Kaizen 2 go 164 : Deutschland 2040


 

Inhalt der Episode:

  • Was war der Auslöser für Ihre Gedanken zu Deutschland 2040?
  • Warum 2040 und nicht 2050 oder 2030?
  • Welche Thesen stecken hinter Deutschland 2040?
  • Nehmen uns Maschinen in der Zukunft das Denken und damit Entscheidungen ab? Welche Schlussfolgerungen ergeben sich daraus?
  • Wie hat sich das Verständnis “Mitarbeiter” in der Vergangenheit geändert, wie wird es sich in der Zukunft noch ändern?
  • Was bedeutet das für die Unternehmen und Unternehmer? Was bedeutet das für Gewerkschaften?
  • Welche Rolle spielt Industrie 4.0, die digitale Transformation und Lean bei Deutschland 2040?

Notizen zur Episode:


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(Teil)automatisiertes Transkript

Episode Kaizen 2 go 164 – Deutschland 2040

Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.

Götz Müller: Heute habe ich Professor Andreas Syska bei mir im Podcast-Gespräch. Wir unterhalten uns über das Thema “Deutschland 2040”. Hallo, Herr Syska!

Andreas Syska: Hallo, Herr Müller! Vielen Dank für das Gespräch!

Götz Müller: Ja, schön, dass das heute klappt. Jetzt ist natürlich Deutschland 2040 ein sehr breiter Begriff, ein sehr allgemeiner Begriff, und ich möchte einsteigen in unsere Unterhaltung: Was war denn der Auslöser für Sie, diesen Begriff überhaupt zu prägen und sich darüber Gedanken zu machen?

Andreas Syska: Auslöser war ganz sicherlich das Sich-Beschäftigen mit dem Thema Digitalisierung, Internet der Dinge und all das, was mit Industrie 4.0 versehen wird bzw unter dieser Überschrift diskutiert wird. Mir haben viele Dinge da nicht so gut gefallen. Also, die technischen Lösungen, die diskutiert werden – vorgestellt werden -, die sind bemerkenswert gut. Aber ich habe mich gefragt, ob es nicht zu kurz gesprungen ist, wenn wir versuchen, mittels neuester Technologien das Bestehende einfach zu beschleunigen, anstatt darüber nachzudenken, was wir mit dieser Technologie anstellen können – und zwar im Sinne einer gesamten Gesellschaft und nicht nur im Sinne von produzierenden Unternehmen.

Götz Müller: Das war jetzt ein spannendes Stichwort und mir ist nämlich gerade klar geworden, dass ich Sie außer mit Ihrem Titel im Grunde gar nicht vorgestellt habe. Und das wäre jetzt, glaube ich, noch der richtige Punkt, das am Anfang zu machen. Also meine Bitte: Sagen Sie zwei, drei Sätze zu sich, wie auch ihr Bezug zum Thema – Sie haben's genannt “Produktion, Industrie 4.0” – aussieht.

Andreas Syska: Mein Name ist Andreas Syska. Ich bin Produktionsingenieur. Ich habe in Aachen studiert, promoviert, war dann einige Jahre in der Industrie bei der Robert Bosch GmbH, bevor ich mich dann selbständig gemacht habe und einige Zeit später den Ruf an die Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach bekommen habe. Dort versuche ich, die Faszination, die mich begleitet bei dem Thema Produktion, mit meinen Studenten und Kooperationspartnern in der Wirtschaft zu teilen. Und natürlich mache ich mir auch darüber Gedanken, wie die Produktion, das Wirtschaftsleben oder sogar die Gesellschaft in der Zukunft aussehen.

Götz Müller: Jetzt stelle ich mir vor – und wo ich auch das ein oder andere von Ihnen gehört und gelesen habe. Hinter dem Begriff Deutschland 2040 steckt auch die ein oder andere These. Und das möchte ich noch ein bisschen vertiefen. Das heißt: Welche Thesen sehen Sie dahinter?

