Kaizen 2 go 326 : Warum Lean auch in der IT eine Rolle spielt


 

Inhalt der Episode:

  • Kurzer Einstieg über den neuesten Scrum-Guide und dessen Referenz zu Lean
  • Wo steckt jetzt also in der IT überall Lean drin?
  • Lean ist nicht nur Prozess und Methode (vermeintlich nur kompliziert ala Cynefin), sondern eben auch vor allem Kultur
  • Deine Definition von Lean-Kultur
  • Welche Rolle kann die Toyota Kata in der IT spielen?
  • Warum sind diese Aspekte auch in der IT zunehmend wichtig?
  • Was kann ein IT-Leiter jetzt tun, wenn er aufgrund dieser Episode eine Erleuchtung hat?

Notizen zur Episode:


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(Teil)automatisiertes Transkript

Episode 326 : Warum Lean auch in der IT eine Rolle spielt

Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.

Götz Müller: Heute habe ich Thorsten Speil bei mir im Podcast-Gespräch, zum zweiten Mal schon, ein Stück weit in der Fortsetzung. Er ist Trainer bei der Maxpert IT-Management, Training und Beratung, ja, und wie schon ausgeführt, wir setzen ein Stück weit die Unterhaltung vom letzten Mal fort, aber erst mal herzlich willkommen, Thorsten, und stell dich noch mal kurz den Zuhörern vor, für die, die jetzt die letzte Episode nicht gehört haben.

Thorsten Speil: Ja, hallo Götz. Danke dir, schön unser Gespräch fortzusetzen und danke für die erneute Einladung. Du nimmst mir die Worte schon aus dem Mund quasi, also hast ja schon gesagt, wir haben neulich den Podcast schon miteinander gemacht, wo wir als Schwerpunkt zum Beispiel auch ITIL als Service-Management-Framework hatten, den Bezug zu Lean und der Produktion. Du hast auch schon gesagt, ich arbeite als Trainer bei der Maxpert. Von Haus aus bin ich Ingenieur und Business Master und habe in der Windkraft angefangen. Dann habe ich viel in der Energiewirtschaft weiter in verschiedenen Positionen gearbeitet und ein zweites Standbein im Bankfinanzbereich als Führungskraftberater, Projektmanager, Trainer und in der Regel von der fachlichen Seite aus viel mit den IT-Bereichen zusammengearbeitet und mit dem Management. Ja, das Gespräch neulich hatte ja den Blickwickelt, dass Lean der Produktion und dem Management eine Möglichkeit gibt, an der IT anzudocken und zu sagen „Mensch, wir haben da ja eine gemeinsame Plattform für ein einheitliches Managen, verbessern, steuern et cetera“ und da wollten wir heute noch ein bisschen anderen Dreh drauf machen, eine andere Sicht.

Götz Müller: Genau. Und der Gedanke war ja, warum spielt, und so auch der Titel der Episode, warum spielt Lean auch in der IT eine Rolle und da hattest du ja angedeutet und heute vertiefen wir das, dass an vielen Stellen eben der Begriff an sich einfach auftaucht und für mich jetzt als, in Anführungszeichen, Außenstehender, wo es mir das erste Mal begegnet ist, im aktuellen, obwohl der, glaube ich, auch schon wieder über ein Jahr alt ist, im aktuellen Scrum Guide ganz deutlich dieser Begriff drin ist und an vielen anderen Stellen auch noch und das werden wir ja heute machen und vielleicht zum Einstieg eben der Scrum Guide.

Thorsten Speil: Ja, können wir als Beispiel nehmen, ja. Scrum Guide ja, die aktuelle Version ist von 2020, von Schwaber und Sutherland und da steht eben gleich auf Seite 3 drin, ja, „Scrum is based on empiricism and lean thinking“, also in der deutschen Übersetzung, basiert auf Lean Prinzipien und da der Scrum Guide nur 14 Seiten lang ist, auf Englisch sogar nur 13, wird dann auch nicht mehr weiter drauf eingegangen. Also, ja, es wird gesagt, das ist eine Basis und die Prinzipien sind superwichtig, aber sie werden halt nicht weiter erläutert. Man findet dazu ein bisschen was dann auf scrum.org und so aber auch bei mir im Training, ja, wenn die Leute gerne den Scrum Master, die Zertifizierung ablegen wollen oder so und wir haben dann zwei oder drei Tage zum Beispiel Zeit, uns die Methode anzugucken und ein bisschen Fleisch an den Knochen zu bringen, dann versuche ich auch schon immer ein bisschen dort einzuflechten, was ist denn dieser Begriff Lean, wo kommt der her, warum ist der Begriff an sich vielleicht schon mal gar nicht so ideal, was steckt da drin und warum haben die das in den Scrum Guide mit reingenommen. Aber dafür habe ich natürlich in so einem Training gar nicht sehr viel Zeit und ich kenne viele andere Trainings, wo die Trainer selber gar nicht viel über Lean wissen und deshalb das auch gar nicht vermitteln können, was sehr schade ist.

