Inhalt der Episode:
- Was was der Impuls sich mit dem Thema Lean Management und speziell in der Altersmedizin zu beschäftigen?
- Was sind typische Leistungs- und Unterstützungsprozesse in der Altersmedizin?
- Was unterscheidet sie von anderen Bereichen des Gesundheitswesen?
- Wer sind die Beteiligten in der Altersmedizin?
- Welcher Nutzen lässt sich aus dem Einsatz von Lean Management in der Altersmedizin erzielen?
- Was unterscheidet Lean Management beim Einsatz in der Altersmedizin von anderen Gebieten des Gesundheitswesens?
- Welche besonderen Herausforderungen treten dabei auf?
- Was sind die Ursachen für diese Unterschiede und Herausforderungen?
- Gab es Aussagen oder Sichtweisen aus den Interviews, die besonders überrascht oder beeindruckt haben?
- Was lässt sich wiederum auf den allgemeinen Einsatz von Lean Management übertragen?
Notizen zur Episode:
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Episode 365 : Lean Management in der Altersmedizin
Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.
Götz Müller: Heute habe ich Viktor Schwerdtfeger bei mir im Podcast-Gespräch. Er ist Masterabsolvent in International Management. Hallo Herr Schwerdtfeger.
Viktor Schwerdtfeger: Ja, Hallo Herr Müller. Schön, dass ich hier sein kann, ganz herzlichen Dank.
Götz Müller: Ja schön, dass sie dabei sind. Ich habe schon ein kurzes Stichwort gesagt, aber stellen Sie sich gern noch mal den Zuhörern vor, vielleicht auch ganz speziell, wie Sie überhaupt auf das Thema gestoßen sind, warum Sie das so ausgewählt haben?
Viktor Schwerdtfeger: Ja, also mein Name ist Viktor Schwerdtfeger und wie Herr Müller schon sagte, ich habe letztes Jahr, Ende letzten Jahres meinen Master in internationalem Management abgeschlossen also vom Hintergrund auch im Bachelor bin ich eher in die Richtung Betriebswirtschaftslehre, habe mich aber dann auch schon im Bachelor in den Thesen sozusagen früh auf den Gesundheitssektor gestürzt, im Bachelor eben mit dem Thema digitale Gesundheitsanwendungen. Und das, ja, dieses Interesse habe ich dann auch weitergetragen über meinen Bachelor hinaus, also das heißt, habe dann zwei Jahre auch in der Beratung für Market Access als für Pharmazeutika, ja, gearbeitet, auch für digitale Gesundheitsanwendungen und eben im Master sozusagen habe ich mich dann in meiner Thesis der Geriatrie, also beziehungsweise der Altersmedizin, speziell eben auch Lean Management in der Altersmedizin gewidmet. Also noch mal den Gesundheitssektor und da habe ich mich halt hauptsächlich eben mit der Frage beschäftigt, wie Lean Management in der Altersmedizin bisher eingesetzt wird, welche Herausforderung es dabei gibt und welche Lösungen oder Ansätze zu erfolgreichen Implementierung sozusagen existieren. Und um vielleicht eine Kleinigkeit noch zu der Thesis zu sagen. Das Ganze habe ich eben im Rahmen einer qualitativen Analyse gemacht, also das heißt sozusagen durch Interviews mit Experten aus dem Lean-Bereich mit Ärztinnen und Pflegekräften im altersmedizinischen Bereich und bin dann entsprechend ja auch mit Ihnen, Herr Müller, so ins Gespräch gekommen.
Götz Müller: Mhm. Was mich an der Stelle nämlich definitiv interessiert, weil also, bevor Sie mich angesprochen hatten, wäre ich im Leben nicht draufgekommen, um es mal so flapsig auszudrücken, diese Kombination Lean Management mit Altersmedizin. Was war da der Impuls dazu, was war der Auslöser, genau diese Kombination auszuwählen und dann eben in der Master Thesis zu bearbeiten?
Viktor Schwerdtfeger: Ja, ich würde sagen, das hatte quasi so ein bisschen die intrinsische Neugier gebunden mit so extrinsischen Anstößen oder Faktoren zu tun. Also Intrinsisch hatte ich ja eben gesagt, dass da speziell im Gesundheitswesen mein Interesse liegt und ich deswegen ja auch schon im Bachelor daran gearbeitet hatte. Also das heißt, ich hatte generell das Interesse in dem Bereich etwas zu machen und extrinsisch muss man natürlich dann sagen, kam der Impuls so ein bisschen durch meinen Tutor, da hatten wir eben in unserem Master quasi einen, der sich speziell auch auf den Gesundheitsbereich, ja, fokussiert hatte und auf den habe ich mir natürlich sofort gestürzt und der war eben oder ist natürlich immer noch Doktor der Geriatrie, also der Altersmedizin in Barcelona, mit zusätzlicher betriebswirtschaftlicher Weiterbildung und der hat quasi in unserem Gespräch, in dem es darum ging, welche Interessen wir teilen, auch mit dem Stichwort Lean sozusagen angefangen. Damals sinngemäß, würde ich jetzt sagen, hat er so etwas gesagt wie: Im Grunde kenne ich kaum Kolleginnen oder Kollegen in der Altersmedizin, die wirklich jetzt Prozesse optimieren im Sinne eines Lean Managements, so wie ich es zum Beispiel in meiner Weiterbildung kennengelernt hatte. Was ist eigentlich ihre Meinung dazu? Und da muss man jetzt natürlich am Anfang sagen, war ich erst mal baff – ja, was ist meine Meinung dazu? Gleichzeitig hat mich das natürlich auch ein bisschen neugierig gemacht. Also warum eigentlich nicht? Also warum sollte man jetzt Lean nicht außerhalb der Industrie, speziell auch im Gesundheitswesen verwenden? Wird Lean vielleicht nicht als passend empfunden oder fehlt vielleicht der Zugang, eben das Wissen oder auch die Zeit. jetzt speziell im Gesundheitswesen oder in der Altersmedizin dafür? Und das brachte mich sozusagen so ein bisschen auch zu dem dritten Impuls, als mich eben