Der Osterhase und die sieben Verschwendungen

Kurz vor Ostern erzählt dieser Artikel von einem nicht ganz ernstgemeinten Ausflug in die Welt der Prozessoptimierung.

Ein Grundgedanke von Lean in allen seinen Ausprägungen ist die Vermeidung von Verschwendungen. Diese werden in sieben Kategorien eingeteilt. Warum diese also nicht auch einmal auf die Arbeit des Osterhasen anwenden?

  • Transport (von Eiern und Nestern)
  • Inventar und Lager
  • Bewegung (von Menschen und Hasen)
  • Warten und Suchen
  • Überproduktion
  • Überbearbeitung
  • Defekte und Fehler

Betrachtet werden also diese Verschwendungen, ihre Identifikation in der Arbeit des Osterhasen und angrenzender Bereiche. Um dem armen Burschen die Arbeit nicht noch schwerer zu machen, habe ich mich auf Aspekte des klassischen, gefärbten Ostereis beschränkt.

Transport

Stellen Sie sich mal vor, welche Massen an Ostereiern u.ä. der arme Hase jedes Jahr ausliefern und in die Nester legen muss. Getoppt wird dieser Transportaufwand wahrscheinlich nur vom Weihnachtsmann, aber der hat wenigstens einen Schlitten. Der Hase dagegen muss alles alleine in seinem Beutel transportieren. Eine Abhilfe gegen dieses Transportproblem wäre wahrscheinlich die dezentrale Vorortproduktion. Aber wir wollen den Kindern ja nicht die Illusion nehmen :-) Verschärft wird das Transportproblem auch dadurch, dass der Hase tw. die Eier auch bei den Großeltern ablegt. Eine Optimierung der Transportlogistik in diesem Bereich wäre schon mal ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Inventar und Lager

Verschwendungen durch Lager und Bestände haben mehrere Dimensionen. Da ist zum einen das Osternest, in dem in der Regel die Ostereier ziemlich ungeordnet herumliegen. Die Lagerproblematik wird noch verstärkt durch die oben erwähnten dezentralen Lagerstätten fernab der Verbrauchsstellen. So sind die Gesamtbestände an Ostereiern regelmäßig im Vorfeld unbekannt, was dann wieder zu Überbeständen (durch Überproduktion s.u.) nach dem Osterfest führt. Wir wollen jetzt gar nicht davon reden, dass die Regale in den Supermärkten schon kurz nach Weihnachten mit billigen Schokoladenimitaten unseres Helden überfüllt sind. Sind die Lager dann zusammengeführt und konsolidiert (durch weitere Transportmaßnahmen), ergibt sich oft eine weitere Zunahme des Bestands, der sich erst langsam in den Wochen nach Ostern abbaut.

Bewegung

Auch die Bewegungsverschwendung durch die Lager- und Transportproblematik spielt sich in mehreren Dimensionen ab. Da ist erstens die Bewegung des Hasen alleine. Hier könnte man ja noch sagen, dass es nur um das Thema eines einzelnen Tieres geht, das wahrscheinlich so oder so übermenschliche Fähigkeiten besitzt. Außerdem entzieht er sich regelmäßig allen Optimierungsversuchen. Selbst einfache Spaghetti-Diagramme scheitern. Oder haben Sie schon mal einen Osterhasen bei der Arbeit gesehen? Vermutlich spielen sich seine Bewegung und der Transport der Eier in Paralleldimensionen ab. Aber ein kleines Problem seiner Bewegung betrifft uns dann vielleicht doch auch. Schließlich sind die Ursachen der globalen Erderwärmung immer noch nicht ganz verstanden. Bewegung erzeugt Wärme, schon vergessen?

Das viel größere Problem, das durch die Tätigkeit des Osterhasen entsteht, ist die völlig sinnlose Bewegung der Kinder bei der Suche nach den Nestern. Da wird viel über Kinderarbeit in Entwicklungsländern geschimpft, aber der wahre Skandal in den Haushalten hierzulande bleibt unerwähnt. Die wohlmeinenden Optimierungsversuche der laienhaft ausgebildeten Eltern (“kalt, kalt, kalt, wärmer, noch wärmer, heiß“) kurieren auch nur am Symptom herum, statt das Problem am Schwanz zu packen.

Warten und Suchen

Die klassische Folge von überdimensionierten Lagern sind Warte- und Suchzeiten (nach den Nestern selbst aber dann auch in den Nestern durch die unstrukturierte Ablagetechnik der verschiedenen Eiervarianten). Aber hier zeigt sich, dass Kinder vermutlich doch die besseren Prozessoptimierer sind. Ich entsinne mich da an einen Vorfall vor einigen Jahren, als unsere Kinder nicht den wohlbekannten ostersonntäglichen Weckruf des Hasen abgewartet haben, sondern sich einfach beim ersten Morgengrauen selbst auf die Suche gemacht haben. Natürlich konnten die elterliche Unterstützung bei der Bewegungsoptimierung dann nicht helfen, aber das Ergebnis zählt und die Fachleute vor Ort haben meist auch das beste Verständnis. Dazu kam, dass offensichtlich auch schon Lerneffekte eingetreten waren.