Götz Müller: Ja, wobei ich zwei Dinge bemerkenswert finde: a) du hast, man könnte es vielleicht, im Sinne von fast abwertend, auch wenn es nicht unbedingt deine Intention war, aber es ist „nur“ dieser Begriff, ich glaube, so hast du dich ausgedrückt, es ist nur dieser Begriff, finde ich bei 13 Seiten nicht weiter schlimm, es wäre fast eine Überhöhung, wenn man da jetzt eine halbe Seite dazu schreiben würde. Was ich aber noch spannender finde ist, dass eben der Begriff Lean Thinking, also Lean-Denken, verwendet wird, anders wie jetzt vielleicht sonst, wenn man mehr als Lean sagt, dann verwendet man oft den Begriff „Lean Management“. Wenn man sich jetzt nicht auf Produktion vertiefen will, dann sagt man vielleicht Lean Production oder Lean Service, wenn man es halt auf einen bestimmten, wenn man einen bestimmten Schwerpunkt setzen will, aber dass halt dieser Thinking-Begriff verwendet wird, finde ich sehr spannend.

Thorsten Speil: Ja, das finde ich auch interessant, dass du darauf noch mal hindeutest, dass das stimmt und das löst dann ähnliche Gedanken aus. Mir ist in letzter Zeit häufiger mal so der Begriff „gutes Lean“ und „schlechtes Lean“ untergekommen und genauso gibt es ja auch „gutes Agile“ und „schlechtes Agile“ und dieses, diesen verkürzten Satz „Machst du agile Methoden oder lebst du sie?“ quasi, auf Englisch, geht das besser „doing agile“ versus „being agile“, ja, und da steckt auch das mit dem Thinking dahinter. Wenn ich entweder Scrum oder Lean oder was auch immer nur als so eine Methoden- und Tool-Sammlung sehe, die mir irgendwie großartige Gewinne bringen wird und Verbesserungen, wenn ich diese Tools anwende, dann wird es halt nichts werden und wenn im Scrum Guide Lean Thinking hingegen als Basis genannt wird, dann ist das für mich sehr stark dieser Gedanke von „being agile“ statt „doing agile“.

Götz Müller: Ja, das finde ich jetzt unheimlich spannend, weil gerade heute habe ich einen Artikel gelesen, wo es durch die Lean-Brille auch um dieses „doing“ und „being“ geht und ich mir dann da nicht verkneifen konnte zu sagen, „Aber Vorsicht, bitte nicht Lean als Zustand betrachten“, im Sinne von „being“, weil im Anblick, wo ich ja den, und ich vermute mal ganz stark, dass du das für den agilen Kontext genauso siehst, weil in dem Augenblick, wo man ja glaubt, man sei es, hat man ja schon verloren.

Thorsten Speil: Ja, genau. Es ist ja auch wieder einer der Lean-Ansätze zu sagen, ständiges Hinterfragen gehört wesentlich mit dazu. Sobald du aufhörst zu hinterfragen, wie du es noch besser machen könntest oder ob deine Vorgehensweisen, Haltungen, Handlung, Denken, ob die gerade zum Kontext passt, dann, genau, dann fällst du aus dem, was Lean eigentlich will, raus.

Götz Müller: Ja, weil halt dieser Antrieb nach weiterer Verbesserung in dem Anblick, wo ich etwas bin, ja, warum soll ich dann noch weiter etwas tun. Ich meine, im Grunde ist ja die Schlussfolgerung verständlich, aber ist halt tödlich für die Weiterentwicklung.

Thorsten Speil: Ja, genau. Also es braucht beides sozusagen. Aber ich glaube, es wird den meisten Leuten klar, was so die, was so die Intention ist, hinter dem Gegensatz „being“ versus „doing“. Ich meine von Kästner kommt ja die alte Formulierung auch „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“, aber es ist immer noch eine Frage, mit welcher Intention tut man etwas. Klar, wenn ich nichts tue, dann passiert auch nichts. Auf der anderen Seite, wenn ich Dinge nur mechanisch, quasi mechanistisch tue, ohne dass es angepasst ist und an einen Sinn und an den Kontext, dann bringt es halt auch nicht die Ergebnisse, die ich will.

