Ziele vs. Systeme

Systeme

Im Lean-Kontext und darüberhinaus geht es oft (unbewusst) um den Unterschied zwischen Zielen und Systemen. Wenn man sich mit dieser Fragestellung gezielt (!) beschäftigt, lohnt es sich typischerweise, sich erstmal Klarheit über die beiden Begriffe zu verschaffen (im Sinn einer guten Problemdefinition).

Ziele sind wichtige Meilensteine, die ein Unternehmen erreichen möchte, wie z.B. die Reduzierung von Verschwendung, die Steigerung der Produktqualität oder die Senkung der Produktionskosten. Sie leiten sich in der Regel aus der Unternehmensvision ab und sind ein Teil der Strategie, um danach zu streben. In der Kombination mit Zielen werden auch Kriterien wie SMART (Specific, Measurable, Achievable/Attractive, Relevant, Time-bound) genannt. Im Lean-Kontext sollten Ziele einen Bezug zu den Lean-Prinzipien, zu allererst und vor allem zur Kundenorientierung.

Systeme sind die Prozesse, Routinen und Strukturen, die in einem Unternehmen implementiert sind, um diese Ziele zu erreichen. Im Lean-Ansatz liegt der Fokus oft darauf, starke Systeme zu schaffen, die kontinuierliche Verbesserungen ermöglichen und die Zielerreichung unterstützen.

Der Schlüssel liegt darin, dass das System oft wichtiger ist als das Ziel selbst. Ein effektives System kann dazu beitragen, dass Ziele nachhaltig erreicht werden, während ein schlechtes System selbst die besten Ziele unerreichbar machen kann. Im Lean-Kontext bedeutet das auch, dass ein gut gestaltetes System, das kontinuierliche Verbesserungen ermöglicht, langfristig zu besseren Ergebnissen führt als die bloße Fixierung auf kurzfristige Ziele.

Das gilt dann auch für die Mitwirkung der Menschen in diesen Systemen. Auch da überlagert die „Kraft“ des Systems die individuelle Ausprägung von Kompetenzen und Fähigkeiten der Menschen. D.h. ich kann als Individuum noch so „stark“ sein, ich werde gegen das System immer den Kürzeren ziehen. In dieser Beziehung sollte man sich auch bewusst sein, dass die vielbeschworene Kultur (in allen Facetten wie Führungs~, Fehler~, …) auch ein Teil des Systems ist, selbst wenn sie nicht so greifbar in Erscheinung tritt wie Prozesse, Routinen und Strukturen.

„Je komplexer ein System wird, desto näher steht es dem Chaos.“

– Philip Kerr

Die Wechselwirkung zwischen Zielen und Systemen kommt in meinen Augen auch drin zum Ausdruck, dass Mike Rother in seinem Modell der Toyota Kata nicht bloß von Zielen, sondern von Ziel-Zuständen spricht.

Obwohl man hinter dem Begriff des Zustands eher etwas statisches vermuten könnte, steckt da doch auch die Art und Weise drin, wie das Ziel erreicht wird, also wie die Prozesse, Routinen, Strukturen (und die Kultur), also wieder das System.

Und wenn man sich jetzt bewusst macht, dass es oberhalb eines Systems immer nur weitere umfassendere Systeme gibt (der NLPler spricht hier vom Chunking-up), wird auch klar, welche Kraft letztlich im Lean-Kontext daraus entsteht, wenn man sich bei der Anwendung eben nicht bloß auf Methoden und Werkzeuge beschränkt, sondern eben immer das System in all seinen Facetten im Blick hat.

Das gilt dann unter anderen Blickwinkeln auch, wenn man sich mit Automatisierung oder Digitalisierung beschäftigt und dabei nicht dem Trugschluss verfallen darf, dass diese ihren Selbstzweck haben, sondern auch immer Teil eines umfassenderen Systems sind. Und da meine ich das jetzt nicht bloß auf einer technischen Ebene, bspw. im Zusammenspiel zwischen Produktion, Logistik und IT, sondern eben auch im „Zusammenspiel“ mit den beteiligten (und betroffenen) Menschen.

Spätestens an dieser Stelle sollte man sich auch bewusst sein, dass Systeme eben nicht nur Maschinen sind (wie bspw. der Titel des Lean-Klassikers „The Machine that changed the World“ vermuten lassen könnte) und als solche auch nicht einfach bloß „gebaut“ werden können, so wie auch Lean-Transformationen nach einem festen Kochrezept weder in zwei Tagen noch in drei bis sechs Monaten möglich sind.

Das soll nicht bedeuten, dass diese Methoden und Werkzeuge an sich keinen Wert haben, aber man sollte keine Wunder aus der Anwendung erwarten (oder versprechen), sondern sie immer als Teil eines Gesamtkomplexes betrachten. Dabei habe ich jetzt den Begriff des „Komplexes“ ebenso bewusst gewählt wie „betrachten“ statt „verstehen“.

Dazu gehört dann auch die Frage, ob die Methoden und Werkzeuge Teil eines Systems oder eben bloß für die Ziele da sind.

Hilft das jetzt weiter? Wahrscheinlich bloß oder hoffentlich insofern, dass man damit evtl. dem ein oder anderen Lean-Schlangenöl entgeht. Und so ganz kann ich mich selbst davon nicht lösen oder freisprechen!

Frage: Welche Wechselwirkung zwischen Zielen und System ist Ihnen schon begegnet? Welche Konsequenzen haben sich daraus ergeben? Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus?

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