedeutet, ich muss das erkennen, sonst gibt es falsche Ergebnisse und ich muss dann mein KI-Modell auch nachtrainieren. Das sind die beiden hauptsächlichen Punkte, die KI-Innovationsprozesse unterscheiden von herkömmlichen Innovationsprozessen.
Götz Müller: Ich höre da auch raus, dass eben den Anwendern eine größere Rolle im Grunde oder ein größerer Beitrag zukommt, wie, jetzt nehmen wir mal etwas ganz Plattes, wie, angenommen ich erfinde ein Auto, nehmen wir mal an, das gäbe es noch nicht, indem ich mich von A nach B bewege. Natürlich brauche ich jetzt einen Führerschein und es muss dann irgendetwas wie ein Treibstoffökosystem und Straßen und so etwas geben, aber ansonsten bin ich als Anwender, als Fahrer ja nicht wirklich gefragt. Jetzt in dem Fall KI, habe ich bei Ihnen gerade rausgehört, bin ich auch als Anwender, nicht nur der Autobauer, sondern ich auch als Anwender viel tiefer in dem Produkt, in dem Prozess drin. Ist die Annahme, die Wahrnehmung so richtig?
Thomas Usländer: Das kommt darauf an, was Sie jetzt unter der Rolle des Anwenders von KI-Systemen verstehen. Wenn Sie Operator sind eines technischen Prozesses, einer Chemieanlage, Sie sind Operator und Sie haben ein Leitsystem und Sie müssen beobachten, ob der technische Prozess richtig läuft. Dann sind da vielleicht KI-Verfahren heutzutage mit versteckt, die als Assistenzsystem arbeiten, die vielleicht Vorschläge machen, was zu tun wäre, die rechtzeitig Unregelmäßigkeiten erkennen, vielleicht Fehler vorhersagen, Anomalien erkennen und der Operator reagiert darauf. Der Operator muss in dem Fall wissen, was er da tut, dass es vielleicht nur Vorschläge sind, weil letztendlich verantwortlich ist der Operator oder die Operatorin. An der Stelle kommt dem Anwender ja schon immer mehr Verantwortung zu. Wenn Sie jetzt Anwender eines Sprachmodells sind, dann wissen Sie, dass Sie mit einem KI-System interagieren und dann müssen Sie auch wissen, was Sie da tun. Sie müssen auch wissen, welche Fallstricke es dabei gibt, dass in den Antworten vielleicht auch erfundene Inhalte drin sind, dass das System halluziniert. Das müssen Sie wissen und darauf zielt natürlich auch dann vielleicht die verstärkte Rolle des kritischen Bewertens des Anwenders ab, was sich unterscheidet von konventionellen Systemen. Sie können sich nicht darauf verlassen, dass die Antworten richtig sind.
Götz Müller: Ja, wieder ein bisschen überspitzt, vielleicht aufs Auto übertragen oder aufs Navigationssystem übertragen. Da ist jeder gewohnt, okay, ich gebe mein Ziel ein und in weit über 90 Prozent aller Fälle werde ich dann dort auch ankommen. Jetzt auf das KI-System übertragen kommt mir gerade zu der Gedanke, kann ich vielleicht nicht mehr so ganz sicher sein, dass ich dort ankomme. Vielleicht komme ich ganz woanders an.