Götz Müller: Ja, gut. Jetzt sind wir über den Scrum Guide eingestiegen, aber wir würden die Episode wahrscheinlich schon fast beendet haben, wenn das alles wäre. Deshalb vielleicht mal dieser Rundumschlag als jemand, der sehr dicht in der IT drin ist, dort eben Trainings macht, wo begegnet dir das Thema Lean in der IT, sprich in den, ja, wie soll man es ausdrücken, in den diversen Standards, nennen wir es mal so allgemein, die da, ja, eine Rolle spielen?

Thorsten Speil: Ja, das ist ja zum Glück eine dankbare Frage, weil das ein bisschen so ist wie mit diesen Evolutionsstammbäumen. Die kennt man doch irgendwie, welche häufigen Tiere, also die Säugetiere, aus welchem Vorläufer haben die sich mal entwickelt und wie weit sind die Verwandten mit anderen Vorläufertieren, so ist das mit den agilen Ansätzen eigentlich auch. So der Stammvater quasi ist überall im wesentlichen Lean. Also wenn du mich fragst, wo in der IT überall Lean drinsteckt, könnte man ketzerisch auch Fragen, wieso Lean in der IT? Wir versuchen doch jetzt agil zu arbeiten. Lean, ist das nicht etwas von gestern? Also was interessiert uns in der IT denn eigentlich Lean? Das zeigt dann, was auch meine Erfahrung in vielen Unternehmen ist. Die Leute haben sich noch nicht damit beschäftigt, dann kann ich das natürlich auch nicht einschätzen. Und wenn Lean im Rest des Unternehmens überhaupt ein Thema ist, ja, oft habe ich da ja niemanden im ganzen Unternehmen, der sich mal mit Lean beschäftigt hat, und wir wollen heute ein bisschen beleuchten, warum das nicht nur aktuell und sinnvoll ist, sondern meine These ist, ein Lean-Verständnis ist die Basis dafür, dass agile Ansätze überhaupt gelingen können, das steckt in jedem agilen Framework an x zentralen Stellen mit drin, erzähle ich gleich mal exemplarisch, weil die Entwickler dieser agilen Frameworks nämlich alle sehr fit in Lean sind, oder in ihrem jeweiligen Verständnis von Lean, ja. Also wissen wir beide ja auch, wie sehr unterschiedlich auch das Verständnis von Lean sein kann. Okay. Viele Unternehmen beschäftigen sich mit Ansätzen wie Scrum, SAFe, DevOps und wenn es dumm läuft beschäftigt sich eben nur die IT damit, mit dieser Agilität und da fängt es schon an. Wenn ich dann Leute frage, was Agilität ist, dann gibt es bisher in keinem Unternehmen mit dem ich gesprochen habe, eine gemeinsame Vorstellung, die so richtig aktiv diskutiert wurde und gelebt wird. Das ist so, um den Produktionsbezug herzustellen, als wäre ich Automobilzulieferer und würde sagen: „Fahrzeuge sind für uns das Wichtigste, unsere Zukunft liegt in Fahrzeugen, jeder bei uns weiß doch was ein Fahrzeug ist. Das ist doch nicht so schwer, also geht an die Arbeit, macht tolle Fahrzeugteile.“ Okay, und woher kommen die agilen Ansätze? Als sich die IT entwickelt hat, Softwareentwicklung, Computertechnik, Netzwerke und so weiter, da waren viele Entwickler, Techniker und so weiter enttäuscht von den Methoden, die es gab und haben nach besseren gesucht, effizienteren, schnelleren, flexibleren und auf Grundprinzipien, die einfach funktionieren, die logisch sind, die sich bewährt haben und haben alle die guten Ansätze von Lean genommen und auf Software und IT angepasst. Alle berufen sich auf die 5 Lean-Prinzipien, auf Wertströme, auf kurze Lernzyklen, das berühmte agile, iterative Arbeiten, schnell lernen, Visualisierung von Arbeit, also Kanban-Elemente. Wir können ja einfach mal in eins der Frameworks reingehen, zum Beispiel Scaled Agile Framework, das SAFe-Framework ist im Moment so ein sehr, sehr populäreres. Da gibt es jede Menge Unternehmen, die sich dafür interessieren, die Trainings dafür buchen und hoffen, dass dann das ganze Unternehmen dadurch schneller, agiler wird. Und da gibt es die offizielle Webseite scaledagileframework.com, die kann man einfach so ohne Anmeldung angucken. Da findest du dann unglaublich viele Begriffe, das ist schon ziemlich erschlagend erstmal. Ganz unten in der Basis ist das erste Icon, das heißt Lean Agile Mindset. Die wichtigste Disziplin, die sie auch aufführen von sieben Disziplinen, wo sie sagen „Das brauchst du, um als Unternehmen agil zu sein“, heißt Lean Agile Leadership. Und da gibt es dann ein zweites grundlegendes Icon, das sind die 4 Core Values, also die Grundwerte, wenn ich da reingucke, die heißen Alignment, Transparenz, Ausrichtung, Transparenz, Respekt für Menschen und unnachgiebige Verbesserungen. Na Götz, kommen uns die beiden letzten bekannt vor?

