Inhalt der Episode:
- Wie sieht der grundsätzlich Recruiting-Prozess zwischen HR und Fachbereich aus?
- Welche Schnittstellen sind dabei zu beachten?
- Welche Veränderungen haben sich im Recruiting-Prozess durch Themen wie Demografiewandel ergeben?
- Was sind die häufigsten Probleme an den Schnittstellen?
- Welchen Beitrag könnte da die Digitalisierung leisten?
- Wie wird sich Recruiting in der näheren und fernen Zukunft verändern? Auf was müssen sich die Beteiligten in den Unternehmen und die Bewerber einstellen?
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(Teil)automatisiertes Transkript
Episode Kaizen 2 go 168 – Recruiting-Prozesse zwischen HR und Fachbereich
Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.
Götz Müller: Heute habe ich Henrik Zaborowski bei mir im Podcastgespräch. Er ist Redner und Recruiting-Experte. Hallo Herr Zaborowski.
Henrik Zaborowski: Hallo Herr Müller. Ich grüß’ Sie.
Götz Müller: Ja schön, dass es heute klappt. Auch wenn vielleicht die Hörer das bei einem anderen Wetter zuhören, sonnig draußen. So. Ich habe schon zwei Stichworte gesagt zu Ihnen, stellen Sie sich doch aber noch mit ein paar Sätzen mehr vor.
Henrik Zaborowski: Gerne. Also ich bin Freiberufler, mache seit 18 Jahren Recruiting, habe Industriekaufmann gelernt und BWL studiert und bin dann in einer Personalberatung gelandet und dann halt aus der Recruiting-Welt nicht mehr rausgekommen, lange auf der Dienstleisterseite, dann mal anderthalb Jahre interner Recruiter gewesen. Danach, vor jetzt über 5 Jahren, mich selbständig gemacht, erst am Anfang Interim-Projekte gemacht, also 3-6 Monate bei einem Kunden halt operativ unterstützen und, genau, und jetzt mache ich halt immer mehr klassisch, eigentlich, ja, Consulting, im Sinne von ich helfe Unternehmen dabei, ihr Recruiting zu optimieren. Das ist insofern interessant, weil ich seit zehn oder eigentlich schon in meiner Diplomarbeit gesagt habe, das war 99/2000, das kann eigentlich alles so gar nicht funktionieren, wie ihr Mitarbeiter auswählt. Und dann hat das aber lange keinen interessiert und dann habe ich vor fünf Jahren, als ich mich selbständig gemacht habe, gesagt „Ich helfe euch jetzt besser zu werden, liebe Unternehmen.“ und das wollten die aber auch noch nicht und die haben irgendwie nur gesagt „Beschaff mir halt Kandidaten“ irgendwie und jetzt tatsächlich so seit einem Jahr etwa kommen die Unternehmen auf mich zu und sagen „Okay, wir haben verstanden, wir müssen etwas ändern bei uns intern, in unseren Recruiting-Prozessen und hilf uns mal bitte.“ Genau und das mache ich.
Götz Müller: Und wir haben uns ja jetzt heute vorgenommen und genau diesen Recruiting-Prozess, und zwar eine ganz speziellen Stelle, nämlich zwischen der Personalabteilung und dem Fachbereich anzuschauen und da zum Einstieg eben einfach mal so einen kurzen Aufriss, wie stellt sich denn dieser Prozess typischerweise dar?
Henrik Zaborowski: Ja. Jetzt möchte ich kurz noch dazu, als sie mich angefragt hatten und sagten, sie machen hier Prozessberatung, Kaizen und so, dachte ich „Ja, okay, da bin ich ja komplett falsch.“, weil Prozesse sind das Letzte, mit dem ich etwas zu tun habe, weil meine Erfahrung ist, es scheitert halt immer an Menschen, ne, gerade im Recruiting und dann haben Sie aber gesagt „Nein, nein, das ist ja trotzdem sehr spannend.“ So. Und deswegen, also ich werde jetzt hier nicht großartig über Prozesse etwas erzählen können, weil – ich wollte nämlich schon fragen, wollen Sie die lehrbuchmäßige Meinung, also wie sieht der Recruiting-Prozess aus oder die praktische, ne. Also lehrbuchmäßig findet der Fachbereich … stellt der auf einmal fest, mir fehlt irgendwie ein Mitarbeiter und macht dann ein Anforderungsprofil, ein dezidiertes, sehr detailliert, sehr genau, sehr überlegt, mehrere Stunden Investment, lässt sich diese Stelle dann genehmigen von seinem Vorgesetzten, geht damit zur HR, die reden auch noch mal 1-2 Stunden darüber, brauchst du das wirklich und so, und dann wird eine Stellenbeschreibung formuliert und das macht meistens HR, also aus dem Anforderungsprofil heraus, dass der Fachbereich halt geschrieben hat und dann wird die Stelle geschaltet und dann sichtet HR die ersten, also die Bewerbungen vor, und entscheidet dann anhand welcher Kriterien auch immer, welche Bewerbungen an den Fachbereich weitergeleitet werden, dann guckt der Fachbereich rüber und sagt und „Die und die will ich einladen, denen kannst du absagen.“ und HR lädt dann in der Regel ein. Dann werden die Gespräche geführt mit HR zusammen oft, das ist aber auch sehr unterschiedlich und irgendwann sagt der Fachbereich „Jawoll, den und den will ich einstellen.“ und dann geht der Vertrag raus. Die Praxis bietet alles davon in den unterschiedlichen Ausprägungen oder auch gar nichts, je nachdem in welchen Unternehmen Sie unterwegs sind.
Götz Müller: Also, wenn ich es richtig verstanden habe, das war jetzt so die Lehrbuchvariante?
