Kaizen 2 go 356 : Vergabeprozesse


 

Inhalt der Episode:

  • Was sind typische Situationen, in denen Vergabeprozesse zum Einsatz kommen?
  • Wer sind die zentralen Beteiligten?
  • Welchen Herausforderungen und Problemen begegnen die Bieter häufig?
  • Was sind typische Ursachen?
  • Worauf können sie selbst als Bieter Einfluss nehmen?
  • Welcher Bedeutung hat das Luder-Prinzip?
  • Wie hat sich das Thema Bürokratie und Regulierung entwickelt?
  • Welche Rolle spielt die Digitalisierung und evtl. auch KI in Vergabeprozessen?
  • Was passiert nach der Vergabe? Welche Konsequenzen ergeben sich ggf. aus der Vergabe auf die spätere Abwicklung?
  • Wie sieht die Wechselwirkung mit dem Geschäftsmodell des Bieters aus?

Notizen zur Episode:


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(Teil)automatisiertes Transkript

Episode 356 : Vergabeprozesse

Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.

Götz Müller: Heute habe ich Oliver Weihrauch bei mir im Podcast-Gespräch. Er ist Anwalt für Vergaberecht. Hallo Oliver.

Oliver Weihrauch: Hallo Götz, herzlichen Dank, dass ich hier sein darf. Du hast mich ja schon kurz eingeführt, Anwalt für Vergaberecht. Ich kenne jetzt deine Zuhörer nicht, aber bei den meisten, da wird man sich fragen, was ist das? Kann man das essen? Ich erläutere ganz kurz nochmal, was Vergaberecht ist. Wenn der Staat öffentlich Aufträge vergibt, und das sind Leistungen von A bis Z, von Architektenleistungen bis, jetzt fällt mir für Z gerade nichts ein, dummes Beispiel. Aber trotzdem, von A bis Z werden Aufträge vergeben. Da gibt es ein spezielles Verfahren, das ist ab gewissen Auftragswerten europarechtlich geprägt. Darunter ist es national geprägt. und die einzelnen Bundesländer haben auch noch unterschiedliche Regeln. Und dieses Verfahren, wie die Aufträge vergeben werden, das regelt das Vergaberecht.

Götz Müller: Okay, da hast du jetzt schon ein paar Elemente gesagt. Und du hast auch gesagt, es sind immer staatliche Themen. Da möchte ich insofern von meinem persönliches Verständnis noch ein bisschen nachbohrenhren. So ein bisschen Spektrum. Also für mich persönlich hätte ich jetzt gesagt, okay, Bau und IT zum Beispiel. Aber ich glaube, es sind ja noch viel, viel mehr Sachen, die möglicherweise die Zuhörer, weil sie sehr wahrscheinlich in dem Kontext Laien sind, aber um ein bisschen zu verstehen. Und manchmal kommen sie ja mit solchen Dingen durchaus indirekt auch in Berührung.

Oliver Weihrauch: Völlig richtig. Also ich kann mal versuchen, ein paar Themen zu nennen, die typischerweise ausgeschrieben werden. Das fängt an A wie Architektenleistungen, B wie Bauleistungen, C wie Computer, Hardware, also alles, was mit IT zu tun hat. Catering-Dienste aber auch, Dienste im Facility-Management, Druckerzeugnisse, wenn der Staat zum Beispiel Wahlzettel drucken lassen möchte für die nächste Bundestagswahl. Das muss ja eigentlich ausgeschrieben werden. Elektroinstallationen, Energieversorgung, Fortbildungen für seine Mitarbeiter, aber auch für die Regierungsgebäude, Garten- und Landschaftsbau, Gebäudereinigung, Heizungsanlagen, IT-Beratung, juristische Beratung natürlich auch, Kanalreinigung, Logistikdienstleistungen, wenn man wieder eine Verwaltung umzieht, wenn Möbel beschafft werden müssen für ein Rathaus, wenn ein Netzwerk eingerichtet werden muss im Bereich ID, Notfallausrüstung, Polizeiausstattung, Rettungsdienstausrüstung, Sicherheitsdienst ist ein großes Thema. Wenn ich immer aktueller mit Sicherheitsdiensten. Telekommunikation, wer bestimmt, welchen Telekommunikationsanbieter die Bundesregierung verwendet. Verkehrsplanung, Transportleistungen, Umweltgutachten. Also es gibt nichts, was die Öffentliche Hand nicht braucht.

Götz Müller: Also ein ganz bisschen gehässig fiel mir gerade ein. Ich meine, das Einzige vielleicht, ich bin so spitz ausgedrückt, was die Angestellten im öffentlichen Dienst noch selber machen dürfen, ist die Klospühlung und tätigen.

Oliver Weihrauch: Das ist jetzt sehr überspitzt in der Tat, aber es ist tatsächlich so, dass der öffentliche Dienst immer mehr Leistungen nach außen vergibt. Wir haben das ja immer mal wieder alle paar Jahre, die Skandale, wenn die Opposition fragt, liebes Ministerium, wie viel Geld hast du denn für deine Kommunikationsdienstleistungen ausgegeben oder für andere Beratungsdienstleistungen? Da fasst man sich an den Kopf und fragt, warum ein Ministerium zum Beispiel juristische Dienstleistungen nicht selbst erbringen kann. Da sitzen überwiegend Juristen, aber nein, es wird dann ausgeschrieben und vergeben.

Götz Müller: Gut, das bringt mich ein bisschen zu dem Punkt und jetzt durch die Prozessbrille betrachtet, ist das immer eine relativ zentrale Frage. Wer sind denn die Beteiligten? Jetzt einfach allgemein zu sagen, die Behörden, ist jetzt aus meiner Sicht vielleicht ein bisschen zu allgemein. Vor allem, weil es unheimlich viele verschiedene gibt, aber in meiner Wahrnehmung, laienhaften Wahrnehmung, sind es jetzt nicht eben nur Behörden, die da mitspielen, sondern noch ein paar andere, nennen wir es mal Instanzen.

