Kaizen 2 go 218 : Stoppt Agilität und/oder Lean


 

Inhalt der Episode:

  • Kritik am Agilitätswahn
  • Rückblick auf den Artikel aus dem Oktober 2018, wie hat sich die Situation verändert (im Hype-Zyklus)
  • Welche Rolle spielt der agil-industrielle Komplex?
  • Braucht das agile Manifest ein agiles Mindset? Wie sieht dieses aus? Wie entsteht es?
  • Die Rolle der Führungskraft in der Agilität und Lean
  • Vergleich der Entwicklungen: Lean und Agil

Notizen zur Episode:


Mitmachen?

Wenn Sie selbst ein interessantes Thema für eine Episode im Umfeld von Geschäftsprozessen haben, können Sie mir das auf dieser Seite mit Vorbereitungsfragen vorschlagen.

Ich freue mich darauf!

Ihnen hat der Inhalt gefallen? Dann bewerten Sie die Episode bitte bei iTunes.
Jetzt eintragen und Artikel/Denkanstöße zukünftig per eMail erhalten.

Artikel teilen auf ...


(Teil)automatisiertes Transkript

Episode 218 : Stoppt Agilität und/oder Lean

Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.

Götz Müller: Heute habe ich André Claaßen bei mir im Podcastgespräch. Er ist etwa Agile Businesscoach mit dem Schwerpunkt Wirkungsorientierung und Strategieumsetzung. Hallo Herr Claaßen.

André Claaßen: Ja, hallo Herr Müller. Ganz herzlichen Dank, dass ich heute bei Ihnen zu Gast sein darf. Ich freue mich wirklich sehr.

Götz Müller: Ja, ich mich definitiv auch. Schön, dass es heute klappt. Jetzt habe ich schon einen halben Satz zu Ihnen gesagt, aber stellen Sie sich gern noch mal in zwei, drei Sätzen intensiver vor.

André Claaßen: Ja. Agile Businesscoach, Strategieumsetzung ist ein Schwerpunkt, den ich in letzten Jahren aufgebaut habe, mit der Methode Objectives and Key Results. Ansonsten mache ich, unterstütze ich, in der digitalen Transformation und habe mich sehr viele Jahre auch im Kontext der Verwaltung bewegt, arbeite aber auch im Mittelstand und in wirtschaftlichen Unternehmen vom Start-up, kann man sagen, bis zum mittelgroßen Unternehmen.

Götz Müller: Ja. Jetzt glaube ich, haben wir heute eine spannende Überschrift über unserem Thema, so bin ich letzten Endes auch auf Sie gestoßen, auf einen, in Anführungszeichen, relativ alten Artikel, zwei Jahre alt, wo sie eine Kritik an Agilitätswahn geäußert haben und das fand ich insofern spannend, a, weil es mir ein Stück weit aus der Seele gesprochen hat und b, weil Sie aber jemand sind, der ja das Thema Agile nach vorne bringt. Deshalb vielleicht ein paar einleitende Sätze, was ist da Ihre Kritik? Und dann werden wir das ja in der Unterhaltung noch vertiefen.