Andreas Syska: Ich denke, dass diese technische Entwicklung dazu führen wird, dass die Arbeit reduziert wird. Dieser Punkt wird heiß diskutiert. Da gibt es Pros und Contras und ich erfahre für diese These auch recht viel Contra, kann da aber gerne im Detail drauf eingehen. Ich denke auch, dass wir die große Chance haben, den materiellen Wohlstand nicht nur von einigen wenigen, sondern von einer breiten Bevölkerungsschicht dank dieser Technologie zu steigern. Ich denke auch, dass wir in der Lage sein werden, unsere Lebensqualität zu steigern, dadurch, dass wir ganz intelligent vernetzte Wertschöpfung betreiben. Ich denke, dass diese Technologie das, was wir heute als Unternehmen und Organisationen kennen oder als Unternehmen in der heutige Organisationsform kennen – wie soll ich sagen, es wird erodiert. Ich glaube nicht, dass die Unternehmen, wie wir sie heute kennen, in ihrer Struktur noch eine große Zukunft haben. Es wird alles viel flüchtiger und es wird alles zeitlich begrenzter sein, was ein großer Vorteil ist für die Unternehmen selber, aber auch für die in den Unternehmen beschäftigten Mitarbeiter. Also: Wir werden ein Stück mehr Freiheit haben und nicht zuletzt werden wir in der Lage sein, kluge Entscheidungen zu treffen dank künstlicher Intelligenz. Wir müssen aber da einiges tun, was über das reine technische Konzipieren von KI-Systemen hinausgeht.

Götz Müller: Ja, das Thema Entscheidungen werde ich sicher noch mal aufgreifen.  Mir kam jetzt gerade bei einem Stichwort oder bei dem Stichwort Thesen sofort der Gedanke: “These – Antithese – Synthese.” Und ich glaube, eine These, die nicht in einer gewissen Form Widerspruch erzeugt, kann vielleicht sogar gar keine These sein. Und das möchte ich jetzt noch ein bisschen vertiefen. Was sind es für – ich sag mal – Personenkreise, wo Sie diesen Widerspruch ernten?

Andreas Syska: Das ist im Grunde ganz, ganz schwer zu orten. Aber diejenigen, die der Überzeugung sind, dass der technische Fortschritt – also hier in dem speziellen Fall die webbasierte Vernetzung von technischen Systemen – nicht Arbeit reduziert, sondern Arbeit schafft, sind vornehmlich auch dort zu orten wo man versucht mit solchen Systemen Geld zu verdienen. Das ist der eine der eine Kreis. Natürlich hört man nicht gerne, dass solche Systeme Arbeit reduzieren, Arbeit vernichten. 

Und der andere Kreis ist ganz erstaunlich: Es kommt aus der aus der Politik, die so etwas auch nicht gerne hört. Der Grund ist eigentlich nachvollziehbar oder verständlich: Derjenige, der behauptet, dass der technologische Fortschritt Arbeit vernichtet, sagt damit auch gleichzeitig, dass Steuern und Abgaben, die auf Arbeit basieren, weniger werden. Und so jemand kann nicht der Freund des Finanzministers sein.

Und das weckt natürlich Befürchtung und weckt Ängste. Also gemäß dem Motto: “Es kann nicht sein, was nicht sein darf!”, wird dieser technologische Fortschritt, obwohl es Argumente dagegen gibt, die nicht von der Hand zu weisen sind, zu mehr Arbeit und zu mehr Beschäftigung führen. Ich halte das aber auch für – erlauben Sie den Begriff – schizophren. Also: In der Zeit, in der wir unter Arbeitskräftemangel leiden, wird derjenige verdammt, der sagt, dass die Technologie uns Arbeit reduziert, und derjenige wird gefeiert, der noch mehr Arbeit und damit eine Verschärfung der Situation verspricht. Das ist für mich unverständlich.

Götz Müller: Ich könnte mir spontan vorstellen, dass es einfach wieder klassisch was mit Veränderung zu tun hat und Veränderung, die an der Stelle jetzt für manche zusätzlich Arbeit bedeutet – da denke ich eben mal an den Finanzminister und seine ihm zuarbeitenden Menschen -, was sie vielleicht aus heutiger Sicht so nicht bewältigen oder nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen.

Andreas Syska: Es ist vielleicht auch der der Mangel an Fantasie. Es ist natürlich einfacher, das bestehende System linear fortzuschreiten, als es in Frage zu stellen. Und die flankierenden Maßnahmen, die ergriffen werden müssen, sind ja gravierend.
Zum einen brauchen wir ein anderes Verständnis von Arbeit. Bisher wird Arbeit mit Erwerbsarbeit gleichgesetzt. Und wenn es weniger Erwerbsarbeit geben wird, dann muss der Mensch sich mit anderen Dingen beschäftigen. Und es gibt eine ganze Reihe von Zeitgenossen, die nicht glauben, dass den Menschen dann etwas Vernünftiges einfällt, sodass sie mit Arbeit beschäftigt – ruhig gestellt – werden müssen.