Henrik Zaborowski: Ja, also in saloppen Worten, genau. So und faktisch läuft es aber halt so, oftmals, dass der Fachbereich aus irgendeiner Grundlage heraus sagt, ich brauche hier Mitarbeiter, denkt sich irgendwas aus, was er nun meint, was jetzt wahnsinnig gut passt oder sagst „Wir hatten doch mal vor vier Jahren schon mal eine Stellenanzeige geschaltet, wie war denn das da noch mal? Ah ja, das nehmen wir einfach wieder.“, stimmt sich nicht ab, gibt die Stelle an HR, HR sagt „Ja, okay, Fachbereich haben wir verstanden, machen wir, wenn du die wirklich suchst, dann so, und dann wird die geschaltet und dann werden Bewerbungen gesichtet und die liegen dann vier Wochen beim Fachbereich, weil der nicht dazu kommt und dann merkt er auf einmal, „Ach, ich suche doch nicht so richtig einen so dringend, ich warte noch auf Mister Perfect.“. So und das sind dann … also, wenn Bewerber immer so schreien in den Foren und so „Ich frage mich, warum kriege ich sechs bis acht Wochen keine Rückmeldung von den Unternehmen.“ oder „Ich habe hier eine Absage gekriegt, obwohl ich doch super passe.“, ja, und dann denken die sich immer wer weiß was aus, was für kluge Gedanken sich die Unternehmen gemacht haben, warum derjenige jetzt nicht passt oder warum es wohl länger dauert. Die Wahrheit ist einfach, meistens ist es völliges Chaos und Unwissenheit oder fehlende Professionalität, ja, wenn solche Prozesse ewig dauern. Weil eigentlich ein sauberer Prozess wäre, nach zwei Tagen kann ich entscheiden, lade ich den ein oder nicht den Bewerber und dann kann sofort ein Termin koordiniert werden und nach zehn Tagen wird ein erstes Vorstellungsgespräch geführt und dann kann ich demjenigen eigentlich auch schon gleich sagen, nehme ich dich oder, also, machen wir noch einen Schritt weiter, noch eine zweite Runde oder nicht. Und vom Prozess her, der Prozess ist halt eigentlich ganz simpel, aber das Schwierige sind halt die Menschen, die da mitspielen und die dann nämlich anfangen „Oh, ich weiß auch nicht und ich bin bei mir da jetzt unsicher und ist ja schon auf eine wichtige Entscheidung.“ oder ich stelle fest, eigentlich brauche ich da doch gar keinen oder ich habe ein tolles Projekt in der Pipeline, aber das kommt jetzt, also brauche ich auf die Stelle nicht mehr, und so, also da passiert ja eigentlich das große Chaos und die großen Unsicherheiten.
Götz Müller: Gut. Also, das unterscheidet sich jetzt im Grunde nicht von einem Produktionsprozess. Da ist das große Problem auch: die Durchlaufzeit ist zu lang, die reine Bearbeitungszeit ist relativ kurz – und ich denke mal, Sie kommen an der ein oder anderen Stelle noch mal dazu, wie lange wird eine typische Bewerbung angeguckt – also sprich, da wird dran gearbeitet und dann liegt’s halt rum. Jetzt in der Produktion liegt es halt auf irgendeinem – ich sage es mal ein bisschen flapsig – auf irgendeinem Haufen und der muss halt erst abgearbeitet werden, bis der nächste Produktionsschritt dran ist und so entstehen die langen Durchlaufzeiten. Also ich glaube, wir sind da gar nicht so weit voneinander entfernt.
Henrik Zaborowski: Ja, super. Okay.
Götz Müller: Ich sage dann auch immer, Prozess ist im Grund alles, weil aus was besteht ein Prozess? Der besteht aus dem Verhalten von Menschen und der Kommunikation von Menschen untereinander. Dass dann da mal noch eine Maschine dazwischen steckt, das ist dann nur ein Sonderfall. Das ist jetzt vielleicht im HR-Teil manchmal ein Stückchen Software, IT oder so, aber im Grunde ist es Verhalten und Kommunikation und mindestens seit Watzlawick wissen wir, nicht kommunizieren geht nicht und das mit dem Nicht-Verhalten geht auch nicht.
Henrik Zaborowski: Ja. Sehr gut. Weil mein Satz ist halt ja immer, Recruiting ist kein Prozess, sondern Recruiting ist Kommunikation und Interaktion. Das ist ja genau das, was Sie sagen. Ich hätte jetzt gesagt, ich bin ja kein Produktionsexperte. In der Produktion ist ja alles durchautomatisiert, schiebt man vorne was an und hinten kommt was Fertiges raus, aber wenn Sie mir jetzt erzählen, da liegen zwischendurch auch Sachen auf Halde und sowas, ja dann. Okay, willkommen in meiner Welt.
Götz Müller: Genau. Okay, und was jetzt in einem Produktionsprozess spannend ist und da denke ich, auch da haben wir Gemeinsamkeiten. Immer da, wo wir eine Schnittstelle haben, fängt es an zu klemmen. Und deshalb wäre so die nächste Frage: ok, was sind denn die Schnittstellen? Ganz oben drüber HR und Fachbereich, aber wahrscheinlich steckt der Teufel im Detail.
