Inhalt der Episode
- Was sind typische Auslöser von Transformationsprozessen?
- Wo treten in Unternehmen Transformationen auf?
- Was unterscheidet Transformationsprozesse für die Digitalisierung von anderen Transformationen?
- Was sind typische Reaktionen der Menschen in Organisationen im Rahmen von Transformationen?
- Gibt es dabei Unterschiede zwischen den verschiedenen Personenkreisen?
- Wie geht man am besten mit Widerständen um?
- Was wird nacheinander bei Transformationen adressiert?
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Episode 117 – digitale Transformationsprozesse
Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.
Götz Müller: Heute habe ich Michael Flum bei mir im Gespräch. Wir unterhalten uns über Transformationsprozesse. Michael Flum ist Transformationsberater. Hallo Michael.
Michael Flum: Hi. Grüß Dich, Götz.
Götz Müller: Klasse, dass Du heute dabei bist. Sag noch mal zwei-drei Sätze mehr über Dich als Person.
Michael Flum: Ja, sehr gerne. Also ich bin jetzt mittlerweile im fünften Jahr als freier Unternehmensberater tätigt mit Schwerpunkt Transformationsaufgaben. Davor habe ich eine klassische Berater- und Führungskarriere in der Beratungs- und IT-Branche hinter mir. Ich würde meine Aufgabenstellungen, die mir mehrheitlich begegnen, damit erläutern, dass ich Unternehmen und Organisationen und vor allem die Teilnehmenden darin unterstütze den digitalen Wandel in erträglicher und verträglicher Weise zu gestalten und natürlich erfolgreich zu bewältigen.
Götz Müller: So. In meinem Weltbild … Transformation hat auf jeden Fall mal einen klaren Anfang im Sinne von, es gibt Auslöser. Was sind denn so typische Auslöser? Digitale Transformation mag sicherlich einer sein, aber vielleicht gibt es ja noch ganz andere Auslöser.
Michael Flum: Es gibt eine Menge Auslöser. Ich meine, im Grundsätzlichen erst einmal … Transformation … es geht da ja um eine dauerhafte Veränderung eines Zustandes, den ich nicht mehr haben will. Oder zumindest um das Herstellen eines Zustandes, den ich für die Zukunft gerne haben will. Und von daher gelten dann natürlich ganz viele Dinge. Üblicherweise, es gibt natürlich Möglichkeiten, einen Strategiewechsel, Programme zur Steigerung von Effektivität oder Effizienz, natürlich auch mal ein Turnaround-Projekt, falls ein Unternehmen in Schieflage geraten ist oder eben jetzt, wie wir vielleicht einen Schwerpunkt auch setzen wollen, einfach mal ganz populär die Maßnahmen und Initiativen rund um die Digitalisierung.
Götz Müller: Wenn man jetzt von Transformationen und Unternehmen spricht betrifft es dann immer das ganze Unternehmen oder kann man auch sagen „Wir machen es Transformation nur in dem Bereich.“ und was sind das dann für Bereiche, die klassisch betroffen sind?
Michael Flum: Also, ich würde sagen „Ja und ja“. Transformation lässt sich auch in einzelnen Bereichen durchführen. Wenn wir Transformation als eine als eine Bewegung weg von einem Zustand oder als die Bewegung hin zu einem bestimmten Zustand verstehen wollen, dann können wir das natürlich entweder abgegrenzt auf Einzelunternehmen/Geschäftsbereiche betrachten, wir könnten auch einzelne Abteilungen oder einzelne Prozesse hernehmen oder eben das Unternehmen als Ganzes. Wenn wir … also oft ist es so, dass Transformation in einem größeren Rahmen stattfindet und es unterscheidet sich ja auch ein bisschen, ich sage jetzt mal, von einem typischen, von einem Reorganisationsprojekt beispielsweise und zwar dahingehend, dass es einen, nennen wir es mal einen fundamentaleren Ansatz hat, also während es vielleicht in der Prozessoptimierung oder Prozessreorg schwerpunktmäßig darum geht, vielleicht die Art und Weise, wie Aufgaben erbracht werden, neu zu organisieren, anders anzuordnen, was wegzulassen, was hinzuzunehmen, geht es in der Transformation sehr oft darum, tatsächlich so einen fundamentalen Wandel und Wechsel nicht nur in der Arbeitsweise, sondern oft auch in der in der Verhaltensweise, und damit auch in der Einstellung, zu erzielen.