tiefer eingelesen habe, habe ich halt eigentlich gemerkt, wie komplex und gleichzeitig eigentlich auch unterbeleuchtet dieser Bereich ist, weil wenn man sich das Ganze mal anschaut, wie unsere Gesellschaft jetzt altert, ja, das sieht man an den an den demografischen Kurven, wir haben also immer mehr hochaltrige Menschen, immer mehr Menschen, im Grunde mit chronischen Erkrankungen. Darunter zählt zum Beispiel Demenz im Alter, Osteoporose, um jetzt ein paar Beispiele zu bringen. Der Pflegebedarf steigt und im Grunde wird einem dann ja eigentlich auch klar, wenn man das so alles liest. Die Altersmedizin ist keine Nische eigentlich, sondern die ist ein Zukunftsbereich der Medizin, der weiterwachsen wird und gleichzeitig, und das hat sich in Interviews dann auch bestätigt sozusagen, ist es ein Bereich, der in der Forschung, Innovation einfach oft kurz kommt vieles. Vieles stützt sich halt auf junge, leistungsfähige Zielgruppen, also quasi in Anführungszeichen: Jung ist cool und alt ist unattraktiv. Das war mal so ein Titel von einem Newspaper-Artikel, den ich gelesen habe, und trotzdem muss man sagen, gerade in der Altersmedizin entscheidet sich ja im Prinzip oft, wie würdevoll auch wir später altern in unserem Gesundheitssystem. Und das ist etwas, was mich natürlich persönlich dann sehr berührt hat und wo ich dann den Ansatz gesehen habe, das finde ich spannend und hier möchte ich eigentlich weiter eintauchen.
Götz Müller: Ja, kann ich mir sehr gut vorstellen und ich denke, an der ein oder anderen Stelle in unserem Gespräch werden wir das ja auch vertiefen. Jetzt vielleicht, weil mit Sicherheit trifft man natürlich auf das weite Feld der Medizin im klassischen Sinne dieser, auch wieder klassische, Ausspruch „Wir bauen ja keine Autos“ mit Sicherheit zu und deshalb vielleicht, um den Zuhörern, die jetzt eher so aus einem Produktionskontext kommen, so ein bisschen einen Eindruck zu geben, was sind typische Leistungs- und Unterstützungsprozesse speziell in der Altersmedizin und vielleicht so ganz, sofern es das gibt, wie unterscheidet sich das von anderen Bereichen des Gesundheitswesens?
Viktor Schwerdtfeger: Ja. Ich denke, ich würde sogar sagen, dass wir mal mit der zweiten Frage, also wie sich das vielleicht unterscheidet anfangen und kommen dann quasi auch überleitend auf die Leistungs- und vielleicht Unterstützungsprozesse ein bisschen mehr im Detail. Grundsätzlich kann man ja sagen, eine Gemeinsamkeit auch mit dem anderen Gesundheitswesen ist im Prinzip: Es geht um Menschen und es geht jetzt nicht direkt um Produkte, wie zum Beispiel ein Kugelschreiber, den ich zusammensetze, wo ich genau weiß, dieses Teil kommt dahin, sondern es geht im Prinzip um den Menschen als Kunden, aber quasi auch in Anführungszeichen, als Produkt, das geheilt werden muss, ist umgangssprachlich jetzt gesprochen. Natürlich ist es schwierig, in diesem Zusammenhang Menschen mit Produkten gleichzusetzen, aber der Unterschied hört da eigentlich nicht auf, sozusagen bei den Menschen, sondern ganz im Gegenteil: Er beginnt sozusagen bei den Menschen. Also das heißt, die Patientinnen generell, wenn wir uns die Altersmedizin anschauen im Vergleich zu regulärer, das Patientenklientel ist ein anderes, weil hier gibt es eben Patienten mit einer bestimmten Konstellation, der sogenannten Multimorbidität. Also im Prinzip haben wir oft Patienten eben mit mehreren chronischen oder eben auch funktionellen Erkrankungen, die sozusagen gleichzeitig vorliegen. Und wenn man sich das ganze jetzt ein bisschen breiter aufstreut, diese Erkrankungen, die dann diese Patienten, quasi, der Leidensdruck, den die haben, der betrifft nicht nur den Körper, sondern der betrifft oft auch kognitive Aspekte, emotionale Aspekte oder eben soziale Fähigkeiten, auch im Alter. In dem Zusammenhang habe ich auch durch Interviews erfahren, spricht man häufig von sogenannten geriatrischen Is. Also das heißt ein Paar davon wären zum Beispiel die Immobilität, Instabilität des Körpers, Inkontinenz, Insomnie, in Bezug jetzt auf Schlafstörungen, wir reden von intellektuellem Abbau, insbesondere auch wenn wir von Demenz sprechen. Aber wir reden auch von Isolation und am Ende von Schäden, von iatrogen Schäden. Das sind sozusagen Schäden, die durch Nebenwirkungen von eigentlich schon eingenommen Medikamenten oder eben Behandlungen von ganz anderen Krankheiten entstehen können, die am Ende des Tages aber vielleicht zu völlig neuen Schäden führen, und das bedeutet im Grunde, wir haben ja ein sehr komplexes Bild von Patienten, indem Diagnosen oft ineinandergreifen. Das heißt, Behandlungsentscheidungen müssen halt in so einem Fall sehr fein abgestimmt und auch individuell abgewogen werden und das bringt natürlich dann eine gewisse Komplexität mit sich. Wir brauchen eine enge Abstimmung halt zwischen zum Beispiel verschiedenen Ärzten. Wir haben die Pflege darin, wir haben Therapeuten eingebunden, vielleicht sogar auch den Sozialdienst, speziell auch häufig vernachlässigt, wenn man jetzt darüber nachdenkt zum Beispiel Isolation, den Punkt der Isolation, viele leben alleine und können sich vielleicht auch gar nicht selbst mehr vernünftig versorgen und ich denke, dass dieses Klientel, und jetzt gehen wir quasi auf die Leistung oder auf die Zielsetzung ein, dieses Patientenklientel führt eigentlich sozusagen zu einem Unterschied in der Behandlung. Also das bedeutet