Weisheit der Prozessoptimierer

Jetzt beginnt wieder die Jahreszeit, in der die Kinder (Jungs) draußen Cowboy und Indianer spielen (sofern sie das in Zeiten von facebook & Co. überhaupt noch tun ;-) Mein Beitrag dazu ist jetzt nicht die Weisheit der Dakota (die Sache mit dem toten Pferd), sondern die Weisheit der Prozessoptimierer, die da lautet:

Der aktuelle Prozess ist immer der Schlechteste und ein Prozess ist genau so lange schlecht, bis er geändert werden soll.

Hinter dieser „Weisheit“ verbergen zwei Aspekte, Tatsachen und Einstellungen, die die tägliche Arbeit eines Prozessoptimierers bestimmen und sich auf viele andere Lebens- und Arbeitsbereiche abbilden und anwenden lassen.

Der aktuelle Prozess ist immer der Schlechteste“ ist die Grundeinstellung, mit der jedes Thema angegangen wird. Hintergrund ist dabei das Bewusstsein, dass „Dinge“ (Abläufe, Organisationen usw.) immer verbesserungsfähig sind. Ohne diesen Anspruch gibt es keinen Grund Veränderungen anzugehen. Wenn man diesen Satz etwas „globaler“ betrachtet, ist er auch die Grundlage jeglicher Weiterentwicklung innerhalb der Gesellschaft, ebenso wie der Natur (wobei es u.U. hier an der bewussten Vergehensweise fehlt, bzw. diese für uns Menschen nicht erkennbar ist und/oder etwas höherem zugeschrieben wird).

Wenn man sich diesen Satz genauer ansieht, fallen noch zwei Dinge auf, die es Wert sind, genauer beleuchtet zu werden.

Die fehlende Einbeziehung der Anwender der späteren Projektergebnisse ist ein, wenn nicht der wichtigste Grund, warum der Nutzungserfolg der Projektergebnisse ausbleibt. Ohne eine angemessene Einbeziehung der Anwender bleibt der erwartete Nutzen im Dunkeln und die gewünschten Ergebnisse und Ziele können sich nicht daran orientieren. Angemessene Einbeziehung heißt aber nicht blindes Vertrauen darauf, dass die Anwender ihre Wünsche wirklich genau und umfassend kennen. Die saubere Erarbeitung der Ziele, des zugrundeliegenden Nutzens und der notwendigen Ergebnisse liegen in der Verantwortung des Projektleiters. Der sprichwörtlichen Ballhöhe kommt dabei wichtige Bedeutung zu. Der Projektleiter kann sich später nicht daraus herausreden, dass sich der Markt ganz plötzlich fehlentwickelt hat.

  • Da ist einmal das Wörtchen „immer“. „Immer“ ist eine Generalisierung (im Meta-Modell der Sprache). Die Aussagen von Weisheiten haben oft Absolutheitsanspruch, da kommt die Generalisierung gerade recht. Andrerseits würde das Gegenteil „nicht immer“ (nicht „nie“) bedeuten, dass es vielleicht doch nicht so ist. Dann würde evtl. die Suche deshalb schon zu Ende sein, weil es ja vielleicht noch etwas Schlechteres gibt und der aktuelle Prozess deshalb schon „ganz gut ist“.
  • Die zweite Auffälligkeit ist „der Schlechteste“. Das ist ebenfalls eine Generalisierung (zusätzlich ist es i.A. noch eine Verzerrung, aber die wird hier durch „der aktuelle Prozess“ aufgehoben), die sehr eng mit der ersten Generalisierung zusammenhängt und unter dem Strich die gleiche, oben beschriebene Funktion hat. Beide Generalisierungen sind auch die Basis für die Philosophie des Kontinuierlichen Verbesserungsprozesses, die besagt, dass schon die kleinste Verbesserung ein Fortschritt ist. Mit „immer der Schlechteste“ entsteht automatisch das eine (untere) Ende der Skala und es ist sichergestellt, dass es eine Verbesserung gibt, weil es keine Verschlechterung geben kann.

Der zweite Teil der Weisheit „und ein Prozess ist genau so lange schlecht, bis er verändert werden soll“ drückt das Beharrungsvermögen und den Widerstand aus, der Veränderungen entgegengebracht wird. Dies umfasst das Paradoxon, dass über eine Situation geschimpft wird und trotzdem nicht nur die Situation nicht aktiv verlassen wird, sondern dann sogar aktiv verteidigt wird. Im persönlichen Umfeld spricht man hier von der Komfortzone. Dieses Beharrungsphänomen dehnt sich auch Veränderungen im beruflichen Umfeld aus, hat aber m.E. seinen Ursprung in der persönlichen Einstellung der Betroffenen. Nicht richtig gehandhabt (im Sinne von Stakeholder-Management), kann schon eine kleine Gruppe von Verweigerern und Widerständlern erheblichen Einfluss bis hin zum Scheitern von (Veränderungs-) Projekten haben.

Bei der Kommunikation der Notwendigkeit nach Veränderung, um etwas zu verbessern, schwingt immer auch mit, zumindest unbewusst, aber nicht minder kritisch, dass so wie es bisher war jetzt schlecht ist. Wenn dabei beim Empfänger nicht die Differenzierung zwischen Fehler und Feedback passiert, muss er das zwangsläufig auf sich selbst abbilden. D.h. bei ihm kommt die Aussage an: „Du musst es jetzt anders machen, weil es (jetzt) falsch ist, wie Du es bisher gemacht hast.“ Ohne aktive Unterstützung und im Überschwang der persönlichen Gefühle und Betroffenheit werden vermutlich nur wenige Menschen in der Lage sein, dies anders zu interpretieren (zu re-framen).

Der zweite Aspekt, der Widerstand gegen Veränderung erzeugt, ist die Angst vor Verlust. Der Verlust kann auf unterschiedlichen bewussten und unbewussten Ebenen eintreten, Verlust von Besitztümern, von Sicherheit, von Bequemlichkeit, von Bekanntem.

Ein grundlegender Weg Veränderungsprozesse positiv zu gestalten, ist umfassende und ehrliche Kommunikation. Dazu gehört auch, dass die Sorgen und Bedenken der Betroffenen durch aktives Zuhören und Hinhören ernstgenommen werden.

Frage: Wo ist Ihnen diese „Weisheit“ schon praktisch begegnet? Welche Folgen ergaben sich daraus, speziell aus dem zweiten Teil? Was hätten Sie anders gemacht, wäre Ihnen damals diese Weisheit schon bekannt gewesen?

Hinweis: Ich behalte mir vor, Kommentare zu löschen, die beleidigend sind oder nicht zum Thema gehören.