Meta-Modell – Verzerrung

Verzerrung haben den schon erwähnten starken Bezug zu der Vorannahme „Die Landkarte ist nicht die Realität“. Dies ist speziell im Projektumfeld der Fall, wenn Stakeholder in Veränderungsprojekten gewollt oder ungewollt nur einen Teil der verfügbaren Informationen erhalten. Die Stakeholder ergänzen dann das erhaltene „Bild“ durch eigene Informationen, die sie ihrem eigenen Erfahrungshintergrund oder dem von Dritten entnehmen. Dieser Vorgang läuft mehr oder weniger unkontrolliert ab, die Ergebnisse entsprechen dann mehr oder weniger stark dem „Bild“, das eigentlich vermittelt werden sollte.

Viele der unten aufgeführten Beispiele enthalten mehrere verschiedene Wahrnehmungsfilter, es werden meist nur die für das jeweilige Beispiel relevanten Filter genannt.

Es werden die folgenden Arten von Verzerrungen unterschieden (schon diese Aussage enthält drei Verzerrungen. Überlegen Sie mal! Die Auflösung finden Sie am Ende des Artikels).

  • Nominalisierungen: Dabei werden Vorgänge, Aktivitäten oder Handlungen in Form von Objekten verwendet. Dabei gehen Informationen verloren oder werden verfälscht. Nominalisierungen treten z.B. im Bereich von Leistungsmerkmalen auf, speziell bei Dienstleistungen. „Kundendienst“ ist beispielsweise eine Nominalisierung, die hier einen nicht näher beschriebenen Vorgang bezeichnet. Nominalisierungen enthalten oft auch Tilgungsaspekte.
  • Vorannahmen: Bei Vorannahmen werden bestimmte Zustände als gegeben oder wahr vorausgesetzt, ohne dass diese überhaupt explizit aus- oder angesprochen werden. „Wir machen jetzt Fortschritte im Projekt.“ Das kann bedeuten (muss aber nicht), dass es vorher keinen oder weniger Fortschritt gab.
  • Ursache-Wirkungsbeziehungen: Durch diese Art von Verzerrungen werden Kausalbeziehungen konstruiert, die in der Realität so gar nicht vorhanden sind. „Wir können dieses Risiko nicht eingehen.“ Das Vorhandensein eines Risikos (Ursache) hat nicht notwendigerweise die Folge, dass etwas dagegen getan werden muss. Dies ist in der Regel erst die Folge einer Risikoanalyse mit einer Kosten-Nutzen-Abschätzung. NB: Hier ist auch die Vorannahme enthalten, dass es überhaupt ein Risiko gibt.
  • Komplexe Äquivalenz: Hier werden zwei unabhängige Aussagen miteinander verknüpft, sodass sie für gleichbedeutend gehalten werden, obwohl dies in der Realität nicht der Fall ist. „Die Budgetanpassung wird die Qualität verschlechtern.“ Grundsätzlich hat das Projektbudget erstmal nichts mit der Qualität zu tun. In dieser Aussage steckt z.B. wahrscheinlich auch die Vorannahme, dass das Budget gesenkt wird (und die Tilgung des Ausgangs- und Endwerts). Der Übergang von komplexen Äquivalenzen zu Ursache-Wirkungsbeziehungen ist in der Regel fließend. Komplexe Äquivalenzen können im Projektmanagement beispielsweise bei Zielbeziehungen bestehen. Konkurrierende oder unterstützende Ziele können komplexe Äquivalenzen sein, die es zu hinterfragen gilt (hier gibt es dann keine gerichteten Ursache-Wirkungsbeziehungen).
  • Gedankenlesen: Mit Gedankenlesen werden Annahmen bezeichnet, für die grundsätzlich erstmal keine belegbaren Aussagen existieren. „Der neue Projektleiter sollte doch wissen, dass das nicht funktioniert.“ Projektleiter sind zwar idealerweise von ihrem Knowhow sehr breit aufgestellt sein, Gedankenlesen zählt (noch) nicht zum Standard ;-)
  • Verlorener Performativ: Bei diesen Verzerrungen werden Aussagen als Tatsachen in den Raum gestellt, für die es keine Informationen über die Herkunft gibt. „Das Wetter wird schön.“ In diese Art der Verzerrungen fallen sehr oft Gerüchte, der sogenannte Flurfunk.

Weitere Beispiele von Verzerrungen und mögliche Rückfragen

  • „Das geht so nicht“
    Verlorener Performativ und unspezifisches Verb (Tilgung)
    „Wer sagt das?“
    „Woher wissen Sie das?“
    Unspezifisches Verb
    „Was bedeutet ‚geht nicht‘?“
  • „XY wird das nicht gefallen“
    Gedankenlesen
    „Woher wissen Sie das?“
  • „Wenn das Projekt erfolgreich wäre, hätten wir davon schon erfahren.“
    Komplexe Äquivalenz
    Der Erfolg eines Projekt hat in der Regel nichts mit seinem Bekanntheitsgrad zu tun und umgekehrt.
  • „Wenn dieses Projekt nicht genehmigt wird, wird die Mitarbeiterfluktuation steigen.“
    Ursache-Wirkungsbeziehung
    Die Projektgenehmigung ist normalerweise ohne Auswirkung auf die Mitarbeiterfluktuation, zumindest keine alleinige Ursache dafür.
  • „Das können wir nicht machen“
    Verlorener Performativ
    „Wer sagt das?“
    Modaloperator 'nicht können‘, unspezifisches Verb ‚machen‘
    „Was bedeutet ‚Wir können das nicht machen‘?“
    „Was sind die Folgen?“
  • „Wir müssen die Risiken reduzieren.“
    Vorannahme
    Es gibt überhaupt Risiken und diese sind (vermutlich) auch bekannt.
    Modaloperator ‚müssen‘
    „Was passiert, wenn wir es nicht tun?“
  • „Projekt“
    Nominalisierung
    Der Begriff „Projekt“ ist sicherlich eine der umfassendsten Nominalisierung, die existieren. Die Prozesse, die darin enthalten sind, umfassen das Management des Projekts mit all seinen Aspekten der Planung, der Steuerung, der Kommunikation mit Stakeholdern, dazu dann „noch“ die eigentliche Durchführung und die Arbeit im Projekt.

Verzerrungen treten wie die anderen Wahrnehmungsfilter des Meta-Modells der Sprache in allen Kommunikationssituationen auf. Besonders bei Konflikten kommt es sehr schnell zu Verzerrungen, die dann zu Missverständnissen führen. Dadurch kann es leicht zu Teufelskreisen zwischen Missverständnissen und weiteren Verzerrungen kommen, die dann in Eskalationsspiralen enden. Das Hinterfragen von Verzerrungen wie auch der anderen Wahrnehmungsfilter kann diese Spiralen und Teufelskreise durchbrechen.

Auflösung zu „Es werden die folgenden Arten von Verzerrungen unterschieden.“:

  • Verlorener Perfomativ: Wer unterscheidet die verschiedenen Verzerrung? Wer hat sie definiert?
  • Vorannahme: Es müssen überhaupt mehrere Verzerrungen existieren, um sie zu unterscheiden.
  • Nominalisierung: Die Verzerrung ist ein Vorgang, die als greifbares Objekt so nicht existiert.

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