Oliver Weihrauch: Also man kann es über den dicken Daumen sagen, all diejenigen, die öffentliche Gelder ausgeben und verwalten. Das fängt bei der Bundesregierung an, das sind die einzelnen Ministerien, die dann Gelder ausgeben. Darunter sind es dann die bundeseigenen Institutionen wie das Immobilienvermögen des Bundes, also darunter die Länder, dann die Kommunen. Wir haben allein 14.000 Kommunen in Deutschland. Dann gibt es die Krankenhäuser, Universitäten, Rundfunkanstalten, öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten, die öffentliche Gelder ausgeben. Es gibt auch viele Projekte von Privaten, die nennt man dann Zuwendungsempfänger, die öffentlich gefördert worden sind. Und wenn die mehr als 50 Prozent Geld kriegen für ihre Projekte, dann müssen sie auch öffentlich ausschreiben. Riesenproblem für diejenigen, die niemals damit zu tun hatten. Die einfach nur ein Projekt umsetzen wollten, Gelder beantragt haben, die bekommen sie dann bewilligt, müssen plötzlich das Vergaberecht anwenden und stehen vor Riesenproblemen, wenn sie das nicht machen, werden die Gelder zurückgefordert und zwar verzinst zurückgefordert. Das kann auch sehr teuer werden.

Götz Müller: Gut, aber sind es jetzt, also ich würde es jetzt mal unter die Vergebenden einordnen, sind es die einzigen Beteiligten? Du hast ja das Beispiel gemacht, warum sind die Juristen in der öffentlichen Verwaltung nicht selber in der Lage, bestimmte Dinge zu tun. Jetzt erlebe ich es an anderer Stelle auch immer so, wie ich persönlich beauftragt werde. Das sind natürlich typischerweise Dinge, von denen ein Auftraggeber noch nicht so viel versteht. Weil sonst bräuchte er ja keine Unterstützung. Wenn wir uns mal von Hausmeisterdiensten mal ganz einfach gesprochen absehen. Was sind dann sowas wie Kriterien? Wen nehme ich dann? Ist es nur das Geld? Fände ich?

Oliver Weihrauch: Also das ist immer, du hast zwei Fragen miteinander vermischt. Ich gehe mal erstmal auf die Frage ein, wer noch die anderen Beteiligten sind. Natürlich sind das die Behörden, die hatte ich ja eben genannt, du hast darauf hingewiesen, das sind nur die Beschaffer. Dann haben wir auf der anderen Seite aber auch noch die ganzen Bieter. Also jedes Unternehmen, das Geld mit öffentlichen Aufträgen verdienen möchte, gehört in die Zielgruppe. Und in der Mitte dazwischen haben wir die ganzen Berater. Ja, denn viele öffentliche Auftraggeber können diese Ausschreibungen gar nicht mehr selbst bewältigen, sondern schalten dann Berater ein, zum Beispiel Ingenieurbüros, die für die Behörden die Ausschreibungen machen, die eingehenden Angebote auswerten. Das ist dann die Zielgruppe in der Mitte zwischen den Bietern und den öffentlichen Auftraggebern. Also in der Mitte sage ich dazu, weil die Berater einerseits selbst sich den Ausschreibungen stellen müssen, um den Beratungsauftrag zu bekommen. Da sind sie in der Funktion des Bieters. Und dann, wenn sie den Beratungsauftrag haben und für den öffentlichen Auftraggeber tätig werden, dann übernehmen sie die Rolle des Auftraggebers in Grenzen. Aber das ist so die Zwitterposition, die die haben.

Götz Müller: So ein bisschen ein Ei-Problem, höre ich auch aus.

Oliver Weihrauch: Ja, das in der Tat auch. Und die zweite Frage, die du gestellt hattest, ist ja, wie wird denn eigentlich vergeben? Geht es immer nur darum, den Billigsten zu beauftragen? Ganz klares Nein, obwohl diese Kritik immer wieder kommt. Und wir haben auch typische Leistungen, wo es tatsächlich nur um den Preis geht. Das sind alle standardisierten Leistungen. Wenn eine Behörde Klopapier braucht oder Büroklammern oder Möbel, dann sind das standardisierte Leistungen. Die kann man sehr gut beschreiben und die könnte man auch online einkaufen. Da kann sich jeder das gleiche Produkt anbieten. Dann geht es in der Tat nur um den Preis. Es gibt aber viele Ausschreibungen auch und da geht es um einen Qualitätswettbewerb, einen Qualitäts- und Preiswettbewerb gleichzeitig. Da sagt man, der Preis spielt eine gewisse Rolle, vielleicht 30 Prozent, vielleicht mehr, vielleicht 70 Prozent. Der Rest sind dann die Qualitätskriterien. Und die Qualitätskriterien, da darf man nicht nur das darunter verstehen, was klassischerweise Qualität ist, also wie haltbar etwas ist, sondern das hat auch was mit Umwelteigenschaften zu tun, auch mit sozialen Eigenschaften. Auch das können alles Kriterien sein, die in Vergabeverfahren eine Rolle spielen. Es ist ein Trend, es nimmt stark zu, dass man gemeinwohlorientierte Kriterien berücksichtigt. Also Unternehmen, die sich gemeinwohlorientiert organisiert haben, bekommen für diese Gemeinwohlorientierung, die ja Geld kostet, deswegen sind sie naturgemäß teurer, bekommen die Sonderpunkte. Das ist eine ganz interessante Entwicklung.

