Warum es keinen Lean Guide gibt

Lean Guide

Der Impuls zu diesem Beitrag ist aus einem LinkedIn-Posting entstanden, in dem der Scrum Guide 2020 vorgestellt und dabei auch erwähnt wurde, dass im 2020-Guide Lean Thinking als Basis von Scrum genannt wird und das wiederum auf Training Within Industry zurückgeht. In dem Posting wurde auch bedauert, dass es keinen vergleichbaren Lean Guide gibt und wenn dann nur die TWI-Trainingshandbücher dafür in Frage kommen würden. [1]

Auf dieser Basis habe ich mir also Gedanken gemacht, warum das so ist (dass es keinen Lean Guide gibt) und welche Konsequenzen sich daraus ergeben.

Als Ausgangspunkt habe ich dazu den Scrum Guide in seinen Grundzügen betrachtet und Parallelen zu Lean gezogen. Dabei möchte ich zum Start auch betonen, dass ich definitiv kein Scrum-Fachmann bin, deshalb auf Scrum eine eher einfache Sicht pflege und ihm nicht in allen Nuancen gerecht werden kann und will.

Scrum wird nicht als Methodik bzw. Anleitung betrachtet, sondern ein Framework, das unternehmensunabhängig angelegt ist und die Optionen hat, auf die entsprechende Organisation angepasst zu werden. Dieses Framework verfolgt aber in meinen Augen im Kern auch den Ansatz eines Werkzeugkastens, dessen Bestandteile wiederum einen methodischen Hintergrund haben, der auf einem gewissen Mindset aufbaut.

Dass der methodische Rahmen eine wichtige Rolle spielt, kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass scrum.org eine Trainingsorganisation darstellt, die indirekt auch entsprechende Zertifizierungen anbietet. In meinem Weltbild können keine Trainings- und Zertifizierungskonzepte existieren, die nicht auf einer Methodik aufsetzen (wie sollte sonst eine Zertifizierung objektiv durchgeführt und überprüft werden).

Das Scrum-Einsatzszenario beschränkt sich dabei auf die relativ kleine und abgeschlossene Einheit des Scrum-Teams (nach der 2020-Version bestehend aus Scrum Master, Product Owner und Entwickler, typischerweise insgesamt etwa zehn Personen). Ziel dieses Teams ist die Erstellung eines Produkts. Darüberhinaus bleibt der Scrum Guide sehr vage in seinen Aussagen über die Einbettung des Scrum-Teams in eine mögliche übergeordnete Unternehmensorganisation. Ähnliches gilt für den Fall, dass der Produktumfang (aus Kundensicht) die genannte Gruppengröße übersteigt.

Lean trifft dagegen keinerlei Annahmen und macht auch keine Vorgaben zur Größe der entsprechenden Organisation. Die einzige Aussage, die sich vergleichbar hier machen lässt, ist die Empfehlung zu einer Führungsspanne, speziell auf der untersten Ebene, die nicht über zehn liegen sollte.

Zum Verständnis von Scrum sollte man in meinen Augen auch seine Herkunft und den Hintergrund der Autoren Ken Schwaber und Jeff Sutherland im algorithmisch-geprägten Kontext der Software-Entwicklung berücksichtigen. Dazu gehört bspw. in der Regel auch ein damit verbundener, relativ hoher organisatorisch-persönlicher Reifegrad innerhalb des Scrum-Teams, der typischerweise auf den zugrundeliegenden akademischen Ausbildungen des Scrum Teams basiert. Dies steht in der Regel im Kontrast zur Herkunft von Lean in klassischen Produktionsbereichen. Trotzdem spielt die Weiterentwicklung der Mitarbeiter in beiden Fällen eine zentrale Rolle, was auch umgekehrt keinen Widerspruch zum Reifegrad des Scrum-Teams darstellt.

Lean ist dabei im Kern ein Modell für etwas, das von außen bei Toyota beobachtet und tw. interpretiert wurde (was jedes Modell mit sich bringt). Der Ausgangspunkt waren dabei die erkennbaren wirtschaftlichen Erfolge von Toyota. Diese wurden dann von außen versucht zu modellieren und damit reproduzierbar zu machen. [3]

Grundsätzliche Elemente des Scrum Guides mit entsprechenden Komponenten bzw. Ausprägungen sind –

  • Definition
  • Scrum definiert sich dabei als ein Umfeld, das ein Scrum Master pflegt, in dem

    1. ein Product Owner Arbeiten an einem komplexen Problem in ein Product Backlog beauftragt,
    2. das Scrum Team eine Auswahl dieser Arbeiten im wertschöpfenden Inkrement eines Sprints umsetzt,
    3. das Scrum Team und seine Stakeholder die Ergebnisse überprüfen und für den nächsten Sprint anpassen
    4. und diese Schritte laufend wiederholen.