André Claaßen: Ja. Gut, am Ende ist das Thema Agilität für mich nicht neu. Ich selbst bin Diplom-Informatiker und komme tatsächlich auch aus dem Bereich Softwareentwicklung. Ich liebe Softwareentwicklung. Das ist für mich immer noch eine ganz spannende Disziplin. Und hatte, ja, das ist jetzt auch schon, glaube ich, zwanzig Jahre her, die Zeit vergeht ja doch schnell, im Rahmen eines wirklich sehr, sehr anspruchsvollen, komplexen Projektes, das komplett auf der schiefen Bahn war, überlegt, wie kann ich mit meinem Team gemeinsam dieses Projekt eigentlich retten und da fiel mir ein Buch in die Hände von Kent Beck. Kent Beck kennen viele Softwareentwickler auch von dem Thema Unit Testing und der hat damals in Form eines Extreme Programmings ein Gedankenexperiment gemacht: Was passiert eigentlich, wenn ich alle Dinge, die gut sind, maximiere, also alle Regler auf Zehn stelle, also Kollaboration maximiere, Zusammenarbeit mit dem Kunden maximiere, Zusammenarbeit der Entwickler maximiere, schnell iteriere, schnell liefere, immer teste und daraus ist ein interessantes Framework entstanden, dass ich Extreme Programming, das hieß damals Leichtgewichtiger Software-Entwicklungsprozess und war in jeder Hinsicht anders als die Dinge, die ich vorher kannte, also wie ein V-Modell oder ein Rational Unified Process und wir haben damals gesagt: Das probieren wir aus. Und diese Art zu denken, kontinuierlich zu liefern, kontinuierlich zu testen, schneller direkt mit Kunden zusammen zu arbeiten, hat nicht nur dieses Projekt gerettet, sondern hat mir auch die Augen geöffnet, wie Zusammenarbeit anders aussehen kann. Kurz darauf ist auch dann das agile Manifest entstanden mit verschiedenen Menschen, die sich damals auch Gedanken machten, wie können wir komplexe IT-Projekte anders managen, besser managen und das agile Manifest bringt ja die Prinzipien, die in all diesen unterschiedlichen Ansätzen waren, ganz gut auf den Punkt. Und das war auch aus meiner Sicht schon eine kleine Sternstunde für neue und andere Arbeit jetzt gerade in dieser IT-Disziplin. Das ist so ein bisschen meine Herkunft. Aber es gab unter den, ich nenne sie mal Manifestos, auch Leute mit gutem Geschäftssinn. Das ist auch gut. Und ein Auswuchs, den ich auf meinem Artikel kritisiere, ist halt das Thema Zertifizierung. Zertifizierung ist so ein Thema, was sehr viele positive, aber auch kritisch zu betrachtende Seiten hat und mittlerweile, oder in den letzten Jahren, hat sich gezeigt, dass mit Zertifizierung ganze Industrien eigentlich entstehen, die von dem Produkt der Zertifizierung und immer wieder neuen Zertifikaten leben. Und die Zertifizierung hat, und das bringt ja so eine Disziplin ja auch mit, sich ganz viele Dinge, die agil eigentlich agil machen, dieses Hinterfragen, dieses Inspizieren und Neudenken und den Mut haben, das, was sich als richtig zeigt, dann auch wirklich konsequent zu tun, die sind aus meiner Sicht kontraproduktiv geworden. Das heißt also, aus den agilen Ansätzen sind nach und nach immer mehr Methoden entstanden, eine Inflation an Methoden und den Ausschlag zu meinen Artikel, Herr Müller, Sie stoppen mich, wenn ich hier zu viel erzähle, dann bitte ich Sie, sofort einzuschreiten, aber dann war ich in Düsseldorf gewesen, also ich bin jetzt wieder in der Gegenwart, im Jahr 2018, bei der Firma sipgate. Die Firma sipgate ist ein sehr bekanntes Unternehmen in der agilen Szene, weil die einfach sehr mutig und sehr konsequent Organisationsveränderung, Autonomie, Selbstorganisation nach vorne treiben und was die auch ganz gerne machen ist, dass die tatsächlich einmal im Monat, das ist noch vor Corona gewesen, ihre Türen öffnen und interessante Redner aus Kunst, Kultur, aber auch aus der Softwareentwicklung zu sich holen, und da war der Dave Snowden zu Gast. Der Dave Snowden ist so ein knurriger älterer Herr, der sich mit Komplexität beschäftigt und viele, viele Jahre bei der IBM gearbeitet hat. Ein bekanntes Werk von dem Herrn Snowden ist das Canadian Framework, das kennen relativ viele, wo ich also, ich sag jetzt mal, Komplexität in vier Feldern verorte und der hat einen Vortrag gehalten, wo er doch sehr, sehr, sehr über den agil-industriellen Komplex geschimpft hat und ich habe an ganz vielen Stellen gedacht „Mensch, der Dave, der hat da eigentlich völlig recht.“ Das, was wir zurzeit erleben, also die Industrialisierung einer eigentlich guten Idee, führt eigentlich dazu, dass wir genau das, worum es geht, nicht mehr machen, dieses Lernen, dieses Beobachten, Inspizieren und darauf reagieren. Und das hat mich ein bisschen traurig gestimmt, ich habe ein paar Ideen aus dem Vortrag, aber auch Dinge, die ich selbst erlebt habe, dann zusammengefasst und dann einen Artikel geschrieben mit dem Namen „Stoppt Agilität“ auf dem sehr schönen Blog von t2informatik, den ich hier übrigens auch noch mal empfehlen kann und der hat es tatsächlich geschafft, in diesem Jahr 2018, der meistgelesene Artikel zu werden, was zeigt, dass das Thema ganz viele Menschen berührt und die sich auch fragen: Okay, was bedeutet das eigentlich? Was passiert eigentlich mit der Form der Arbeit, die ich gut finde und was stelle ich eigentlich in der Realität dazu fest?

Götz Müller: Also ich fand den Artikel sehr spannend und für mich persönlich spannend, weil ich ihn eben erst vor einem Monat etwa kennengelernt habe, das heißt grob zwei Jahre später, Sie haben da einen Begriff, der war mir zumindest neu, aber ich finde den sehr treffend, Sie sprechen da von einem Hype-Zyklus, und jetzt an der Stelle dann mal die Fragen, und ich möchte nachher mal versuchen, es auf das Thema Lean auch abzubilden, was ist in diesen zwei Jahren Ihrer Ansicht nach passiert? Ist der Zyklus – vielleicht müssen Sie auch noch ein, zwei Sätze zu dem Zyklus selber sagen – hat er sich so fortgesetzt, wie Sie es damals vor zwei Jahren vorausgesagt haben?