Götz Müller: Wenn wir uns nach den Beteiligten jetzt, ich denke mal, hauptsächlich auf die Bieter konzentrieren, weil ich glaube, das sind die Dinge, wo eventuell die meisten Zuhörer sich auch potenziell wiederfinden könnten und eben auch Dinge daraus ableiten. Was sind denn so typische, kann man davon sprechen, typische Herausforderungen und Probleme, denen die Bieter gegenüberstehen?

Oliver Weihrauch: Ja, da gibt es zwei sehr typische Probleme. Das eine Problem ist, dass den Bietern, die sich noch nicht oft damit mit dem Vergaberecht beschäftigt haben, das Verständnis für das starre Verfahren fehlt. Bieter, die sich im Privatumfeld bewegen, haben oft das Gefühl, sie geben ein Angebot ab und der Auftraggeber, der schaut sich das an und dann verhandelt man über das Angebot. Und wenn er einen will, dann will Auftrag sein. Das ist bei den öffentlichen Ausschreibungen leider anders. Da haben wir viele Verfahren, in denen es ein Verhandlungsverbot gibt. Das heißt, der Bieter hat nur eine Möglichkeit, ein Angebot abzugeben und der öffentliche Auftraggeber kann dann zu diesem Angebot nur Ja oder Nein sagen. Es wird nicht mehr einfach verhandelt.

Und das ist ein großer Fehler, den Bieter machen. Der zweite Fehler ist, dass die Bieter, also die Wirtschaftsteilnehmer, viel schlauer sind als der Auftraggeber. Der Auftraggeber hat vielleicht überhaupt nicht den Marktüberblick wie ein Unternehmen, das sich schon lange in dem Geschäftsfeld zum Beispiel Büroausstattung bewegt. Und der öffentliche Auftraggeber schreibt dann etwas aus, was unklar ist oder was nicht die optimale Lösung ist. Das kommt sehr häufig vor. Der öffentliche Auftraggeber hat ein Leistungsbestimmungsrecht und manchmal schreibt er etwas aus, was eben nicht die bestmögliche Leistung ist. Und dann kommen die Bieter, die ja in diesem Geschäftsfeld leben, deren Herzblut mit ihren eigenen Produkten verbunden ist, die kommen hinzu und sagen, lieber öffentlicher Auftraggeber, ich weiß es aber viel besser als das, was du ausgeschrieben hast. Mit einem anderen Produkt bekommst du eine viel bessere Leistung. Und manchmal ist das sogar noch billiger. Und dann bieten die diese bessere Leistung an billiger und haben die Hoffnung, den Auftrag zu kriegen. Das Gegenteil ist der Fall. Weil wir ein Verhandlungsverbot haben, führt das dazu, dass die nicht das Angebot haben, was der öffentliche Auftraggeber haben wollte. Damit bekommt der öffentliche Auftraggeber nicht miteinander vergleichbare Angebote von verschiedenen Bietern. Und der Gleichheitsgrundsatz zwingt ihn, diese Angebote auszuschließen, ohne dass er mit den Bietern verhandeln darf. Ganz großer Fehler.

Götz Müller: Ein Stück weit ja aber vielleicht, Und da denke ich jetzt an so Baurechtskontext, wo ich ein bisschen Einblicke habe, schneidet sich doch aber vielleicht der Beschaffer ins eigene Fleisch. Kann man das so ausdrücken?

Oliver Weihrauch: Ja, das ist so. Der Beschaffer bekommt nicht die bestmögliche Leistung. Er weiß das auch. Und dann steht er vor der Frage, ziehe ich das als Beschaffer jetzt durch, weil ansonsten verliere ich Zeit, vielleicht werde ich sogar schadensersatzpflichtig, weil ich einen Fehler gemacht habe, den ich hätte vermeiden können, und vor allen Dingen verliere ich in der Öffentlichkeit das Gesicht. Da kommt dann plötzlich die Presse und schreibt, diese Ausschreibung ist aufgehoben worden, weil der öffentliche Auftraggeber sich vorher nicht genügend informiert hat, was die richtige Leistung wäre. Das ist ein großes Problem für öffentliche Auftraggeber und die scheuen, dann eigene Fehler zu korrigieren. Also diese Fehlerkorrektur, die bei Behörden herrscht, ist dem Vergaberecht nicht günstig gesonnen, nenne ich das mal so.

Götz Müller: Aber ich glaube, unterm Strich kann man es vielleicht fast so ausdrücken, Prügel gibt es auf jeden Fall. Weil wenn ich jetzt an öffentliche Bauvorhaben denke und da glaube ich, haben wir alle irgendwelche in der näheren oder weiteren Umgebung vor dem geistigen Auge. Wo ich jetzt persönlich auch weiß, ansatzweise, dass große Bauunternehmen sich sehr intensiv mit den Dingen beschäftigen und auch verstehen, wie das Spiel funktioniert und dann halt günstig anbieten, genau das, was ausgeschrieben ist und dann halt über Nachträge und ähnliche Dinge das eigentliche Geschäft machen.

Oliver Weihrauch: Ja, ganz genau. Über die Nachträge, dass sie eigentlich ihr Geschäft machen, das ist das, was die öffentlichen Auftraggeber auch fürchten. Was aber immer wieder passiert, ist die Konsequenz schlechter Ausschreibungen. So muss man das einfach sagen. Wenn die Ausschreibung gut gemacht ist, gibt es keine Nachträge. Öffentlich ist es aber so, dass der öffentliche Auftraggeber auch politischen, Einflüssen unterliegt, die er vorher nicht völlig abgeklärt hat. Und dann gibt es Abänderungen in so einem Bauvorhaben zum Beispiel. Da muss das Zimmer des Bürgermeisters von links nach rechts verschoben werden, weil er plötzlich in eine andere Richtung gucken möchte. Und das kostet alles Geld und im Vergabeverfahren ist das nahezu tödlich, so etwas.

