Ein typisches Szenario: Ein erfahrener Produktionsleiter, der alle Maschinen und ihre Eigenheiten kennt, wird zum Herzstück der Fertigung. Oder eine Logistikleiterin, die seit Jahrzehnten Lieferantenbeziehungen aufgebaut hat, steuert den Einkauf mit ihrer Intuition. Ihre Expertise ist wertvoll – und wird gleichzeitig zur Achillesferse der Organisation. Wenn diese Schlüsselpersonen ausfallen, sei es durch Krankheit, Ruhestand oder Karrierewechsel, geraten die betroffenen Bereiche ins Stocken. Entscheidungen werden verzögert, Abläufe unterbrochen, und die Belegschaft sieht sich mit einer oft überfordernden Übergangsphase konfrontiert.
Der demografische Wandel verschärft diese Problematik weiter. Eine steigende Zahl erfahrener Fachkräfte nähert sich dem Ruhestand, während jüngere Mitarbeitende noch nicht über das gleiche Maß an Erfahrung oder Zugang zu entscheidendem Wissen verfügen. Dies führt zu einer doppelten Belastung: Es fehlt nicht nur an Kapazität, sondern auch an dem Wissen, um bestehende Prozesse reibungslos fortzuführen. Gleichzeitig kämpfen Unternehmen oft damit, junge Talente langfristig zu binden, wodurch sich der Kreis der Unsicherheiten weiter schließt.
Diese Situationen entstehen nicht durch individuelles Versagen – weder auf Seiten der Fachkräfte noch bei den Verantwortungsträgern. Sie sind vielmehr ein systemisches Problem, das auf fehlende Mechanismen zur Wissensweitergabe und Risikostreuung hinweist. Die Frage lautet daher nicht, wer „Schuld“ hat, sondern wie Unternehmen solche Abhängigkeiten vorausschauend mindern können.
– Jack Welch
Ein häufiger Reflex in der Praxis ist der Einsatz externer Berater oder Interimskräfte. Zwar können diese kurzfristig operative Engpässe überbrücken, doch die eigentlichen Ursachen bleiben oft unangetastet. Solche Maßnahmen zielen darauf ab, das Tagesgeschäft wiederherzustellen, ohne das zugrundeliegende Problem anzugehen. Nachhaltige Lösungen erfordern jedoch ein Umdenken: von der reinen Symptombehandlung hin zur Gestaltung robuster und widerstandsfähiger Systeme.
Ein vielversprechender Ansatz liegt im Aufbau einer Kultur des Wissensaustauschs. Es geht nicht nur um Prozesse und Dokumentationen, sondern auch um die Schaffung von Strukturen, die eine regelmäßige Weitergabe von Wissen fördern. Zum Beispiel könnten Tandemmodelle erprobt werden, in denen erfahrene Mitarbeitende ihr Wissen kontinuierlich an jüngere Kollegen weitergeben. Auch der gezielte Einsatz von Mentoring-Programmen oder Wissensmanagementsystemen trägt dazu bei, zentrale Kompetenzen breiter zu verteilen.
Noch wichtiger ist es, sich der langfristigen Auswirkungen bewusst zu werden. Denn das eigentliche Ziel sollte nicht nur die Sicherung des Wissens sein, sondern die Resilienz der gesamten Organisation. Unternehmen, die sich bewusst mit diesen Fragestellungen auseinandersetzen, investieren nicht nur in ihre eigene Zukunftsfähigkeit, sondern auch in die Zufriedenheit und Sicherheit ihrer Mitarbeitenden.
Die Kernfrage bleibt: Sind wir bereit, über kurzfristige Lösungen hinauszugehen und die wahren Ursachen anzugehen? Es ist eine Herausforderung, die Zeit und Engagement erfordert – aber auch eine enorme Chance bietet, nachhaltig handlungsfähig zu bleiben. Denn letztlich gilt: Organisationen, die sich auf ihr System verlassen können, statt von Einzelpersonen abhängig zu sein, haben die besten Voraussetzungen, auch in unsicheren Zeiten erfolgreich zu bleiben.
„Ältere“ Leser:innen meiner Artikel wäre vermutlich nicht überrascht, wenn ich zum Abschluss jetzt einen Bogen zu Training Within Industry und speziell den Job Instructions schlage. Ich will aber stattdessen auf mein LeanEvent[1] auf der LeanBase hinweisen, in dem ich speziell den Wissentransfer vor dem Ruhestand adressiere.
[1] Wissenstransfer vor dem Ruhestand – Umgang mit drohendem ExpertenmangelFrage: Wo sind in Ihrem Verantwortungsbereich Experten schon mal zum Engpass geworden? Wie haben Sie darauf reagiert? Was wären mögliche Alternativen gewesen?
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