Götz Müller: Wollte ich gerade sagen. Ja.

Thorsten Speil: Da gab es doch mal dieses Haus, dieses Lean-Haus mit den zwei Säulen und genau das ist das und wenn ich dann weiter gucke, auf der Teamebene, sehe ich sofort Kanban-Boards zur Visualisierung der Arbeit und Fluss, definieren sie 8 Flussbeschleuniger. Was kann ich tun, um den Arbeitsfluss zu beschleunigen. Ein Kanban habe ich dann auch auf der Ebene des Teams of Teams. Also wenn 10 Teams am selben Produkt entwickeln, also skaliert arbeiten, dann nennt SAFe das ein Release Train und dann hat dieser Release Train auch eine Art Backlog. Wenn ich noch ein Portfoliomanagement draufsetze, dann habe ich da plötzlich Lean-Portfolio-Management mit Lean-Budget-Prozessen und einem Portfolio-Kanban. Also es ist wirklich komplett durchgezogen, die ganze Arbeit dieses Release Trains wird um den Wertstrom herum organisiert, es wird zwischen den Entwicklungswertströmen und den operativen Wertströmen unterschieden. Also ich finde es da wirklich an allen Stellen, nur mal als ein Framework.

Götz Müller: Was mir jetzt gerade durch den Kopf geht bei deiner Aufzählung, wo ja zum Teil methodisch Werkzeugelemente drinstecken und da mal deine Meinung dazu, ich meine, im klassischen Lean-Kontext gibt es gibt so etwas Ähnliches ja auch, Kanban zum Beispiel oder 5S, um mal so einen weiteren Klassiker zu nennen, und was da ja ganz oft passiert ist, dass es halt so ein Methoden-Rundumschlag, Werkzeug-Rundumschlag wird und dann eben viele Dinge untergehen und jetzt mal da deine Erfahrung abgefragt, besteht im IT, ich nenne es jetzt mal IT-Kontext, besteht da eine ähnliche Gefahr, dass aufgrund dieser vielen und das finde ich dann eben die Stärke am Scrum Guide, diese Reduktion auf das, in Anführungszeichen, Minimum, besteht so eine ähnliche Gefahr da im agilen Kontext auch, dass man sich viel zu sehr auf Methoden und Werkzeuge konzentriert und das große Bild deshalb, im Sinne von, Wald und Bäume, man das nicht unterscheiden kann.