Götz Müller: Aber im Grunde kann man es aus Bietersicht so ausdrücken, dass man im Grunde keine Chance hat, irgendwie Einfluss auszuüben. Man muss halt mitspielen oder sich entscheiden, ich lasse es. Aber ich glaube mehr, also zumindest höre ich mehr Alternativen im Grunde gar nicht raus.

Oliver Weihrauch: So einfach ist das nicht. Das ist ein weites Feld. Zum einen ist es natürlich so, die Entscheidung, ich mache mit oder ich lasse es. Aber es gibt auch einen Königsweg. Ich drücke das dann immer so aus, wer sich an öffentlichen Aufträgen beteiligt, spart erhebliche Marketingkosten und Schulungskosten für seine Mitarbeiter, Verkäuferschulungen, weil diese ganzen Ausschreibungen werden im Internet veröffentlicht. Man kann sonntagsabends auf dem Sofa sitzen, den Tatort gucken und nebenbei ein Angebot ausfüllen, weil das alles elektronisch geht. Aber dann gibt es noch einen Königsweg. Oft ist es so, dass die Bieter an die Behörden rantreten und denen auch Schulungen anbieten, denen auch sagen, wohin geht der aktuelle Produkttrend. Oder dass die öffentlichen Auftraggeber von den Bietern auf Hausmessen eingeladen werden. Da kann man als Bieter versuchen, Einfluss auf das zu nehmen, was der öffentliche Auftraggeber haben möchte, wie er die Ausschreibung inhaltlich gestaltet. Da kann man schon einen erheblichen Einfluss nehmen. Und vor allen Dingen Einfluss nehmen, ein Thema möchte ich da auch noch mit erwähnen. Sich selbst zurückzunehmen, etwas dabei, Selbstdisziplin üben. Ich habe das Luder-Prinzip genannt. Hört sich jetzt ein bisschen nach Rotlichtmilieu, nach Reeperbahn an.

Hat auch was mit Luder zu tun. Aber Luder bedeutet als erstes Mal, dass der Bieter die Vergabeunterlagen lesen muss. Einfach nur lesen. Oft passiert auch nicht mal das, weil wenn man sich öfters in Ausschreibungen bewirbt, dann glaubt man zu wissen, was drinsteht und liest nicht alles, was neu auf den Markt kommt. Das U von Luder heißt dann, dass der Bieter auch tatsächlich genau das umsetzt, was der öffentliche Auftraggeber haben möchte. Dass er also nicht versucht, schlauer zu sein als der öffentliche Auftraggeber. Und das ist dann das D in dem Luder. Wenn er wirklich schlauer ist und merkt, der öffentliche Auftraggeber hat nicht die bestmögliche Leistung ausgeschrieben, dann muss der Bieter sich dumm stellen. Das darf er dann auch, sich dumm stellen. Wenn dann der Vertrag geschlossen ist, darüber reden wir ja gleich nochmal, dann kann der Bieter durchaus auf eine Vertragsänderung hinwirken und sagen, lieber öffentlicher Auftraggeber, ich habe hier noch etwas, was man ergänzen könnte. Das ist das E in Luder. Und wenn der öffentliche Auftraggeber dann überzeugt ist, dass diese Ergänzung für ihn die bestmögliche Lösung ist und wenn das auch vergaberechtlich möglich ist, den Vertrag zu ändern, dann wird der Bieter sich freuen. Dann hat er nämlich einen Nachtrag und kann mit dem R in Luder-Reibach machen. Das ist ein Luder-Prinzip.

Götz Müller: Ja, spannend. So ein bisschen hat es für mich fälltmit der Spruch ein, lerne schweigen ohne zu platzen. Also im Sinne von, ich sehe, dass da überspitzt ausgedrückt eventuell was vor die Wand fahren wird, aber ich lasse halt erst mal fahren.

Oliver Weihrauch: Ganz genau. Sonst besteht die riesige Chance oder das Risiko, dass der Bieter vom Vergabeverfahren ausgeschlossen wird und gar keine Möglichkeit hat, nachträglich noch den Vertrag zu ändern, um die bestmögliche Leistung zu bekommen.

Götz Müller: Ja, ich finde, es ist eine besondere, eine spannende, jetzt in meinem Sprachgebrauch, Kunden-Lieferanten-Beziehung, die da im Vorfeld ja schon existiert und dann hinterher auch sich fortsetzt. Und ich glaube, wenn man jetzt klassisch Kunden-Lieferanten-Beziehungen betrachtet, ist das doch eine etwas andere Welt, um es mal so auszudrücken.

Oliver Weihrauch: Ja, die klassische Kunden-Lieferanten-Beziehung lebt ja auch von dem Vertrauen, das man zueinander hat. Und dieses Vertrauen, das wird im Vergabeverfahren formal nicht belohnt. Im Gegenteil, es gibt sogar den Spruch des Bundesgerichtshofs, es gibt kein Mehr an Eignung. Wenn also ein Bieter, weil er die Leistung schon für den gleichen Auftraggeber hundertmal in der Vergangenheit gemacht hat, und der öffentliche Auftraggeber weiß, der ist der Richtige für die Leistung. Dann kommt aber ein anderer, der sagt, ich habe das gelernt, ich habe ein, zwei, dreimal bewiesen, ich kann das. dann sagt die Rechtsprechung, geeignet ist geeignet, es gibt keine mehr an Eignung, die Betreuungsbeziehung fällt hinten runter.

Götz Müller: Ja, oder fällt hinten runter, oder hat halt nicht diesen Wert, wie man es vielleicht im klassischen Kontext sieht.