Henrik Zaborowski: Ja, also die Schnittstellen, genau. Also letztendlich eigentlich ist es nur Fachbereich und HR, stimmt aber so auch nicht, weil … also erstmal habe ich den Fachbereich, der zum Beispiel idealerweise sich die Stelle genehmigen lassen muss, ja, also da muss ja einer drauf gucken und sagen: Hast du überhaupt das Budget, kannst du den überhaupt bezahlen, gibt es die Aufgaben dafür und so. So. Das heißt, da muss ich im Zweifel mir diese Stelle erstmal genehmigen lassen, von meinem nächsten Vorgesetzten, der aber wahrscheinlich auch in der Regel wenig Zeit hat, für den das keine Prio hat, dann ist er im Urlaub oder auf Dienstreise, oder sonst irgendwas. Also, da liegt es ja an schon mal. Das ist jetzt nicht schlimm für den Bewerber, weil zu dem Zeitpunkt weiß ein Bewerber noch gar nicht, dass es da eine Stelle gibt, aber das ist so eine Schnittstelle. Dann gibt es natürlich den Betriebsrat, der idealerweise auch vorher ins Boot geholt wird, oft aber auch, also wir haben das dann oft bei der Vertragsgestaltung, dann einigt sich der Fachbereich mit dem Bewerber und sagt „Komm, du kriegst einen Vertrag, aber das muss jetzt aber erstmal vom Betriebsrat genehmigt werden, also dass wir dich einstellen muss jetzt erstmal genehmigt werden, der Betriebsrat tagt aber nur einmal die Woche oder alle zwei Wochen und jetzt sind die auch gerade nicht beschlussfähig, weil drei sind im Urlaub.“ Oder so. Da habe ich dann auch schon Nummern erlebt, wo es dann heißt „Ja, der Vertrag kann aber erst in vier Wochen raus.“ und der Bewerber sagt natürlich „Ja, liebe Leute, aber ich kündige nicht vorher meinen alten Job, bevor ich den Vertrag nicht habe.“. So und dann gibt's halt noch Unternehmen, die sagen, ja, wir bei übergehen mal den Betriebsrat und legen ihm das hinterher zur Genehmigung vor, so nach dem Motto, also auch das gibt es. Und dann haben wir natürlich noch Schnittstellen, Fachbereich zu HR, also wo dann halt auch die Frage ist, wie sauber wird da kommuniziert, HR müsste vielleicht mal nachfragen: Warum hast du eigentlich die und die Anforderung an die Stelle? Ist das realistisch? Du suchst jetzt hier den, ich sag mal Mister Perfect, gibt's den überhaupt am Markt? Ja. So, wenn diese Fragen nicht gestellt werden, dann wird eine Anzeige geschaltet, wartet 4 Wochen und wundert sich, warum kriegen wir keinen Bewerber, und geht erst dann in den Prozess, in die Rückfrage mit dem Fachbereich und sagt „Lasst uns mal drüber reden, ich glaube, das, was du suchst, gibt's gar nicht.“. Das hätte man aber vorher schon mal machen können. Ja, und dann habe ich auch immer noch das Thema Terminkoordination. Auch sehr beliebt. Jetzt müssen mal ein Termin mit dem Bewerber gemacht werden, wer kümmert sich denn darum. Im Zweifel ist das das sogenannte Bewerbermanagement, das aber für hundert andere Fachbereiche auch noch Termine koordiniert und die arbeiten einfach nach Datum ab und wenn dann mein Bewerber ganz, ganz dringend einen Termin braucht, aber auf der Liste Nummer 30 ist, dann wird er halt erst in zwei Wochen angerufen oder in einer, weil die vorher halt nicht dazu kommen da und dann muss ich wiederum, und da sind wir wieder beim Menschen, dann muss ich das Bewerbermanagement anrufen als Personaler oder auch Fachbereich und sagen „liebe Frau Müller, die du die Termine koordinierst, der Herr Meyer ist auf der Liste die Nummer 30, den musst du mal bitte ganz, ganz, ganz nach oben setzen, weil ich habe da wirklich ganz, ganz dringend und so, der braucht morgen den Termin und dann sind wir wieder bei: Ich mache, ich finde wieder Wege um den Prozess herum, weil ich irgendwie das versuche auszutricksen, weil ich halt wie eine Sonderlocke habe gerade oder sowas. Und es gibt ganz wenige Unternehmen, ich meine, dass der Marcus Reif von EY damals Leiter im Recruiting, der sagte „Henrik, wir sind hier so durchgetaktet, ja, hier hier passiert gar kein Fehler“, also gerade so im Absolventen-Recruiting, da gibt es with Service Level Agreements und der Prozess ist ganz, ganz sauber und wenn man dann reinguckt, immer dann, wenn es nicht mehr um das Massen-Recruiting, also jetzt von Hochschulabsolventen, sondern es gibt dann so die Spezialistenposition, der professional sonst irgendwas, da merkt man dann auch schon wieder, dass es dann ruckelt und zuckelt, weil dann Prozesse nicht mehr sauber greifen, sondern es kommen schon wieder zu viele Menschen in Spiel mit eigentlichen Sonderwünschen oder sowas. Genau. Also problematisch wird es überall da, wo Menschen mit Menschen handeln oder kommunizieren müssen, weil da passieren dann halt Fehler.
Götz Müller: Genau. Also auch da eine große Ähnlichkeit zu im Grunde allen anderen Bereichen. Jetzt haben Sie schon viel über die konkreten Probleme gesprochen an den Schnittstellen, auch so ein bisschen, wo es herkommt, ich möchte aber noch mal einen Schritt zurückgehen und zwar, wir würden über das Thema ja gar nicht reden, wenn das so grundsätzlich funktionieren würde, wie es funktioniert, und alle damit zufrieden wären. Jetzt ändert sich halt die Welt da draußen und es funktioniert halt schon immer beziehungsweise funktioniert schon so, aber keiner ist mir der Situation so richtig zufrieden und ja vielleicht so ein paar Stichworte, ok, was sind denn die Veränderungen da draußen?