Götz Müller: Jetzt hast Du schon zweimal, das ist mir aufgefallen, als NLPler, glaube ich, fällt einem das möglicherweise eher auf, aber mir ist definitiv eben aufgefallen, Du hast zweimal unterschieden von „weg von“ und „hin zu“ als so meine Transformationsrichtung. Das hat ja auch etwas mit Motivation zu tun. Ich kenne es jetzt von Menschen her, da ist das, glaube ich, sind das die zwei Basis-Motivatoren. Wie drückt sich das im Unternehmen aus? Bei Menschen erlebe ich ganz oft ist das „weg von“ das Stärkere, das wirkt schneller, im Sinne vom Auslöser her. Wie verhält sich das bei Unternehmen? Kann man das da ähnlich sagen oder ist dann doch ein bisschen anders?
Michael Flum: Also ich glaube ganz oft … also, ich meine, letztendlich ist Veränderung, die im Unternehmen stattfindet, Veränderung, die bei den Menschen im Unternehmen stattfindet, also insofern reden wir ja immer, wenn es um Veränderung geht, reden wir immer von Menschen, also auch in Organisationen reden wir ja quasi von Menschen. Insofern können wir es also tatsächlich auf diese menschlichen Verhaltensweisen auch wieder reduzieren oder zurückführen. Und da erlebe ich es oft so, dass die „weg von“-Motivation oft eine ist, die sich rational sehr gut begründen lässt und da auch relativ schnell eine rationale Akzeptanz erzielbar ist. Ein Beispiel, keine Ahnung, das Unternehmen hat ein schwaches Jahr im Auftragseingang, das angedachte Budget geht sich nicht auf und jetzt muss ich halt an ein paar Stellen Kosten sparen. Das ist jetzt kein typisches Transformationsthema, aber es wäre jetzt ein typisches Beispiel für eine „weg von“-Motivation, im Sinne von „Wir müssen weg von unseren geplanten Verhaltensweisen, wir müssen an der ein oder anderen Stelle vielleicht was ändern, verschlanken, abbauen oder ähnliches.“. Also das ist eher so die rationale Seite. Bei der „hin zu“-Motivation würde ich sagen, das ist die, die für mich sehr viel stärker auf der emotionalen Ebene wirkt, weil ich die „hin zu“-Motivation, das ist ja Zukunft und damit auch erstmal etwas, was ich ja noch gar nicht so richtig rational begreifen kann, sondern wir reden hier von Vorstellungen, von Fantasie, von Vision, also von imaginären Bildern. Und die wirken aus meiner Sicht erst einmal dann auf der emotionalen Ebene.
Götz Müller: Wobei jetzt mir ist so der Gedanke durch den Kopf ging, dieses „weg von“ kann ja durchaus auch sehr emotional geprägt sein. Ich denke da halt so an den Klassiker, die heiße Herdplatte.
Michael Flum: Absolut. Ja, natürlich.
Götz Müller: Im Sinne vom Schmerz. Also da rationalisiere ich jetzt nicht mehr lang, ob ich die Hand vom Herd nehme.
Michael Flum: Völlig richtig, ja. Völlig richtig.
Götz Müller: Okay. Jetzt haben wir ja die Überschrift „digitale Transformation“. Was würdest Du sagen, wie unterscheiden sich allgemeine Transformationsprozesse speziell von welchem im Umfeld der Digitalisierung?
Michael Flum: Ich würde sagen, also Du hast ja vorhin schon richtigerweise gesagt, eine Transformation hat irgendwo mal anfangen, und die meisten klassischen Transformationsvorhaben werden als Programme oder Projekte aufgesetzte, das heißt, sie haben nicht nur einen klaren Anfang, sondern auch einen klaren Ablauf, einen klaren Inhalt und irgendwann auch ein klares Ende. Bei der Digitalisierung oder, ich würde mal sagen, eher bei der großen Schwester, der digitalen Transformation, finde ich einen wesentlichen Unterschied, dass es in dem Sinne kein Ende gibt. Die digitale Transformation ist jetzt nicht etwas, wo ich sage, da fange ich an und irgendwann habe ich das abgeschlossen, sondern wir befinden uns ja in einem grundsätzlichen, ich möchte schon sagen, gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Wandlungsprozess und der wird noch einige Jahre oder Jahrzehnte dauern, bis wir eben in diesem digitalen oder auch intelligenten Zeitalter richtig angekommen sind und dann vielleicht die nächste Ära irgendwann ansteht. Das ist meiner Ansicht nach der wichtigste Unterschied zwischen einem typischen Transformationsvorhaben, wie jetzt einem Strategiewechsel zum Beispiel und eben der digitalen Transformation, die sich eher als fundamentale und auch permanent immer wieder adaptierende und auf sich selbst referierende Verhaltensänderung abzielt.
