Ist Lesen eine Verschwendung?

Der Anlass für diesen Artikel war ein Gespräch mit einem Geschäftspartner, der meinte, dass viel zu viel nur gelesen und abgeschrieben würde und viel zu wenig eigene Gedanken gemacht werden. Bis zu einem gewissen Punkt hat er bzgl. der Berater- und Trainerszene (geschaut, geklaut) natürlich Recht. Trotzdem bin ich der Meinung, dass Lesen keine Verschwendung ist, sondern ein sehr wichtiger Aspekt auch der persönlichen Weiterentwicklung beim Erwerb von neuem Wissen. Die moderne Welt ist nun mal so komplex und kompliziert geworden, dass der Einzelne nicht mehr in der Lage ist, neues Wissen in signifikantem Umfang zu erwerben und zu schaffen, ohne auf Erkenntnisse anderer zurückzugreifen. Eigene Erfahrungen sind sicherlich ein wichtiger Aspekt dabei, bereits gemachte Erfahrungen (und Fehler) alle selbst zu machen, ist jedoch auch eine Verschwendung (im wahrsten Wortsinn und durch das Warten auf und Suchen der Erkenntnis). Dabei plädiere ich jetzt nicht für die Plagiate der jüngsten Zeit. Ein Hinweis sei jedoch auf das Patentrecht erlaubt (keine Rechtsberatung, nur die persönliche Erfahrung eines Patenthalters). Dort ist eine Erfindung (laut Wikipedia), eine gewerblich anwendbare, neue, nicht naheliegende Lehre zum technischen Handeln, das heißt eine Anweisung zum Einsatz beherrschbarer Naturkräfte zur unmittelbaren Erreichung eines kausal übersehbaren Erfolgs. Neu kann dabei durchaus bedeuten, dass bekannte Verfahren in neuen oder anderen Szenarien angewendet oder neu kombiniert werden. Außerhalb des Patentrechts kann dagegen selbst das Kopieren von Geschäftsideen zu einer eigenen, neuen Geschäftsidee werden (wie hier beschrieben). Die schöpferische Kraft liegt dabei nicht in der Geschäftsidee, sondern in dem Prozess, wie die Geschäftsidee kopiert und oft erfolgreicher als das Original an den Markt gebracht wird.

Wichtig beim Lesen ist jedoch, dass die Erkenntnisse so abgespeichert werden, dass sie in angemessener Zeit (meist eher überhaupt) abgerufen werden können. Dazu kann es wertvoll und nützlich sein, sich vor dem Lesen (ich rede hier natürlich von Fachliteratur) die Erwartungen an das zu erwerbende Wissen bzw. die noch vorhandenen Wissenslücken klar zu machen. Beim und nach dem Lesen sollten auch die erlangten Erkenntnisse in einer Form notiert werden, dass sie später bei Bedarf wieder abgerufen werden können. Dieser Punkt ist übrigens in meiner Wahrnehmung ein (noch nicht gelöster) Nachteil von Hörbüchern bzw. mit den Situationen verknüpft, in denen Hörbücher gehört werden. Hier beneide ich immer den virtuosen Umgang von Anwälten mit ihren Diktiergeräten. Schriftliche Notizen sind vielleicht beim Rasen mähen noch machbar (auch wenn das Verhalten in Form ständiger Unterbrechungen möglicherweise bei den Nachbarn zu Irritationen führt), beim Auto fahren sind sie allerdings ein völliges No-go (auch wenn das die Fälle sind, wo einem eine rote Ampel ausnahmsweise gerade Recht kommt). Unterbleiben die Notizen und Aufzeichnungen der Erkenntnisse jedoch völlig, besteht die Verschwendung am geringsten im Kauf der Bücher, sondern viel mehr in der viel wertvolleren, weil unwiederbringlich verlorenen Zeit, die dann mit dem (vergänglichen) Lesen der Bücher zugebracht wurde. Die zusätzliche Beschäftigung mit dem Inhalt in Form von Aufzeichnungen und Folgeaktivitäten hat nicht nur den Vorteil, dass dann dieser Extrakt existiert, sondern auch, dass die intensivere Beschäftigung mit dem Inhalt zusätzlich dessen Behaltensquote im Gedächtnis steigert.

So weit erst diese eher philosophischen Überlegungen. Natürlich gibt es auch noch die klassischen sieben Arten der Verschwendung, an denen man die Fragestellung auch überprüfen kann.

Transport

geht in Zeiten von eBooks auch immer stärker zurück. Bei gedruckten Bücher bleibt der Weg von der Druckerei über Zentrallager und Buchhändler zum Leser.

Inventar/Lager

sind neben den Lagern in der Lieferkette auch für den Leser ein Problem (wenn ich an mein eigenes Bücherregal denke), ein weiterer Vorteil von eBooks.

Bewegung

kann der Weg zum Buchhändler oder Bücherregal sein. Auch hier haben eBooks den Vorteil, dass sie mit geringstem Aufwand beschaffbar und immer mitgeführt werden können und sich so auch kurze Wartezeiten sinnvoll überbrücken lassen.

Warten/Suchen

hatten wir schon angesprochen (als Vorteil). Suchzeiten können auftreten, wenn es um ein bestimmtes Buch geht und im Bücherregal keine Ordnung herrscht.

Überproduktion

kann mittels Print-on-Demand vermieden werden (wenn wir mal das Schreiben von Büchern ohne Bedarf vernachlässigen). Im Bereich gedruckter Bücher werden jedes Jahr leider tausende Ladenhüter wieder vernichtet.

Überbearbeitung

kann durch den Leser im Sinne der oben beschriebenen Vor- und Nachbearbeitung gar nicht genug stattfinden :-)

Fehler/Defekte

sind dagegen auf der Tagesordnung, wenn Bücher einfach nur konsumiert werden und kein weiterer Nutzen daraus durch abrufbare Wissenspeicherung gezogen wird.

Zusammenfassend bin ich also der Meinung, dass “richtiges” Lesen, das über den reinen Konsum hinausgeht, keine Verschwendung ist, wenn bestimmte Randbedingungen und verknüpfte Handlungen beachtet werden.

Zum Abschluss möchte ich noch das Zitat wiedergeben, das Harry S. Truman, dem früheren amerikanischen Präsidenten zugeschrieben wird. Es drückt aus, dass Lesen zwar eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingungen für eine Führungskraft darstellt: “Not all readers are leaders, but all leaders are readers.

Frage: In welchen Bereichen ist Lesen von geschriebener Information für Sie eine unverzichtbare Wissenquelle? Wo können Sie darauf verzichten und erarbeiten sich lieber etwas von Grund auf selbst?

Hinweis: Ich behalte mir vor, Kommentare zu löschen, die beleidigend sind oder nicht zum Thema gehören.