Thomas Usländer: Ja, und deshalb stellt sich die Frage, je nach Anwendungsfall, kann ich das tolerieren oder nicht? Es gibt Bereiche, da würde ich sagen, da ist es absolut nicht tolerierbar, dass das System falsche Antworten gibt, ohne zu sagen, diese Antwort ist vielleicht unsicher. Oder darauf hinzuweisen, diese Stellen, die ich in meiner Antwort gebe, die sind mit einem gewissen Unsicherheitsfaktor versehen. Die Quellen, die verwendet werden, sind erfunden. Also solche Sachen würde ich eigentlich erwarten. Interessanterweise wird dieses toleriert, gerade bei Sprachmodellen. Ich würde mal sagen, noch toleriert, weil halt das Leistungspotenzial, das Optimierungspotenzial für den menschlichen Nutzer so enorm ist. Wenn ich aber in kritische Anwendungsbereiche gehe, gerade wenn ich mit der physischen Welt interagieren will, wie zum Beispiel beim Fahren, ein Assistenzsystem in einem Automobil darf diese unsicheren Antworten nicht geben oder auch kein unsicheres Verhalten vorgaukeln, sondern da brauche ich halt eine deutlich höhere Verlässlichkeit. Also deshalb hängt die Antwort auf Ihre Frage ganz stark vom Anwendungsfall ab. Und deshalb gibt es ja auch in der KI-Verordnung der EU diese verschiedenen Risikoklassen für KI-Systeme.
Götz Müller: Ja, und gerade im autonomen Fahren zum Beispiel, wo ja auch ansatzweise, glaube ich, schon ein bisschen KI mittlerweile drinsteckt, da differenziert man eben auch, ist das noch ein begleitetes Fahren, wo halt ein Mensch noch aufpasst oder kann er sich wirklich auf ganz andere Dinge konzentrieren und im Grunde den Rollladen hochziehen oder den Rollladen runterlassen, wie man es betrachten will und das Umfeld überhaupt nicht mehr betrachten. Aber jetzt auf den Innovationsprozess zentriert, was passiert jetzt, wenn ich das dort eben nicht berücksichtige? Was sind vielleicht typische Fehler, soweit man von sowas reden kann?
Thomas Usländer: Ja gut, wenn ich die Einsatzszenarien nicht betrachte, dann kann ich vielleicht manche Projekte überhaupt nicht durchführen. Wenn ich ein Unternehmen bin, das Softwareentwicklung macht, IT-Systeme für einen gewissen Anwendungsfall entwickelt und in einem Lastenheft stehen halt Anforderungen über gewisse Verlässigkeiten drin von 99,95 Prozent, und ich habe da ein KI-System, wo ich mir sicher bin, diese Marge, ja, die kann ich nie erreichen, dann wäre halt ein typischer Fehler, dass ich es trotzdem tue. Also man muss natürlich schon bedenken, von Anfang an, was sind diese nicht funktionalen Anforderungen, wie man es technisch dann auch nennt. Wie kann ich die einhalten, sage ich mal, trotz des Einsatzes von KI? Viele Sachen gehen vermeintlich schnell und leicht. Und nach dem Pareto-Prinzip könnte man sagen, für viele Anwendungsfälle reicht das auch aus. Da ist eine 80-prozentige Erfolgsquote in Ordnung, aber für andere Systeme kann das katastrophal enden und nachher bin ich halt haftbar für das, was ich da in den Verkehr bringe. Ich kann mich nicht darauf abstützen, dass ich sage, okay, ich habe da halt ein KI-Verfahren eingesetzt, ein Sprachmodell eingesetzt eines Herstellers und da weiß man ja, dass da viele Sachen einfach nicht korrekt sind. Also da kann man sich nicht drauf rausreden, sondern der Inverkehrbringer von KI-basierten Systemen, der muss letztendlich die Randbedingungen erfüllen und haftet dann auch dafür, wenn dieses nicht der Fall ist. Das kann jetzt Konsequenzen haben in der Richtung, dass es ja tatsächlich Personenschäden gibt, vielleicht auch Sachschäden. Es kann aber auch eine katastrophale wirtschaftliche Entscheidung sein, die getroffen wird. Und dann bin ich genauso in der Problemlage, dass ich dafür geradestehen muss.
Götz Müller: Was hat das jetzt für Auswirkungen auf den Innovationsprozess?