es, es liegt nicht mehr, der Fokus kann nicht mehr auf der vollständigen Heilung oftmals liegen, sondern vielmehr geht es halt um die Stabilisierung des Patienten und zu gewährleisten, die Autonomie wiederherzustellen. Vielleicht können wir dann als Beispiel jetzt anbringen, Demenz, Herzinsuffizienz oder zum Beispiel Osteoporose. Bei Osteoporose möchte man ja die Mobilität erhalten, man macht eine Sturzprophylaxe zum Beispiel, vielleicht auch eine Schmerztherapie. Und all das ist etwas, was halt da in diese Entscheidungsfindung, in die, in die Leistung, in die Zielsetzung mit rein fließt in einem Pool, der heterogener eigentlich gar nicht sein könnte. Also, das heißt, es gibt Neunzigjährige, die sind super fit, und dann gibt es Siebzigjährige, die haben jetzt schon mit fünf chronischen Erkrankungen zu kämpfen und hier funktionieren einfach Standardlösungen nicht. Und wenn man auf das Leistungsspektrum guckt, dann sieht man, dass es hier insbesondere halt ins Multimorbiditätsmanagement geht. Das heißt Koordination, Priorisierung von Erkrankungen ist wichtig. Es geht oftmals um Frührehabilitation, um ein richtiges Entlassmanagement und eben auch um die Nachsorgeplanung, die vielleicht für jüngere Leute, wenn sie sagen: Okay, du hast Knieprobleme, wir machen dein Knie und dann ja, nein, fertig. Und hier muss man wirklich genau abstimmen, woher kommt eigentlich das Symptom in diesem Fall? Ist es überhaupt ein Symptom, ist das Organ, das überhaupt wirklich betroffen ist, ist es der Grund dafür eigentlich, dass der Patient so ist, wie er jetzt quasi uns vorstellig wird an dieser Stelle? Und das macht es alles sehr komplex, im Vergleich zu vielleicht anderen Gesundheitsbereichen, wie zum Beispiel in der Akutmedizin jetzt. Im OP-Saal, wo es ja vielleicht ein bisschen mechanischer zugeht.
Götz Müller: Mhm, jetzt haben Sie eben Leistungs- und Unterstützungsprozesse angedeutet. Ich glaube, allzu viel tiefer reingehen macht, glaube ich, auch nicht wirklich Sinn, weil man sonst unheimlich in die Breite gehen würden aufgrund dieser hochgradigen Abhängigkeiten und der Vielzahl der Themen, was sie angedeutet hatten, sind Beteiligte, möchte ich das mal nennen. Da würde ich, das würde ich ganz gerne noch ein bisschen vertiefen, weil ich könnte mir vorstellen auch, dass auch da das Thema Altersmedizin besonders ist und das eben dann auch auf Prozesse, und damit auf all das, was ich durch die Lean-Brille mir anschaue, Einfluss hat.
Viktor Schwerdtfeger: Ja, ja, ganz genau. Im Grunde können wir uns, ist die Altersmedizin, ein Bereich, der im Prinzip eigentlich nur funktioniert, wenn viele Beteiligte gemeinsam an einem Strang ziehen, und zwar ist das quasi über Berufsgruppen hinweg, auch über Fachdisziplinen und auch eigentlich über Sektorgrenzen hinweg, und das ist vielleicht anders als in vielen anderen medizinischen Bereichen, wo eben Zuständigkeiten am Ende klarer sind und die Abläufe ja einfach standardisierter sind. Nehmen wir mal. Schauen wir uns mal vielleicht so eine in Anführungszeichen vereinfachte Patient Journey an, wo beginnt das? Potenziell beim Hausarzt und dann geht es weiter, wenn es eben in die akute Aufnahme geht am Ende des Tages. Das sind die aufnehmenden Ärzteteams im Krankenhaus. Wir haben Pflegekräfte dort. Wir haben die verschiedenen Ärzteteams, die dann auch die Behandlung durchführen, das heißt im Bereich vielleicht auch, wir hatten vorhin gesprochen über kognitive, also, das heißt Neurologie, wir haben Chirurgie, wir haben Orthopädie. All das sind Aspekte, die quasi zusammenkommen bei diesen Patienten, oder die Wahrscheinlichkeit deutlich höher ist, dass es eben bei diesen Patienten zusammenkommt, und dasselbe gilt natürlich auch, wenn man das sich das Entlassmanagement am Ende anguckt. Das heißt, hier inbegriffen sind zum Beispiel Therapeutinnen, also auch weiterführend, Physiotherapie in Form von Reha zum Beispiel. Wir haben Ergotherapie, wir haben Logopäden, aber auch wenn wir jetzt speziell auch noch mal die Isolation angucken, Sozialdienste, ambulante Pflegedienste, potenzielle Betreuer, und ich sage jetzt in Anführungszeichen im besten Fall halt natürlich auch noch Angehörige, die ein gewisses Interesse daran haben, auch den dementsprechenden Patienten mit zu pflegen und in vielen Fällen ja hat man hier halt dann, ach zusätzlich fällt mir jetzt gerade noch ein, man hat noch Anästhesie, man hat noch klinische Pharmazeutinnen, man hat Ernährungsberater oder Ernährungsberaterinnen. All das sind Aspekte, die zusätzlich noch dazu kommen, potenziell für einen Patienten am Ende des Tages. Und ich fand, was mir da einfällt, vielleicht in Bezug auch auf den Geriater am Ende des Tages, der hatte gesagt, der Geriater, der ist so etwas wie ein Strippenzieher in dem ganzen Konklave von verschiedenen Fachdisziplinen. Also er zieht sozusagen aus all diesen Fachdisziplinen, der zieht aus all diesen Fachdisziplinen das Optimale zusammen und bringt es am Ende zu dem Patienten und ich finde, genau das macht die Altersmedizin am Ende des Tages so besonders. Also der Geriater an sich ist ja kein Einzelkämpfer, sondern er ist eher so eine Art Moderator oder vielleicht sogar auch Koordinator. Und ich denke, das zeigt auch einfach ohne dieses interprofessionelle Team braucht man im Grunde keine Altersmedizin zu machen, das wird sehr, sehr schwer, weil einfach die Feinabstimmung fehlt.