André Claaßen: Also der Hype-Zyklus ist eigentlich ein Instrument, das bei der bei Gartner, der Unternehmensberatung, erfunden worden ist, die einfach regelmäßig bestimmte Technologien oder Ideen oder Konzepte auf diesem Zyklus anwendet. Ich bin jetzt gerade auch in dem Artikel drin, der ist von einer Frau, glaube ich, entwickelt worden und gibt so eine grobe Orientierung, was so mit bestimmten Produkten passiert. Und ich halte den tatsächlich für relevant. Die Idee bei diesem Hype-Zyklus ist, es gibt eine neue Idee, ich nenne mal als Beispiel Künstliche Intelligenz, das wird irgendwann erfunden oder wird irgendwann auf einmal wichtiger und dann entsteht eine Explosion an Begeisterung, ja, KI und Intelligenz und intelligente Maschinen, und dann gibt's auch schon Dystopien und philosophische Betrachtungen und das ist Thema und Schlagwort überall. Sogar Politiker positionieren sich dann bei dem Thema. Dann wird eine gigantische Erwartungshaltung aufgebaut, die eigentlich von keinem Produkt der Welt erfüllt werden kann. Was passiert ist dann natürlich, wenn eine Idee auf dem Gipfel der überzogenen Erwartungen ist, dann stürzt sie ab in das Tal der Enttäuschung. Das heißt also, aus dem Hype wird genau das Gegenteil. Es wird sozusagen schlecht geredet, das funktioniert ja eh nicht, das ist ja alles Unsinn, aber eine gute Idee bleibt ja weiter eine gute Idee und irgendwann kommen dann doch sehr sinnvolle Anwendungsfälle raus, die vielleicht nicht so genial sind, wie man so am Anfang dachte, aber die sehr praktisch sind und man bewegt sich halt auf einem Plateau der Technologie, wo man sagt „Okay, die ist alltagstauglich.“. Es gibt aber auch tatsächlich Innovationen, die niemals dieses Plateau der Produktivität erreichen, die also tatsächlich im Tal der Enttäuschung haften bleiben und die irgendwann dann auch in Vergessenheit geraten. Das ist bei Agilität aus meiner Sicht nicht der Fall, denn agile Arbeit, und dasselbe gilt auch für Lean, hat einen ganz konkreten und sehr ernsthaften Hintergrund und löst in diesem bestimmten Hintergrund auch tatsächlich Business-Probleme und zwar sehr wertvoll und sehr nachhaltig, deshalb gibt es bei Agilität natürlich das Plateau der Produktivität. Der Gipfel der überzogenen Erwartungen ist erreicht, wenn auf einmal alles agil sein muss und das habe ich tatsächlich vor zwei Jahren so festgestellt. Da musste irgendwie alles agil sein, da gab’s das agile Krankenhaus, die agile Verwaltung – die ich übrigens sogar für richtig halte – aber jetzt mit dem Schlagwort wird das halt befremdlich. Dann gibt es agile Organisationen, agile leadership, das agile Mindset, was man vielleicht auch erst mal kultivieren muss und der Begriff agil wird inflationär verwendet. Und der war, und das ist eigentlich ein Witz der Geschichte, der war ja von Anfang an falsch. Der Begriff agil ist ja ein bisschen entstanden, weil er einfach gut klingt, aber er ist sprachlich eigentlich falsch, denn das agile Manifest, das drückt es ja schon aus, ist ja Unfug. Also nicht das Manifest ist agil, sondern die Idee der Agilität ist der Punkt. Es müsste eigentlich heißen Manifest der Agilität, aber es hört sich fürchterlich an und deshalb ist daraus Das agile Manifest geworden und dieser Begriff agil, der hat Türen geöffnet beim Management. Ich habe das selbst gemerkt und auch selbst missbraucht, muss ich ehrlicherweise sagen. Extreme Programming ist ja wunderbar, aber wenn ich mit dem Begriff Extreme Programming zu einem Manager gehe und sage „Es ist eine tolle Idee, Extreme Programming zu machen.“, dann entstehen bei ihm Fragezeichen oder im schlimmsten Fall sagt er „Was soll das denn sein? Das hört sich ja fürchterlich an. Das hört sich ja katastrophal an.“. Extreme Programming ist kein Marketingbegriff, aber Agilität oder Scrum, also ein Teamsport, das sind tatsächlich Begriffe, da kann man, gerade so Sportmetaphern, die ziehen sehr gut und gerade der Prozess Scrum, oder die Managementmethode Scrum, ich sage jetzt mal bewusst Methode, die spricht das Management sehr stark an. Allein das erste Buch zu dem Thema von Sutherland und Jeff Kaplan mit dem Titel „Die doppelte Arbeit in der Hälfte der Zeit“ ist ja ist genau das, was man hören möchte: Klasse, ja, 100% mehr Produktivität, her damit! Und das stimmt in bestimmten Situationen auch, aber das kommt nicht durch die Methode, sondern es kommt durch viele, viele andere Dinge mehr.

Götz Müller: Aber höre ich da jetzt raus … oder also, ich höre es raus, ich möchte aber hinterfragen, ob ich es richtig verstehe, dass im Grunde ja nicht der Begriff selbst den Reiz ausübt, sondern das, was, gewollt, ungewollt, versprochen, behauptet, damit verbunden wird, nämlich dieses „doppelt so schnell, mit halb so viel Aufwand“ und so weiter?