Götz Müller: Ja und wenn man noch mal ein Stückchen weiter denkt, man sagt zwar immer „Ja, Digitalisierung.“, aber im Grunde begleitet uns das schon seit, sagen wir mal, seit 20 Jahren, seit der ersten ERP-Systeme eingeführt wurden, vielleicht nicht in dem Ausmaß, wie wir es heute kennen, aber ganz so neu ist es, wenn wir mal ehrlich sind, auch nicht.
Michael Flum: Absolut. Also ich möchte sogar sagen, dass es uns in der Größenordnung um die 50 Jahre begleitet. Denn wenn man … ich meine, wenn man älter wird, dann beginnt man die Zeit irgendwie in anderen Relationen zu betrachten, aber wenn wir daran zurück denken, dass die großen Automatisierungswellen irgendwann in den in den späten Sechzigern, ich sag mal, schon mit entsprechender Technologisierung losgegangen sind und da auch schon die Elektrotechnik eine wichtige Rolle gespielt hat, dann können wir das quasi schon als Anfänge auch dazu zählen, meine ich.
Götz Müller: Also spätestens seit dem Zeitpunkt, wo es eben damals noch diese computer-aided manufacturing design, und wie das alles hieß, spätestens seit dem Zeitpunkt eigentlich, muss man schon, zumindest im Rückblick, von einer beginnenden Digitalisierung sprechen.
Michael Flum: Würde ich schon sagen, ja. Digitale Steuerungen an Maschinen, also, ich weiß nicht, zum Beispiel die Siemens-Prozesssteuerung, die ist ja die ist mit Sicherheit an die 50 Jahre alt jetzt.
Götz Müller: Ja, die habe ich definitiv im Studium, im Praktikum das erste Mal kennengelernt und das war in den späten 80ern. Ja. Definitiv. Okay. Jetzt haben wir viel über Unternehmen gesprochen, andeutungsweise fiel das Stichwort schon, im Grunde geht es aber auch immer um Menschen. Was sind so in deiner Wahrnehmung, was sind so typische Reaktionen von Menschen in Organisationen, wenn das Thema Transformation in irgendeiner Form aktuell wird?
Michael Flum: Also, Reaktionen leiten sich für mich jetzt ab aus Emotionen, zunächst einmal, würde ich sagen und dann treffen wir natürlich auf die gesamte Bandbreite: angefangen von den Befürwortern eines Wandels, die vielleicht mit Haut und Haaren dabei sind, die bereit sind mit dem Messer zwischen den Zähnen jeden Kampf zugunsten einer Veränderung zu führen, bis hin zu den Totalverweigerern, die, ja, ich sag mal, die aus welchen Gründen auch immer mit allen Regeln der Kunst Bollwerke errichten, wo die chinesische Mauer quasi wie ein Gartenzaun dagegen wirkt. Also in der Bandbreite bewegen wir uns.
Götz Müller: Was würdest Du sagen, was sind die Hintergründe dieser Unterschiede? Ich meine, man könnte ja sagen „Mensch gleich Tier“, wenn ich in einem Hunden einen Stock hinwerfe, dann rennt er dem in der Regel nach, Menschen sind da, glaube ich, natürlich doch ein bisschen anders, aber was sind so für Dich die Gründe für diese extrem unterschiedlichen Reaktionen?
