Im letzten Artikel habe ich die Frage nach dem Talent für den Kontinuierlichen Verbesserungsprozess gestellt. Damit eng verbunden ist dann die Frage, wie Wissen, Fähigkeiten und Erfahrung für den KVP im notwendigen Ausmaß erworben und vermittelt werden kann. In einigen Aspekten sind Ähnlichkeiten zum Laufen lernen, Rad oder Auto fahren lernen erkennbar.
Grundsätzlich bewegen sich Kompetenzen auf einer von vier möglichen Stufen. Für die Lehre, d.h. Vermittlung von Kompetenzen ist noch eine weitere Stufe notwendig. Genau genommen bewegt sich diese Kompetenz sogar in einer anderen Dimension. Die ersten vier Kompetenzstufen werden durch die Dimension der Bewusstheit und Kompetenz / Inkompetenz gebildet. Den vier Stufen liegt zugrunde, dass sie in einer Abfolge (siehe Auflistung unten) angeordnet sind, nacheinander durchlaufen werden müssen, ohne dass eine Stufe übersprungen werden kann. Die Entwicklung beginnt zwar immer auf der untersten Stufe, sie endet aber nicht notwendigerweise auf der obersten Stufe (falls die Entwicklung abgebrochen wird)
Unbewusste Inkompetenz
Der Säugling hat noch kein Bewusstsein darüber, dass er nicht Rad fahren kann. Im Bereich des KVP sind das Personen oder Unternehmen, die noch nicht mit Kontinuierlichen Verbesserungsprozessen – z.B. im Rahmen einer (geplanten) ISO9001-Zertifizierung – in Berührung gekommen sind. Auf dieser Stufe besteht auch noch kein Verständnis für die Vorteile des KVP, maximal ein vages Bauchgefühl, dass es „so“ nicht weitergehen kann.
Bewusste Inkompetenz
Das Kleinkind hat zum ersten Mal eine andere Person auf einem Fahrrad gesehen, vielleicht sogar erste missglückte Versuche selbst Rad zu fahren gemacht. Beim KVP besteht jetzt typischerweise der Wunsch, sich in dieser Richtung zu entwickeln, ohne dass bisher die Vorgehensweise zur Einführung und Aufrechterhaltung festgelegt ist. Der erste Schritt zur nächsten Stufe ist die Festlegung eines Plan, wie der KVP eingeführt wird. Oft sind jedoch die Aspekte der Aufrechterhaltung bei weitem noch nicht so bewusst, wie dies später notwendig wird. Dies ist dann oft eine Ursache für das Scheitern.
Bewusste Kompetenz
Jetzt sind die ersten Fahrversuche erfolgreich durchgeführt. Das Rad fahren benötigt aber immer noch erhebliche Koordinationsanstrengungen von Beinen und Füßen, Armen und Händen, Gleichgewicht, Richtungswahl und Lenken. Für den KVP bedeutet diese Stufe, dass die Rollen der Koordinatoren und Moderatoren festgestellt und die betreffenden Mitarbeiter geschult sind. Das Management ist in die Thematik eingebunden und unterstützt (mal mehr, mal weniger) die Aktivitäten. Die ersten regelmäßigen KVP-Runden finden statt und die ersten Ergebnisse und Verbesserungen werden sichtbar. (Größere) Teile der Belegschaft verhalten sich jedoch noch abwartend und beobachten speziell das Verhalten der Führungskräfte sehr aufmerksam.
– Galileo Galilei
Unbewusste Kompetenz
Auf dieser Stufe ist jetzt kein Nachdenken über das Rad fahren mehr notwendig. Man nimmt sich einfach das Fahrrad und fährt los. Der Fokus ist auf dem sicheren Umgang im Straßenverkehr. Auch das Fahrtrichtung anzeigen mittels Handzeichen funktioniert problemlos, ohne dass man ins Schwanken kommt. Vielleicht werden sogar erste Versuche im freihändig fahren gemacht. Im KVP befinden sich die Routinen und die KVP-Runden im eingeschwungenen Zustand. Neue Mitarbeiter und Führungskräfte werden mittels Coaching-Kata an den Kontinuierlichen Verbesserungsprozess herangeführt. Die Belegschaft hat die Verbesserungs-Kata verinnerlicht und Daily Kaizen findet statt.
Obwohl diese Stufe immer das Endziel jeder Entwicklungsmaßnahme darstellt, wird sie nicht immer erreicht und befähigt typischerweise auch nicht zur Lehre, d.h. zur Wissensvermittlung. In vielen Fällen ist diese Stufe dann sogar schädlich, weil mit der unbewussten Kompetenz genau das Bewusstsein der Handlungen verloren gegangen ist, das notwendig ist, um die Handlungen an andere Personen zu vermitteln.
Kompetenz zur Lehre
Diese zusätzliche Kompetenzstufe erlaubt es, notwendige Fähigkeiten und Handlungen zu erkennen, nachzubilden und an andere Personen zu vermitteln. Während es hilfreich sein kann aber nicht zwingend ist, die Fähigkeiten selbst zu besitzen und die Handlungen durchführen zu können, bewegt sich die Meta-Fähigkeit zur Identifikation und Nachbildung in einer anderen Dimension. Im NLP (Neuro-Linguistischen Programmieren) wird dazu der Begriff des Modelling verwendet.
Wenn man selbst schon die Stufe der unbewussten Kompetenz erreicht hat, ist es ein Stück weit notwendig, beim Modelling die Stufe wieder zu verlassen, um Bewusstheit über die Fähigkeiten und Handlungen (zurück)zuerlangen.
Egal welche Strategie Sie einsetzen, um eine Fähigkeit zu vermitteln, Sie werden dann erfolgreicher sein, wenn Sie die folgenden beiden Zitate im Hinterkopf behalten.
„Kennen Sie es oder können Sie es?“ – Boris Grundl
„Es ist nicht genug zu wissen, man muss es auch anwenden. Es ist nicht genug zu wollen, man muss es auch tun.“ – Johann Wolfgang von Goethe
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