André Claaßen: Ich glaube, das war, also ich halte diesen Buchtitel, den es übrigens im Deutschen nicht gibt, das ist der amerikanische Titel des Scrum-Buchs, ich halte diesen Buchtitel im Nachhinein für einen schweren Fehler, weil er lenkt den Fokus auf etwas, worum es bei Agilität tatsächlich gar nicht geht, nämlich auf Geschwindigkeit, auf Velocity, auf schnell-schnell. Es geht aber bei Agilität eigentlich nicht um schnell, sondern es geht um Effektivität und das heißt also in einer komplexen Situation, durch viele Schleifen möglichst immer das Richtige zu tun, ja, was man anhand des Wissens gerade tun kann, also durch Einbau von vielen Feedbackschleifen und die Optimierung von Effizienz war nie eine Idee von agiler Arbeit, ist auch im komplexen Umfeldern eigentlich Unfug, in anderen Umfeldern sehr sinnvoll, ja, es hängt immer davon ab, wie der Kontext gerade aussieht, aber der Buchtitel, du schaffst die doppelte Arbeit in der Hälfte der Zeit, suggeriert, es geht eigentlich um die Erhöhung von Produktivität in einem relativ statischen Gebilde, rein vom Titel her und das ist auch leider, leider bei vielen hängen geblieben. „Ah, Agilität, das heißt, die Leute können schneller arbeiten.“, „Agilität, das heißt, wir können produktiver arbeiten.“ und das Verb agil sagt ja auch „flink, schnell, behände“ steigert das ja auch.

Götz Müller: Ja, und im Grunde ist es eben das, was mich persönlich an ihrem Artikel und an dem ganzen Blick, wie sie draufschauen, angezündet hat, weil ich gesagt habe: Genau das Gleiche passiert oder ist passiert im Lean-Kontext, wo halt auch dieser Begriff „lean“, ja, „schlank“ und dann macht es klick und dann macht jemand eins plus eins gibt zwei, halbe Zahl, der Menschen in dem Fall, also auch dieser Gedanke der Reduktion auf etwas, was überhaupt nicht so angedacht war und wenn man dann eben genauer reinschaut, und das ist jetzt, finde ich, bei Lean halt das Schöne, dass es mittlerweile unheimlich viele Blickwinkel gibt und dass es, ja ich nenne das persönlich Wellen, und da vielleicht mal auch der Gedanke, wie nehmen Sie das in Thema Agil wahr, da wird es so etwas Ähnliches geben, dass dieses Verständnis, nicht überall, nicht in der breiten Masse, auch nicht in der Anwendung überall, dass das Verständnis dahinter zu schauen aber irgendwann steigt, weil sich daraus ja letzten Endes eine Hoffnung ergibt.

André Claaßen: Das wäre meine Hoffnung. Also Lean ist ja ein schönes Beispiel, ist ja auch die, ich sage jetzt mal die ältere Disziplin, ich muss sagen, ich bin im Lean nicht so sattelfest wie Sie, aber das, was ich mitgenommen habe ist ja auch, dass wir im Deutschen also bei dem Begriff Lean Management ganz viel Techniken und Tools adaptiert haben, auch mit großem Erfolg, muss ich sagen, das aber die kulturelle Intention, die hinter vielem steht, gar nicht transportiert worden ist, auch gar nicht übersetzt worden ist. Wenn ich allein an den Begriff Waste, denke, Verschwendung, ich weiß nicht, ob es das so richtig trifft?

Götz Müller: Nein, überhaupt nicht.

André Claaßen: Oder Lean in Form von Kostenreduktion, also ich bringe das mal jetzt auf so eine Vokabel, wo man denkt: Ich habe Lean verstanden. Es geht einfach darum, schlanker und kosteneffektiver zu arbeiten. Genau das ist es ja eben nicht, ja, oder es ist nur eine Folge, aber nicht die Ursache von Lean und so ähnlich ist es bei Agilität. Die Folge von Feedbackschleifen, die Folgen von Lernen ist tatsächlich irgendwann auch Geschwindigkeit, aber es ist nicht die Ursache des Ganzen. Das heißt, ich muss … ich verwechsle bei dieser naiven Betrachtung von Methoden Ursache und Wirkung ein Stück weit und wenn ich den kulturellen Hintergrund nicht kenne, lande ich tatsächlich schnell im Tal der Enttäuschung und merke, also so richtig viel hat das Ganze nicht gebracht, ja, weil ich die Prinzipien, die dahinterstehen schlichtweg nicht verstanden habe und mich zu sehr auf die Methode konzentriert habe.

Götz Müller: Und bei Lean kommt ja da noch ganz gefährlich dazu, dass es halt negative Auswirkung durch dieses „schlank, mit weniger Menschen“, machen wir uns nichts vor, in den Neunzigern und danach war es ja im Grunde, zumindest in Deutschland eine große Arbeitsplatzabbau-Maßnahme und dann hinterlässt es natürlich noch zusätzlich verbrannte Erde. Das heißt, wenn ich dann manchmal mit dem Begriff in bestimmte Organisationen kommen, dann geht dann entweder sofort der Rollladen runter beziehungsweise die Schutzschilde hoch. Ich glaube, die Gefahr besteht bis jetzt im agilen Kontext noch nicht. Könnten Sie sich vorstellen, dass etwas Ähnliches passieren könnte?