Thorsten Speil: Absolut. Also das ist genau das Risiko, was auch in vielen Unternehmen passiert. Es wird halt geglaubt, wir schicken die Leute auf ein Training, das ist dann mein Part, hallo, ich kann dann auch noch Sparring machen und unterstützen und coachen und so weiter, aber jetzt nehmen wir mal nur ein Training, am besten sogar nur das Grundlagentraining, keine vertiefenden Trainings, ja und dann findet auch möglicherweise keine weitere Begleitung am Arbeitsplatz statt. Es gibt keine Community of Practice im Unternehmen, die sich dann weiter auch damit beschäftigt und im Prinzip das anpasst an das, wie das Unternehmen es eigentlich braucht, ja, und dann ist das so, wie eine Konservendose aufmachen, in der Mikrowelle erhitzen und so, das ist halt jetzt nicht hohe Küche. Ja, und das passiert absolut. Und eine weitere Gefahr sehe ich, und SAFe zeigt das jetzt ganz exemplarisch. Meine Güte, da sind ungefähr acht Methoden oder noch mehr sind eigentlich verbunden, die in sich auch gut zusammen funktionieren und wertvoll sein können, aber ich frage dann oft auch: Wie gut seid ihr denn überhaupt bisher in überhaupt einer dieser Ansätze? Wie agil, wie zufrieden seid ihr mit der Performance eurer Scrum-Teams oder eurer DevOps-Teams oder was auch immer, ist das schon richtig super? Oder wie stark sind da die Reibungsverluste mit dem Rest des Unternehmens? Und ich denke da auch immer so ein bisschen im Rucksack. Ja, also wenn ich agil sein will, dann möchte ich ja irgendwie schneller, wendiger und beweglicher sein. Und das ist für mich wie so ein Rucksack und in diesen Rucksack, da sind als Gewicht die ganzen Strukturen und Prozesse meines Unternehmens drin, die haben ein gewisses Gewicht. Wenn ich jetzt noch einen anderen Ansatz einführe, damit wir agiler werden, dann frage ich natürlich: „Aha, es soll besser werden, dann kann ich doch bestimmt irgendetwas aus dem bisherigen Rucksack raus tun. Also wir können bisherige Strukturen, Meetings, Freigabegeschichten und so doch bestimmt jetzt ablösen, die werden wir los, weil wir jetzt eine leichtgewichtigere und bessere Lösung gefunden haben?“ Und da ist es oft meist nicht so. Das heißt, die Unternehmen packen oft einfach noch eine Sedimentschicht mehr drauf, oder eine Bettdecke oder was auch immer, jedenfalls das Gewicht wird höher und damit laufe ich natürlich Gefahr, dass ich nicht mich verbessere, sondern dass alles nur noch mühseliger und noch administrativer wird.

Götz Müller: Ja, und ich hatte jetzt gerade das Bild mit dem Rucksack vor dem geistlichen Auge. Ich bin mir jetzt nicht ganz sicher, bei wem es auftaucht, ob es in dem Goldratt-Kontext ist.

Thorsten Speil: Ja, natürlich, klar, der kleine Junge. Ja, logisch.

Götz Müller: Der da den Rucksack auf hat und man kommt eher schneller voran, wenn man dem etwas aus dem Rucksack rausnimmt.

Thorsten Speil: Richtig, und das verteilt, sodass der nicht mehr der Bottleneck ist, der Engpass, sondern dass man dem das Leben am leichtesten macht. Das ist Goldratts Pfadfinderausflug-Beispiel in das Ziel, anhand dessen er Drum-Buffer-Rope, also das wesentliche Steuerungsprinzip, um mit Engpässen umzugehen, erläutert.

Götz Müller: Ja, und du hast einen ganz entscheidenden Satz gesagt, und da, glaube ich, ist eine weitere große Gemeinsamkeit. Es geht im Kern immer darum, es den Menschen einfacher zu machen. Und das wird mir halt durch einen rein methodischen, ja, Werkzeugansatz wird mir das nicht gelingen. Das wird mir auch nicht gelingen, wenn ich jetzt da irgendeine Art von Prozess darüberstülpe, sondern wenn es da oben, in den anderthalb Kilo graue Masse zwischen den Ohren halt irgendwie einfach mal Klick macht und es verstanden wird „Hey, Arbeit muss nicht Steine klopfen sein, Arbeit muss leicht sein, auch Denkarbeit“.

Thorsten Speil: Das ist total toll, ja. Ich habe jetzt in den letzten Tagen, bin ich irgendwo mal wieder so in die Paul-Akers-Ecke abgedriftet und habe mir ein paar Beispiel-Videochen von der Firma Sitting Matters aus Nordirland, die machen hochwertige Stühle und Transport-Gelegenheiten und so für den Krankenhaussektor und Ähnliches, eine mittelgroße Firma, und die haben Lean so richtig gefressen, auch im Bürobereich, das ist richtig toll, was die da machen und die Interviews mit den Mitarbeitern dort, die lauten auch eigentlich so „Wie stehst du zu Lean?“ und die Leute sagen blühen auf und sagen: „Lean finde ich klasse, denn Lean macht mir mein Leben leichter. Jeden Tag wird hier meine Arbeit ein bisschen leichter oder dasselbe, was ich gestern in 30 Minuten, wofür ich 30 Minuten brauchte, brauche ich jetzt nur noch 20 Minuten, weil uns etwas Cleveres eingefallen ist, wie wir das besser hinkriegen.“

Götz Müller: Ja, und eben ganz wichtig nur noch mal, um es zu betonen, dass nicht der eine oder andere das vielleicht doch falsch versteht. Es geht nicht darum, schneller zu trommeln oder schneller zu rudern, sondern die Ruder halt richtig ins Wasser zu kriegen, damit sie richtig Vorschub generieren.