Götz Müller: Mhm. Ja, mir fällt das spontan im Grunde nur entfernt eine Branche ein, Bauindustrie, wo ich auch eine extrem hohe Vielfalt an, dort nennt man es halt Gewerken, habe, die aber auch alle ineinandergreifen müssen, damit zum Schluss da ein Haus steht mit allen Elementen außer halt Wänden und Dach, sondern all diese andere Technik, Gebäudetechnik, Elektro, Sanitär und was es noch alles gibt, was nachher zusammenpassen muss. Jetzt würde mich an der Stelle eben interessieren, wenn man durch die Lean-Brille auf einen Prozess drauf schaut, dann kann man das ja an ein paar Stichworten festmachen, worum man sich kümmert. Ganz vorne steht typischerweise die Sicherheit, Safety, dann die Quality, dann so etwas wie Delivery, Durchlaufzeit, also möglichst schnell eben mit dem Thema durch, dann natürlich auch in der Regel dann als Folge, Kostenaspekte, plus dann all die weichen Faktoren. Da könnte ich mir jetzt eben auch vorstellen, dass die Dinge in der Altersmedizin halt nicht so auf dem, wie soll man das Ausdrücken, auf dem Präsentierteller einem entgegenwinken. Also sprich, vereinfacht ausgedrückt, nach der etwas langen Vorrede: Welchen Nutzen ziehe ich jetzt, wenn ich Lean Management in der Altersmedizin einsetze, welchen Nutzen erziele ich jetzt?
Viktor Schwerdtfeger: Ich denke, dass der Nutzen von denen in der Altersmedizin nicht in diesem klassischen, also wir hatten jetzt, Sie hatten jetzt eben viel auch, beziehungsweise auch diese Durchlaufzeit und die Kostenaspekte angesprochen. Ich glaube nicht, dass der Lean-Management-Aspekt in der Altersmedizin in dieser klassischen sozusagen Effizienzlogik, so nach dem Motto schneller, günstiger, mehr, also den Patienten schneller abfrühstücken, in Anführungszeichen, das Ganze so günstig wie möglich machen und demzufolge halt mehr Patienten sozusagen durchbekommen. Ich glaube, dass es eher das Gegenteil ist, sondern dass Lean Management es schafft, in einem komplexen System von vielen verschiedenen Prozessen, Klarheit zu schaffen, gleichzeitig zu gewinnen, und zwar für das, was man eigentlich in den Mittelpunkt setzen muss, und zwar den Patienten. Ich denke das halt gerade ältere, multimorbide Patienten mehr Zuwendung brauchen, oftmals eben entsprechend auch mehr Erklärung, also was passiert eigentlich gerade mit mir, warum gehe ich jetzt von einer Station in die nächste, wo hört das auf, wo führt das alles hin, dass sie ein bisschen mehr an die Hand genommen werden? Dass dafür Zeit bleibt, dass es ein bisschen mehr Koordination auch im Ganzen gibt und ich glaube, genau da kann Lean eigentlich helfen, nicht, indem es halt eben noch mehr Druck erzeugt, sondern indem es halt Störungen im Ablauf reduziert, also die Kommunikation verbessert, vielleicht auch ein bisschen die verschiedenen Verantwortungen sichtbar macht. Ich muss hierbei so ein bisschen an einen Interviewpartner denken, manchmal fallen mir noch ein paar Zitate ein. Ich finde, dass erfrischt das Ganze und gibt es eigentlich noch ganz deutlich wieder, er hatte gesagt auf Englisch jetzt: Their job is not opening curtains and making beds, no, it's taking care of this man or woman that's sitting or laying down right there“ und ich finde, das ist quasi genau der Punkt. Wenn man mit Lean die Prozesse rund um die Patientenversorgung halt schlanker und auch vielleicht auch ein bisschen klarer gestaltet, also zum Beispiel eine viel klarere Visitenplanung, abgestimmte Übergaben, ja, durchdachte, auch Materiallogistik im Grunde. Da bleibt am Ende mehr Zeit für die Fürsorge von den Patienten. Und gleichzeitig, und das ist vielleicht der zweite Punkt hier, also einmal die Zeit für den Patienten, gleichzeitig haben wir ja auch. Am Anfang hatte ich ja gesagt, es ist eine Art komplexes, ein komplexer Bereich, der auch mit vielen Sachen zu kämpfen hat, also wir haben hier knappe Ressourcen, besonders eben im personellen Bereich, aber auch im finanziellen, weil das Interesse natürlich deutlich mehr auf den jüngeren Patienten liegt am Ende des Tages, und auch organisatorisch. Und ich denke, das Lean halt hier ja strukturierte Wege aufzeigen kann, wie man im Grunde Prozesse verschlankt, ohne, ja, die Qualität zu verändern. Also gesundheitsökonomisch müsste man natürlich sagen, in einer halben Stunde muss ich vier Patienten behandeln, aber im Endeffekt sollte man sich vielleicht eher überlegen, wenn ich jetzt zwei gut behandle, also zwei Patienten in einer halben Stunde richtig, richtig gut behandle, dann sind die glücklich, dann bin ich glücklicher und dann ist auch die Qualität höher am Ende des Tages, also wenn man das zumindest auch langfristig sieht. Und ich denke, da haben uns auch, zum Beispiel, wenn ich jetzt das sehe, die Schweiz und auch die arabischen, die United Arab Emirates, da hatte ich auch die Gelegenheit zu interviewen, auch deutlich etwas voraus, was so etwas angeht.