Thomas Usländer: Ja, ich würde mal sagen, ganz klassisch, der Innovationsprozess, wenn man das mal als Prozessmodell betrachtet, für ein KI-System, dann muss ich halt, ja, wie schon immer eigentlich ganz klar wissen, was ist mein Ziel? Was will ich erreichen? Was ist das Geschäftsmodell dahinter? Wie sieht das aus? Welche Anforderungen leiten sich daraus ab? Und da gehören dann diese nicht-funktionalen Anforderungen auf jeden Fall wieder zu. Und, ja, so breche ich dann nach und nach mein Zielsystem runter in Subsysteme. Manche davon sind KI-basiert, manche sind ganz klassisch, das kann eine Datenbank sein, eine Benutzerführung oder eine Netzwerkschnittstelle zu anderen Systemen. Aber ich muss halt diese nicht-funktionalen Anforderungen immer im Blick haben. Das ist eigentlich die Konsequenz. Und vielleicht auch dann meinen Prozess so zu systematisieren, dass ich jeden Entscheidungsschritt auch dokumentiere, weil wenn ich in kritischen Bereichen bin, dann habe ich vielleicht auch einen externen Prüfer, habe einen Auditor, habe irgendjemanden, der das System abnehmen will und der will wissen, nach welchen Kriterien wurde das System entwickelt und nach welchem Modell. Also derartige Sachen unterscheiden sich ganz einfach halt in der normalen, einfachen, in Anführungszeichen, einfachen Nutzung eines KI-Systems, wie zum Beispiel ein Sprachmodell, das ich einfach nur so zu informativen Zwecken nutze.
Götz Müller: Jetzt haben Sie ja den Begriff KI-Engineering genannt. Ich denke, das spielt da eine wichtige Rolle. Ich möchte das vielleicht noch ein bisschen vertiefen, indem Sie da noch ein bisschen Details erläutern. Bei Engineering hat wahrscheinlich jeder ein gewisses Bild, aber im Kontext von KI vielleicht nochmal ein spezielles zu haben dann.
Thomas Usländer: Ja, gerne. Also wir haben diese neue Methodik, man könnte auch sagen, das ist eine neue Forschungsdisziplin, KI-Engineering genannt, weil es darum geht, auch die Entwicklung von KI-Systemen aus ingenieurtechnischen Gesichtspunkten heraus zu betrachten. Ein Ingenieur möchte normalerweise wissen, weshalb ein System wie funktioniert, wenn es im technischen Bereich ist, dann habe ich da vielleicht auch mathematische Gleichungen dahinter, mathematische Formeln, physikalische Gesetze, die abgebildet werden, die man kennt. Und dann weiß ich genau, bei einem Brückenbau zum Beispiel, so und so viele Personen dürfen gleichzeitig über die Brücke laufen und sie wird halten. Das kann man von Anfang an mit berechnen und mit einbeziehen in das Design. So etwas Ähnliches wäre wünschenswert auch für die Entwicklung von KI-Systemen. Es ist aber teilweise ein völlig anderer Ansatz dahinter. Man geht datengetrieben vor. Ich brauche gar nicht unbedingt ein Verständnis von Ursache und Wirkung. Ich brauche keine physikalischen Prinzipien kennen, sondern ich schaue einfach, welche Daten gibt es für vergleichbare Fälle, für vergleichbare Konstruktionen. Das KI-System sucht man dann über maschinelle Lernverfahren vielleicht das am besten passende Design raus und dann baue ich mein System nach diesem Design. Da aber jetzt vorherzusagen, welche Grenzen hat das System, und welche Leistungsfähigkeit, welche Verlässlichkeit ist heutzutage so gut wie unmöglich oder nur am Rande möglich. Und deshalb denken wir, dass es hierzu Forschungsarbeiten bedarf. Ich muss vielleicht auch solche datengetriebenen Ansätze, um dieses zu erreichen, kombinieren mit klassischen Ansätzen. Ich brauche hybride Engineering-Prozesse, um letztendlich dann ein gutes System am Ende zu entwickeln. Also wir sehen KI-Engineering als die Disziplin für das systematische Engineering von KI-Systemen und es fließen eigentlich zwei Entwicklungen hier zusammen, nämlich die Entwicklungen in der KI-Technologie, aber auch die Entwicklungen im Systems Engineering, die ja schon immer quasi, das steckt ja im Namen drin, auch eine Systematik notwendig macht. Beide Disziplinen werden zusammengeführt und im Englischen nennen wir das deshalb auch AI Systems Engineering.