Oliver Weihrauch: Genau. Ich erlebe es zwar immer wieder, wenn ich öffentliche Auftraggeber betreue, dass die einen Wunschbieter haben, aber den bekommen sie dann nicht immer, weil die Ausschreibungsregularien das nicht vorsehen, dass der beauftragt wird. Und im Ergebnis merken sie, sie können auch mit einem anderen glücklich sein. Das ist auch gerade eines der Prinzipien des Vergaberechts, dass zwischen den Bietern regelmäßig gewechselt werden soll. Es soll ein Wettbewerb herrschen. Es soll kein Hoflieferantentum herrschen.

Götz Müller: Ja, und eine Abhängigkeit. Das ist durchaus eine Sache, die ich im klassischen Kontext, speziell im IT-Kontext, immer wieder wahrnehme. Das ist das alte, ein bisschen überspitzt ausgedrückt, das alte IBM-Prinzip, grabt dich so tief wie möglich in die Geschäftsprozesse deines Kunden ein, dass er dich im Grunde nicht mehr los wird.

Oliver Weihrauch: Ja, das ist vielleicht in dem Zusammenhang auch ein Beispiel, gerade aus dem Baubereich. Da gibt es ja die Möglichkeit, entweder Einzelgewerke zu beauftragen, vom Rohbauunternehmer bis zum Dachdecker. Dann sind auch noch die Ausbaugewerke. Oder es gibt die Möglichkeit, einen Generalunternehmer zu beauftragen. Einer, der alles für den öffentlichen Auftraggeber macht. Der öffentliche Auftraggeber tendiert dazu, obwohl das nicht oder nur selten zulässig ist, einen Generalunternehmer zu beauftragen. Was ja überhaupt nicht realisiert ist, dass der Generalunternehmer prinzipiell teurer ist, weil er die ganzen Koordinierungszuschläge noch oben draufhaut und dass er in eine ungeheure Abhängigkeit von diesem Generalunternehmer gerät. Wenn der ein Problem mit dem öffentlichen Auftraggeber die Arbeit einstellt oder wenn er insolvent wird, dann steht das komplette Bauvorhaben still. Und da kann man den nicht so einfach ersetzen wie einen Dachdecker, der nur ein Gewerk machen soll.

Götz Müller: Ja, was jetzt durchaus eine Situation ist, die man in einem privaten Kontext ähnlich hat.

Oliver Weihrauch: Richtig, genau.

Götz Müller: Gut, jetzt klang es für mich so ein bisschen an und ich glaube, in dem Kontext öffentliches Vergaberecht ist man sehr schnell dort, was Bürokratie und Regulierung angeht. Und natürlich beschäftigen wir uns wahrscheinlich schon überspitzt ausgedrückt seit Kaisers Zeiten mit solchen Themen. Und da jetzt die Frage an deine Erfahrung, man heißt auch Bürokratie und Regulierung alles so furchtbar. Ist es schlimmer geworden über die Jahre bis Jahrzehnte in deiner Wahrnehmung oder ist es erst eine Entwicklung der letzten Jahre und wenn ja, was steckt eventuell sogar dahinter?

Oliver Weihrauch: Also, ja, was dahintersteckt, ist schwierig zu sagen. Es ist schlimmer geworden, muss man sagen. Also jeder, der sich mit dem Vergaberecht beschäftigt, ist mit der Situation konfrontiert, dass es immer mehr und immer komplexere Regeln gibt. Das kommt auch daher, dass wir viele Regeln von der Europäischen Union haben, die dann in der Bundesrepublik nicht auch nicht eins zu eins übernommen worden sind, sondern teilweise noch verschärft werden. Und wir haben auch verschiedene Player. Die einzelnen Landesregierungen haben auch noch politische Ziele. Die möchten die dann auch noch in Gesetzesform untergebracht haben, wenn sie ihre Landesgelder ausgeben. Ich habe das mal ganz plastisch in einem Foto dargestellt. Ich beschäftige mich seit 1995 mit dem Vergaberecht. Es gibt vom Beck Verlag eine Printtextausgabe zum Vergaberecht. Die habe ich alle gesammelt. Leider habe ich mal Eine verloren im Seminarraum liegen lassen. Aber die habe ich gesammelt und da habe ich diese knapp 30 Bände nebeneinander gestellt. Es ist ganz selten passiert, dass die Bände mal vom Umfang dünner geworden sind. Man kann es wirklich bildlich beobachten und sich das auch vorstellen, von links nach rechts, von 1995 bis 2004, die Textsammlungen zum Vergaberecht werden immer dicker.

Götz Müller: Ja, bei der Aufzählung der verschiedenen Mitspieler kam mir dann da der Gedanke, der Spruch in den Sinn, viele Köche verderben den Brei.

Oliver Weihrauch: Ja, genau. Das passt ganz gut. Jeder möchte sich im Vergaberecht dann verwirklichen, seine politischen Zielvorstellungen umsetzen. Ist für die Bieter, die mit mehreren öffentlichen Auftraggebern zusammenarbeiten möchten, ungeheuer schwierig, sich immer wieder in die dann geltenden Regularien einzuarbeiten. Das muss man auch sagen, das Vergaberecht hat sich sehr stark gewandelt. Das war ursprünglich mal reines Haushaltsrecht, wo es dann wirklich nur darum geht, wer gibt das wirtschaftlichste Angebot ab. Und wirtschaftlich hieß damals wirklich das billigste Angebot. Und jetzt hat man diese Begrifflichkeit zwar beibehalten und da steht im Gesetz, dass der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt wird. Dann definiert das Gesetz aber gleichzeitig die Wirtschaftlichkeit als normalerweise ein Preis-Leistungs-Vergleich. Und bei der Leistung dürfen auch andere Aspekte wie Qualität und soziale Aspekte berücksichtigt werden. Und du kannst dir vorstellen, wenn man verschiedene Qualitäten berücksichtigen darf und soziale Aspekte berücksichtigen darf, der bürokratische Aufwand wird immer höher. Weil jeder Gesetzgeber oder jeder Schaffer von Vergaberegularien hat eigene Vorstellungen von dem, was er als sozial oder als umweltgerecht empfindet.