André Claaßen: Ja. Es ist noch nicht … also ich erlebe Agilität noch überwiegend eher auf der Umsetzungsebene. Das heißt also, als Projektmanagement-Methode in der Produktentwicklung, aber noch nicht so ganz stark verbreitet in der Organisationsentwicklung. Das heißt also, die Firmen operieren eigentlich im klassischen Modus Operandi und setzen eine Kapsel auf ein bestimmtes Teilgebiet und da wird dann halt, weiß ich nicht, Scrum oder irgendetwas gemacht, oder meinetwegen auch eine, jetzt von der Arbeitsmethodik her, eine Form von Kanban. Damit habe ich natürlich zwei Dinge, einerseits entfalte ich nicht die wahre Wirkung von Agilität, denn die braucht auch tatsächlich ein agiles Umfeld, zum zweiten aber ist vielleicht durch diese Kapselung auch die Enttäuschung nicht so groß, wenn es dann doch nicht so toll, so richtig gut, funktioniert, denn die agilen Methoden machen ja auch dann zu einem gewissen Teil großen Sinn und helfen in der Arbeitsform. Ich entfalte nur nicht die ganze Wirkung. Es ist aber bei Lean tatsächlich ein Trauerspiel. Dass das, was ich von außen sehe, das ist eigentlich eine super tolle Idee, die auch mit Begeisterung von Akteuren in Unternehmen vorangetrieben worden ist, dazu führen konnte, dass genau diese begeisterten Akteure am Schluss selbst auf der Straße standen, ja. Und das ist die schlimmste Form, wie man mit solchen Ideen umgehen kann. Das ist ja auch nicht die Idee von Lean.

Götz Müller: Ja. Mir kommt da jetzt so der Gedanke, Lean ist eher auf der Arbeitsebene verbrannt, wenn man es so ausdrücken möchte, während vielleicht bei Agilität die Gefahr besteht, dass es auf der Entscheidungs-/Management-Ebene verbrennt, weil ich dort dann doch nicht die Ergebnisse bekomme, die mir vielleicht versprochen wurden.

André Claaßen: Ja. Und es ist ja auch so, dass ich auf der Entscheidungs-/Management-Ebene eine andere Komplexität habe, eigentlich andere Fragestellungen habe als jetzt gleich auch in der Produktumsetzungsebene. Auf der anderen Seite sage ich, da kommen ja auch objectives and key results ein Stück weit ins Spiel. Es gibt Möglichkeiten, Agilität auch auf eine Entscheidungsebene zu bringen. OKR sind für mich eine dieser Möglichkeiten, weil sie Konzepte wie Wirkungsorientierung, Limitierung, Fokussierung letztendlich auch auf der Ebene der Strategieumsetzung etablieren und damit auch zu Erfolgen führen und letztendlich auch zu einem empirischen Arbeiten, ja, dass ich also wirklich auch auf einer Managementebene ein Stück weit mehr dahinkomme, dass ich sage „Okay, wir haben eine These, die sehr vielversprechend ist, wie ich kann nicht daraus ein validierbares, kleines Experiment schnüren und das ausprobieren und validieren, ob diese These taugt oder nicht.“ Insofern glaube ich schon, dass agile Aspekte auch im Management sehr gut funktionieren können. Es reicht aber überhaupt nicht aus eine Methode wie Scrum zu nehmen und zu sagen, wie machen jetzt ein Daily Standup oder wir machen jetzt ein großes Scrumboard. Damit ist natürlich nichts gewonnen.

Götz Müller: Ja. Das ist durchaus vergleichbar dann mit einem relativ wichtigen, ich nenne es Element von Lean: Shopfloor Management. Nur sich da vor die Tafel zu stellen, eine Viertelstunde, zwanzig Minuten, außer dass vielleicht eine Routine entsteht, bringt es ja noch gar nichts, wenn ich den Menschen nicht helfe, weil ich … sagen wir mal, man träumt nicht nachts davon, was sind jetzt die wirklich wichtigen Dinge, über die ich da rede?

André Claaßen: Ja und wenn ich jetzt noch mal auf diesen Hype-Zyklus schaue, ich glaube, wir sind weiterhin ein Stück weit noch auf dem Weg in das Tal der Enttäuschung, also viele Unternehmen probieren agil aus. Ich glaube, in vielen Unternehmen ist es auf der Umsetzungsebene schon durchaus erfolgreich, da werden wir gar nicht so ein riesiges Tal der Enttäuschung haben, aber die Wirkung, die eigentlich Agilität entfalten kann, die kriege ich nicht entfaltet, wenn ich nicht die Prinzipien dahinter einfach stärker betrachte und wenn ich das Umfeld nicht aufbaue. Ein weiterer Punkt ist halt dieser agil-industrielle Komplex, den ich auch ein Stück weit zwiespältig betrachte. Einerseits finde ich viele Entwicklungen tatsächlich spannend und interessant und auch gar nicht schlecht. Auf der anderen Seite werden Konstrukte gebaut, die aus meiner Sicht zu gefährlichen Illusionen führen und da sind wir wieder bei dem Thema Methoden, oder ein Kollege von mir gesagt „Denken in Tütensuppen“, ja, ich nehme irgendwie eine Methode und glaube, dass meine Produktentwicklung oder meine Organisation jetzt viel besser arbeitet als vorher. Wenn ich mir zum Beispiel, ein ganz bekanntes Framework bei uns in der agilen Welt ist das Scaled Agile Framework SAFE, was unglaublich viele gute Methoden vereinnahmt. Wenn man böse ist, sagt man, da gibt’s eine gewisse in Analogie zu den Borg aus Raumschiff Enterprise, die also auch fleißig bemüht sind, immer mehr Methoden Kompetenzen einzuverleiben und SAFE wirkt mittlerweile auch wirklich wie so ein Methodenkoffer, wo alles drin ist, was nicht schnell genug weglaufen könnte, aber alle Dinge sind eigentlich vernünftig. Nur der Glaube, ich nehme so ein super komplexes Framework, ich lasse mich zertifizieren und habe danach eine Organisation, die deutlich produktiver und agiler ist, ich glaube, das ist ein Irrtum. Ja. Das ist ein Irrtum, weil wahre Verbesserung der Arbeit entsteht tatsächlich durch Denken und durch die Nutzung der Kompetenz der Beteiligten und so ein Framework kann mir zwar Impulse geben, das glaube ich schon, aber ich muss die Kompetenz entwickeln, zu entscheiden: „Ok, welchen Impuls nehme ich mit und validiere den oder welche Impulse machen für meinen Kontext vielleicht auch erstmal keinen Sinn?“ Und das hat nichts mit Cherry Picking zu tun, sondern mit Kompetenz, die ich ein Stück weit auch selbst aufbauen und vorhalten muss.