Und der andere, der besagte Finanzminister, fürchtet natürlich um seine Einnahmen. Wenn fast die Hälfte der Einnahmen – zumindest in Deutschland auf Bundesebene – durch die Besteuerung von Arbeit erzielt wird, dann kann das für ihn nur eine schlechte Botschaft sein. Was ich empfehle, ist nichts Geringeres als eine Umstellung unseres Steuersystems, damit dies funktioniert: Nicht mehr Arbeit zu besteuern – im übrigen auch nicht Unternehmensgewinne, also wirtschaftlichen Erfolg würde ich nicht besteuern -, sondern ich würde die Inanspruchnahme von Ressourcen und die Vernichtung von natürlichen Ressourcen mit Steuern belegen, sodass wir hier eine Kompensation haben. Also: Der Finanzminister muss keine Angst haben, dass er weniger Geld in der Kasse hat, es kommt nur aus anderen Quellen.




Götz Müller: Jetzt hatten Sie vorhin noch ein Stichwort genannt, in Zusammenhang mit der künstlichen Intelligenz, nämlich Entscheidungen, wo uns eventuell – und vielleicht ist auch das so ein gewisses, sagen wir mal, Angst-Szenario, was der ein oder andere im Kopf hat – wo uns halt Maschinen vielleicht Entscheidungen und das zugehörige Denken abnehmen. Was ergibt sich jetzt? Also: A) ist meine Spekulation korrekt, und wenn ja, was ergibt sich dann daraus?

Andreas Syska: Es kann durchaus passieren, wobei der Mensch es immer als Fortschritt empfunden hat, wenn Maschinen ihm Arbeit abgenommen haben. Also: Körperliche Arbeit. Er hat sich für seine Innovationskraft gerühmt und die Menschen, die von solchen Maschinen profitierten, waren darüber nicht unglücklich. Also: Der Mensch hat sich in seiner Entwicklungsgeschichte mehr vom körperlich Tätigen zum geistig Tätigen entwickelt.

So, nun hat der Mensch angefangen, die Denkarbeit von Maschinen erledigen zu lassen. Das hat ja schon vor Jahrhunderten begonnen mit Rechenmaschinen. Das beginnt ja schon mit dem Abakus bis hin zu den Möglichkeiten, die wir heute haben, und natürlich: Es passieren zwei Dinge.

Die eigentliche Fähigkeit zum Denken oder Schnell-Rechnen reduziert sich. Ich muss mir nur meine Studenten anschauen und es ist nicht zu übersehen, dass die Fähigkeit, Dinge im Kopf auszurechnen, drastisch gesunken ist. Und ich frage mich: “Ja und? Was ist daran so schlimm?” Also, wenn ich abschätzen kann, ob das Ergebnis plausibel ist oder nicht, dann muss ich doch kein Wettrennen mit einer Rechenmaschine machen.
Jetzt haben wir eine neue Qualität, nämlich Systeme, die selber lernen und das Gelernte auch an andere Maschinen weitergeben, und jetzt wird es extrem spannend. Der Mensch hat – oder einige Menschen haben – dann die Befürchtung, dass sie jetzt überflüssig werden. Also: “Cogito, ergo sum” – ich denke, also bin ich, und wenn ich nicht mehr denke, dann bin ich auch nichts und dann habe ich komplett meine Existenzberechtigung verloren. Aber das ist ja nicht richtig. Denn es geht ja nicht darum, einen Wettkampf mit einem Hochleistungsrechner durchzuführen, genauso wenig wie Sie einen Wettkampf mit einer Elektrolok machen, wer von Ihnen beiden stärker ist. Das Ergebnis ist komplett klar. Es geht nur darum, diesen intelligenten Systemen die richtigen Fragen zu stellen und aus den Antworten die richtigen Schlüsse zu ziehen. Darauf kommt es an, und an der Ecke müssen wir jetzt ansetzen, indem wir den Menschen, die solche Systeme codieren, vermitteln, in welchem Kontext dies zu geschehen hat, und die Nutzer müssen lernen, kritisch Dinge zu hinterfragen. Das wird eine Herausforderung sein. Die eigentliche Herausforderung des Arbeitens mit der künstlichen Intelligenz ist für mich nicht die Technik, die das alles möglich macht, sondern der – erlauben Sie mal diesen Begriff, den ich nicht so sehr mag – der Mindset bei denjenigen, die solche Systeme konzipieren und damit arbeiten.