Götz Müller: Ja, und für mich kommt da der Punkt eben noch dazu, jetzt wieder, wie gesagt, ich kann mich da immer nur auf mein laienhaftes Verständnis zurückziehen. Ich kann ja nicht verhandeln, das heißt, ich muss im Vorfeld anstreben, mögliche Missverständnisse auszuräumen und ich glaube jetzt, auf so Dinge wie Regulierung hat das ja auch nicht unbedingt einen positiven Einfluss, wenn ich alle Eventualitäten eigentlich vorwegnehmen muss. Und hinterher nicht drüber reden muss, okay, habe ich so verstanden, wie hast du das verstanden? Ist es ja im Grunde eingebaut, dass es schlimmer werden muss.

Oliver Weihrauch: Das ist schon richtig. Kein öffentlicher Auftraggeber kann alles vorwegnehmen, kann alle Eventualitäten regeln. Deswegen gibt es aber auch die Möglichkeit, Konzeptwerbwerbe zu machen. Und dann braucht man kein starres Punktesystem vorzugeben, sondern man vergleicht einfach die einzelnen Konzepte der Bieter miteinander und hat dann eine sehr flexible Möglichkeit, das beste Angebot zu beauftragen. Das geht also. Also Vergaberecht ist zwar formal, aber nicht formalistisch. Man kann es so handhaben, dass man in Notsituationen handlungsfähig bleibt. Man kann es auch so handhaben, dass man wirklich ohne verhandeln zu müssen, die beste Leistung beauftragen darf.

Götz Müller: Jetzt hattest du das Beispiel gemacht, Sonntagabends auf dem Sofa während dem Tatort die Ausschreibung zu beantworten. Da höre ich natürlich sowas wie Digitalisierung raus und natürlich, da ist es nicht weit zu einem Thema, was aktuell ja in aller Munde ist, nämlich künstliche Intelligenz. Und da noch ein bisschen nachgeführt, welche Rolle spielt Digitalisierung und eventuell eben auch künstliche Intelligenz im Gesamt, im Vergabeprozess?

Oliver Weihrauch: Ja, also die Digitalisierung spielt eine große Rolle. Alle öffentlichen Aufträge müssen irgendwo online veröffentlicht sein. Die größeren Aufträge ab gewissen Schwellenwerten sogar europaweit, dass der Bieter in Südportugal und in Nordschweden nachlesen kann, was hier der öffentliche Auftraggeber beauftragen möchte.

Manche kleineren Sachen müssen dann nur auf der Homepage des Beschaffers, der Landkreise, der Kommune veröffentlicht werden. Aber das ganze Verfahren der Angebotsabgabe, also das Herunterladen der Ausschreibung und der Angebotsabgabe, das passiert heute digital. Da sind wir schon sehr weit fortgeschritten. Und das ist auch eine tolle Sache. Einziger Haken an der Sache ist, dass es verschiedene digitale Systeme gibt und der Bieter muss sich dann immer wieder darauf einstellen, welches digitales System verwendet denn jetzt gerade der öffentliche Auftraggeber, der ausgeschrieben hat. KI ist ein Thema, wo wir in der öffentlichen Vergabe noch relativ am Anfang stehen. Wir sind schon froh, einzelne Anbieter zu haben, die KIs für Textbausteine, für Verträge anbieten. Aber jetzt einfach mal eine KI, eine Ausschreibung, Vergabeunterlagen schaffen zu lassen oder hinter die Angebote auszuwerten, da sind wir noch weit von entfernt. Und das hat ja auch ein datenschutzrechtliches Problem. Die KIs, an die man so typischerweise denkt, da weiß man ja nicht, wo wandern die Daten hin und wie werden die verarbeitet, wie wird das gespeichert. Und alles, was die Bieter in ihre Angebote reinschreiben, das ist ja deren Geschäfts- und Betriebsgeheimnis. Von dem Angebot her, von der Leistung, die sie anbieten, bis zu dem Preis. Deswegen haben wir hier noch ein großes datenschutzrechtliches Problem. Und da weiß ich nicht, wo die Richtung hingeht. Bei KI stehen wir noch ganz am Anfang.

Götz Müller: Gut, jetzt in Anführungszeichen zum Abschluss, aber wahrscheinlich fast nochmal ein kleines Extrathema. Wenn dann irgendwann die Vergabe stattgefunden hat, dann fängt ja im Grunde der Leistungsprozess jetzt in meinem Sprachgebrauch erst an. Was habe ich dann da für Wechselwirkungen, so möchte ich es jetzt mal ausdrücken, von der Vergabe in die spätere Leistung, in die Abwicklung?

