Kann man Lean kopieren?

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In meinen Augen kann die Antwort hier nur lauten „kommt drauf an“. Wie üblich gibt es einige Aspekte, die man bedenken sollte, bevor man eine Antwort gibt.

Eine über- oder untergeordnete Frage wäre, ob man etwas nicht abgeschlossenes, um nicht zu sagen nicht fertiges, kopieren kann. Was macht man mit Veränderungen, die im Original nach dem Kopiervorgang auftreten? Dabei geht es erstmal „nur“ um die zeitliche Abgeschlossenheit, die schon im Zweifel steht. Was ist aber mit der „räumlichen“ Abgeschlossenheit? Mit räumlich meine ich Gesichtspunkte von Lean durch die Systembrille. Da ist immer die entscheidende Frage, wo die Grenzen des Systems liegen. Was gehört also alles dazu, wenn man von Lean spricht? Oder vielleicht auch die Frage, was gehört nicht dazu? Was ist mit dem Kontext? Was definiert den Kontext?

An der Stelle mal ein kleiner Einschub, um diesen Gedanken zu vertiefen. Der Mensch (und viele andere Lebewesen) ist ein Kopiertier (nicht nur ein Routinetier ;-) Wir lernen viele Dinge durch kopieren. Das fängt schon mit dem Laufen und Sprechen lernen an. Auch da kommt es auf den Kontext an. Da gibt es auch das Experiment von Konrad Lorenz mit dem Gänseküken, das ihn nach dem Schlümpfen als Muttertier angenommen hat. Da stellt sich mir die Frage, ob das Küken dann fliegen gelernt hat. Oder die Sache mit dem Adlerküken auf dem Hühnerhof (was aber eine Urban Legend sein könnte).

Was bedeutet jetzt aber, etwas wirklich gelernt zu haben? Beim Laufen ist das vermutlich ziemlich einfach, irgendwann kann man es, das heißt man kann sich auf zwei Beinen von Punkt A zu Punkt B bewegen. Beim Sprechen ist das ungleich komplizierter (oder vielleicht sogar komplexer?). Klar kann man sich mit ein paar Jahren verbal ausdrücken und mit anderen kommunizieren. Kann man deshalb die Sprache? Was ist mit der Grammatik und dem Wortschatz. Spätestens bei letzterem kommt die Frage nach der Vollständigkeit bzw. Abgeschlossenheit hinzu. Und das ist einer der wenigen Fälle, bei dem die Vorständigkeitsdefinition von Antoine de Saint Exupéry nicht zutrifft.

Und dann gibt es noch die Forderung, dass man erst durch die Reflexion etwas wirklich gelernt hat. Beim Laufen und vermutlich auch beim Sprechen ist das aber nicht wirklich relevant. Da scheint es noch einen Unterschied zwischen einem gewöhnlichen Menschen und vielleicht einem Sprachwissenschaftler zu geben.

„Der Mensch hat dreierlei Wege klug zu handeln: durch Nachdenken ist der edelste, durch Nachahmen der einfachste, durch Erfahrung der bitterste.“

– Konfuzius

Bei Sprechen machen wir uns gewöhnlich keine Gedanken über das Was und Wie und schon gar nicht über das Warum (wenn man darin mal die Grammatikregeln einsortiert).

Bei Lean dürfte das allerdings etwas anders anders sein – um es mal vorsichtig auszudrücken. Da werd' ich den Verdacht nicht los, dass da etwas mehr drinsteckt. Das ist halt etwas mehr als bloß zu sehen, dass jemand mit einem Brot aus der Bäckerei kommt und dann reinzugehen und eine Kopie zu kaufen. Gleichzeitig werde ich aber den Verdacht auch nicht los, dass Lean manchmal wie ein Brot behandelt wird. Die Ähnlichkeit mit vier Buchstaben ist dabei rein zufällig und nicht beabsichtigt ;-)

Mancher sieht beim Bäcker kleine feine Brötchen und hofft irgendwie, dass die deutlich günstigeren großen Kartoffeln vom Bauer den gleichen Zweck erfüllen. Aus der Distanz betrachtet ist die äußere Form ja gar nicht so viel anders.

Im übertragenen Sinn entspricht das dann dem bloßen Einsatz von Lean-Methoden und Werkzeugen, ohne den Kontext zu betrachten und zu beachten. Da schließt sich dann auch der Kreis zu den eingangs erwähnten Systemgrenzen. Vor allem kommt es auch darauf an, sich Gedanken zu machen, welches Problem eigentlich gelöst werden soll. Nicht bloß, dass die Gedanken darum oft viel zu kurz kommen, im Zusammenhang mit dem Problem kann sich auch der Kontext und dessen Einflussnahme auf das System verändern.

Vereinfachend kann man diesen Aspekt auch mit dem Warum zusammenfassen. Das Gemeine dabei ist, dass man das Warum anders als das Was und Wie in Regel nicht so einfach (oder gar nicht) sehen kann. Manchmal ist es den Personen im Original selbst gar nicht bekannt oder bewusst und muss dort erst zwiebelähnlich freigelegt werden.

Im ganz Kleinen kommt das Warum bspw. bei den Job Instructions aus dem Training Within Industry deutlich zum Ausdruck. Dort ist bei den Arbeitsaufschlüsselungen eine eigene Spalte vorgesehen und ist ein entscheidender Erfolgsfaktor für Arbeitsunterweisungen. Erst wenn man sich das Warum wirklich bewusst macht, kann eine Vorgehensweise wirklich kopiert werden, dass sie dann in Form eines Arbeitsstandards Bestand hat. Gleichzeitig ist das Warum und der bewusste Umgang damit aber auch der Schlüssel dafür, dass sich der Standard verändern kann, darf oder sogar muss, wenn sich der Kontext und damit das Warum verändert hat.

Wenn das schon im Kleinen so entscheidend ist, warum wird es dann im Großen so vernachlässigt?

Wenn Sie wissen möchten, welche Rolle im Detail das Warum bei den Job Instructions spielt, nehmen Sie gerne Kontakt mit mir über dieses Formular auf oder greifen Sie einfach zum Telefon und rufen Sie mich unter 0171-7342717 an.

Falls die Umstände für Sie aktuell eine Kontaktaufnahme verhindern, legen Sie sich doch eine Wiedervorlage an.

Frage: Welche Erfahrungen haben Sie mit Lean-Kopien gemacht? Wo hat die Kopie nicht die Versprechen des Originals erfüllt? Was könnten die Ursachen sein?

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