Götz Müller: Da kommt mir jetzt gerade der Gedanke ein Stück weit und ich glaube, und ich bezeichne mich da durchaus auch in einer gewissen Form als Laie, ist ja so in den Köpfen drin, ja, die KI-Algorithmen, eigentlich versteht sie keiner mehr. Also im Sinne von durchdringt sie keiner mehr. Es ist nicht wirklich vorhersagbar, so wie wenn ich halt einen Stein fallen lasse und dann da Schwerkraft wirkt, à la Newton weiß man halt, okay, er fällt vom Baum der Apfel. Und da kommt mir jetzt gerade der Gedanke, wenn ich Systeme habe und dort Menschen agieren, ist auch der Faktor Mensch andererseits die Unsicherheit. Weil ich glaube das, was in den anderthalb Kilogramm in Masse da manchmal vor sich geht, ist auch nicht so hundertprozentig vorhersagbar. Und da kommt mir gerade der Gedanke, ob das nicht sogar eine Chance ist, im Umgang mit Unsicherheit vielleicht sogar ein neues Niveau zu erreichen. Ganz spontaner Gedanke.
Thomas Usländer: Ja, wie soll ich sagen, man spürt direkt, man kennt das ja auch aus dem, vielleicht sogar privaten Umgang mit KI-Verfahren, dass vieles einfach mit Unsicherheit behaftet ist. Man bekommt, wenn man das dann richtig sieht, einen kritischeren Blick auch auf KI-basierte Assistenzsysteme und glaubt nicht alles. Das wäre jetzt aber ein sehr positiver Gedanke in die Richtung. Ich befürchte eher, dass das Gegenteil der Fall ist. Weil, wenn man schon auch die Heranwachsenden sieht, die Jugendlichen sieht, die Studierenden sieht, wie sie mit KI umgehen, wie sie vielleicht unreflektiert Ergebnisse, bloß weil es schnell geht und gut aussieht, irgendwo einspeisen, ohne darüber nachzudenken, ja, was bedeutet das eigentlich, was da steht? Ist das wirklich neu? Ist das valide? Also diese Kompetenz des Bewertens, denke ich, könnte eher leiden durch die ganze intensive Nutzung von KI, weil die KI-Systeme diese Unsicherheiten oft nicht klar ausdrücken. Klar steht an vielen Stellen: Passen Sie auf, hier könnten auch Fehler drin sein. Das KI-System erfindet vielleicht manche Tatsachen. Aber ob das überall dann so wirklich kritisch bewertet wird und beäugt wird, da habe ich eher eine Skepsis.
Götz Müller: Ja, ich könnte mir vorstellen, da beobachte ich mich selber und man stumpft dann vielleicht sogar durchaus ein bisschen ab gegenüber solchen immer wieder Hinweisen.
Thomas Usländer: Richtig, ja. Und das fängt ja schon an, wenn man in einer Internet-Suchmaschine nach etwas sucht und die ersten Angaben, die ja KI generiert sind, die klingen schon mal ganz gut und plausibel, dass man einfach sagt, das nehme ich mal schnell, ohne zu hinterfragen, muss ich nicht vielleicht ein bisschen tiefer gehen und mir die Originalquelle anschauen.
Götz Müller: Gut, ich möchte den Faktor Mensch noch ein bisschen vertiefen, weil natürlich ein Stück weit auch ein gewisser, wie soll man es ausdrücken, Kontrast da ist, das heißt ja künstliche Intelligenz und andererseits die menschliche Intelligenz. Und Sie haben es auch gerade ja schon angedeutet, der Faktor Mensch spielt eine Rolle. Vielleicht tritt da an manchen Stellen in den Hintergrund, aber ich glaube, in dem Kontext, KI-Kontext, im Sinne von auch Innovation, wird es immer wichtiger, oder?
