Wenn der Schein trügt

Schein

Ein „schönes“ Beispiel, dass der Schein trügen kann, findet man bei den s.g. Baby-Karotten. Dabei handelt es sich mitnichten um natürlich kleinwüchsige Karotten, sondern meistens um Karotten, die im Wuchs nicht dem typischen Bild einer Karotte entsprochen haben, deshalb unverkäuflich sind und zur Abhilfe weiteren Bearbeitungsschritten (schneiden, schälen, …) unterworfen wurden. Der deutlich höhere Preis der Baby-Karotten wird dabei nicht von der höheren Qualität verursacht (durch das Schälen gehen sogar Nährstoffe verloren), sondern durch den erheblich höheren Bearbeitungsaufwand.

Jetzt fragen Sie sich vielleicht, was das mit Lean zu tun hat.

Ein Ansatzpunkt dafür ist die klassische Wertschöpfungsdefinition mit ihren drei Kriterien, die gleichzeitig zutreffen müssen. Es muss ein Produkt oder eine Dienstleistung verändern, die Veränderung muss einen Mehrwert für den Kunden liefern und die Veränderung muss beim ersten Anlauf korrekt ausgeführt werden.

Speziell der zweite Punkt wird viel zu oft aus dem Blickwinkel des Anbieters und auf Basis der ihm entstehenden Kosten beurteilt. Wenn der Kunde dabei dann allein durch die Preisgestaltung des Produkts in die Irre geführt wird, kann man in meinen Augen nicht von einer echten Wertsteigerung sprechen, in dem Sinn, dass der Kunde einen Mehrwert hat.

Vergleichbare Effekte des Aufhübschens findet durchaus auch im Kontext von notwendigen Verbesserungen in Geschäftsprozessen statt. Da werden sich dann Probleme schöngeredet, nur damit man nicht anstrengende Ursachenanalysen betreiben muss und sich in der Folge mit dem Loslassen von liebgewordenen Gewohnheiten konfrontiert sieht.

Ähnliche Effekte können im Arbeitsfluss auftreten, wenn durch Zwischenlager vorhandene Störungen aufgefangen werden, nur damit scheinbar niemand zur Unproduktivität verdammt wird, statt bestehende Probleme offenzulegen und dann Ansatzpunkte zur Verbesserung zu identifizieren.

„Je weniger wir Trugbilder bewundern, desto mehr vermögen wir die Wahrheit aufzunehmen.“

– Erasmus von Rotterdam

Weitere Situationen, in den der Schein trügt, treten gerne im Zusammenhang mit Audits auf. Das hat zwar mit Lean direkt nichts zu tun, aber nicht selten haben sich die betreffenden Unternehmen Lean durchaus auf die Fahne geschrieben. Diese Situationen können die umfangreicheren ISO-Audits sein, speziell 9001. Aber auch im direkten Lean-Zusammenhang passiert das zusammen mit den berühmt-berüchtigten 5S. Wenn da wieder mal ein entsprechendes Audit ansteht, wird auf Teufel komm‘ raus aufgeräumt. Natürlich ist es dann auch sauber, aber die anderen ‚S‘ kommen in der Regel zu kurz, speziell das vierte und fünfte. Da bestehen also keine echten Standards – sonst wären ja die besonderen Anstrengungen für S1..S3 gar nicht nötig – und mit der Selbstdisziplin und der ständigen Verbesserung ist es auch nicht weit her.

Wenn es hier also einen Schein gibt, kann er eben nur trügen.

Der Schein kann aber auch trügen, wenn scheinbare Optimierungen lokal durchgeführt werden. Da haben dann einzelne Maschinen eine hohe OEE, aber es geht auf Kosten von Überproduktion und Beständen. Oder die Rüstzeiten werden nachträglich in den Systemen auf die Sollzeiten frisiert.

Auch beliebt sind die „Kaizens“ in Form von punktuellen Workshops, also ob das etwas wäre, das man zählen kann. Die versteckte Gefahr dabei ist nicht, dass diese Workshops keine Verbesserungen bringen, sondern dass die Aktivitäten im nur punktuell ablaufen, Verbesserungen tendenziell eher auf die lange Bank in Form des nächsten Workshops geschoben werden, statt Probleme beim ersten Auftreten gleich anzugehen. Im Extremfall werden Ausreißer zur Nacharbeit verschoben, damit das sprichwörtliche Fließband bloß nicht zum Stehen kommt.

Wie sieht jetzt aber der Ausweg aus dieser Scheinwelt aus?

Ein erster Schritt wird immer der bewusste Umgang mit diesen Situationen sein, ebenso wie das Hinterfragen welche Motivation hinter dieser Scheinwelt steckt. In der Regel sind die Ursachen nicht bei den beteiligten Personen zu suchen, sondern im prägenden Kontext, der sich manchmal über Jahrzehnte schleichend entwickelt hat.

Was auf jeden Fall auch ein Schein wäre, wäre die Behauptung einer ultimativen Lösung für ein oft verstecktes und komplexes Problem.

Ein Möglichkeit kann immer ein ungetrübter externer Blick sein. Wenn Sie den mal in Ihrem Verantwortungsbereich nutzen wollen, nehmen Sie gerne Kontakt mit mir über dieses Formular auf oder greifen Sie einfach zum Telefon und rufen Sie mich unter 0171-7342717 an.

Falls die Umstände für Sie aktuell eine Kontaktaufnahme verhindern, legen Sie sich doch eine Wiedervorlage an.

Frage: Welcher Schein ist Ihnen schon begegnet? Was wurde/wird davon verborgen? Wie könnten Sie die wahren Situationen aufdecken?

Sie können einen Kommentar hinter­lassen, indem Sie hier klicken.

Jetzt eintragen und Artikel/Denkanstöße zukünftig per eMail erhalten.

Artikel teilen auf ...

Hinweis: Ich behalte mir vor, Kommentare zu löschen, die beleidigend sind oder nicht zum Thema gehören.