Mihály Csíkszentmihályi, ein ungarisch-amerikanischer Psychologe, beschreibt den Flow auf eine ganz andere Art und Weise. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit dem optimalen Erleben von Menschen. Der psychologische Flow-Zustand tritt dann auf, wenn Menschen vollständig in einer Tätigkeit aufgehen, alles um sie herum vergessen und die Zeit zu verschwinden scheint. In diesem Moment erleben sie eine tief empfundene Zufriedenheit und Kreativität. Es handelt sich um einen Zustand höchster Konzentration und des tiefen Engagements, der oft als beglückend empfunden wird. Diese Art des Flow-Zustands ist ein intensives Erlebnis, das laut Csíkszentmihályi dann entsteht, wenn die Fähigkeiten einer Person optimal mit den Anforderungen der Aufgabe übereinstimmen.
Interessant ist, dass beide Konzepte auf ihre Weise die Bedingungen für einen perfekten Zustand beschreiben, jedoch auf unterschiedlichen Ebenen operieren. Im Lean-Management geht es um die Organisation von äußeren Abläufen, um Effizienz und Effektivität zu steigern. Hier steht das System im Vordergrund, und der Mensch ist Teil dieses Systems. In Csíkszentmihályis Flow-Theorie ist der Mensch selbst das Zentrum des Geschehens. Es geht weniger um die äußeren Umstände als vielmehr darum, wie eine Person innerlich auf eine Aufgabe reagiert, wie sie sich auf diese Aufgabe einlässt und in ihr aufgeht.
Nun stellt sich die Frage: Können diese beiden Flow-Begriffe miteinander in Beziehung gesetzt werden? Können sie sich gegenseitig ergänzen, vielleicht sogar bedingen? Oder stehen die beiden Ansätze in Konkurrenz zueinander?
Wenn man darüber nachdenkt, wird deutlich, dass es durchaus Berührungspunkte gibt.
– Aristoteles
Ein perfekt getakteter Prozess im Lean-Management kann dazu führen, dass die Mitarbeitenden eine Form von psychologischem Flow erleben, weil sie nicht durch unnötige Unterbrechungen oder Ineffizienzen aus ihrer Arbeit gerissen werden. Umgekehrt kann ein Mensch, der sich im Flow-Zustand befindet, möglicherweise effizienter und produktiver arbeiten, was wiederum den Fluss des gesamten Systems unterstützt.
Dennoch bleibt ein wesentlicher Unterschied bestehen: Im Lean-Management ist der Flow ein Ziel, das durch systematische Planung, Messung und Optimierung erreicht werden soll. Es ist ein Zustand, den man bewusst herbeiführt, indem man die Rahmenbedingungen anpasst. Der psychologische Flow hingegen ist ein Zustand, der oft eher spontan entsteht. Er lässt sich schwer erzwingen, sondern ist das Ergebnis eines Einklangs zwischen den Fähigkeiten einer Person und den Herausforderungen, denen sie gegenübersteht.
Für Führungskräfte, die sich mit Lean-Management beschäftigen, könnte es hilfreich sein, beide Konzepte im Hinterkopf zu behalten. Denn auch wenn der Flow im Lean-Management in erster Linie auf die Prozessgestaltung abzielt, sollte der menschliche Aspekt nicht vernachlässigt werden. Ein Prozess, der perfekt durchgetaktet ist, aber die Mitarbeitenden nicht berücksichtigt, bleibt möglicherweise hinter seinem Potenzial zurück. Denn letztlich sind es die Menschen, die den Prozess mit Leben füllen, seine Effizienz sicherstellen und gleichzeitig für Verbesserungen sorgen. Der psychologische Flow-Zustand könnte also eine wertvolle Ergänzung sein, um nicht nur die Prozesse, sondern auch die Motivation und Zufriedenheit der Mitarbeitenden zu steigern.
Gleichzeitig ist der menschliche Flow in meinen Augen aber eine höchst individuelle Sache (siehe auch das Grundprinzip der menschlichen Individualität bei den Job Relations aus dem Training Within Industry). Das könnte dann auch ein Einflussfaktor sein, warum Prozessstandards im Sinne eines idealen Flows potenzielle Wiederstände hervorrufen, weil der psychologische Flow von verschiedenen Menschen unterschiedlich wahrgenommen und wertgeschätzt wird.
Vielleicht lohnt es sich, in der eigenen Arbeitsumgebung einmal darüber nachzudenken, wie der Flow auf beiden Ebenen – der organisatorischen und der psychologischen – erreicht werden kann. Wie kann man die Rahmenbedingungen schaffen, die sowohl effiziente Abläufe als auch ein tiefes Engagement der tätigen Menschen fördern? Vielleicht liegt der Schlüssel darin, nicht nur die Prozesse, sondern auch die Menschen und ihre Bedürfnisse zu berücksichtigen.
Frage: Welche Rahmenbedingungen in Ihrem Verantwortungsbereich begünstigen oder verhindern den Fluss, sei es auf der Prozessebene oder auf der menschlichen Ebene? Wie (oft) erleben Ihre Mitarbeitenden einen Zustand des Flows in ihrer Arbeit? Was könnte passieren, wenn Sie gezielt den psychologischen Flow Ihrer Mitarbeiter fördern und gleichzeitig den Fluss Ihrer Prozesse verbessern?
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