Götz Müller: Ja, in dem Zusammenhang fallen mir durchaus ernstzunehmende Menschen ein, die genau vor diesem Punkt auch ein Stück weit warnen – vor dem Thema künstliche Intelligenz. Wobei der Begriff, glaube ich, schon im Deutschen im Grunde ja eigentlich falsch verwendet wird oder zumindest nicht so, wie es der englische Originalbegriff nahelegt.

Andreas Syska: Ja, vielleicht gibt es dann auf dieser Basis auch diverse Missverständnisse.  Wenn ich mir aber anschaue, wie in Schulen, Berufsschulen, an Universitäten Wissen vermittelt oder welche Art von Wissen wichtig ist, dann muss ich leider konstatieren: Das Rezipieren, das Auswendigwiedergeben von Wissen, das irgendjemand vor einiger Zeit mal aufgeschrieben oder gesprochen hat, ist wichtiger als das Hinterfragen dieser Dinge. Oder beispielsweise in betriebswirtschaftlichen Ausbildungen, auch an Hochschulen, habe ich den Eindruck: Wir züchten Maschinenbediener her, also Bediener des Systems Management, die lernen, in einem solchen System zu funktionieren, und sie können es auch betreiben. Aber sie lernen nicht, diese Systeme kritisch zu hinterfragen oder gar weiterzuentwickeln. Und das halte ich für sehr bedenklich. Wenn wir auf der einen Seite den Veränderungsmut und die Kreativität der Menschen hätten und auf der anderen Seite die künstliche Intelligenz, die uns durch fantastische Rechenleistung dabei unterstützt, dann könnte es ein gutes Ende nehmen.

Götz Müller: Jetzt haben Sie vorhin auch den Begriff Arbeit verwendet. Ich denke, da liegt es nahe, sehr schnell dann auf den Menschen, auf den Mitarbeiter, der die Arbeit verrichtet, zu kommen. Und da habe ich mir dann die Frage gestellt: Okay, wie verändert sich vielleicht oder wie muss sich vielleicht a) das Verständnis Mitarbeiter in der Zukunft verändern? Vielleicht sogar: Wie hat es sich schon in der Vergangenheit verändert, wenn wir mal ein bisschen – so ein paar Jahrhunderte – zurückdenken?

Andreas Syska: Ja, das ist ja extrem spannend. Wenn Sie die Geschichte der Industrie sich aus der Perspektive der Menschen anschauen, die über weite Strecken nichts anderes waren als eine Ressource, die man benutzt hat, also – ganz deutlich zu sehen in den ersten Jahrzehnten der Industrialisierung: Menschen wurden benutzt, sie wurden ja ausgebeutet; sie wurden dann im wahrsten Sinn des Wortes weggeworfen, wenn sie ausgelaugt waren, und zwischendrin waren sie miserabel bezahlt. Das Ganze muss natürlich zu Unruhen, zu Aufständen, zu Maschinensturm und zu diesen Dingen führen. Wobei, die Maschine an sich war ja nicht schuld, dass es den Menschen so schlecht geht oder ging, sondern es war einfach das fehlende Einsehen der Fabrikanten – so hießen sie damals -, den durch Maschinen erwirtschafteten Gewinn fair mit ihren Mitarbeitern zu teilen.
Es hat sich ein Stück weit geändert. Henry Ford hat seinen Mitarbeitern Zeit und Geld gegeben wie kein anderer zuvor und hat damit Kaufkraft geschaffen und sein eigenes System ein Stückchen angefeuert, Robert Bosch übrigens hat ähnliches getan, und über das Thema Lean Production, Toyota Produktionssystem, Respect For People haben wir eine weitere Stufe erreicht, nämlich: Dass es Aufgabe des Unternehmens ist, Menschen zu entwickeln in ihrer Persönlichkeit. Natürlich nicht ganz uneigennützig, aber das ist eine riesige Entwicklung von Beginn der Industrialisierung bis heute. Parallel sehen wir aber ein sehr ausgeprägtes Verhalten, Menschen prekär zu beschäftigen und ihnen, so gut es geht, Lohn vorzuenthalten. Und das wird nicht mehr lange gut gehen. Ich denke dass wir gar keine andere Wahl haben werden oder die Unternehmen gar keine andere Wahl haben werden, als ihre Mitarbeiter an dem Produktivitätsfortschritt teilhaben zu lassen. Allein aus Eigennutz. Roboter shoppen nicht, es sind Mitarbeiter, deren Taschen gefüllt sein müssen, die dies tun. Also: Ich kann auch nicht mehr auf neue Märkte ausweichen, weil mittlerweile die Märkte weltweit hart umkämpft und auch limitiert sind. Wir müssen uns darauf einstellen, dass der Rationalisierungsfortschritt aufgrund geringer werdenden Wachstums dazu führt, dass Arbeit weniger wird. Bisher konnte das bequem mit Wachstum kompensiert werden. Das ist nicht mehr der Fall. Und wenn das System nicht kollabieren soll, müssen die Unternehmen den Mitarbeitern ihren fairen Anteil geben, und das kann sogar so weit führen, dass wir – ist eine gewagte Prognose, aber warum sollte die nicht eintreffen -, dass wir jetzt vor der Schwelle stehen. Dass es die Trennung zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern gar nicht mehr gibt. Also, ich spreche nicht von Kollektivierung und Verstaatlichung, ganz im Gegenteil: Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass alle Beteiligten unternehmerisch tätig sind. 