Henrik Zaborowski: Eine große Veränderung ist das Thema Stich Geschwindigkeit. Wenn ich wie früher zweihundert, dreihundert Bewerbung hatte, dann war es erstmal, also ich habe eine Stellenanzeige in der FAZ geschaltet, Print, ja oder im Lokalblatt, die erschienen samstags und auch nur samstags und dann wusste ich, so in den nächsten zwei Wochen trudeln die Bewerbungen ein. Dann konnte ich mich erstmal bis dahin zurücklehnen und dann wusste ich, ich muss da gar nichts machen, weil ich warte erstmal zwei Wochen ab. Dann hatte ich hier hundert Bewerbungen liegen oder auch mehr und die sortiere ich dann nach irgendwelchen Kriterien hin und her auf einen A-, B- und C-Stapel und dann beschäftige ich mich mit den A-Kandidaten, so. Und die lade ich erstmal per se, fünf davon lade ich ein und die kommen dann auch zu dem Termin, weil die haben sich ja beworben, die sind jetzt im Bewerbungsprozess und ich hatte so einen Zeithorizont von, ich sage mal vier bis sechs Wochen, wo ich dann sage, so hier führe ich jetzt mal entspannt Gespräche und ich habe Bewerber im Vergleich. So. Das ist ja heute in vielen Stellen anders. Natürlich auch nicht überall, aber heute kriege ich vielleicht eine Bewerbung oder zwei auf eine Stellenanzeige, weil eine Stellenanzeige ist immer online, das heißt, ich kann auch in einem halben Jahr noch, wenn ich die nicht rausnehme, ja, auch noch eine Bewerbung bekommen auf die Stelle oder so, per se ist sie ja aber immer online, das heißt, ich habe keine festen Termine mehr, ich weiß jetzt nicht mehr, die sehen sie nur Samstags und nach zwei Wochen habe ich alle Bewerbungen, sondern ich schalte die jetzt und dann lasse ich die in der Regel vier Wochen laufen und dann trudelt hier mal eine Bewerbung ein und drei Wochen später noch mal zwei und der Punkt ist, ich weiß nie, kommt noch mal jemand Besseres. So, ich habe aber nur drei Leute oder fünf, ja, und jetzt muss ich mich allein schon mal fragen, da sind wir bei Entscheidungsfähigkeit, mache ich mit diesem fünfen und jetzt schon was, also gehe ich den Prozess soweit, dass ich im Zweifel jemanden einstelle oder sage ich, da müssten doch noch mehr kommen und warte. So. Und wenn ich dann warte, dann kann es mir passieren, dass die, die sich zuerst beworben haben, inzwischen schon wieder weg sind, ja, so also dieses Thema Zeithorizont hat sich verändert, es ist alles viel unsicherer, viel schwammiger und ich muss eigentlich halt inzwischen, wenn ich eine Bewerbung habe, von einem vermeintlich sehr guten oder passenden Bewerber, dann kann ich nicht sagen, ja jetzt warte ich aber noch mal zwei oder vier Wochen, sondern dann muss ich den sofort – in Anführungsstrichen – verhaften, anrufen, anschreiben, wie auch immer und sagen „Müller, vielen Dank für deine Bewerbung, wann kannst du denn vorbeikommen?“ und das ist halt etwas, wo viele Unternehmen immer noch in Prozessen denken und sagen „Ja, wir müssen ja erstmal noch mal warten und außerdem sind wir ja auf der Arbeitgeberseite, auf der starken Seite, also der Bewerber muss sich uns anpassen.“ und so. Das ist ja in der Welt, in der ich mich bewege, völliger Quatsch. Da sagt ein Bewerber „Warum sollte ich mich denn überhaupt bewerben? Was bietet ihr denn eigentlich? Und jetzt, pass auf, ich kann an den und den Tagen zu den und den Termin, ja, und wenn ihr mir da dann nichts anbieten könnt, ja, dann komme ich halt nicht.“ Also die Unternehmen, gerade die Fachbereiche, die noch so aus den guten, alten Zeiten kommen müssen sich da enorm umdenken und feststellen, ich bin jetzt eigentlich der Bittsteller oder so. Also das verändert sich. Es verändert sich die Art der Bewerbung. Früher habe ich ein Anschreiben bekommen, das war personalisiert, ne, „Lieber Herr Zaborowski, ich freue mich bei Ihnen bewerben zu dürfen, weil sie sind ja so toll und so ein tolles Unternehmen und ich wollte schon immer bei Ihnen arbeiten.“, ich karikiere das so ein bisschen. Es gab einen Lebenslauf, es gab sämtliche Zeugnisse und alles. In der Welt, in der ich mich bewege, habe ich teilweise nur ein XING-Profil, ein Anschreiben sowieso nicht, Zeugnisse nicht. Der Standard ist heute inzwischen eigentlich nur — in Anführungsstrichen – ein Lebenslauf und wenn dann einer sagt, ja, damit kann ich aber nichts anfangen, das ist mir aber zu wenig, dann muss ich sagen, dann ruf halt den Bewerber an und frag ihn halt das, was du fragen möchtest und sag nicht, jetzt schicke ich eine automatisierte E-Mail raus, mit, „Wo ist denn bitte das Anschreiben und reichen Sie bitte noch ihre Arbeitszeugnisse nach.“ Ja, da haben die überhaupt keinen Bock mehr drauf und sagen „Was willst du denn jetzt?“ Also die Unterlagen, nach denen ich auswähle, sind oftmals, natürlich nicht immer, aber oftmals, deutlich weniger. Gerade wenn man so wie ich halt, ich gehe halt eigentlich nur über Active Sourcing, das heißt, ich spreche die Leute an, das sind gar keine Bewerber und dann sage ich, ja „Gib mir mal deinen Lebenslauf.“. So und damit müssen wir dann arbeiten und dann sage ich dem Fachbereich „So, und jetzt ruft den halt an und rede mit dem und finde heraus, was er wirklich kann.“ Und das gab es früher nicht.
Götz Müller: Also, das hört sich für mich jetzt so … mein erster Gedanke ist, ich möchte da jetzt nicht tauschen, im Sinne von mit einem Personaler oder mit jemanden, der da jemanden einstellen muss. Wie sie es angedeutet haben, weil die Welt sich da schon gedreht hat. Also ich muss mich da jetzt auch auf Dinge einlassen, mit denen ich … ja, erstmal so gar nicht zurechtkomme.