Oliver Weihrauch: Auch das ist ein spannendes Thema, das sich durch die Rechtsprechung oder die Gesetzgebung ergeben hat. Früher war es so, mit dem Abschluss des Vergabeverfahrens, also mit der Auftragserteilung, dem sogenannten Zuschlag, ist das Vergabeverfahren abgeschlossen. Und dann denkt nicht mehr ans Vergabeverfahren. Jetzt haben wir aber ausdrücklich Regelungen, die in die Vertragsabwicklung hineinwirken. Wir haben zum Beispiel im Vergaberecht spezielle Kündigungsmöglichkeiten aus vergaberechtlichen Gründen. Wenn ein Bieter sich nachteilig herausstellt, dass Bieter Absprachen getroffen haben untereinander, haben wir spezielle Kündigungsmöglichkeiten. Aber das Wichtigste ist, wenn die Leistung geändert werden soll, wenn die Leistung nicht so ausgeführt wird, wie sie beauftragt wurde. Und das ist ja ganz häufig so, zum Beispiel bei Bauvorhaben, dass es Änderungen gibt, dass es Nachträge gibt. Da haben wir sehr starre, sehr enge Grenzen, die es verbieten, dass die Leistung einfach an den ausführenden Unternehmer als Nachtrag beauftragt wird. Sondern dann kommen wir dann immer an Grenzen und fragen uns, muss die Nachtragsleistung nicht in einem gesonderten Vergabeverfahren selbst ausgeschrieben werden? Und das ist dann immer wieder eine Situation, wo auch der Vergabejurist sehr stark gefragt wird, dass er begründet oder versucht zu begründen, warum der ausführende Unternehmer, wenn denn ein Nachtrag erforderlich ist, warum er mit diesem Nachtrag beauftragt werden darf, ohne dass man ein gesondertes Vergabeverfahren macht.

Götz Müller: Ja, ich glaube, für mich hört es sich wie ein spannendes Thema an, Dinge, mit denen man glaube ich jetzt als in Anführungszeichen normaler Mensch ja so direkt gar in Berührung kommt und manchmal sich in einem klassischen Kontext ja schon fast glücklich schätzen kann. Und trotzdem, du hast ja angedeutet, hat es ja Vorteile, sich in so einem Umfeld zu bewegen, wie ich das durchaus aus anderem Kontext ähnlich kenne. Man muss natürlich aufpassen, glaube ich, dass man halt nicht selber als Bieter in eine Form von Abhängigkeit gerät von dieser Art Geschäftsmodell. Also ich glaube, die Rückwirkung auf, das aktive Reflektieren des eigenen Geschäftsmodells ist ein ganz wichtiges Element, das man nicht vernachlässigen sollte, wie üblich und hier eben auch.

Oliver Weihrauch: Völlig richtig, in der Tat. Aber um jetzt nochmal mit einem Vorurteil aufzuräumen. Es gibt natürlich Bieter, die sagen, ich bin fies davor. Ich biete bei öffentlichen Auftraggebern nicht an, mit denen habe ich schlechte Erfahrungen gemacht oder die Verfahren sind mir zu stark. Diese Bieter übersehen aber zweierlei. Sie übersehen erstens, dass die Aufträge öffentlich ausgeschrieben werden und sie überhaupt keinen Marketingaufwand haben. Wenn sie ein gutes Produkt haben, finden sie auch jemanden, der es braucht. Dann müssen sie nur noch den Preis kalkulieren und keine formalen Fehler machen und haben gute Chancen auf einen Auftrag. Das andere, was Bieter übersehen, ist, dass auch Bieterorganisationen für das Vergaberecht sind. Also es gibt eine Schaffungsinitiative, wo ganz viele große Verbände, zum Beispiel Bundesverband der Deutschen Industrie und Ähnliche drin vereint.

Wo ganz viele von dieser großen Verbände sich zusammengeschlossen haben und gesagt haben, Wir brechen mal eine Lanze für das Vergaberecht, weil dann haben wir eine gerechte Auftragsvergabe, es ist nicht korruptionsanfällig und diese Verbände werben also gerade für die Anwendung des Vergaberechts. Man kann nicht sagen, dass das Vergaberecht eben ein Fremdkörper ist und bieterfeindlich ist. Das hat seine große Berechtigung, das Vergaberecht. Und auch wenn man es richtig zur Hand haben weiß, ein großer Nutzen für die Bieter.

Götz Müller: Ja, also da höre ich eben raus, wie bei allen Dingen in dem Kontext und ich verwende wieder den Begriff des Geschäftsmodells, ich muss mir halt aktiv darüber bewusst sein, dass ich mich in so einem Kontext bewege, wie der sich von anderen Kontexten unterscheidet, ich muss mich darauf einstellen, ich muss mir bewusst machen, was sind die Vor- und Nachteile, ich muss es abwägen und Und dann halt eine Entscheidung treffen. Und das ist in meiner Wahrnehmung eine Sache, die, und da greife ich jetzt ganz gern auch an die Bieternase, um das mal so auszudrücken, was die manchmal versäumen eben. Egal, ob ich mich jetzt in so einem öffentlichen Kontext bewege oder halt in einem klassisch privatwirtschaftlichen Kontext. Das eigene Geschäftsmodell zu verstehen und wie sich das weiterentwickeln muss, das kommt, ich finde, es kommt oft zu kurz.

Oliver Weihrauch: Ja, das ist richtig. Ich möchte noch einen Aspekt erwähnen, warum es sich auch für die Bieter lohnt, sich auf das Vergaberecht einzulassen oder auf die öffentliche Beschaffung einzulassen. Weil die Wettbewerbssituation wesentlich besser ist als beim privaten Auftraggeber. Beim privaten Auftraggeber müssen die Bieter um Aufträge buhlen, Klinken putzen, Kaltakquise machen und Ähnliches. Bei öffentlichen Aufträgen, wenn die sich auf eine Ausschreibung bewerben, ist es sehr häufig so, dass sie nur ein bis drei Mitbewerber haben. Ausnahmen gibt es immer mal. Ich hatte jetzt auch eine Ausschreibung, wo ich 17 Tragwerksplaner hatte, die sich auf eine öffentliche Ausschreibung beworben haben. Aber gerade bei Bauvorhaben ist es so, dass der Markt wenig Wettbewerb zeigt. Es ist so, öffentliche Auftraggeber schlagen manchmal die Hände über den Kopf zusammen und sagen, ich habe kein Angebot bekommen oder ich habe nur ein Angebot bekommen. Und es lohnt sich also für die Bieter, sich auf Ausschreibungen einzulassen.