Götz Müller: Also ich höre auch raus, dass man sich halt andere Gedanken, möchte ich das mal nennen, über den Aspekt Wertschöpfung machen muss. Ich meine, klassisch ist die Wertschöpfungsdefinition, es verändert eine Sache an dem Produkt, es muss dem Kunden, der dann irgendwann das Produkt oder halt dem internen Kunden, der mit dem Ding weiterarbeitet, muss dem einen Vorteil bieten und das muss halt beim ersten Mal richtig sein. Das sind ja diese drei Elemente, die bei der Wertschöpfungsdefinition gleichzeitig zutreffen müssen, damit man überhaupt von Wertschöpfung reden kann. Und ich glaube jetzt hier an der Stelle in der Medizin im Allgemeinen, und in der Altersmedizin wahrscheinlich im Speziellen noch mal verschärft, muss man sich halt wirklich ganz intensiv Gedanken darüber machen, was ist denn wirklich meine Wertschöpfung, dieses nackte Verändern, wie bei einem U-Stahl, den ich halt feile, das habe ich da nicht, und dann, wenn ich das auch gemacht habe, so habe ich das rausgehört, dann bin ich durchaus in der Lage, eben klassische, auch durchaus Lean-Methoden einzusetzen und zu nutzen.
Viktor Schwerdtfeger: Ja, also ich würde dem genauso zustimmen. Also wir sollten wirklich überlegen, wo halt am Ende des Tages die Wertschöpfung liegt in diesem Fall und die Wertschöpfung, die man eigentlich erreichen möchte, ist die Zeit für den Patienten und all die kleinen Prozesse vielleicht drumherum, die ich durch Lean zum Beispiel verschlanken kann, führen ja im Endeffekt dazu, dass ich mehr Zeit für den Patienten bekomme, ergo eigentlich auch von der Wertigkeit, auch von der Gesundheitswertigkeit, ja, für das ganze Gesundheitssystem sozusagen habe ich hier sozusagen einen gewissen Wert geschaffen. Und wenn es nur ist, zum Beispiel sich morgens mit dem Patienten vielleicht kurz hinzusetzen, wenn er jetzt zum Beispiel in der Klinik aufgenommen wurde und zu fragen: Ja, wie geht es Ihnen? Gestern waren zum Beispiel Ihre Neffen da, was haben die so gesagt? Manchmal hilft schon ein kleiner Teil, damit man so einen Menschen im Grunde glücklich macht und ihm hilft, auch gesundheitlich voranzukommen.
Götz Müller: Mhm, ja. Das ist spannend. Und ich glaube eben und das sagten Sie ja eingangs und das hat sich für mich ein Stück weit fast wie ein roter Faden durchgezogen. Jeder wird ja früher oder später von dem Thema mehr oder weniger betroffen sein, also sprich altern, dem kann sich noch keiner entziehen. Das mit der irgendwelchen Jugend funktioniert noch nicht.
Viktor Schwerdtfeger: Nein, nein, das muss man sich auch ein bisschen vor Augen führen und dann vor dem Hintergrund, vielleicht jetzt natürlich auch ein bisschen auf einer emotionalen Ebene ist es schade zu sehen, dass ein solcher Bereich, eigentlich im Vergleich zu anderen kein großes Interesse genießt, sondern dass man aber überlegt: Okay, eines Tages werde auch ich dort sein und auch dann möchte ich einen schönen Lebensabend genießen, einen gesunden, einen vitalen Lebensabend so gut wie möglich erreichen können. Und das geht im Grunde nur mit Interesse und das geht im Grunde auch nur mit der Forschung, also in diesem Bereich und eben auch mit den, ja, mit dem Personal, dass hier halt auch dringend notwendig ist, und dem finanziellen.
Götz Müller: Jetzt würde ich ganz gern noch mal einen Blick ein bisschen auf die Unterschiede, aber eben durch die Lean-Brille werfen. Im Sinne von wie unterscheidet sich jetzt durch die Lean-Brille betrachtet Altersmedizin von anderen medizinischen Aspekten und eventuell auch welche besonderen Herausforderungen treten dabei auf?