    Im Lean Kontext kommt ein vergleichbarer Zyklus in der Verbesserungs-Kata aus Mike Rothers Toyota Kata zum Ausdruck. [4] Im gleichen Zusammenhang existieren eine Vielzahl von Definitionen von Lean. Persönlich gefällt hier auch Mike Rothers Aussage am besten, die es so ausdrückt: „Lean is the constant struggle to better flow value to each customer.“ Eine „etwas“ umfangreiche Definition geben Modig und Åhlström in ihrem Buch „Das ist Lean“, in dem sie Lean auf drei Ebenen betrachten. [5]

    „Entweder wir finden einen Weg, oder wir machen einen.“

    – Hannibal

  • Theorie– Transparenz, Überprüfung, Adaption
  • Werte – Verbindlichkeit, Fokus, Offenheit, Respect, Mut
  • Am ehesten kommen diese Komponenten vergleichbar in den Lean Prinzipien zum Ausdruck.

    • Definition des Werts aus Kundensicht
    • Verständnis für den Wertstrom
    • Umsetzung des Flussprinzips
    • Einführung des Pull-Prinzips
    • Streben nach Perfektion
    • Respekt für den Menschen
  • Team – Scrum Master, Product Owner, Developer
  • Im personellen Kontext gibt es bei Lean keine Äquivalente, die ähnlich dezidierte Rollen und Aufgaben beschreiben und parallel zu einer klassischen Organisationsform wirken. Am ehesten kommt der Führungskraft die Coaching-Rolle zu, wenn man die Coaching-Kata heranzieht. Diese hat allerdings (noch) nicht die Verbreitung gefunden, wie die immanente Rolle des Scrum-Masters.

  • Ereignisse – Sprint, Sprint Planning, Daily Scrum, Sprint Review, Sprint Retrospective
  • Wenn überhaupt finden sich in den vier Phasen des PDCA-Zyklus ansatzweise ähnliche zeitlich-/ablauforientierte Strukturen im Lean Kontext. Diese haben haben jedoch in meinen Augen keine ähnlich stark bindende Orientierung in der Wertschöpfung. Während in den Scrum-Ereignisse die Wertschöpfung in Projekten auf Basis des Scrum-Frameworks stattfindet, dient der PDCA-Zyklus „nur“ der begleitenden Verbesserung der wertschöpfenden und unterstützenden Ablaufstrukturen in Wertströmen und Prozessen, trägt aber selbst nicht zur eigentlichen Wertschöpfung bei.

  • Artefakte – Product Backlog, Sprint Backlog, Increment
  • Die drei Artefakte haben im Lean Kontext keine vergleichbaren Äquivalente. Am ehesten lassen sie sich noch mit den Bestandteilen eines A3-Formulars oder den Formularen der Toyota-Kata vergleichen.

Auf Basis dieser Gegenüberstellung wird für mich klar, dass es aufgrund der deutlich größeren Mächtigkeit von Lean gegenüber Scrum keinen vergleichbaren Lean Guide geben kann, der Lean in seiner Vielfalt und spezifischen Ausprägung gerecht werden können. Wenn überhaupt müsste man vermutlich auch eine Zeitreise in die 1950er-Jahre machen und in diesem Zeitraum etwas vergleichbares schaffen. Am ehesten kommt in meinen Augen das Modell der Toyota-Kata in einem vergleichbaren Abstraktionsniveau einer ähnlichen Bedeutung nahe.

Die eingangs erwähnten Trainingsdokumente des TWI haben einen viel zu spezifischen Charakter eines Handlungsleitfadens, um die vergleichbare Funktion eines universellen Lean Guides zu übernehmen. Sie stellen zwar eine wichtige Grundlage für Lean dar, haben aber eher die Bedeutung des Lean Thinking für Scrum nach dem Scrum Guide 2020, sind dabei aber gravierend deutlicher methodisch angelegt, wie es der Scrum Guide für Scrum gerade nicht sein will (aber wie eingangs dargestellt meiner Meinung nach trotzdem ist). Trotzdem können sie (die Job Trainings) natürlich auch heute noch im Rahmen einer Lean Einführung eine wichtige initiale Rolle spielen und dabei auch kulturelle Veränderungen unterstützen.

Ohne den parallelen oder etwas nachfolgenden Einsatz der zahlreichen klassischen Lean Methoden und Werkzeuge und das notwendige Erlernen derselben wird man jedoch immer hinter den Möglichkeiten zurückbleiben. So wie ein guter Handwerker mehr als der bloße Einsatz der Werkzeuge ist, wird es aber auch nie einen guten Handwerker geben, der nicht auch die Werkzeuge beherrscht.[6]

Wenn Sie wissen möchten, wie die Job Trainingsmodule des TWI einen Einstieg ins Lean Management darstellen können, nehmen Sie gerne Kontakt mit mir über dieses Formular auf oder greifen Sie einfach zum Telefon und rufen Sie mich unter 0171-7342717 an.

Falls die Umstände für Sie aktuell eine Kontaktaufnahme verhindern, legen Sie sich doch eine Wiedervorlage an.

[1] https://www.teamworkblog.de/2020/11/scrum-basiert-auf-lean-thinking.html
[2] https://www.scrumguides.org/download.html
[3] Modellierung (NLP)
[4] Mike Rother: Toyota Kata
[5] Niklas Modig, Pär Åhlström: Das ist Lean
[6] Blog-Artikel zu Werkzeugen

Frage: Welche Anleitungen nutzen Sie für Lean in Ihrem Verantwortungsbereich? Wo fehlen Ihnen dabei Informationen zur Umsetzung? Wie füllen Sie mögliche Lücken auf dieser Ebene?

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