Thomas Usländer: Es wird auf jeden Fall immer wichtiger, weil ich einfach manche Dinge schneller machen kann und vielleicht auch auf Ideen komme, auf die ich sonst nicht gekommen wäre. Und so muss man es, glaube ich, auch in vielen kreativen Bereichen einsetzen. Man sollte sich inspirieren lassen. Man sollte aber den kritischen Blick nicht verlieren und letztendlich die eigene Kreativität und Bewertungsfähigkeit weiterhin hochhalten. Und das würde ich mir auch wünschen in der ganzen Ausbildung der Ingenieure und der Informatiker, dass man diesen Blick weiterhin behält, weil ansonsten machen wir uns abhängig von derartigen Systemen und das eigentliche Wissen geht verloren. Und da muss man, glaube ich, aufpassen im Umgang mit KI-Systemen, gerade bei Innovationsprozessen.
Götz Müller: Wenn jetzt jemand zuhört und sagt, das hört sich ja spannend an, ich habe da so vage Ideen vielleicht im Kopf. Was wäre jetzt so ein möglicher erster Schritt, um mit das Thema KI-Innovationsprozesse, KI-Innovation tiefer einzusteigen?
Thomas Usländer: Ja, das kann ich festmachen an ganz konkreten Arbeiten, die wir im Rahmen der KI-Allianz Baden-Württemberg durchführen. Die KI-Allianz ist eine Genossenschaft in Baden-Württemberg, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, KI-Innovationen in die Fläche zu bringen. In die Fläche bringen, das heißt ganz konkret, ja, an kleine und mittelständische Unternehmen heranzubringen, die nicht direkt jetzt vielleicht mit Forschungseinrichtungen kooperieren können, die auch keine eigenen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen haben, die sich dem Thema KI nur am Rande annähern können, die aber wissen, okay, man sollte da etwas tun und über die vielfältigen Informationen, die es darüber gibt, vielleicht auch so ein bisschen die Erfahrung oder die Erwartung haben: Ja, das ist eine Technologie, die kann alles Mögliche, die kann mir vielleicht meine Probleme, die ich habe, sehr einfach lösen. Und um jetzt diese Erwartungshaltung zusammenzubringen mit dem, was tatsächlich möglich ist, haben wir uns einen Innovationsprozess ausgedacht, der KI-Anwender mit KI-Anbietern zusammenbringt und in einem moderierten Diskurs wirklich klärt und überlegt, für welche Fragestellungen aus der Praxis kann ich KI-Technologie wirklich gut und zielführend einsetzen, sodass, und da kommen wir zum Ausgangsgespräch unseres Podcasts zurück, zur Ausgangsfrage, wie nachhaltig ist dann so eine Lösung? Ein Mittelständler kann es sich nicht leisten, zehn Prototypen zu bauen, ohne dann den Wertschöpfungsprozess im Blick zu haben und sich zu überlegen, wie passt es bei mir in das Unternehmen und meine Prozesse, in meine Produktlandschaft rein. An der Stelle muss man dann wirklich zu Ende denken und das auch systematisch zu Papier bringen und dokumentieren, wie könnte denn ein Geschäftsmodell aussehen, nachdem das System entwickelt wurde, in dem dann auch KI-Verfahren zum Einsatz kamen und wie müsste ein Projekt aussehen, das mich vom Ausgangszustand, in dem ich jetzt bin, zu diesem Zielzustand führt, weil ohne ein gut durchdachtes Projekt mit den entsprechenden Partnern, mit den entsprechenden Daten ausgestattet, kann ich kein KI-System entwickeln. Diesen Prozess nennen wir KI-Challenge, weil die eigentliche Herausforderung ist, oftmals nicht die richtige Algorithmik zu finden oder das richtige KI-Verfahren, sondern diesen ganzen Prozess zu beherrschen und letztendlich ein einsatzfähiges Produkt zu entwickeln, das dann aber auch wartbar ist und pflegbar für den weiteren Nutzen.