Viktor Schwerdtfeger: Ja, ich denke, wenn wir darüber sprechen, was Lean in der Altersmedizin von anderen medizinischen Bereichen sozusagen unterscheidet, dann muss man ehrlich sagen ist, das ist eine sehr, ja, eigentlich sehr kritische Fragestellung und das habe ich, mit der ich quasi auch in meine Arbeit reingegangen bin, aber im Laufe der Interviews sich halt auch meinen Blick, was das angeht, ein bisschen geändert hat, weil man es nicht einfach mit, ja, es ist schwieriger, beantworten kann, weil Lean ist ja eigentlich kein System, das am Ende des Tages fragt: Ist der Patient jetzt alt oder jung? Sondern im Grunde fragt es ja eigentlich, was braucht der Patient und wie schaffen wir es diesen Bedarf ohne unnötigen Aufwand zu erfüllen? Und ich denke, dass dieser Gedanke jetzt als Basis fürs das Lean Management Altersmedizin eigentlich universell ist, auch mit anderen im Gesundheitswesen. Trotzdem muss man natürlich dann sagen, die Anwendung von Lean in der Altersmedizin bringt natürlich besondere Herausforderungen, eben durch diese extrem heterogenen Patientengruppen mit sich. Also durch diese Multimorbiditäten in den meisten der Fällen. Das heißt also so eine Standardisierung, die halt gerne angestrebt wird im Lean, so eine, ich sage jetzt mal in Anführungszeichen, One-Size-Fits-All-Lösung, das geht einfach nicht, weil man muss sich dann fragen, vielleicht. Wo fängt eigentlich Verschwendung an im Sinne von Lean? Und wo beginnt Zuwendung zum Patienten? Also das heißt, wo ist denn genau mein Waste und ist der Waste auch in der Zeit, die ich quasi für den Patienten, das haben wir ja eben besprochen sozusagen, ist der Waste in der Zeit, die ich für den Patienten dann verbringe, oder ist der irgendwo anders. Und wir hatten ja in der Chirurgie, zum Beispiel, wenn ich da jetzt einen kurzen Vergleich ziehe, ist es vielleicht vergleichsweise einfacher, da habe ich ja klar strukturierte Abläufe, da habe ich Eingriffe mit definierten Schritten. Es ist ein bisschen in Anführungszeichen jetzt mechanischer einfacher, was Lean angeht dort natürlich zu greifen und in der Altersmedizin ist der Verlauf natürlich unvorhersehbarer. Ein Interviewter hatte auch gesagt, ein Geriater quasi: Ich bin morgens zu dem Patienten reingegangen, habe ihn etwas, also einen älteren Menschen, habe etwas gefragt, rausgegangen, habe beim Chefarzt das berichtet und eigentlich beim nächsten Gespräch haben sich alle Tatsachen um 180 Grad gedreht, die derselbe Patient dem Chefarzt gesagt hatte, so dass niemand mehr eigentlich wusste, wo es genau stattfindet. Das heißt, auch hier sieht man wieder es. Es braucht einfach mehr Zeit, vielleicht auch ein bisschen mehr Einfindung in das Ganze. Also es geht nicht nur um Diagnose und Therapie, sondern eben auch darum, Vertrauen aufzubauen, sich vielleicht auf das Tempo der Patienten einzulassen auch. Auch in Bezug auf die hohe Prozesskomplexität, also viel Fachdisziplinen. Wir haben viele Schnittstellen. Und ein weiterer Punkt, den ich hier auch noch relativ passend finde. Das sind alles Chefärzte, und das sind alles hervorragende Mediziner, keine Frage, aber es sind ja im Grunde auch keine Manager und Lean ist ja auch ein starkes Management-Tool und der Erfolg von denen hängt dann ja nicht nur vom Prozess ab am Ende des Tages, sondern entsprechend auch von der Führung und wenn die Top Down sozusagen verordnet wird, weil da gerade eine Eingebung kommt, vielleicht auch nur in Form von einzelnen Tools, die zusammenhanglos wirken können, ohne jetzt das Team mit einzubeziehen am Ende des Tages, dann denke ich, funktioniert es nicht und ich glaube, das ist so etwas, was man in der Altersmedizin besonders spürt oder spüren kann.
Götz Müller: Ja, was ich auf jeden Fall spannend finde und dann mir ein Stück weit wie Öl runtergeht, was man jetzt daraus ableiten kann, so im Sinne von, wenn das dort funktioniert, durch die Betonung übertreibe ich jetzt vielleicht auch ein bisschen, dann erzählt mir doch nicht, dass ihr ganz. In der Zeit also hier irgendeine ganz allgemein, irgendeine andere Branche irgendwie, wenn mir so persönlich die Aussage begegnet: Ja, wir sind ganz anders und bei uns funktioniert das nicht. Und wenn ich jetzt eben so was höre von Ihnen, in einem so speziellen Thema, wo ich nicht nur einen ultimativen One Piece Flow habe, sondern eben auch völlig weg bin von Standards, was jetzt eben die Leistungserbringung angeht, im Sinne von, da kommt ein Stück gleich rein, es wird gebogen und dann hinterher kommt ein Auto raus, das sind ja lauter Dinge, die ich da in der Form gar nicht habe und trotzdem eben macht es ja offensichtlich Sinn, es zu machen und da jetzt vielleicht ein bisschen Bogen auf Ihre Arbeit auch geschlagen. Sie haben es eingangs angedeutet, Sie haben viele Gespräche geführt, Interviews geführt, und da würde mich definitiv auch interessieren, gab es da Dinge, die Sie so überrascht haben, die völlig unerwartet vielleicht waren?