Lean at its best!

Überproduktion

Eine der Wurzeln der österlichen Verschwendungsproblematiken verursacht der Hase durch seine ungezügelte Überproduktion an Eiern in den verschiedensten Varianten. Verstärkt wird die Problematik noch dadurch, dass er seine Anstrengungen in keinster Weise mit der Produktion von anderem Ostergebäck durch haushaltsnahe Zulieferer koordiniert. Verschärfend trägt zu der Misere bei, dass er wohl auch über keine Aufzeichnungen in Form eines CRM o.ä. verfügt, wer seine Endkunden sind und auf welchen unterschiedlichen Kanälen und Zwischenstationen (z.B. Großeltern) diese beliefert werden. Insgesamt lässt sich hier konstatieren, dass der Hase auch nach Jahrhunderten an völlig überkommenen Push-Produktionsmechanismen festhält und immer noch nicht realisiert hat, dass die Zeiten der Massenproduktion auf Halde in allen anderen Bereichen längst vorbei sind. Er darf sich hier durchaus ein Beispiel am Weihnachtsmann nehmen, der schon von Anbeginn an auf Pull-Konzepte (Stichwort Wunschzettel) setzt, dies konsequent auch durch ausgelagerte Wertschöpfungsketten mit zahlreichen Zulieferern umsetzt und sich auf sein logistisches Kerngeschäft konzentriert. Vermutlich kann sich der Hase nur deshalb noch am Markt halten, weil er in seinem Markt Alleinanbieter mit einer maximalen Fertigungstiefe ist. Er sollte sich jedoch trotzdem Gedanken machen, welche Szenarien drohen, wenn sein Markt durch fernöstliche Anbieter entdeckt wird. Die Entwicklung im Bereich der Unterhaltungselektronik sollte ihm ein mahnendes Beispiel sein.

Überbearbeitung

Im Bereich der Verschwendung durch nutzlose Überbearbeitung sticht sofort die variable Farbgebung des osterhäslichen Kernprodukts ins Auge.

Lieber Osterhase: Unter ernährungsphysiologischen Aspekten im Sinne des zentralen Kundennutzens ist es völlig irrelevant, welche Farbe die Ostereier haben. Dazu kommt noch die Tatsache, dass die farbtragenden Bestandteile des Eis (Anm. für Laien: die Eierschale) in den überwiegenden Fällen nach der Nutzungsphase im Abfall landen – erkenntlich durch den Begriff “Waste” im englischen Wortsinn. Selbst in den seltenen Fällen, dass ein nachgelagertes Recycling (durch Komposthäufen oder pickende Hühner) stattfindet, ist die Farbe keine wertschöpfende Ausprägung des Produkts. Erschwerend kommt bei der Farbgebung noch hinzu, dass der Hase hier in keinster Weise auf Kundenbedürfnisse eingeht. Eine Einstellung, die in seiner Marktferne nur noch durch Henry Ford überboten wurde, von dem bekanntlich Autos in jeder Farbe erhältlich waren, solange sie nur schwarz war. Die Absatzeinbrüche nach Einführung der flexiblen Fertigungsvarianten durch General Motors sind ebenso hinlänglich bekannt.

Defekte und Fehler

Zum Abschluss dieses kleinen Exkurses in die Welt der Verschwendungen durch den Osterhasen zeigt sich ein versöhnlicher Silberstreif am Horizont. In der Regel hat der Hase trotz aller bisherigen Verschwendungen in den Produktions-, Bereitstellungs- und Nutzungsphasen das Thema Defekte und Fehler gut im Griff. Obwohl einzelne Verschwendungen wie dargestellt bis in die Nutzungsphase der Kunden reichen, treten nur sehr wenige Defekte und Fehler auf. Die meisten Fehler dürften auf Schäden beim Transport beruhen (was nochmals die Kritikalität dieser Verschwendungsform unterstreicht), die jedoch glücklicherweise die Nutzung nur geringfügig beeinträchtigen. Insgesamt kann der Hase hier zu einem Qualitätsniveau weit jenseits von Six Sigma nur beglückwünscht werden. Trotzdem darf hinterfragt werden, zu welchem Preis diese Qualität erkauft wird.

Frage: Welche Verschwendungen konnten Sie beim österlichen Treiben noch feststellen? Wo sehen Sie Parallelen zu betrieblichen Praxis und Realität? Was konnten Sie aus diesem kleinen Vergleich lernen?

Hinweis: Ich behalte mir vor, Kommentare zu löschen, die beleidigend sind oder nicht zum Thema gehören.