Thorsten Speil: Ach, was haben wir hier für herrliche Bilder und Analogien, die wir heute alle bemühen. Sind alle richtig.

Götz Müller: Gut, also ich höre eben raus, es steckt eben, nehmen wir mal so einen abgegriffenen, nehmen wir mal so einen abgegriffenen Begriff, Kultur dahinter. Und jetzt noch mal nachgefragt, du bist ja einer, ich würde dich auch als einen Wanderer zwischen den Welten bezeichnen, was ist deine Definition von, ja, fangen wir mal mit Lean-Kultur an, aber ich glaube, wir können das Lean dann in Klammern setzen, weil der Kulturaspekt ist der zentrale?

Thorsten Speil: Okay, also eine Lean-Kultur folgt bestimmten Prinzipien, die auch offen gemacht werden und über die gesprochen wird, dass wir überprüfen können, ob wir die alle mitgehen wollen, ja. Also das Prinzip wäre, wir versuchen mit unseren Mitteln bestmöglich zu wirtschaften und wir wollen Profis sein, unser Handwerk wirklich beherrschen. Das heißt für mich unter anderem, wir sind fachlich sehr gut, wir streben aktiv danach, immer besser zu werden, alle Beteiligten, und ein Meister zu sein, bedeutet immer, andere dabei zu fördern, auch immer besser zu werden. Und da kann ich sofort die Brücke zum agilen Manifest schlagen, dass … die Überschrift oder die Einleitung zum agilen Manifest lautet „We are uncovering better ways of developing software by doing it and helping other others do it“. Okay, ein Meister geht planvoll, systematisch und effizient vor, kann das Handeln dann aber gut an verschiedene Anforderungen anpassen, bei allem, was wir tun, denken wir an den Kunden beziehungsweise Nutzer, ob das für die nützlich ist und natürlich auch, ob die bereit sind, dafür zu zahlen. Wenn wir das schaffen und am Kunden dranbleiben, dann kommt der Gewinn als Folge. Wir schaffen für alle Beteiligten so eine Umgebung, die Zusammenarbeit fördert und Ziele, Zahlen und Probleme klar macht, so dass wir sie angehen können und entsprechend, das wäre im Agilen das Prinzip der Transparenz, Transparenz als Grundlage dafür, dann möglichst gut handeln zu können und etwas sinnvoll verändern zu können. Und wenn die Arbeit und Arbeitsweise sinnvoll sind, dann ist Arbeit auch befriedigend und man kann stolz darauf sein. Das letzte, was mir dazu einfällt, ist, eine Lean-Kultur ist langfristig und nicht nur kurzfristig orientiert und bezieht auch die Grundlage der eigenen Wirtschaft mit ein, die Folgen für die Gemeinschaft und Umwelt.

Götz Müller: Ja, da kommen wir dann durchaus ja auch in so Aspekte wie Lean & Green rein, wo ich eben ressourcenschonend agiere, um es mal ganz plakativ auszudrücken. Also ich denke an der Stelle dann auch über das eigene menschliche Tun hinweg und denke darüber nach, was habe ich noch für andere Ressourcen und wie verbrauch ich die eben entsprechend. Was mir auch durch den Kopf ging, mit dem andere weiterentwickeln, im Sinne von, Teil der Führungsaufgabe meiner Ansicht nach, du hast es so nicht ausgedrückt, aber ich glaube, das steckt auch bei dir dahinter und da fällt mir persönlich halt immer wieder das Modell von Mike Rother, Toyota Kata, ein. Was würdest du sagen, ich habe immer so, korrigiere mich da gerne, ich habe immer so ein bisschen das Gefühl, dass dieser Entwicklungsaspekt, der ja ein Stück weit auf den Scrum Master, wenn ich jetzt mal so eine Rolle nehme, dem auf die Schulter gepackt wird, dass man ihn aber da, ich werde den Verdacht nicht los, dass man ihn als Einzelperson damit ein bisschen überfordert, speziell was das inhaltliche Wissen angeht, das methodische Scrum, klar, da ist er der, weil er ja auch die Ausbildung gemacht hat, aber er muss ja nicht der beste Programmierer sein, um mal irgendetwas zu nehmen und wie kann dann also diese fachliche Weiterentwicklung im IT-Kontext, wie auch sonst, das glaube ich eine ganz entscheidende Rolle spielt?