Viktor Schwerdtfeger: Ja, ja, auf jeden Fall. Also im Grunde hat das schon eigentlich angefangen mit der Bedeutung, was ich eben schon geschildert hatte, das Lean ja eigentlich auch im Gesundheitswesen gar nicht so unterschiedlich sein kann, weil es ja eben darauf an, auf die Sichtweise sozusagen ankommt, wo ich den Wert darauf fokussiere, weil wir haben ja jetzt nicht das Produkt, dass wir einfach so leicht umformen können, sondern wir haben ja, wir haben ja da am Ende den Menschen, das heißt, es ist der Prozess drum herum, um die Zeit als Produkt, jetzt zum Beispiel für den Menschen zur Verfügung zu stellen, und eigentlich bin ich ja mit in die Interviews sozusagen mit der Erwartung reingegangen, das Lean Management in der Altersmedizin vermutlich eher kritisch gesehen wird, also ja, es ist einfach zu technisch, ist vielleicht zu stark auch aus der Industrie kommend, vielleicht am Ende des Tages einfach zu weit weg von dem Bereich Mensch. Und was mich da halt überrascht hat ist, dass viele, ein Großteil eigentlich meiner Gesprächspartner gesagt haben, das Lean besonders in der Altersmedizin eigentlich total sinnvoll ist, vielleicht sogar genau gerade in so einem kompletten, vielleicht sogar gerade in einem so komplexen Bereich wie der Altersmedizin. Und da muss ich sagen, in dem Zusammenhang fand ich sehr beeindruckend, dass viele eigentlich gesagt haben: Im Grunde wird Lean bei uns längst gelebt, aber niemand nennt das Kind beim Namen und vielleicht ist das ja auch ein Punkt, der mir vorher gar nicht gekommen ist, nämlich, vielleicht ist das Problem gar nicht am Inhalt, sondern vielleicht ist es das Label in Anführungszeichen, das Label Lean, das so ein bisschen auch im Gesundheitsbereich die Führungskräfte also, in dem Fall die Ärzte oder auch die Pflegekräfte, ein bisschen abschreckt, weil im Grunde kann ja Lean helfen, diese Komplexität zu strukturieren, und im Grunde ist es die eigentliche Arbeit, die eigentlich ärztliche Arbeit kann ja so eine Art Blackbox sein, da will man gar nichts standardisieren, aber alles drumherum, ich denke, das kann Lean verbessern. Und genau, als zweiten Punkt hatte ich dann oder würde ich jetzt quasi anbringen auch diesen internationalen Aspekt. Also da diesen internationalen Blick auch mal zu wagen. Wenn ich mir das anschaue, ich hatte es anfangs schon angedeutet, die Vereinigten Arabischen Emirate, wo die Technologie zum Beispiel, die Technologie-Integration vor allen Dingen viel weiter ist. Also wir haben zum Beispiel Patienten dort, das fand ich sehr spannend, die kommen morgens an, dann wird zum Beispiel die OP an der Gallenblase durchgeführt und die werden am Abend dann wieder nach Hause geschickt, entsprechend auch mit digitalen Tools versorgt zur Nachsorge. Und das ist halt etwas, was natürlich vor allen Dingen das digitale extrem effizient machen kann, wo man natürlich auch ein bisschen dann die Angst später von nehmen muss. Aber das ist etwas, was mich dann doch beeindruckt hat, wo man sagt, da kann man sich noch eine Scheibe von abschneiden. Hier muss man natürlich mal wieder dann sagen: Okay, ist das so umsetzbar bei uns und das ist natürlich auf einem anderen Blatt, aber grundsätzlich ist das etwas, was mich doch dann erstaunt hat und wo man sagen kann, schaut auch über den Tellerrand vielleicht von dem deutschsprachigen Raum hinaus, vielleicht sogar außerhalb von Europa, so ein bisschen.
Götz Müller: Ich würde ganz gern noch einen Punkt adressieren. Sie haben es angedeutet, ein bisschen einmal die Begrifflichkeit, Lean, schreckt ab. Andererseits macht man viele Dinge, man nennt es halt nur nicht so. Welche Reaktionen haben sie aus Ihren Gesprächen raus gehört? Wenn es so etwas gab, weil irgendwann in der Regel fange ich ja halt mit dem Thema Lean an. Auch wie ich es jetzt so nenne oder ob ich es irgendwie anders umschreibe. Und dann gibt es in irgendeiner Form immer eine Reaktion, entweder Hurra! oder halt eher Bleiben mir fort mit. Gab es da irgendwas, was sich, wo sich eben das Thema Medizin, Altersmedizin auszeichnet vielleicht? Und eben, was ich immer in den Gesprächen in Podcast-Gesprächen spannend finde, wenn dann in irgendeiner Form eben eine Form von Transfer gelingt: Ach guck mal, so ein Thema haben wir ja auch und die gehen damit so um, könnten wir doch auch mal probieren.
