Warum Sauberkeit und Ordnung eine echte Hürde sein kann

Sauberkeit

Kürzlich habe ich im LeanBaseClub einen Impulsvortrag über TWI gehalten. In den Pausengesprächen ist ein interessanter Aspekt aufgebracht worden, den ich in der Form bisher nicht auf dem Schirm hatte.

Sauberkeit (und Ordnung)

Cool, stimmt's?

Die meisten werden jetzt entweder irritiert den Kopf schütteln oder zustimmend nicken, oder?

Irritiert, weil Sauberkeit und Ordnung doch wichtige Elemente von Lean sind und mittels 5S/5A angestrebt und implementiert werden. Wie kann man das also nicht auf dem Schirm haben.

Zustimmend nicken vermutlich aus dem gleichen Grund.

Also muss ich etwas ausholen und erklären, was ich da nicht auf dem Schirm hatte.

Jetzt gibt es ja durchaus Branchen bzw. Tätigkeiten, die in sich selbst ein gewisses Maß an Schmutz bzw. Verschmutzung mitsichbringen, die in der Natur der Sache begründet sind. Dazu gehören bspw. Handwerksberufe, in denen mit Farbe, Putz oder anderen additiven Werkstoffen gearbeitet wird. Andere Berufe nutzen Hilfsmittel in den Tätigkeiten wie Schmierstoffe, Schleifmittel o.ä., die ebenfalls einen gewissen Hang zur Verschmutzung verursachen. Wieder andere Branchen beschäftigen sich einfach mit der Beseitigung von Schmutz, bspw. die Gebäudereinigung, Rohrreinigung oder Viehhaltung. Oder es sind Branchen wie der Bergbau oder Straßenbau.

All diese Branchen bzw. Berufszweige bringen es mit sich, dass man sich dort als Arbeitskraft einfach auch dreckig macht. Oft ist das schon seit Jahrhunderten so und es gehört deshalb zum Selbstbild aber durchaus auch zum Fremdbild. In der Regel werden diese Selbst- und Fremdbilder auch nicht in Frage gestellt.

Der Gedanke, der jetzt in o.g. Pausengespräch entstanden ist, bezieht sich auf genau diese Selbst- und Fremdbilder.

Dabei kann durchaus ein gewisser Stolz entstehen, dass man sich bei der Arbeit eben dreckig macht, was das auch ein Indiz dafür ist, dass man etwas geleistet hat. Unter Umständen entsteht daraus sogar eine Abgrenzung ggü. anderen Branchen, die dann wechselseitig auf die anderen herabschauen. Die einen, weil die anderen sich bei der Arbeit dreckig machen, die anderen auf die ersten, weil es dort gerade nicht der Fall ist.

Mir geht es jetzt überhaupt nicht darum, hier eine Wertung vorzunehmen.

Der Effekt, auf den ich raus will, dreht sich eben um das genannte Selbstverständnis und das möglicherweise damit verbundene Selbst-Bewusstsein. Wenn an diesem Selbstverständnis jetzt plötzlich etwas verändert wird, weil plötzlich mittels 5S/5A Sauberkeit entsteht, d.h. auch die tätigen Menschen am Arbeitsende nicht mehr schmutzig sind. Und damit verbunden, sich auch plötzlich der (vermeintliche, ebenfalls ohne Wertung!) Leistungsnachweis – speziell ggü. Außenstehenden – in Luft auflöst.

„Ordnung ist eine Tochter der Überlegung.“

– Georg Christoph Lichtenberg

Also der Ehemann, der nach getaner Arbeit zuhause nicht mehr als erstes unter die Dusche muss. Welche Gedanken könnten da bei seiner Ehefrau entstehen? „Wo kommt er jetzt her, dass er nicht schmutzig nach Hause kommt?“ Welcher unbewusste Gedanke entsteht dabei unwillkürlich vorher schon beim Ehemann?

Nicht, dass das bewusste und rationale Gedanken sind (sind es in Verbindung mit Veränderung oft nicht) bei den Beteiligten und vielleicht indirekt Betroffenen. Trotzdem oder gerade deshalb entstehen dadurch große Hürden und Widerstände, über diese sich alle Beteiligten und Betroffenen ebenfalls gar nicht so bewusst sind.

Nur die Widerstände an sich sind dann erkennbar. Manchmal gar nicht rational erklärbar, weder von den „Widerständlern“, noch von denen, die mit den Widerständen umgehen sollen, deren Aufgabe es ist, sie zu überwinden oder vielleicht sogar zu brechen.

Was will ich jetzt damit ausdrücken?

Manchmal muss man ziemlich um die Ecke denken, wenn es um Veränderungen geht. Speziell wenn es um Veränderungen von Verhalten und Einstellungen von Menschen geht (und im Grunde geht es darum praktisch immer), können Aspekte eine Rolle spielen, die eben so gar nicht auf der Hand liegen und sich auch auf ganz anderen Ebenen abspielen, wie die Veränderungen an sich.

Sauberkeit und Ordnung und unerklärliche Gründe, warum diese sich nicht einfach so verordnen bzw. anweisen lassen und keinen dauerhaften Bestand haben, sind also manchmal nur die sprichwörtliche Spitze eines Eisbergs, der nicht vom vielleicht lauen Lüftchen der Veränderung über dem Wasser bewegt wird, sondern von der viel stärkeren Strömung unter Wasser.

Sorgfältige Analyse der Ausgangssituationen und Randbedingungen können dabei ein wertvolles Hilfsmittel sein, Situationen möglichst umfassend zu erfassen, die handelnden Personen und deren Lage angemessen wertzuschätzen und in die Veränderungen einzubeziehen.

Die Job Relations bzw. das Job Relations Training und die damit verbundenen Grundlagen guter Arbeitsbeziehungen sind ein wichtiges Element des Trainings Within Industry.

Wenn Sie wissen möchten, wie die Schaffung guter Arbeitsbeziehungen in Ihrem Verantwortungsbereich aussehen können, nehmen Sie gerne Kontakt mit mir über dieses Formular auf oder greifen Sie einfach zum Telefon und rufen Sie mich unter 0171-7342717 an.

Falls die Umstände für Sie aktuell eine Kontaktaufnahme verhindern, legen Sie sich doch eine Wiedervorlage an.

PS: Falls sich übrigens jetzt der ein oder andere Hirnwerker oder jemand aus der Produktion lächelnd auf die eigene Schulter klopft und vergleichbare Situationen im eigenen Umfeld weit von sich weist. – Die kriegen gleich auch noch ihr Fett ab ;-)

Der Volltischler ist auch ein Symptom des gleichen Effekts. „Schaut nur, wie viel Arbeit ich habe! Ich bin wichtig!“

Oder die Roh- und Fertigmateriallager um Arbeitsplätze oder -stationen herum: „Schaut nur, was ich noch alles verarbeiten muss und/oder schon verarbeitet habe!“

Wie schon gesagt und hier nochmal betont: Es geht nicht darum jemand vorzuführen. Es geht nur darum, sich immer wieder bewusst zu machen, welche Wirkungsmechanismen vorhanden sein können, die auf ganz subtile Art und Weise Veränderung erheblich behindern. Dabei ist es entsprechend der TWI Philosophie wichtig, jeden einzelnen Menschen als Individuum wahrzunehmen und auch so zu behandeln.

Frage: Was könnte ein versteckter Grund für Schmutz in Ihrem Arbeitsumfeld sein? Was könnte vielleicht an dessen Stelle stehen? Wie könnten Sie diese Form der Widerstände gegen Veränderung aufdecken und damit überwinden?

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