Götz Müller: Ja, und ich vermute mal, der Gedanke kommt mir jetzt auch gerade, es ist relativ disruptionsresilientes Geschäft, weil die Ausschreibungen ja, gut, es kann natürlich morgen irgendeine ganz dass ganz disruptive Ausschreibungen kommen. Aber durch die Beschränkungen, durch das, was alles drinstehen muss, kommt nicht morgen irgendeiner à la Henry Ford ums Eck, der sagt, Pferde sind sowas von oldschool, wir machen jetzt ein Auto.

Oliver Weihrauch: Ja, richtig. Nein, nein, also das gibt es nicht. Und noch etwas, was oft übersehen wird, die Bieter haben auch Möglichkeit, durch eigene Fragen auf das Vergabeverfahren Einfluss zu nehmen. Sie können, wenn wir etwas nicht verstehen oder für eine bessere Lösung werben müssen, können Sie dem öffentlichen Aufnachgeber in dem Verfahren auch Fragen stellen. Und diese Fragen werden auch zeitnah beantwortet. Allerdings erfahren die Antworten dann nicht nur die Bieter, die die Frage gestellt haben, sondern alle Bieter, die sich am Verfahren beteiligen. Da muss man also schon aufpassen, dass man nicht durch die Art und Weise der Frage Betriebsgeheimnisse veröffentlicht, von denen dann die anderen Bieter profitieren können. Aber es ist durchaus sinnvoll und üblich, in den Verfahren auch Fragen zu stellen, um Klarheit zu bekommen und Situationen zu vermeiden, dass man hinterher sagt, ich habe die Ausschreibung ganz anders verstanden, als der öffentliche Auftraggeber sie verstehen wissen wollte.

Götz Müller: Das hört sich jetzt aber ein Stück weit schon nach einer Art von Verhandlung an mit der Randbedingung, dass halt alle mitspielen in dem Stil, dass alle im selben Ring stehen.

Oliver Weihrauch: Ja, ich habe Ausschreibungen erlebt, wo der Bieter abweichend von der Ausschreibung des öffentlichen Auftraggebers eine andere Leistung anbieten möchte. Dann stellt er eine Frage, ob man das nicht auch anders gestalten könnte. Und wenn ein öffentlicher Auftraggeber offen dafür ist, er hat die entsprechende Zeit dafür, dann kann er durchaus sagen, ich hebe die alte Ausschreibung auf und mache eine neue Ausschreibung mit der neu angebotenen Leistung, wo man die auch anbieten kann. Durchausmöglich.

Götz Müller: Ja, und eventuell habe ich dann auch einen vielleicht kleinen zeitlichen Vorsprung, weil ich mir halt bestimmte Gedanken schon vorher gemacht habe, die sich andere Bieter jetzt erst machen müssen.

Oliver Weihrauch: Völlig richtig. Das kann passieren, ja. Und ich habe auch, auch wenn es starr ist, das Wertungssystem, es schadet niemals, wenn man einen guten Eindruck hinterlassen hat und vielleicht gemocht wird vom Auftraggeber oder gewollt wird vom Auftraggeber. Das schadet nicht.

Götz Müller: Ja, weil es eben, wie du es erwähnt hast, oft nur relativ eingeschränkte Bieterlandschaft sich handelt, wo man sich wahrscheinlich dann auch kennt gegenseitig.

Oliver Weihrauch: Das ist richtig, ja. Das hat Vor- und Nachteile. Manchmal glaubt man, seinen Wettbewerber zu kennen und dann schreibt man dem öffentlichen Auftraggeber, du willst meinem Wettbewerber den Auftrag erteilen, ich weiß aber, dass der überhaupt nicht geeignet ist. Und dann fängt der Streit an, ist der Wettbewerber geeignet, am Verfahren teilzunehmen oder nicht.

Götz Müller: Ja, ich glaube, es ist ähnlich wie im klassischen Kontext ein ziemlich komplexes Thema, mit dem man halt möglichst bewusst umgehen muss, ständig dazulernen und sich eben auf verändertes Umfeld einstellen, wo sich jetzt meiner Ansicht nach eben dieses öffentliche Umfeld und klassisch privatwirtschaftliches Umfeld auch nicht wirklich unterscheidet.

Oliver Weihrauch: Ja, aber es ist schon ein eigener Markt mit eigenen Formalitäten, auf die man sich einlassen muss. Und es ist ein milliardenschwerer Markt. Man rechnet mit ca. 20% des Bruttoinlandsproduktes entfallen öffentliche Aufträge. Und wenn man da nur einen kleinen Bruchteil von bekommt als Unternehmen, dann hat man eine gute Auftragslage.

Götz Müller: Ja, kann ich mir sehr gut vorstellen. Prima. Oliver, ich danke dir für deine Zeit, für die interessanten Einblicke, die, glaube ich, für die allermeisten Zuhörer, definitiv auch für mich, mal ein Blick in eine andere Welt waren und deshalb aber trotzdem sehr wertvoll. Ich danke dir.

Oliver Weihrauch: Götz, ich danke, dass ich dabei sein durfte im Podcast. Ich hoffe, ich konnte deinen Zuhörern einen gewissen Mehrwert liefern. Wenn es noch irgendwelche Fragen sind, mich findet man in allen sozialen Medien. Ich bin für Fragen offen.

Götz Müller: Das war die heutige Episode im Gespräch mit Oliver Weihrauch zum Thema Vergabeprozesse Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 356.

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Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.
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