Der Anstoß zu diesem Artikel ist durch eine Podcast-Episode der Gemba-Academy entstanden. Dort ging es um die Anwendung von Lean-Prinzipien in einer Zahnarztpraxis.
Die für mich wahrgenommene Kernaussage des interviewten Zahnarztes war der Hinweis, dass alle Verbesserungsbestrebungen, bspw. die Suche nach Verschwendungen selbst Verschwendungen sind, wenn nicht danach gestrebt wird, das Flussprinzip bezogen auf ein Stück (One-Piece-Flow) einzuführen. Im Fall der Zahnarztpraxis ist das die komplette Behandlung eines Patienten innerhalb einer Sitzung.
Die meisten von uns haben in der Regel die Erfahrung gemacht, dass es schon Glücksache ist, wenn die Kontrolluntersuchung und die Zahnreinigung direkt nacheinander stattfinden. Wenn dann auch noch die Wartezeit vor Ort minimiert wird, sind wir oft schon sehr zufrieden.
Letztlich ist diese Ausprägung des Praxisprozesses maximal von einer Kundenorientierung entfernt, weil er sich primär um den Arzt dreht und diesen ins Zentrum stellt.
Interessant fand ich auch die klare Aussage des Arztes, dass viele der Managementprinzipien auch einer Arztpraxis ihren Ursprung in der produzierenden Industrie hat, auch wenn das die Beteiligten im Gesundheitswesen so gar nicht wahrnehmen. Es ist doch sogar oft so, dass eine abwehrende Aussage aus diesem Personenkreis lautet, dass die Lean-Methoden der Automobilindustrie im Gesundheitswesen nicht anwendbar sind, weil es dort um Menschen geht und nicht um die Produktion von Autos.
Weiterhin macht der Arzt die Aussage, dass es immer um die Menschen geht, egal ob Kaffee serviert wird oder die Zähne gerichtet werden.
– Ursula Lehr, frühere Bundesfamilienministerin
Bzgl. Flussprinzip ist eine häufig auftretende Sorge, dass es dadurch im Ablauf zu Störungen und Wartezeiten kommt, weil mit dem Flussprinzip auch der Abbau von Pufferspeichern verbunden ist, die meistens Engpässe im Ablauf verdecken. Auch hier macht der Arzt die Aussage, dass sich Wartezeiten für Patienten genau in dem Augenblick aufgelöst haben, indem das Flussprinzip als oberstes Ziel eingeführt wurde.
Natürlich schafft das Flussprinzip neue Herausforderungen, zum Beispiel wird es notwendig durch die Variantenvielfalt der Behandlungsmethoden je nach Diagnose Rüstzeitoptimierung einzuführen und sich Gedanken über internes und externes Rüsten zu machen. Auch hier wird in meinen Augen deutlich, dass Methoden aus dem Produktionsumfeld direkt in Behandlungsprozesse übertragen werden können.
Wie oben schon angedeutet, sind die Prinzipien und Methoden des Lean Management genau in dem Moment auch auf das Gesundheitswesen übertragbar, wenn die Kundenorientierung als die große gemeinsame Klammer und Basis verstanden wird und der Fokus nicht auf die allgemeine graue Kundenmasse gelegt wird, sondern sich immer auf eine Einzelperson bezieht, die dadurch auch das oben erwähnte menschliche Gesicht bekommt. Dann geht plötzlich nicht mehr um vermeintlichen Unterschiede bei der Produktion von Autos gegenüber der Behandlung von Krankheiten, sondern die Bedürfnisse eines Menschen rücken ins Zentrum und sind der Antrieb und Maßstab für Verbesserungsbemühungen.
Um diese Kundenorientierung einzuführen, ist es notwendig im gesamten Unternehmen das entsprechende Bewusstsein und Selbstverständnis für den Zweck des Unternehmens deutlich zumachen. Dabei handelt es sich um die wichtigste Aufgabe der Unternehmensleitung, ohne die in meinen Augen alle anderen Bemühungen zum Scheitern verurteilt sind.
Kundenorientierung kann dabei im Kleinen schon damit beginnen, wie beispielsweise die Blutabnahme organisiert ist. Dabei handelt es sich um einen gut planbaren Prozess, der in hohem Maß getaktet ist. Die schlechte Variante ist dabei, einfach alle entsprechenden Patienten zum Beginn der morgendlichen Zeitraums (7:15-8:30) einzubestellen, ohne hier weiter zu differenzieren (und die Praxis erst 7:21 zu öffnen; wirklich grad erst so erlebt). Die deutlich bessere Variante wäre, die durchschnittliche Zeit pro Patient zu bestimmen und diese dann gezielt auf ihren Zeitschlitz hin einzuladen und sie dann auch entsprechend dranzunehmen (und nicht mit der Frage „So, wer ist der Nächste?“ aufzurufen). Dann passiert es auch nicht, dass es zu einer Wartezeit von >30 min kommt, wobei die „Bearbeitungszeit“ danach höchstens 10 % davon beträgt.
Sie können einen Kommentar hinterlassen, indem Sie hier klicken.
Artikel teilen auf ...
Hinweis: Ich behalte mir vor, Kommentare zu löschen, die beleidigend sind oder nicht zum Thema gehören.