Henrik Zaborowski: Aber Herr Müller, mal ganz ehrlich, es hatte ja schon früher niemand Bock, sich durch zweihundert Bewerbungen zu wühlen, ja, das ist mal das eine. Da hat man sich dann so konfuse Kriterien überlegt wie „Ach, das ist aber ein schönes Foto oder ein tolles Anschreiben, da hat sich jemand Mühe gegeben, den packen wir mal auf Stapel A.“ Das war ja nie valide, also das war ja keine gute Personalauswahl. Wir haben dann immer die ausgewählt, die sich a) gut bewerben können. Ob sie den Job gut können, ist eine andere Frage. Also die, die sich a) gut bewerben können und die so stromlinienförmig sind, ja, keine Brüche im Lebenslauf, ein guter Abschluss, zügig studiert, so die klassischen Auswahlkriterien, wonach wir sagen „Das ist jemand Gutes hier, der hat sein Studium in Regelstudienzeit durchgezogen und war hier bei BMW oder keine Ahnung wo, der oder die muss was können.“ Und die etwas komischen Lebensläufe, die haben wir dann halt zur Seite gelegt. Die komischen Lebensläufe können aber genauso gut gewesen sein oder sogar besser, aber wir hatten halt keine Chance, sie kennenzulernen. Das heißt, ich habe mich durch Massen von Unterlagen gewühlt, die nicht aussagekräftig sind, ja, und unpersönlich Dinge abgearbeitet. Jetzt muss ich sagen als Herzblut-Dienstleister, Personaler, Menschenfreund, wie auch immer. Jetzt habe ich halt nur drei Lebensläufe, mit denen ich quasi nichts anfangen kann und muss die alle anrufen und muss sie fragen und dann lerne ich doch die Menschen erstmal überhaupt kennen, ja. Dann kriege ich doch überhaupt mal einen Eindruck und das macht doch erstmal richtig Spaß. Natürlich ist das aufwendiger, aber es ist es schöner und netter und angenehmer als zweihundert Bewerbungen zu sichten. Also, ich würde das sehr positiv sehen.
Götz Müller: Ja. Als Personaler würde ich dem sogar zustimmen.
Henrik Zaborowski: Und der Fachbereich erst recht.
Götz Müller: Wenn ich es mal gelernt hätte, wie ich mit solchen Dingen umgehe. Vielleicht jetzt selber, wo ich vor zwanzig Jahren, dreißig Jahren mich beworben habe, sah der Prozess ja noch anders aus.
Henrik Zaborowski: Richtig.
Götz Müller: Was ist jetzt Ihr Gedanke, wie komme ich aus dem Dilemma raus?
Henrik Zaborowski: Ja. Also es gibt halt keine richtig gute Lösung. Also sagen wir mal so, dieses ganze Bewerbungsprozedere, das ist ja eh eigentlich schon Pest oder Cholera, also das ist das ist nicht gut, ja. Also ich kann halt über Bewerbungsunterlagen … oder so eine klassische Bewerbung eine Stelle zu besetzen kann im Glücksfall gutgehen, ansonsten ist das eigentlich eine große Unsicherheit. Was sind die Alternativen, ich gehe über Mitarbeiterempfehlungen, sage „Wen kennt ihr denn?“ Dann man sagt der eine den Müller und den Meier und den Schulze, dann guckst du dir die mal an und dann arbeitest du halt auch mit Zufallsleuten, also einfach mal, die wurden mal genannt „Ich glaube, der kann das, der passt hier gut rein.“, ja gut, das musst du dann halt herausfinden, ja. Das ist die schnellere Variante, aber dann wissen Sie auch immer noch nicht, gibt's da draußen ich noch Bessere. Oder Sie gehen halt über Active Sourcing, gezielte Ansprache auf Xing, LinkedIn und so, dann haben Sie vielleicht ein besseren Fit erstmal, weil Sie rein übers Fachliche gehen und müssen halt gucken, ob es persönlich passt, aber auch da ist wieder die Frage „Ja, gibt's da nicht noch jemand Besseren und hätten wir jetzt eine Stellenanzeige geschaltet, dann hätte sich doch bestimmt noch mal einer beworben.“ und so, also es ist ja eh alles Stochern im Nebel. Es gibt nicht den Perfekten, den perfekten Stellenbesetzungsprozesse oder das perfekte Verfahren oder sowas. Sie haben immer eine Unsicherheit, Sie haben immer die Frage: „Gibt es nicht jemand Besseren? Verarscht der mich jetzt gerade im Interview? Ist das wirklich der, den wir für die Stelle brauchen? Gibt's die Stelle überhaupt nach einem halben Jahr? Ist der nicht in einem halben Jahr wieder weg, weil er sich neu verliebt, ja, und aus privaten Gründen umzieht?“ Oder sonst irgendwas. Also wir leben, glaube ich, in dieser Recruiting-Welt … früher haben wir immer in dieser Welt gelebt, man kann das alles perfekt machen, super Prozess und dann stellen wir auch genau den Richtigen ein und wir sind nur die Besten und sowas. Das ist aus meiner Sicht alles Wahnsinn und da können Sie mal Glück haben und Sie haben jemanden, der bleibt 20 Jahre bei Ihnen und sie freuen sich jeden Tag, dass sie den mal eingestellt haben
und dann haben Sie auch mal Pech, dass Sie jemanden einstellen, wo Sie denken „Oh Gott, was habe ich da nur getan.“ und der Rest läuft halt so mit, macht einen soliden Job, aber da hätten Sie auch jemand anders nehmen können. Ich glaube, es gibt so eine Illusion der idealen Stellenbesetzung, die in der Praxis nicht haltbar ist.
Götz Müller: Da gibt's natürlich so einen Begriff, der, glaube ich, in den letzten, ja, sagen wir mal zwei Jahren vielleicht so in aller Munde ist und mir fällt da so eine alte Fernsehwerbung, Apothekenwerbung ein, im Sinne von „Gibt's da auch was digitales?“
Henrik Zaborowski: Künstlich Intelligenz.