Thorsten Speil: Ja, also wenn wir den Bezug zu Lean wiederherstellen wollen, dann könnte der Scrum Master natürlich diese Mentor- Mentee-Rolle einnehmen, ja, also egal, ob das jetzt … Ein Scrum Master ist ja eine Führungskraft, nur halt nicht disziplinarisch und soll ja coachen und von daher eben auch helfen, dass das Team sich über Probleme bewusstwird und die auch angeht und nach guten Lösungswegen sucht oder eben Experimente auch startet, um gezielt Dinge zu verbessern. Das könnte von der Problemanalyse natürlich sehr gut zum Beispiel ein Ursachewirkungsdiagramm sein. Da kann ich auch Mike Rothers Kata nehmen als Grundlage, um gezielt Experimente zu starten und zum besseren Zielzustand hinzukommen. Ja, und wo ich das im IT-Kontext wirklich aktiv sehe und wiederfinde in einem Rahmenwerk, ist wieder mal ITIL, also das Service Management Framework. Da gibt es ein Vertiefungsmodul, das heißt High Velocity IT, und da sind genau diese Themen alle drin, ja, da wird relativ intensiv über Lean-Kultur gesprochen, über auch eine agile Kultur, über Merkmale von Lean und der Toyota Kata und der Bezug zum Continual-Improvement-Modell von ITIL, das wirklich die typische Charta mit ihren vier Schritten, fünf Fragen, wie sie Mike Rother jetzt so ein bisschen systematisiert dargestellt hat, ist da drin und wird erläutert als guter Weg, um systematisch bei Unsicherheit besser zu werden.

Götz Müller: Ja. Da jetzt noch mal nachgefragt, ist es wirklich eine, nennen wir es mal eine Anleihe, mit einem konkreten Bezug auf die Toyota Kata oder sind es, nur, in Anführungszeichen, vergleichbare Elemente, die dort völlig unabhängig …

Thorsten Speil: Nein, es ist tatsächlich genau der …

Götz Müller: … die sich dort so entwickelt haben?

Thorsten Speil: Mhm. Nein, es ist wirklich genau der Bezug. Also es wird die Toyota Kata genommen und empfohlen, dass das eine gute Möglichkeit ist, an Verbesserungsfragestellungen ranzugehen.

Götz Müller: Mhm. Ja, und dann höre ich eben auch raus, der Faktor Mensch, der da dahintersteckt, und wenn man noch einen Schritt weiter geht, eben die Organisation.

Thorsten Speil: Absolut, genau. Ja. Auch da, das kriege ich sogar schon, jetzt bin ich immer noch bei ITIL, ja, aber ITIL ist halt Betrieb von IT, nein, also ja kommt klassischerweise natürlich aus dem Betrieb von IT. Heute könntest du sagen, egal was für ein Servicemanagement du betreibst, geht es um den Betrieb dieser Services und deren Verbesserung. Und selbst in der ITIL Foundation wird schon darauf hingewiesen: Leute, kontinuierliche Verbesserung muss Bestandteil der täglichen Arbeit werden. Das sind nicht Dinge, die man ab und zu mal macht, wenn man zufällig mal ein bisschen Zeit hat oder wenn es besonders brennt oder so und macht das auch ganz klar zur Verantwortung des Managements und des Top Managements, mit der Aussage: „Wenn ihr es nicht vorlebt, wenn es euch nicht wichtig ist, dann wird es niemals Teil der täglichen Kultur werden.“

Götz Müller: Ja, und da kann man natürlich definitiv wieder die Gemeinsamkeit rauskehren, das ist im Lean-Kontext genauso, wenn ich es dort nicht vorlebe, wenn ich es dort nicht, ja, ein Stück weit wirklich zur Pflicht für die Vorgesetzten mache, wird es nicht funktionieren.

Thorsten Speil: Ja, genau. So ist es.

Götz Müller: Gut. Wenn wir jetzt, so ein bisschen den Bogen zum Schluss hin schlagen, dann eine Frage, die ich immer ganz gern stelle, jetzt hypothetisch mal angenommen, und du wirst wahrscheinlich die Episode dann auch in deinem, in deiner Blase noch ein bisschen stärker teilen, also sprich, wenn Zuhörer zum IT-Kontext Bezug haben, wenn da jetzt einer sagt und dem vielleicht eine Kerze aufgegangen ist „Aha, gute Sache“, ja, was wäre die Empfehlung für ihn?

