Warum „Dinge“ nicht komplex sind

komplex

Vor kurzem hatte ich am Wochenende das Barcamp Stuttgart besucht. U.a. gab es dort eine Session zum Thema komplex vs. kompliziert. Ein Großteil der Diskussion hatte sich dabei um die unterschiedlichen Definitionen komplex vs. kompliziert gedreht und wie man dann in der Konsequenz davon ableitet, wie man damit umgeht.

Mir ging und geht es dabei gar nicht darum, ob die verschiedenen Definitionen richtig oder falsch sind. Was mich an den meisten Diskussionen stört, ist Absolutheit, die meistens damit einhergeht.

Damit meine ich, dass einem „Ding“, einer Situation oder was auch immer eine fixe Eigenschaft zugeschrieben, die den Kontext nicht berücksichtigt.

In meinen Augen ist aber der Kontext ein wichtiger Aspekt, der die Eigenschaft beeinflusst. Damit stellt sich auch grundsätzlich die Frage, ob Komplexität, Kompliziert- oder Einfachheit überhaupt Eigenschaften im klassischen (physikalischen) Verständnis sind, wie es bspw. Farben sind.

Wahrscheinlich wird diese Verwendung auch davon beeinflusst, wie wir mit anderen Eigenschaftsbegriffen umgehen, bspw. Größe (groß, klein, …), Geschwindigkeiten (schnell, langsam, …), die nicht aus einer Maßzahl und -einheit bestehen.

Der NLPler spricht hier von einer Form der Tilgung[1], nämlich dem Vergleichsmaßstab. Die kann nicht nur bei vergleichenden Eigenschaften (größer, schneller, …) auftreten und dort ziemlich offensichtlich sein, sondern eben auch bei vermeintlich absoluten Eigenschaften wie groß, schnell o.a.

Für eine Mücke ist eine Maus sicherlich groß, während ein Elefant die Maus eher als klein bezeichnen würde.

Gleiches gilt meiner Meinung nach eben auch für komplex bzw. kompliziert und Umständen auch für die Einfachheit, obwohl wir uns da natürlich auf einem „komplexeren“ Niveau als bei der Größenzuschreibung von Mücke, Maus und Elefant bewegen.

„Für jedes komplexe Problem gibt es eine einfache Lösung, und die ist die falsch.“

– Umberto Eco

Die Mücke bzw. der Elefant ist also ein Teil des Kontextes zur Beurteilung der Maus.

Für die Komplexität können das unsere kognitiven Fähigkeiten sein, ebenso wie Hilfsmittel in Form von Meßinstrumenten, die ihrerseits wieder auf der Komplexitätsskala eingeordnet werden können.

Das bringt mich dann zu der Aussage, dass „Dinge“ nur mit Hilfe vergleichbar komplexen Hilfsmitteln gelöst werden können. Bei der Größe von „einfachen“ Dingen wie Maus oder Elefant wird das in der Regel mit einem einfachen Meßinstrument in Form eines Zollstocks oder Bandmaßes möglich sein. Aber selbst die Größe macht da schon einen Unterschied. Die Messausrüstung für einen Atomkern dürfte einen ähnlich komplexen Maßstab annehmen, wie für die Größenbestimmung eines Planeten oder einer Galaxie, zumindest wenn wir eine durchschnittliche Person als Referenz nehmen, die sich nicht schon seit Jahrzehnten mit Atomphysik oder Astronomie beschäftigt.

Wir sollten uns also immer darüber im klaren sein, dass die Zuordnung einer Komplexität auf Basis unserer eigenen Fähigkeiten geschieht. Wenn es sich nun um eine Problemstellung handelt – mit der Problemdefinition als Lücke zwischen einem Ist- und einem Soll-Zustand – sollten wir also berücksichtigen, dass wir mit der Beurteilung unweigerlich ein Teil des Systems werden. Das gilt dann auch für mögliche Lösungskonzepte oder -methoden, wenn wir uns eben auch Gedanken über die Lösung des Problems machen.

Dann ist es typischerweise nicht verkehrt zuerst einmal zu hinterfragen, ob unser eigener Komplexitätsmaßstab wirklich der passende ist. Bevor wir eine (für uns) vermeintlich komplexe Lösung einsetzen, könnte es auch angebracht sein, die Einschätzung einer anderen Person einzuholen, für die evtl. die komplexe Situation eher nur kompliziert oder vielleicht sogar einfach zu lösen ist.

Damit vermeiden wir sprichwörtlich den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben und im Ergebnis gar nichts erreichen oder die Situation vielleicht sogar noch schlimmer machen. – Wobei dieses Sprichwort im Grunde unterstreicht, dass man sich bei der Lösung auf einer gleichen oder sogar schlimmeren Ebene des Übels bewegen muss, um dem Übel selbst Herr zu werden, d.h. es zu lösen.

[1] Tilgung
[2] Beelzebub

Frage: Welche Komplexitätszuschreibungen sind Ihnen schon begegnet, die sich dann verändert haben? Was waren die Gründe dafür? Wie hätte ein andere Vorgehensweise aussehen können?

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