Stellen Sie sich einfach mal vor, der Mitarbeiter würde den Roboter nicht als tendenzielle Bedrohung seines Arbeitsplatzes sehen, sondern als ein Mittel, seinen eigenen Wohlstand zu steigern. Er hätte ein ureigenes Interesse daran, weiter seine Arbeit zu rationalisieren, die Effizienz zu steigern und in zwei Währung bezahlt zu werden: Zum einen durch weniger Arbeitszeit, zum anderen durch mehr materiellen Wohlstand.
Das kann am Ende dieser Entwicklung stehen und deswegen, wie ich eingangs gesagt habe, ist es für mich ein bisschen kurz gesprungen, wenn wir solche Systeme nur dazu einsetzen, das Bestehende ein Stückchen weit zu beschleunigen.

Götz Müller: Jetzt könnte ich mir vorstellen, und ich gehe da einfach von mir selber aus, dass einem jetzt möglicherweise relativ schnell so Stichworte in den Sinn kommen wie: Bedingungsloses Grundeinkommen. Was denken Sie, was das da für eine Rolle spielen wird?

Andreas Syska: Also, es wundert nicht, dass man dieses Thema jetzt diskutiert. Ich bin da selber unentschieden.

Das bedingungslose Grundeinkommen kann segensreich sein. Es gibt genug gute Argumente dafür, dass dies gerade bei niedrig bezahlten Menschen einen gewissen Druck nimmt, jede Art von Job annehmen zu müssen. 
Auf der anderen Seite: Wenn es schlecht läuft, kann es passieren, dass wir die Gesellschaft noch tiefer spalten. Nämlich in die sogenannten Leistungsträger, das sind ja diejenigen, die materiellen Wohlstand erwirtschaften, und diejenigen, die die Leistungen empfangen, und es kaum mehr möglich ist, von der Gruppe der Leistungsempfangenden zu den Leistungsträgern zu kommen. Und stellen Sie sich doch einfach mal vor, hier würden zwei Gesellschaften nebeneinander leben, die auch räumlich getrennt sind. Die Kinder würden in unterschiedliche Schulen gehen. Wir hätten zwei Nation in einer. Das wäre furchtbar!

Und von daher bin ich mir nicht ganz sicher, ob das bedingungslose Grundeinkommen die Lösung ist. Ich sympathisiere mit der Lösung, dass die geringer werdende Anzahl von Arbeitsstunden auf all diejenigen verteilt wird, die arbeiten wollen. Es gibt Leute, die wollen genauso viel arbeiten wie vorher, vielleicht sogar mehr, andere treten gerne zurück. Kombiniert auch mit der Verteilung des materiellen Wohlstands, der hierdurch erwirtschaftet wird. Ich halte das für eine sehr charmante Lösung .

Götz Müller: Mir geht gerade der Gedanke durch den Kopf: Es hat natürlich auch ein bisschen was zu tun mit der Definition von Leistung. Heute definieren sich viele über ihre Arbeitsleistung, was auch immer das sein mag. Jetzt gibt's natürlich außerhalb von klassischer Arbeit noch was anderes, womit man sich beschäftigen kann, sprich: Trägt vielleicht sogar zur Definition, zur notwendigen Veränderung der Leistungsdefinition bei.