Thorsten Speil: Ja, gut das mache ich gerne. Dein Bild von der Blase und so weiter hat jetzt bei mir getriggert, es gibt ja einige Physiker, die spekulieren, ob nicht wir in einer Art Blasenuniversum leben, auch wirklich physisch, also es gibt ganz viele Universitäten, die sich berühren und teilweise überschneiden oder so etwas, so ähnlich ist das ja mit den sozialen Medien auch, jeder hat so sein Blasenuniversum und man kann gucken, mit wem man sich überschneidet. Okay, und schade eigentlich, aber das ist zeitlich halt einfach nicht möglich, dass wir zum Beispiel DevOps, also Development and Operations, jetzt gar nicht mehr angesprochen hatten, auch ein sehr, sehr wichtiges und ganz nützliches Framework für alle, die sich mit der Entwicklung und dem Betrieb von Technologie und entsprechenden Geschäftspotenzial auseinandersetzen, egal ob als Techi oder als Manager, also ich pack ein bisschen was dazu, auch gerne in die Episoden Notes rein und komme auf deine Frage zurück. Also was könnte jetzt zum Beispiel ein IT-Leiter tun, wenn er das, er oder sie, das interessant findet. Also erstens hoffe ich das natürlich, es ist ja kein Unsinn, den wir hier jetzt einfach so mal nett besprechen, vielleicht wusste der IT-Leiter ja bisher nichts selbst über die Hintergründe von Lean, den Bezug zu den agilen Frameworks oder auch das ITIL in der aktuellen Version 4 hier sehr kompatibel ist, ein befreundeter IT-Manager hat mir zum Beispiel vor ein paar Wochen gesagt, dass dieser Wechsel von einem IT-Service-Management hin zu einem Enterprise-Service-Management für ihn das wirklich spannend macht, weil er endlich am ganzen Unternehmen andocken kann und nicht wieder nur der der IT-Fuzzi ist quasi, der IT-Bereichsleiter. Dann kann er oder sie entweder selbst ein bisschen zu den einzelnen Themen recherchieren, oder kontaktiert mich, dann kann ich auf Fragen gleich eingehen und auch auf weitere Ressourcen, auf Slideshare, YouTube etc. zum Einstieg hinweisen, natürlich Trainings anbieten, die passen, zu ITIL, zu agilen Methoden wie Scrum, SAFe, DevOps, zu Lean, das ist ja Teil des Spektrums von Maxpert und wenn ich das selbst nicht abdecken kann, dann Kollegen oder Berater wie du, die ich kenne und als Referenzen nennen kann. Ja, und als Rat oder als Bitte, bitte definitiv nicht delegieren, als Leiter oder Leiterin nicht das Thema unter sich delegieren. Das passiert viel zu oft und ist natürlich nachvollziehbar, wenn man viel zu tun hat, aber ohne eigenes Verständnis und Antrieb bei der IT Leitung oder bei der Unternehmensleitung kann so eine Veränderung nicht funktionieren. Da sind sich ja alle Berater und Autoren einig, ja. Und falls Lean im restlichen Unternehmen schon ein ernsthaft betriebenes Thema ist, dann kann sie oder er natürlich einfach mal Gespräche im Management mit den anderen Bereichen führen, nachdem er sich selbst eine Grundübersicht geschaffen hat.

Götz Müller: Genau. Einfach mal in die Produktion gehen.

Thorsten Speil: Genau, go to gemba. In dem Fall, geh auch mal an den Ort, wo die anderen ihre Leistung erbringen, Produktion, ja.

Götz Müller: Gut. Prima. Und das Thema DevOps, das greifen wir auf jeden Fall noch mal auf, da hatten wir ja auch schon in der ersten Episode einen starken Bezug dazu. Ich habe es insofern ein bisschen umschifft heute, weil es, glaube ich, sonst heute den Rahmen gesprengt hat, aber wir haben es beim letzten Mal schon festgestellt, dass das ein spannendes Thema ist, wo eventuell auch der Bogen zurückgeführt werden kann und sich aus dem Ding dann, ich will noch nicht zu viel verraten, was mir da schon durch den Kopf geht, in der dritten Episode zwischen uns, da freue ich mich jetzt schon drauf und für heute danke ich dir für deine Zeit.

Thorsten Speil: Sehr gerne. Ich wünsch dir noch einen schönen restlichen Tag.

Götz Müller: Das war die heutige Episode im Gespräch mit Thorsten Speil zum Thema Warum Lean auch in der IT eine Rolle spielt. Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 326.

Wenn Ihnen die Folge gefallen hat, freue ich mich über Ihre Bewertung bei iTunes. Sie geben damit auch anderen Lean-Interessierten die Chance, den Podcast zu entdecken.

Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.

Hinweis: Ich behalte mir vor, Kommentare zu löschen, die beleidigend sind oder nicht zum Thema gehören.