Götz Müller: Zum Beispiel.
Henrik Zaborowski: Ja. Der feuchte Traum eines jeden Personalers. Irgendeine wie auch immer geartete Intelligenz, die nicht ich bin, sagt mir „Das ist der perfekte Bewerber, den musst du einstellen.“ Das ist ja eigentlich, glaube ich, die die Angst oder das Bedürfnis, mit dem die Produktanbieter auf Kundenfang gehen. Ja, so Heilsversprechen: „Lass die Leute fünfzehn Minuten mit meinem Algorithmus telefonieren und der sagt dir sofort, ob derjenige auf die Stelle passt oder nicht.“ Aus meiner Sicht, ja, ziemlicher Humbug. Es gibt Anwendungsfälle für die KI, die Sinn machen, aber niemand, der ernstzunehmend sich damit beschäftigt auf der Wissenschaftsseite, und auch fairerweise auf der einen oder anderen Anbieterseite, würde heute sagen dass KI eine super Auswahl trifft und mir das Leben schöner, leichter, besser macht. Da sind sie noch zu viele Unsicherheiten, zu viele Fragezeichen drin. Ja, also da sind wir, glaube ich, noch weit, weit von entfernt, dass uns das wirklich hilft. Können wir gerne noch tiefer einsteigen.
Götz Müller: Ja, gerne. Weil ich glaube eben, dass speziell im deutschen Sprachraum halt einfach auch dieser Begriff artificial intelligence, ja, ein Stück weil falsch verwendet wird, weil intelligence im Englischen ja auch so, Central Intelligence Agency zum Beispiel, wo es halt um das Auswerten von Daten geht, das aber jetzt vielleicht in den HR-Bereich nicht notwendigerweise der beste Weg ist, weil ich gar nicht diese universell nach gleichen Kriterien zu bewertenden Daten habe.
Henrik Zaborowski: Richtig, genau. Danke schön, das ist wunderbar auf den Punkt gebracht. Mir fehlen einfach die Daten, die relevanten Daten. Das ist einfach der Punkt. Also wenn Sie … ich habe da auch den ein oder einen Podcast gemacht mit Sven Semet zum Beispiel von IBM Watson, die sind ja da relativ weit und Sven sagt ganz klar „Henrik, du brauchst Millionen von Daten, um die KI überhaupt erstmal zu trainieren. Was ist denn bei uns zum Beispiel eine gute Personalauswahl, nach welchen Kriterien gehen wir vor?“ und sowas und diese Daten sind halt in der Regel nicht vorhanden, außer bei Konzernen und auch da nicht immer, ja, und ich muss das ganze Ding trainieren. Also Sven sagt, wenn die bei IBM, wenn die für einen Konzern so ein Projekt jetzt machen, dann trainieren die KI ein Jahr, anderthalb Jahre, bis die wirklich einsetzbar ist. Und wenn also irgendwelche Produktanbieter daherkommen und dem Mittelstand erzählen „Ja, hier meine KI macht die super Personalauswahl, der kannst du blind vertrauen.“, dann ist das halt einfach unseriös, weil die Daten nicht zur Verfügung stehen, die sagen, für dieses Profil, für dieses Unternehmen sieht eine gute Personalauswahl so und so aus. So und dann muss man halt wieder generalisieren und es ist sicherlich so, dass es Jobprofile gibt, wo man halt einfach sagt „Da braucht man gewisse Persönlichkeitseigenschaften“, ja, aber auch da muss man immer individuell gucken. Also ein Vertriebler muss nicht per se extravertiert sein. Es gibt auch introvertierte Vertriebler. Da kommt es aber halt wieder drauf an, was ist das Produkt. Ist es eine große Investitionsentscheidung von ein paar Millionen oder verkaufe ich hier Kaugummis oder sowas, ne. Dann bekomme ich mit Introvertiertheit wahrscheinlich nicht viel weiter. Also das sind halt alles Themen, mit denen man sich auseinandersetzen muss und diese einfache „one size fits all“-Lösung, ja, ich habe hier eine KI und die macht das hier für euch, das ist halt einfach Blödsinn. Und da vielleicht einen letzten Satz noch. Es ist halt keine Intelligenz. Künstliche Intelligenz ist regelbasiert. Wir wissen ja noch nicht mal wie menschliche Intelligenz funktioniert, wie wollen wir dann künstliche bauen. Also, ja, das ist eine Abfrage von Zusammenhängen, von Regeln, ja, und daraus werden Schlüsse gezogen, aber es hat mit Intelligenz nichts zu tun. Das ist vielleicht auch noch mal ganz wichtig.
Götz Müller: Ja, und es würde mir ja, glaube ich, nur dann helfen, also mal schon angenommen, ich hätte diese gut trainierte künstliche Intelligenz, wird sie ja ihre Stärken nur dann ausspielen, wenn ich jetzt noch eben diese hundert Bewerber hätte. In dem Augenblick, wo ich nur eine Handvoll habe, ist dann die Frage, was bringt es mir dann.