Götz Müller: Ja, das sind, glaube ich, Dinge, die an anderen Stellen durchaus auch aktuellen Themen, ganz allgemein Digitalisierung, Automatisierung, in meiner Wahrnehmung manchmal immer wieder zu kurz kommen, weil eher so die Lösung im Vordergrund steht und man dann hinterher ein Problem dazu sucht. Und da höre ich jetzt bei Ihnen raus, der Ausgangspunkt ist eben eine Problemstellung, jetzt im Kontext Geschäftsmodell, eine Problemstellung für einen Nutzer.
Thomas Usländer: Richtig. Und heutzutage irgendwie aus Marketing-Gesichtspunkten will man ja nicht über Probleme reden, sondern über Herausforderungen, die man zu lösen hat. Trotz allem, klar, die Fragestellung, wie man es auch immer nennen will, die muss am Anfang stehen. Und wie vorhin schon gesagt, auch das Ziel muss klar definiert sein: Wann will ich was erreicht haben? Vielleicht muss ich in Iterationszyklen denken und erstmal die einfachen Dinge machen. Viele möchten auch sogenannte Low-Hanging-Fruits ernten. Also was kann ich sehr schnell mit bestehender Technologie wirklich ernten an Geschäftserfolgen und an Produktverbesserung? Das muss man identifizieren, um dann auch vielleicht das Management davon zu überzeugen, dass es der richtige Weg ist. Viele KMUs können ja nicht jetzt da Millionen reinstecken in die Weiterentwicklung, ohne zu wissen, okay, das bringt auch was. Da muss ich wirklich auch kleinere Schritte gehen können. Und das bedeutet, der Innovationsprozess sollte von Anfang an verschiedene Meilensteine im Blick haben und ein iteratives Denken auch im Blick haben und nach und nach dann eine Verbesserung auch sichtbar erzielbar machen.
Götz Müller: Ja, das sind genau die Punkte, wo mir als Lean-Mensch, um es mal so auszudrücken, das Herz lacht, weil dieses iterative Vorgehen beim Verbessern eine Grundlage ist und hier eben bei der Innovation eben auch, wie ich das rausgehört habe.
Thomas Usländer: Vollkommen richtig. Wir haben da natürlich ein kleines Problem und das ist, dass die KI-Technologie so schnell voranschreitet, dass die Annahmen, die ich am Anfang treffe, sehr schnell auch vielleicht angepasst werden müssen. Auch das gehört dazu, dass man natürlich weiterhin den Markt beobachtet, die Entwicklung der KI-Technologie beobachtet, auch die Geschäftsmodelle immer wieder hinterfragt, sind es noch die richtigen oder bin ich vielleicht, wenn mein Projekt zu Ende ist und das Produkt auf den Markt kommen könnte, dann nicht vielleicht sogar schon zu spät. Manchmal ist man zu früh mit Innovationen, manchmal ist man zu spät. Und die Kunst, das bleibt, besteht natürlich darin, zur richtigen Zeit das richtige Projekt mit dem richtigen Innovationsgrad auf den Markt zu bringen.
Götz Müller: Genau, und da trägt im Grunde jetzt auch Ihr Beitrag dazu bei, um da dieses Verständnis zu entwickeln. Und deshalb, Herr Usländer, ich danke Ihnen für Ihre Zeit, für die Einblicke in ein wichtiges Thema.
Thomas Usländer: Ich bedanke mich auch für diesen interessanten Austausch. Und wenn es Fragen gibt, ich stehe natürlich gerne zur Verfügung.
Götz Müller: Das war die heutige Episode im Gespräch mit Thomas Usländer zum Thema KI-Innovationsprozesse. Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 377.
Wenn Ihnen die Folge gefallen hat, freue ich mich über Ihre Bewertung bei Apple Podcasts. Sie geben damit auch anderen Lean-Interessierten die Chance, den Podcast zu entdecken.
Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.
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