Was hat Lean mit Halloween zu tun (außer, dass es sich reimt)? – Ein paar Erörterungen aus der Sicht des Prozessoptimierers.
Die gute Nachricht vorneweg: Halloween ist ein perfektes Pull-Prinzip auf der Bedarfsseite. Einschränkend muss jedoch leider schon zu Beginn erwähnt werden, dass praktisch noch kein Unternehmen (inkl. beim Autors des Artikels) diesen Vorteil in seinem Geschäftsmodell angemessen nutzen konnte.
Aber erstmal zum besseren Verständnis ein paar Definitionen der Geschäftsbeziehungen
- Kunden: Merkwürdig gekleidete und geschminkte, meist in Rudeln auftretende Gestalten, klassisch im einstelligen bzw. sehr niedrigen zweistelligen Alter, oft mit eingeschränktem Kommunikationsrepertoire (“Süßes oder Saures”, “Trick or Treat” o.ä.).
- Unternehmen: Haus- bzw. Wohnungsinhaber, zu vorgeschrittener Abendstunde oft genervt, speziell wenn der Bedarf die Lagerkapazitäten übersteigt oder die Beschaffung gänzlich vergessen wurde und es dadurch zu “irritierendem” Kundenverhalten (s.u. Fehler/Defekte) kommt.
- Die Lieferanten bleiben in diesem Modell zur Vereinfachung weitgehend unberücksichtigt. Detaillierte Überlegungen sind einem weiteren Artikel vorbehalten. Stichwort: Füllen der Bedarfs- und Absatzlücke zwischen Ostern und Weihnachten.
Neben der guten Nachricht gibt es allerdings auch ein paar (mehr) schlechte Nachrichten
- Wie schon angedeutet, wird auf der Beschaffungsseite in der Regel trotz jahrzehntelanger Erfahrung mit dem Prozess immer noch ein reines Push-Prinzip implementiert. KVP-Anstrengungen haben dort durch die mangelnde Veränderungsbereitschaft auf Kunden-, Unternehmens- wie Lieferantenseite noch zu keiner Verbesserung geführt.
- Der Bedarf wird in Batches bearbeitet, statt ihn in 1-Piece-Flow-Systeme (Flussprinzip) zu kanalisieren. Im Sinne der Bewegungsverschwendung ist das allerdings vorteilhaft, speziell wenn zwischen den Bedarfsfällen längere Pausen liegen.
- Der Bedarf wird in einem Supermarktsystem gestillt, besser wäre allerdings die Einführung von Kanban-Systemen.
Wie sieht es mit den 7 Verschwendungen aus?
- Transport: Die Kunden holen ihren Bedarf beim Unternehmen ab. So weit kein Problem, außer der Lagerbestand reduziert sich sehr schnell und muss durch Bezug von lokalen Lieferanten aufgefüllt werden. Speziell in den späten Abendstunden und an Wochenenden kann dies nur durch teure Ersatzbeschaffung von Tankstellen geleistet werden.
- Inventar: Ganz schlecht. Es gibt nur eine einmalige Beschaffung unabhängig vom Bedarf. Ist das Lager leer, dauert es 12 Monate, bis es wieder aufgefüllt wird. Bleiben Restbestände im Lager, dauert es ebenfalls 12 Monate bis zum nächsten regulären Lagerzugriff (heimliches Naschen mal ausgenommen).
- Bewegung: Eines der größten Probleme. Hier ist über den ganzen Abend verteilt mit ständigen Bewegungen von der Wohnzimmer-Couch zur Wohnungs- bzw. Haustür zu rechnen. Die Bewegungen sind rein bedarfsgesteuert ohne Regelmäßigkeit z.B. in Form eines Milk-runs. Die kundenseitige Bewegung wird hier nicht betrachtet.
- Warten: Aufgrund der Bewegung kommt es regelmäßig zu Wartezeiten der Kunden, speziell zu vorgeschrittener Abendstunde. Wenn das Inventar aufgebraucht ist, dehnt sich die Wartezeit auf typischerweise 12 Monate aus (für die weihnacht- bzw. österlichen Bedarfsfenster bestehen komplett andere Logistikkonzepte, was die Abwicklung auch nicht erleichtert).
- Überproduktion: Um leere Lager zu vermeiden, kommt es regelmäßig zu Überproduktion bzw. Überbeschaffung mit allen negativen Folgen, speziell wenn die Lagerbestände in der Folge wieder abgebaut werden müssen. Die oben mehrfach erwähnte Bedarfs-/Absatzlücke trägt durch die jahrzeitlich bedingte Variantenvielfalt nicht zur Entspannung der Situation bei.
- Überbearbeitung: Dies ist im Grunde die Verschwendungsart, die die geringsten Probleme verursacht, wenn der Bedarf gestillt werden kann. Zu Beginn des Prozesses kann jedoch ein vermeindliches Überangebot zur Übersteigerung des Bedarfs führen, der sich im Kundenkreis erstaunlich schnell herumsprechen und dann gegen Ende nicht mehr erfüllt werden kann.
- Fehler/Defekte: Zu dieser Verschwendungsart kommt es regelmäßig, wenn die Lagerbestände aufgebraucht sind. Dadurch kommt es zu spontaner Umkehr der Kunden-Unternehmens-Beziehung, wobei für das dann gelieferte Produkt bzw. die Leistungen eigentlich auf der neuentstandenen Kundenseite (vorheriges Unternehmen) kein Bedarf besteht.
Sie sehen, Lean Halloween ist durchaus eine logistische Herausforderung. Sie wird am besten bewältigt, wenn über Kennzahlensysteme bzgl. Nachfragen und Restbeständen konsequent Buch geführt und dies bei folgenden Prozessdurchläufen berücksichtigt wird. Hierbei ist ein zuverlässiges Dokumentenmanagement einer der wichtigen Unterstützungsprozesse, damit nach der langen Prozesspause von 12 Monaten die Kennzahlen noch verfügbar sind. Bei der Erfassung der Kennzahlen müssen demografische Veränderungen in den Kundensegmenten berücksichtig werden, da es sonst in Folgejahren zu Fehlannahmen im Forecast auf der Bedarfsseite kommen kann. Die bereits erwähnten zusätzlichen Bedarfsfenster können auch nicht in die Forecast-Berechnungen einbezogen werden, da es sich hier um unterschiedliche Zielgruppenkategorien handelt, deren Bedarfsverhalten nicht übertragbar ist. Auf der Lieferantenseite können jedoch teilweise Hochrechnungen des Grundstoffbedarfs genutzt werden.
Frage: Welche anderen Aspekte können Sie noch aus Lean Halloween ableiten? Was können Sie davon in Ihr Unternehmen übertragen? Haben Sie sich schon Gedanken über die Verschwendungen in Ihren Geschäftsprozessen gemacht?
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