Götz Müller: Jetzt hatten Sie vorhin noch ein Stichwort genannt, das möchte ich noch ein bisschen vertiefen, weil ich glaube, dass das die ganze Zeit auch mitschwingt und sich, glaube ich, auch wieder auf den Lean-Aspekt übertragen lässt, nämlich dieses Mindset sprich die Frage, die These: Braucht das agile Manifest, selbst wenn der Begriff jetzt falsch ist, braucht das ein agiles Mindset und wenn ja, wie sieht es dann aus?

André Claaßen: Ja, ich habe tatsächlich im Artikel 2018 gesagt, okay, eigentlich brauche ich einen agiles Mindset, um Agilität tatsächlich richtig zu leben. Heute würde ich, oder vielleicht werde ich auch, den Artikel noch mal anpassen wollen, weil ich glaube, ein agiles Mindset ist sehr, sehr hilfreich. Ich habe mich übrigens in dem Artikel sehr stark durch einen Methode zum Netzwerken inspirieren lassen und zwar Working out Loud, da ist also … da sind die Dinge sehr schön formuliert, der Gedanke der Großzügigkeit, der Gedanke, erstmal zu geben, bevor man nimmt, der Gedanke des Wissenteilens. Das sind alles Punkte, die ich bei der Agilität oder in der agilen Arbeit als sehr, sehr hilfreich betrachte. Also ich glaube, ein agiles Mindset hilft, aber – und jetzt kommt das große aber – das ist gar nichts, was ich in irgendeiner Form voraussetze oder unterstellen wollen würde, sondern das ist vielleicht ein Stück weit etwas, was sich beim Menschen im Laufe der Zeit entwickeln kann, entwickeln darf, aber nicht unbedingt entwickeln muss. Ja, es sind eher die Prinzipien, die ich heute ein Stück weit eher in den Vordergrund setzen würde und sage, die Prinzipien sind eigentlich schon sehr, sehr gut; Zusammenarbeit, Menschen vor Prozessen, kontinuierlich liefern statt warten, dass man alles fertig hat. Das heißt also, eine Neuauflage des Artikels würde die Prinzipien ein Stück weit stärker in den Vordergrund setzen und sagen, okay, wenn diese Prinzipien eigentlich akzeptiert sind als Grundlage von Arbeit, dann ergeben sich Methoden, aber auch ein Mindset aus meiner Sicht ein Stück weit von selbst.

Götz Müller: Ja. So hätte ich das jetzt auch genannt. Wenn ich … ganz anderer Kontext … wenn ich Sport treibe, bleibt die körperliche Fitness nicht aus und wenn ich meinen Geist auf bestimmte Art und Weise über Prinzipien präge beziehungsweise wenn ich einfach auf eine gewisse Weise denke und es immer wieder vor das geistige Auge hole, dann werde ich auch ein passendes Mindset entwickeln, nur erzwingen kann ich es nicht.

André Claaßen: Nein. Man kann es nicht erzwingen. Man kann es auch nicht fordern. Es gibt das, ja bemühte Wort in der Coaching-Szene der Übergriffigkeit. Ich mag das nicht, aber ein Stück weit führt das dazu, dass ich also anfange, Menschen zu bewerten, ja, der hat ein Mindset und der hat es nicht. So ist das auch nie gedacht, aber das ist etwas, was ein bisschen da mitschwingt und das ist eigentlich keine gute Sache, ja. Jeder ist individuell. Jeder Mensch hat, und das gehört auch dazu, eigene individuelle Ziele auf der Arbeit. Die Zusammenarbeit funktioniert nicht, weil alle dieselben Ziele teilen, sondern weil die Prinzipien und die Vereinbarungen eigentlich von allen geteilt werden. Vereinbarungen auch in Form von Verträgen. Und die Prinzipien als Form der Arbeit, die wertstiftend ist.

Götz Müller: Ja. Ich glaube persönlich dann schon, ich sehe aber auch gar keinen Widerspruch, dass man sich halt auf ein gewisses gemeinsames, ich nenne es mal in neutral, um jetzt nicht schon wieder den Begriff zu verwenden, auf ein gewisses gemeinsames Handeln und Denken, was sich ein Stück weit bedingt und dann letzten Endes bleibt es nicht aus, das mit dem Mindset. Weil im Grunde, kommt mir jetzt so spontan, ist es mit dem Mindset ähnlich wie mit Watzlawicks Kommunikation: Nicht geht gar nicht. Das heißt, ein Mindset habe ich auf jeden Fall, jetzt ist die Frage nur, wie sieht es halt aus.