Henrik Zaborowski: Gut. Dann sagt sie mir halt, von diesem fünf ist der eine halt der Beste von den Schlechten. So. Die sind alle nicht gut, aber wenn du einen nehmen musst, dann nimm halt den. Beziehungsweise ich könnte halt, wenn ich in Richtung Sourcing gehe, dann könnte die KI das Web durchsuchen, auf der Suche nach dem Perfect Match und dann sagen „Hier Müller, ich habe hier einen Job für dich, mein Algorithmus sagt, der passt super auf dich, willst du dich mal mit dem Unternehmen so und so unterhalten.“ Und dann ist das zwar kein Bewerber, aber dann ist das halt jemand, der den Job könnte und den muss ich dann halt zum Bewerber machen als Unternehmen. Dann muss halt sagen „Hey, du würdest wirklich perfekt passen und willst nicht mal darüber nachdenken und mal sprechen.“ und so. Also da könnte ich mir das schon vorstellen, dann müssten allerdings alle Arbeitnehmer dieser Welt ein so ausführlich gepflegtes Online Profil haben, dass die KI wirklich genug Daten hat, um halt eine Vorauswahl oder eine Auswahl treffen zu können, was ja aber wiederum auch nicht der Fall ist, ja, und mit so ein paar Social Media Posts auf Facebook oder sowas kann ich keine seriöse Personalauswahl treffen, auch wenn das immer wieder gerne behauptet wird. Das heißt, ich müsste eigentlich eine Institution einrichten, die sagt alle Menschen dieser Welt oder in Deutschland werden erfasst, ja, mit „Was kannst du? Was willst du? Was sind deine Stärken? Wie ist deine Persönlichkeit?“ und sonst irgendwas und dann könnte eine künstlich Intelligenz drüberlaufen und die mit den Jobanforderungen abgleichen und sagen „So und das ist jetzt der Perfekte.“ und da muss man den fragen, ob er will und dann sagt der „Ach, der Job ist in München, da habe ich aber keine Lust zu.“
Götz Müller: Und besteht dann aber vielleicht die Gefahr, dass man so in Richtung Social Profiling, wie es gerade in China, glaube ich, da Hype ist, abrutschen und wir uns da auch dann schon die Frage wirklich stellen müssen, wollen wir das.
Henrik Zaborowski: Richtig. Also es gibt ja, glaube ich, einen Anbieter aus Österreich, aus Wien, Liza Network, die halt sagen „Wir wollen menschliche Potenziale sichtbar machen und vernetzen.“. Das heißt, die laden zu einem Workshop ein, da sitze ich dann mit zwanzig, fünfundzwanzig anderen Leuten und ich schreibe in diesem Workshop auf „Was kann ich eigentlich?“ – das ist natürlich extrem subjektiv, ne – „Was kann ich? Wie ticke ich? Was will ich auch? Was sind meine Ziele? Was sind meine Wünsche?“ und diese Daten, die also von mir persönlich erhoben werden, mit meiner Erlaubnis, ja, die kommen dann in eine Datenbank und werden halt dann, könnten halt dann, mittels KI gematcht werden, ja. So und ich kann aber jederzeit natürlich widerrufen, kann mein Profil löschen, kann meine Daten verändern oder sonst irgendwas. So, das wäre etwas, wo ich sage, das kann funktionieren, auf Freiwilligkeit und ich weiß, welche Daten ich zur Verfügung stelle. Wenn wir dann an China denken oder an Facebook oder sonst irgendwas, wo sie halt sagen, wir analysieren im Hintergrund, was du alles noch so machst und tust und kannst mit Daten, die du uns eigentlich dafür gar nicht zur Verfügung gestellt hast, dann rücken wir halt wirklich in den grauen Bereich oder in den dunklen Bereich rein, ja. Aber so eine Freiwilligkeit kann ich mir schon vorstellen. Viele sind ja auch daran interessiert, den für sie perfekt passenden Job zu finden und zu sagen, dann komm, dann gebe ich dir halt die Infos. „Frag mich doch mal was ich will.“
Götz Müller: Gut. Wenn wir jetzt so bis zum Ende hin den Bogen schlagen, andeutungsweise oder nicht nur andeutungsweise steckt da ja schon vieles drin. Das heißt, wie wird sich Recruiting in der näheren, vielleicht auch in der ferneren Zukunft verändern? Auf was müssen sich also all die Beteiligten, die Fachstelle, HR und natürlich auch die Bewerber, auf was müssen die sich einstellen? Und was kann man vielleicht da dann, sagen wir mal als Appell oder was auf der Ebene ableiten?
Henrik Zaborowski: Also ich glaube, dass erstmal viel, viel, viel mehr Kommunikation erforderlich sein wird, also viel deutlicher darstellen, was ist das eigentlich für ein Job, mit wem würdest du da zusammen arbeiten, was sind die Rahmenbedingungen, die Randbedingungen? Dass ich mir als Bewerber, anders als früher, da konnte ich ja nur so ein bisschen raten, was steckt eigentlich wirklich hinter dem Job. Dass ich das alles schon vorher weiß und mir ein klares Bild machen kann. Und umgekehrt muss ich halt auch den Bewerber fragen oder der Bewerber muss mir halt sagen, wie will ich denn eigentlich arbeiten, was interessiert mich denn, was sind No-Gos und sowas. Das, was teilweise mühsam in persönlichen Gesprächen herausgearbeitet wird, könnte man ja alles vorher schon klären, ja. Dass man halt gleich von vorne rein mit den richtigen spricht. Also es braucht viel, viel mehr Kommunikation. Wir müssen dementsprechend eigentlich oder es wäre sehr hilfreich, mehr Daten zur Verfügung zu stellen und dann sind wir halt nicht nur beim Lebenslauf, sondern zum Beispiel meinetwegen so einem Workshopergebnis, wo ich halt gesagt habe, hier, unabhängig von meinem Lebenslauf, ich habe auch noch mal in meinem Leben einen Menschen reanimiert, ich habe eine Reise durch Spanien für zwanzig Leute geplant oder sonst etwas, was im Lebenslauf nie auftaucht, was aber etwas mit mir zu tun hat als Mensch. Ich darf nicht mehr in starren Prozessen denken, also dieses „Ja, so muss das jetzt aber sein. Wir müssen jetzt aber erstmal fünf Bewerbungen abwarten.