Über die Rolle kognitiver Dissonanz im Lean-Kontext

kognitive Dissonanz

Es ist ein leiser Prozess, fast unmerklich, wie sich innere Spannungen aufbauen, wenn frühere Entscheidungen mit der heutigen Realität kollidieren. In Führungsetagen begegnet man diesem Phänomen nicht selten. Was einmal mit Überzeugung beschlossen wurde, was vielleicht sogar mit Stolz vertreten wurde, zeigt rückblickend Brüche, Unschärfen oder schlichtweg Fehlentwicklungen. Und dennoch fällt es schwer, diese Erkenntnisse offen anzunehmen. Stattdessen setzt ein innerer Mechanismus ein, der schützt, relativiert und verzögert. Kognitive Dissonanz entfaltet genau hier ihre Wirkung.

Wer eine Entscheidung getroffen hat, die weitreichende Auswirkungen hatte, dem fällt es umso schwerer, deren Mängel rückblickend einzugestehen. Vor allem dann, wenn diese Entscheidung sichtbar war, wenn sie in Meetings verteidigt oder in Strategiepapieren verankert wurde. In der Rückschau zeigen sich dann oft Versäumnisse: notwendige Prozessoptimierungen, die nicht angestoßen wurden; Impulse, die nicht weiterverfolgt wurden; Kritikpunkte, die zwar registriert, aber nicht ernsthaft aufgegriffen wurden. All das steht heute wie ein Schatten neben der ursprünglichen Überzeugung. Und statt sich diesem Schatten zu stellen, wird versucht, das Licht heller zu drehen.

Es entstehen Erklärungen, warum etwas nicht umgesetzt werden konnte. Es werden externe Umstände bemüht, personelle Wechsel, Budgetengpässe, politische Rahmenbedingungen. Und ja, all das kann zutreffen. Aber es überdeckt die eigentliche Frage nicht: Warum wurde nicht entschlossener gehandelt, obwohl die Notwendigkeit längst sichtbar war? Wer sich selbst als Gestalter der Organisation begreift, muss sich auch mit dem beschäftigen, was nicht gelungen ist. Und genau darin liegt das schmerzhafte Element der Dissonanz. Denn es verlangt nach Revidierung. Nach der Anerkennung, dass eine frühere Entscheidung in ihrer damaligen Form heute nicht mehr tragfähig ist. Vielleicht sogar falsch war.

„Wer etwas will, findet Wege. Wer etwas nicht will, sucht Gründe.“

– Sprichwort

Es geht nicht um Schuld, sondern um Verantwortung. Verantwortung bedeutet, sich auch rückwirkend mit dem eigenen Handeln auseinanderzusetzen. Die Idee, dass Führung vor allem mit Entschlossenheit und Klarheit verbunden sein muss, erschwert das. Wer Kurskorrekturen vornimmt, könnte als wankelmütig gelten. Wer frühere Entscheidungen in Frage stellt, riskiert an Autorität zu verlieren. Doch das Gegenteil ist der Fall. Denn Glaubwürdigkeit entsteht nicht durch Unfehlbarkeit, sondern durch die Fähigkeit, aus Fehlern zu lernen und das eigene Verhalten zu reflektieren.

Gerade im Bereich der Prozessoptimierung wird diese Haltung zur Voraussetzung für wirkliche Veränderung. Wer das, was unterlassen wurde, nicht anspricht, wird auch das, was notwendig wäre, nicht in Gang setzen. Prozesse lassen sich nicht verbessern, wenn die Entscheidungsbasis veraltet, unvollständig oder verzerrt geblieben ist. Und dennoch wird dieses Fundament selten hinterfragt. Stattdessen werden bestehende Muster stabilisiert, weil sie das eigene Bild von Rationalität und Zielgerichtetheit stützen. Das erzeugt kurzfristig Ruhe, langfristig aber Stillstand.

Dabei bietet die bewusste Revidierung früherer Entscheidungen eine besondere Chance. Sie ermöglicht einen echten Neuanfang, nicht als Bruch, sondern als Weiterentwicklung. Wer sich traut, vergangene Versäumnisse zu benennen, schafft Raum für neue Impulse. Nicht nur fachlich, sondern auch kulturell. Denn eine Organisation, in der Lernfähigkeit vor Statusverteidigung steht, wird resilienter. Und das beginnt ganz oben.

Frage: Welche Entscheidung der letzten Monate verdient eine ehrliche Neubetrachtung? Welche Signale wurden überhört, obwohl sie wiederholt aufgetreten sind? Und was wäre heute der erste konkrete Schritt, um ein früheres Versäumnis in eine neue Chance zu verwandeln?

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