André Claaßen: Und insofern bin ich vielleicht auch ein Stück weit geneigt zu sagen, es macht auch vielleicht wirklich Sinn, innerhalb des Teams sich auf bestimmte Werte zu einigen, die für die Teamarbeit hilfreich sind, aber momentan … das ist jetzt aber die Sicht, die ich wirklich heute hier und jetzt habe, aber momentan bin ich tatsächlich ein großer Freund davon, dass man sagt „Okay, was sind denn die Prinzipien so, was ist das gemeinsame Grundgesetz, ein Jurist würde das vielleicht so formulieren, der gemeinsame Vertrag, der uns gut und wirklich sinnvoll arbeiten lässt und der kann schon und wenn das gut formuliert ist und da finde ich das agile Manifest gut, aber auch andere Ansätze, auch hinter Lean stehen ja Prinzipien, also gute Prinzipien, glaube ich, können ganz viel prägen und können sozusagen ein gutes Fundament dafür bilden, wie man dann konkret arbeitet. Ob man dann mit jener Methode oder dieser arbeitet, das regelt sich dann eigentlich.

Götz Müller: Genau. Und ich glaube, es gibt dann an der Stelle auch wieder Führungskräften die Chance, da ihrer Rolle, ihrer gestalterischen Rolle möchte ich es mal nennen, nämlich Austausch über diese Aspekte, über diese Elemente anzuregen, um es damit zu vertiefen, also sie werden damit auch in keinster Weise überflüssig, nur weil sie vielleicht bisher im klassischen Taylorismus mit „Hier, ich denke und du arbeitest“ unterwegs waren.

André Claaßen: Ja, also das ist … also da bin ich fest davon überzeugt, dass sich Führung tatsächlich, auch geprägt durch Agilität, aber auch durch andere Aspekte, weiterentwickelt oder ich bin da guter Hoffnung. Es ist jetzt nicht so, dass diese Dinge alle neu sind, egal über welche Dinge wir reden, die lassen sich alle vor wirklich urlanger Zeit finden und ich finde ganz viele agile Aspekte sogar in den philosophischen Betrachtungen eines römischen Kaisers, die übrigens gut sind. Aber ich glaube, dass Führung sich tatsächlich verändert und das sieht man überall. Zum einen ist die Idee der lateralen Führung eine, die ich gut finde und die sich verbreitet, also weg von dieser Führungskombination aus Personalführung, strategischer Führung und operativer Führung und Produktführung, dass man sagt, vielleicht ist es doch gut, diese Rollen aufzuteilen. Und der andere Aspekt, das haben Sie gerade gesagt, dass Führung eine enorme wichtige Funktion darin bildet, nämlich den Rahmen zu setzen. Diese Prinzipien der Arbeit zu klären, diese zu vertiefen und, ich komme ja auch von OKR her, auch die richtigen Ziele, dafür zu sorgen, dass richtige und sinnhafte Ziele existieren. Sie müssen sie nicht alle selbst vorgeben, das ist vielleicht auch manchmal gar nicht sinnvoll, aber sie müssen dafür sorgen, dass sie da sind. Und insofern wird die Aufgabe von Führung oder der Anspruch an Führung hat aus meiner Sicht eine höhere Qualität als sie in dieser Reihen tayloristischen, operativen Führung der Fall war.

Götz Müller: Und mindestens eben dieses gemeinsame Verständnis zu schaffen, weil das eben, wie ich es vorhin schon gesagt habe, die wenigsten träumen davon und keiner hat die gleichen Träume, also wie soll dann die Gemeinsamkeit entstehen. Ich glaube, das ist, ohne es übergriffig, da bin ich voll bei Ihnen, ohne übergriffig zu handeln, aber von alleine passiert es nicht.

André Claaßen: Nein. Das muss ich aktiv tun und aktiv fördern und da finde ich ja auch einige Aspekte von Lean ganz spannend, oder so wie ich sie verstehe, nämlich dass die Führungskraft auch die Aufgabe hat, durch Präsenz, durch Lernen, durch ernsthaftes Interesse auf sich selbst kontinuierlich in die Lage versetzt, diese Teamarbeit wertvoll zu unterstützen und weiterzuentwickeln. Ich habe leider gerade bei agilen Methoden komischerweise beobachten müssen, dass Führung auf einmal gar nicht mehr stattfindet, das Führungskräfte sagen, „ok, die organisieren sich selbst, da halte ich mich jetzt lieber zurück oder bin gar nicht mehr so da.“. Ich halte das für falsch. Ich finde, lebhaftes Interesse, wirklich vor Ort zu sein, wirklich Gespräche zu führen, ich halt das weiter für sehr, sehr wichtig, also auch eine Präsenz als Führungskraft durchaus zu zeigen, die sich auch darin äußert, ein ernsthaftes Interesse an Menschen und der eigentlichen Arbeit, die geschieht zu entwickeln.