“ oder „Wir müssen jetzt aber erstmal mit allen sprechen oder wir müssen jetzt aber erstmal … keine Ahnung was machen.“ Ich glaube, es wird … wir müssen viel flexibler sein, ja. Ich muss ja irgendwann mal entscheiden, zu sagen „Verdammte Axt, ich glaube, ich habe nur diese zwei Bewerber, da kommt sonst keiner mehr. Dann stelle ich halt einen davon ein“, ja. Und dann aber eben nicht einstellen in dem Wissen „Okay, und dann wird der halt scheitern.“, sondern einstellen in dem Wissen „Der hat das Potential und ich muss den halt unterstützen, besser zu werden. Ich muss dem helfen, sich dann das anzueignen, was ihm noch fehlt, damit er diesen Job wirklich machen kann.“ Und dann wären wir vielleicht bei diesem wichtigsten Aspekt, auch gerade hinsichtlich Entwicklung durch Digitalisierung, es entstehen ja immer wieder neue Jobs, die es vor fünf oder zehn Jahren noch gar nicht gab, und ich muss mich halt dann in Zukunft fragen, welche grundlegenden Fähigkeiten und Eigenschaften muss jemand für diesen Job denn eigentlich mitbringen? Und dann muss ich eigentlich nur nach Leuten suchen, die diese grundlegenden Eigenschaften und Fähigkeiten mitbringen und den Bock haben, sich das nötige Fachwissen anzueignen und die stelle ich ein, ja. Das heißt, das ist ja immer … ich suche einen Java-Entwickler und dann spreche ich halt einen an, der das schon seit fünf Jahren macht und dann sagt er „Ja, warum soll ich jetzt bei euch weiter Java entwickeln? Ich hätte eigentlich viel mehr Lust, mal was anderes zu machen.“. So und dann eben zu sagen „Ja, komm, bei mir kannst du halt Softwarearchitekt werden, wenn ich dir das zutraue.“ und wir müssen vielmehr auf Potential einstellen und sagen „Wo kannst du dich denn bei uns hinentwickeln?“ Und da sind wir halt in der Vergangenheit … wir suchen immer den, der genau das schon kann, was wir gerade zu besetzen haben, aber da ist die Motivation, diesen Job zu machen, die ist natürlich relativ gering, ja, dann kann ich auch bei meinem alten Arbeitgeber bleiben, wenn ich das Gleich jetzt in grün mache. So. Also mehr Kommunikation. Mehr Flexibilität. Ich muss entscheidungsfreudiger werden, weil ich mich immer weniger absichern kann. Ist das jetzt eine gute Entscheidung? Habe ich jetzt wirklich alle Alternativen geprüft? Ne, werde ich nicht mehr … also dieses Gefühl werde ich nicht mehr haben. Das hatte ich auch vorher nicht, aber ich hatte halt die vermeintliche Sicherheit, weil ich halt zweihundert Bewerbung gehabt habe und da habe ich jetzt wirklich den Besten ausgewählt und das habe ich halt in Zukunft nicht mehr. So. Und die Zusammenarbeit so mit HR und mit Fachbereich und mit Bewerber muss halt irgendwie länger laufen, also mehr auf Zuruf mehr „Hey ich habe morgen Zeit, wollen wir nicht morgen schon telefonieren?“ anstatt, ja gut. Formell machen wir jetzt in zwei Wochen einen Termin.“ Das sind jetzt die Sachen, die mir dazu einfallen.
Götz Müller: Ja. Und das sind im Grunde die gleichen Dinge, diese enge Verzahnung. Im Produktionsumfeld reden wir davon, dass die Sachen halt durchfließen müssen, wo dann wieder die große Ähnlichkeit da ist.
Henrik Zaborowski: Also von daher wären Sie eigentlich der perfekte Recruiting-Experte.
Götz Müller: Wer weiß. Gut. Wenn ich manchmal so sehe, was ich für Ansprachen kriege und wie es da weitergeht, habe ich da manchmal schon die Idee: „Hey, du müsstest mal völlig die Seiten wechseln, sondern einen ganz anderen Kontinent dir auftun.“
Henrik Zaborowski: Aber das ist genau das. Ich hatte das jetzt die Tage gerade wieder, da sucht das Unternehmen … hat eine neue Stelle geschaffen, total spannende Position, ganz enger Bewerbermarkt. Ich habe drei Leute, ja, und dann rührt sich der Geschäftsführer sechs Wochen lang nicht und die Bewerber fragen „Her Zaborowski, was ist da eigentlich los und ich sage „Ich habe keine Ahnung.“, HR sagt „Ich habe keine Ahnung.“ und dann stellt sich raus, der Geschäftsführer war zwei Wochen auf Dienstreise im Ausland, zwei Wochen im Urlaub und nebenher läuft eine riesen Umstrukturierung, dass er sagt „Ich weiß gar nicht, ob ich die Stelle überhaupt eröffnen kann. Ich muss da noch mal eine Runde drehen.“ und das wird aber alles nicht kommuniziert, aus welchen Gründen auch immer, und die Bewerber denken „Was ist hier eigentlich los?“, aber das ist halt die Realität und ich glaube, das wird auch weiterhin passieren. Weil dafür ist die Welt zu volatil und dafür sind zu viele Menschen involviert, die sich auch mal umentscheiden können oder Umstände ändern sich oder so. Ob man da immer mit Prozessberatung dann weiterkommt, manchmal muss dann, glaube ich, ein sehr guter Seelsorger sein.
Götz Müller: Ja. Auch da gibt’s große Ähnlichkeiten. Okay, Herr Zaborowski, ich danke Ihnen für die spannenden Einsichten und das hat mir wieder gezeigt, die Dinge sind doch gar nicht so unterschiedlich, auch wenn man erstmal ja eine große Distanz vermutet und deshalb, ja, noch mal vielen Dank für Ihre Zeit.
Henrik Zaborowski: Ja. Ich danke. Freut mich, wenn Sie das Gefühl haben, Sie haben da etwas mitgenommen. Ich bin da nicht so sicher. Freut mich auf jeden Fall. Hat mir Spaß gemacht.
Götz Müller: Das war die heutige Episode im Gespräch mit Henrik Zaborowski zum Thema Recruiting-Prozesse zwischen HR und Fachbereich. Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 168.
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Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder zu lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.
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