Andreas Syska: Und die ist dringend überfällig. Die Personen, die messbar materiellen Wohlstand oder Gewinn in einem Unternehmen erwirtschaften, sind in der Regel selber gut bezahlt, und diejenigen, die extrem wichtige Beiträge für unsere Gesellschaft leisten – da geht's zum Beispiel um Berufsfeuerwehr oder Krankenschwestern, letztere insbesondere – sind miserabel bezahlt. Fühlt sich nicht gut an.

Und von daher sollte man den Wert von Arbeit ganz anders taxieren. Und dazu gehören für mich auch künstlerische Tätigkeiten dazu. Die sollten für mich einen ähnlich hohen Stellenwert haben, auch wenn sie keiner volkswirtschaftlichen oder betriebswirtschaftlichen Rechnung standhalten. Aber wenn wir eine Gesellschaft haben, in der Menschen Muße haben, Zeit, über sich und über andere nachzudenken, kann dabei nur Gutes herauskommen. Und das das Nachdenken selber sollte ebenso hoch angesehen werden wie das Produzieren von verkaufsfähigen Gütern. 

Götz Müller: Jetzt hatten sie schon ein bisschen was gesagt über Mitarbeiter, klar, über Unternehmen, über Unternehmer. Jetzt haben wir natürlich im klassischen Arbeitsleben – ich nenne es mal: Noch eine dritte Fraktion, eine dritte Instanz, vielleicht auch eine gewisse Kraft: Nämlich Gewerkschaften.
Was für einen Einfluss wird ihrer Ansicht nach die Entwicklung auf Gewerkschaften haben?

 Andreas Syska: Für Gewerkschaften habe ich keine gute Prognose. Ich wünschte, ich könnte was anderes sagen, aber das ist nicht so. Ich versuche, das mal zu erläutern:
Ich denke, dass sich, wie ich schon gesagt habe, in Zukunft Strukturen auflösen werden. Wir erleben ja jetzt schon, dass viel Arbeit nicht mehr in klassischen Betrieben stattfindet, sondern nun an beliebigen Orten zu beliebigen Zeiten. Das geht nicht mit jeder Form von Arbeit. Also: Wenn Sie, ich sag mal, digitale Werkzeugbauer sind und eine App programmieren, dann können Sie es irgendwo zu irgendeiner Zeit machen, vorausgesetzt, Sie halten die mit dem Auftraggeber vereinbarten Termine ein. Eine Pflegeleistung können Sie nur an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit stattfinden lassen. Das geht nicht von irgendeiner coolen Location in Südamerika aus. Aber es verschiebt sich halt mehr und mehr in Richtung der Tätigkeiten, die räumlich und zeitlich unabhängig sind. Die Folge ist: Arbeit, Wertschöpfung, Dienstleistung verschwindet aus Betrieben.

Und in letzter Konsequenz haben wir vielleicht gar keine Betriebe mehr, sondern nur noch temporär sich konfigurierende Leistungszentren, die sich hier für einen Zweck, für ein Projekt, für eine Dienstleistung, für ein Produkt für einige Wochen oder Monate zusammenfinden und dann wieder auflösen.

Wenn es also keine Betriebe mehr gibt, warum brauchen wir dann noch einen Betriebsrat? Also, nicht, dass die Menschen auch in Zukunft keine Vertretung mehr bräuchten, vielleicht sogar mehr als heute, nur: In den Strukturen, wie wir sie kennen, funktioniert das nicht mehr; in den Gewerkschaften und Betriebsräten. Und deren Selbstverständnis und Selbstorganisation basieren auf dem Präsenzmodell des 19 Jahrhunderts. Das hatte lange Zeit seine Berechtigung, hat es jetzt aber nicht mehr. Und wenn die Gewerkschaften an diesen Strukturen festhalten, dann wird es sie hinwegfegen. Vielleicht werden in Zukunft Menschen sich in virtuellen Selbsthilfegruppen organisieren, die die Keimzelle eines neuen Gewerkschaftverständnisses sein können. Die Zeichen sehe ich ja schon. Und es würde mich nicht wundern, wenn genau das passiert.