Viktor Schwerdtfeger: Mhm. Also ich würde jetzt vielleicht zu der zu der ersten Frage, das begann eigentlich quasi schon mit meinen Anfragen für die Interviews, wo ich von vielen, also hauptsächlich eigentlich von der Geriatrie oder den Altersmedizinern, den Menschen, die in der Geriatrie tätig sind, die Absagen bekommen habe, dass sie sich entsprechend halt einfach nicht dazu in der Lage sehen, mit mir darüber ein Gespräch zu führen, weil sie dieses, weil sie das Thema Lean einfach nicht verstehen oder beziehungsweise sagen wir mal vielleicht ist verstehen ein zu extremes Wort, aber im Sinne von, das ist hier einfach noch nicht so bekannt ist. Also da habe ich extrem viele Absagen am Ende des Tages bekommen, einfach weil zu Lean gesagt wurde das, da sehen wir uns halt einfach nicht in der Lage aktuell irgendwie, das ist uns zu fremd. Und da hat das schon begonnen und wenn ich jetzt auf die die einzelnen Elemente eingehe, in vielen, in den geriatrischen Aspekten oftmals, das hatte ich ja eben schon gesagt, wurde Lean eingeführt, ohne dass es benannt wurde. Also das heißt, es gab ein, zwei altersmedizinische Einrichtung sozusagen, die dann auch gesagt haben: Pass auf, wir haben das eingeführt, aber um halt vielleicht den Mitarbeitern auch ein bisschen so die Angst zu nehmen, Angst auch im Sinne von, hat ja sowas von, wir müssen die Effizienz steigern und Effizienz steigern bedeutet ja im Grunde auch, vielleicht werden wir nicht mehr gebraucht am Ende des Tages, und diese Resistenz, die dadurch entstehen kann, die darf man nicht unterschätzen und auf der anderen Seite ein großer Punkt ist jetzt vielleicht bei den Mitarbeitern, auch bei den Führungspersönlichkeiten. Ich habe eben schon gesagt, ich habe die Altersmediziner angefragt, viele wollten nicht und viele, die auch mit mir dann gesprochen haben, haben gesagt: Ja, aber … ja, es ist schwierig mit Vorgesetzten auch, also hauptsächlich, da möchte ich jetzt nicht alle mit Reinbeziehen, aber es ist schwierig, mit hauptsächlich der älteren Generation, die jetzt damit nicht aufgewachsen ist, für die das alles sehr neumodischer, in Anführungszeichen, Schnickschnack ist, eine rosarote Pille: Ja, ja, die haben sich wieder etwas ausgedacht, da aus dem Managementbereich, und das zieht sich eigentlich durch. Deswegen ist vielleicht, und das ist vielleicht auch eine interessante Übertragung am Ende des Tages, dass man schaut, vielleicht ist Lean, manchmal ist es vielleicht sinnvoll, es gar nicht so beim Namen zu nennen, sondern einfach sondern zu sagen, eine Kultur zu schaffen, die Lean-Kultur zu schaffen, im Sinne von kontinuierlichen Verbesserungen und dann zu schauen: Wie machen wir das, ohne es jetzt explizit Lean zu nennen, ohne dass wir quasi in Anführungszeichen so eine Art von Gefahr ausströmen, für die anderen oder im Sinn von auch Skepsis, und das könnte ein Punkt sein, der halt auch auf andere Sektoren übertragbar ist. Ja, Lean wird längst gelebt, aber niemand nennt es im Grunde so.
Götz Müller: Ja, ich höre auch raus eben, entscheidend ist was drinsteckt und was hinten rauskommt, also im Sinne von was hinten rauskommt, habe ich für mich mitgenommen, vor allen Dingen eben mehr Zeit für die Menschen zu schaffen, indem ich unnötige Dinge ganz klassisch eben reduziere, weglasse. Und das, was drinsteckt, im Sinne von, ich muss da halt nicht außen Lean draufschreiben, wenn ich aber innen eben dieses kontinuierlich besser werden wollen, immer wieder feststellen, wo bin ich, wo möchte ich idealerweise hin, unter dieser Überschrift, was hinten rauskommt, mehr Zeit für die Menschen zu haben, dann bin ich da absolut bei Ihnen und ich bin mir auch absolut sicher, dass genau diese Elemente spannend sind, in anderen Kontext zu übertragen, um eben genau diesen Widerstand, von dem sie auch gesprochen haben, gar nicht zu provozieren, gar nicht auszulösen.
Viktor Schwerdtfeger: Ich denke vielleicht noch als kleine Anekdote, sozusagen auch in Bezug auf, mal über den Tellerrand schauen. Auch was jetzt die Altersmedizin angeht, also explizit auch da. Bei vielen ist es so, wir machen, ist so das Gefühl: Wir machen X, das heißt wir können auch nur schauen, ob Lean zum Beispiel bei anderen, die X machen, also vielleicht Altersmedizin, funktioniert hat, aber vielleicht findet sich ja gerade bei Menschen, sage ich schon, bei Unternehmen, bei Branchen die Y machen eine Lösung, die auch ganz gut passt. Und am Ende finden wir da eine Lösung, von der wir vielleicht vorher gar nicht ausgegangen sind. Also das heißt, zu schauen, das explizite Problem, ja, diese Kultur zu schaffen, das Verständnis eines Problems und davon dann ausgehend zu schauen, okay, wir haben jetzt verstanden, was unser Problem ist, das ist ja schon 80% der Arbeit, im Prinzip. Was könnte ein ähnliches Problem sein, vielleicht können wir einfach mal schauen und wenn wir ein Paper dann zum Beispiel aus einer ganz anderen Branche finden, ja, warum denn nicht? Es schließt sich ja nicht aus und ich glaube, das ist auch dann entsprechend in der Altersmedizin wichtig, dass man vielleicht auch da außerhalb von Gesundheitsbereich zum Beispiel mal schaut, wenn man ihn anwenden möchte.
Götz Müller: Gut, Herr Schwerdtfeger, ich danke Ihnen für Ihre Zeit, auch wenn das immer wieder mein Standardspruch zum Schluss ist, aber es ist immer wieder genau dieses, was Sie auch gesagt haben, dieses über den Tellerrand rausschauen, für mich selber auch immer wieder ein Antrieb noch eine Episode zu machen, jemanden anzusprechen, der aus einem ganz anderen Kontext kommt. Ja und an der Stelle eben noch mal vielen Dank für Ihre Zeit.
Viktor Schwerdtfeger: Ja, vielen, vielen herzlichen Dank noch mal für das spannende Interview und vielen herzlichen Dank auch für die Einladung. Danke schön.
Götz Müller: Das war die heutige Episode im Gespräch mit Viktor Schwerdtfeger zum Thema Lean Management in der Altersmedizin. Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 365.
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Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.
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