Götz Müller: Da kommt mir jetzt der Gedanke in den Sinn, also so etwas Ähnliches erlebe ich im Lean-Kontext auch, eher dort vielleicht, ich nenne es jetzt mal der klassische Industriemeister, der halt eine gewisse Ausbildung, auch mit Führungsaspekten, genossen hat, aber noch sehr stark fachlich geprägt ist, dass der sich, glaube ich, ab einem bestimmten Punkt schwer tut, diese Aspekte anzugehen und da könnte ich mir jetzt vorstellen, dass es im agilen Kontext, wo wir doch eher so in diesem Wissensarbeiter-Kontext unterwegs sind, wo vielleicht das Thema Führung im klassisch-tayloristischen Sinne sowieso nicht angebracht ist und keiner will's eigentlich und deshalb will ich in dem Sinne gar nicht führen, weil ich nicht in diesen Ruch kommen will und dann mache ich lieber gar nichts, was aber auf verkehrt ist.

André Claaßen: Also diese Extrem halte ich für wirklich verkehrt, also wenn Führung nicht mehr da ist, dann hat das sehr, sehr, aus meiner Sicht oder auch meiner Erfahrung heraus, negative Auswirkungen auf das Team. Man fragt sich, warum ist das so, man agiert dann teilweise ohne Führung, man fragt sich, wo ist denn das Feedback, wie wird das wahrgenommen. Ich glaube Führung muss tatsächlich präsent sein, sichtbar sein und auch nicht nur beim Rahmen, sondern letztendlich auch in den inhaltlichen Themen immer wieder auch ein Stück weit greifbar sein. Also zu sagen, ich habe eine offene Bürotür und ihr könnt immer reinkommen, ich finde, das reicht nicht. Ich finde, ich muss auch raus aus dem Büro, ich muss auf hin zu den Leuten. Auf der anderen Seite, ich komme ja noch aus der, also ich bin ja schon älteren Semesters, also ich kann mich auch noch gut an die Zeit das Chefprogrammierers erinnern und der war gar nicht so anders als der Meister, ja, der hat also tatsächlich die Arbeit eingeteilt, er hat die Aufträge vergeben, hat geguckt. ob die Pakete richtig abgearbeitet worden sind. Und das funktioniert in einigen Bereichen auch.

Götz Müller: Also ich kenne, ich meine, ich glaube, wir sind altersmäßig gar nicht so weit auseinander, das kenne ich definitiv auch und in einigen Fällen, die so vor meinem geistigen Auge auftauchen, sind es dann ähnlich die Menschen gewesen, die halt in dem Thema besonders gut waren und zwar weniger in den Führungsthema, sondern eher in dem fachlichen Thema.

André Claaßen: Ja, das waren so fachliche Meister, die wirklich brillant waren aufgrund ihrer Arbeitserfahrungen und auch der Kompetenz und die einfach dann diese Aufgabe so gemacht haben und man letztendlich aber auch damals vielleicht noch keine anderen Ideen hatte, wie man Wissensarbeit besser organisieren könnte. Und ich muss sagen, wenn ich mich an die eigene Nase packe, ich war ja auch so ein super Fachexperte und dann wirklich loszulassen und zu sagen: Okay, ich komme jetzt mal nicht mit dem schnellen Tipp um die Ecke und sage mal hier lang oder rechts schlafen. Das ist auch etwas, was man lernen muss und was man auch gut schulen kann, was aber auch viele Entscheider nicht wissen. Also sie wissen eigentlich nicht, dass eine Intervention eigentlich eine teure Angelegenheit ist. Denn jede Intervention, die ich als Manager oder Führungskraft mache, schwächt natürlich auch Selbstorganisation. Das ist also ein Instrument, das ich sehr behutsam anwenden sollte. Das wissen viele nicht.

Götz Müller: Ja. Das geht dann in die, ich nenne es erlernte Unselbstständigkeit, und da kenne ich krasse Fälle und im Grunde dient es niemandem, selbst demjenigen nicht, der es unwissentlich und unwillentlich initiiert hat, der kommt dann irgendwann in einen Teufelskreis rein, aus dem er im Grunde selber fast nicht mehr rauskommt, vor allem, wenn er es nicht merkt. Er merkt nur, irgendetwas ist blöd hier.

André Claaßen: Ja. Und was Sie hier sagen, er merkt es dann teilweise selbst nicht, er braucht dann tatsächlich den Impuls von außen, der sagt: Okay. Halt, Stopp. Überleg mal, was gerade hier passiert. Wobei wir beim Thema Führungscoaching sind, was da auch wirklich helfen kann.

Götz Müller: Gut. Prima. Das war jetzt vielleicht ein guter Abschluss und vielleicht haben wir jetzt dem ein oder anderen mit dieser Episode diesen externen Impuls gegeben. Deshalb Herr Claaßen, ich danke Ihnen sehr für Ihre Zeit, das fand ich eine spannende Unterhaltung.

André Claaßen: Ich freue mich auch, dass ich hier zu Gast dabei war und ganz herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Müller.

Götz Müller: Das war die heutige Episode im Gespräch mit André Classßen zum Thema 217 : Stoppt Agilität und/oder Lean. Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 218.

Wenn Ihnen die Folge gefallen hat, freue ich mich über Ihre Bewertung bei iTunes. Sie geben damit auch anderen Lean-Interessierten die Chance, den Podcast zu entdecken.

Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.

Hinweis: Ich behalte mir vor, Kommentare zu löschen, die beleidigend sind oder nicht zum Thema gehören.