Götz Müller: Ja, mir fällt da jetzt spontan eine Episode ein, die ich vor einiger Zeit auch mit einem Hochschulkollegen, Dozentenkollegen von Ihnen geführt habe, wo es um diese – im weitesten Sinne – Mitwirkungswirtschaft ging. Dass also der einzelne punktuell in den – ja, wahrscheinlich kann das gar nicht so nennen – in den Wertschöpfungsprozess in irgendeiner Form tätig wird auf eine ganz andere Art und Weise, als wir das heute klassisch kennen im Angestellten- oder Arbeitsverhältnis.



Andreas Syska: Es zeigt sich ja heute auch schon. Ich nehme mir ein produzierendes Unternehmen und stelle fest, wie viel externe Dienstleistung dort stattfindet und inwieweit man auch bei Projekten, für Entwicklungsprojekte auf Crowds zurückgreift, die sich im im Netz formieren oder an einem Projekt mitwirken. Im kleinen Stil macht das der große Elektroautomobilist aus den USA genauso wie das mittelständische Unternehmen hierzulande. Die Strukturen lösen sich ja bereits auf.

Götz Müller: Jetzt möchte ich nur noch einen Punkt vertiefen – Sie hatten ihn als Stichwort schon mehrfach genannt -, zu dem, glaube ich, wir zwei und auch viele der Zuhörer natürlich eine starke Affinität haben: Nämlich das Thema “Industrie 4.0, digitale Transformation und vor allen Dingen Lean”. Was für eine Rolle spielen Ihrer Ansicht nach die drei Begriffe und das, was dahinter steckt, dann bei Deutschland 2040?

Andreas Syska: Die Dinge sind kein Widerspruch. Und es ist auch nicht so, dass das eine das andere ersetzt. Ich bin so glücklich, zu sehen, dass in den letzten – ich sag' mal grob – 20 Jahren Unternehmen (ich argumentiere jetzt mal aus der Perspektive Deutschland) hier in Deutschland sehr, sehr große Fortschritte gemacht haben, den Weg nach Lean zu gehen. Ich sag mal nicht “implementieren”, das würde ja so was bedeuten, als würde man einen Werkzeugkasten anwenden, sondern dass sie einfach die “Lean-Denke” bei sich etabliert haben und versuchen, sie immer besser zu verstehen. Das hat sehr große Vorteile gebracht für die Menschen in den Unternehmen, für die die Unternehmer selber unbestritten. Lean bedeutet aber nicht, dass man jetzt der Technologie abschwört. Natürlich automatisiere ich, unterstütze ich mit Hochtechnologie dort, wo ich kann, und von daher wären natürlich die Elemente, die Industrie 4.0 anbietet, segensreich. Aber Sie müssen sich einem bestimmten Zweck unterordnen und ich kann mir nicht vorstellen, dass wir sagen: “Lean ist jetzt ans Ende angekommen, das Kapitel ist abgeschlossen, und jetzt geht es mit Industrie 4.0 weiter.” Ich denke, wer dieser Auffassung ist, liegt falsch,

Götz Müller: Na ja, das kann ich persönlich auch nur unterstreichen. Ich glaube, jeder, der das denkt, da wage ich sogar mal diese überspitzte Aussage und sage: Der hat Lean nicht verstanden.

Andreas Syska: Ja, ob ich so weit gehen würde, weiß ich nicht. Die Motivation kann ja unterschiedlich sein, so etwas zu zu sagen. Aber es wäre fatal, wenn der Großteil der Verantwortlichen genau dies glauben würde.

Götz Müller: Jetzt möchte ich zum Abschluss – jetzt sind wir bei so 28 Minuten grob – a) noch mal diesen Punkt “Mensch” und seine Rolle vertiefen, und dann eben: Bis Deutschland 2040 sind noch über 20 Jahre. Da werde ich sehr wahrscheinlich nicht mehr berufstätig sein. Was denken Sie, was für eine Rolle der Mensch insgesamt spielen wird? Speziell, wenn es eben darum geht, sich mit Zukunft zu beschäftigen?

Andreas Syska: Ich könnte Ihnen sagen, was meiner Meinung nach der Mensch tun sollte: Er sollte mutig sein und Fantasie entwickeln. Er sollte viel stärker überlegen, ob die Strukturen, in denen wir jetzt alle aktiv sind, wirklich zukunftsfest sind. Er sollte an Bestehendem rütteln und willens sein und in der Lage sein, eigene Modelle zu entwickeln, die dann auf den Marktplatz geworfen und leidenschaftlich diskutiert werden können. Das ist das, was wir brauchen. Und ja, leider bringen wir die Menschen nicht dahin, sondern wir sagen – ich hatte es eben erwähnt – sondern wir bringen ihm bei, im bestehenden System zu funktionieren.

In die Richtung sollte sich der Mensch entwickeln. Und die Früchte, die zu ernten sind, habe ich ja gerade beschrieben: Durchaus weniger Arbeitszeit, höherer materieller Wohlstand, eine intelligente vernetzte Wirtschaft, die unseren Lebensstandard erhöht, intelligente Entscheidungen, die von Maschinen unterstützt getroffen werden, und für all diese Dinge lohnt es sich wirklich mal, quer und auch gegen den Strom zu denken.

Götz Müller: Und ich denke, wenn wir jetzt mal in die vergangenen Jahrhundert zurückschauen und uns dort Veränderung anschauen, dann war immer vielleicht auch eine berechtigte Skepsis vorhanden. Aber wenn wir unter'm Strich uns die Situation anschauen, glaube ich schon, dass sich für letzten Endes alle was verbessert hat. Vielleicht nicht gleich erkennbar und nicht gleich in den ersten x Jahren, aber langfristig doch für alle.

Andreas Syska: Wenn man es am materiellen Wohlstand festmacht und den reversiblen Verbrauch von natürlichen Ressourcen außer Acht lässt, stimme ich Ihnen zu. Also dort, wo Industriegesellschaften wachsen, wächst auch der materielle Wohlstand.
Aber eine Sache ist auch auffällig: Wir behaupten, es gibt vier industrielle Revolutionen: die Dampfmaschine, der Elektromotor, der Computer und dann das Internet der Dinge. Wenn man mal genauer hinschaut, dann stellt man fest: Das ist eine Ingenieurssicht. Und sie ist nicht zutreffend.

Die Dampfmaschine hat nichts verändert, der Elektromotor auch nicht, der Computer nicht und das Internet der Dinge auch nicht. Diese technischen Sprünge konnten erst dann wirken, wenn es Menschen gab, die diese Technologie einzusetzen wussten für eine neue Art des Wirtschaftens, des Produzierens. Die ersten Textilproduzenten kamen auf die grandiose Idee, Menschen zusammenzuziehen und im Takt der Maschinen arbeiten zu lassen, und das ging auch schon mit Wasserkraft. Henry Ford war der erste, der seine Menschen als Kunden erkannt hat, das ist ein ganz neuer Ansatz. Und, ich hatte es auch erwähnt, bei Toyota hat man den Menschen als Persönlichkeit erkannt, die es zu entwickeln gilt.

Das sind drei geistige Revolutionen, die eigentlich etwas bewirkt haben. Die vierte geistige Revolution steht noch aus, aber die kann in diese Richtung gehen, die ich gerade beschrieben habe: Ein völlig anderes Verständnis von Wertschöpfung, von Arbeit, ein Auflösen der Zweiteilung “Unternehmer und Arbeitnehmer”. Und all diese Dinge könnten Elemente einer solchen vierten Revolution sein.

Technologie an sich bewirkt nichts, erst dann, wenn man ihr eine Vision, einen Nordstern, eine Richtung gibt.

Götz Müller: Da kann ich Ihnen nur zustimmen und das fand ich jetzt auch wieder in Bezug auf Lean – Nordstern – ein geniales Stichwort, ein geniales Schlusswort. Herr Syska, ich danke Ihnen für Ihre Zeit. Ich fand es jetzt mal eine etwas andere Episode, aber trotzdem: Sich Gedanken über die reine Technik hinaus zu machen? Mindestens genauso wichtig wie die Technik selber, deshalb noch mal vielen Dank! 

Andreas Syska: Ja, ich bedanke mich bei Ihnen auch, Herr Müller, und wünsche Ihnen alles Gute!

Götz Müller: Danke.

Das war die heutige Episode im Gespräch mit Andreas Syska zum Thema Deutschland 2040. Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 164.

Wenn Ihnen die Folge gefallen hat, freue ich mich über Ihre Bewertung bei iTunes. Sie geben damit auch anderen Lean-Interessierten die Chance, den Podcast zu entdecken.

Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder zu lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.

Hinweis: Ich behalte mir vor, Kommentare zu löschen, die beleidigend sind oder nicht zum Thema gehören.