Michael Flum: Also, das ist ganz vielfältig. Also, ich bin kein Psychologe im Kern, habe mich dennoch ein bisschen mit den Dingen beschäftigt, es gibt zum Beispiel so ein paar grundsätzliche Dispositionen in der menschlichen Psyche, ja, da gibt es … als als ein Beispiel kann man da nennen die Grundformen der Angst, Fritz Riemann, wo einfach Menschen, ich sag mal so, vielleicht manche eine grundsätzliche Neigung haben, eher in Richtung Struktur, gewohntes, stabiles Umfeld, sich wohlzufühlen und andere vielleicht, die kennen wir auch, die, was weiß ich, die ständig in der Welt rumreisen und irgendwie auf der Suche nach Neuem sind und neuen Impulsen, Inspirationen, die eben vielleicht das genaue Gegenteil vertreten, also das ist ein Aspekt nämlich so, die persönliche psychologische Disposition, im Sinne von etwas neurotischen Ausprägungen in irgendeine Richtung. Dann gibt es, für mich natürlich auch ganz arg wichtig, wenn ich mir ein etabliertes Unternehmen anschaue und die Menschen darin, da ist ja viel Routine im Alltag, viel Gewohntes und auch viel Gewohnheit und Gewohnheit verschafft Stabilität und Sicherheit. Und wenn ich mit einer Transformation, mit einem Veränderungsbegehren komme, dann attackiere ich diese Gewohnheit, dann attackiere ich vielleicht auch bisher Geleistetes und Erarbeitetes und das erzeugt mitunter natürlich auch negative oder eben emotionale Reaktionen.
Götz Müller: Kann man es auch in irgendeiner Form auf Personenkreise im Unternehmen festmachen oder würdest Du sagen, die angedeutete Ausprägung jetzt von „Tschaka, hurra!“ bis „Oh nee, lieber überhaupt nicht mit mir.“ gibt es jetzt über alle Ebenen, über alle, wie soll man das sagen, wenn wir mal eine horizontale und vertikale Aufteilung nehmen, gibt es überall?
Michael Flum: Also zunächst einmal, glaube ich, gilt es schon also wirklich Individualität zu respektieren, weil je nach Situation und je nach Betroffenheit reagiert ja jeder ein bisschen anders. Ich denke, das … also insofern würde ich mal sagen kann es prinzipiell schon so viele Unterschiede geben wie es Menschen, also wie es Vielfalt, gibt im Unternehmen. Nichts desto trotz gibt es schon natürlich ein paar Personengruppen, die in besonderem Maße, ich würde mal sagen, die es in besonderem Maße schwer haben. Für mich sind das Leute, die zum Beispiel in Führungspositionen sind, weil das häufig eine exponierte Position ist, und da wird, da muss auch viel, da gibt's viele Rollen Implikationen im Sinne von, wenn eine Veränderung stattfindet, dann muss ich natürlich dazustehen als Führungskraft, ja, ich darf ich keine Schwäche zeigen oder ich darf nicht zeigen, dass ich selber vielleicht auch Ängste habe oder so, was es unheimlich schwierig macht und was auch einen unheimlichen Druck bei den Leuten erzeugt. Also, für mich ist das eine zum Beispiel eine Personengruppe im Unternehmen, die wir stark vernachlässigen, auf die auch immer mit dem Finger gezeigt wird, die Führungskraft sollen es richten, die aber auf der anderen Seite, glaube ich, am wenigstens Support bekommen in dem ganzen Veränderungsprozess. Und dann gibt es sicherlich noch Personengruppen, ich sag mal, die man halt gerne, in Anführungszeichen, so nebenbei mitnimmt, die eben, die man die man vielleicht mehr als Ressourcen betrachtet leider, also wir haben ja noch in vielen Unternehmen ein Weltbild oder ein Menschenbild, das den Menschen quasi als Arbeitsressource, als Objekt darstellt, und die fallen dann oft auch durchs Raster, nach dem Motto „Ja, die sollen sich nicht so anstellen, die sollen jetzt halt da, was weiß ich, das anders machen und gut ist“. Also sozusagen ganz unten in der Hierarchie, wenn man will noch, ja, da glaube ich schon auch, dass es viele Menschen gibt, die in den Veränderungen und in der Berücksichtigung von Veränderungsprozessen zu kurz kommen. Ansonsten vielleicht noch als Ergänzung, was ist ganz interessant finde, ich habe das zum ersten Mal so richtig entdeckt, in einem Buch von Gunter Dueck Das Neue und seine Feinde, der beschreibt dort vier Personengruppen, wenn es um Innovation geht. Da gibt es die Protagonisten und es gibt die Antagonisten, also die klaren Befürworter und die klaren Verweigerer, egal, lassen wir mal die Gründe außer Acht, das sind aber beides, wenn man so will kleine Randgruppen, dazwischen gibt es die große Mehrzahl der Menschen, die sind tendenziell eher dafür oder tendenziell eher dagegen und die werden meines Erachtens oft nicht so richtig berücksichtigt, weil man guckt auf die, die am lautesten schreien, das sind die positiv rufen, das sind die Protagonisten, und wir gucken auf die, die am lautesten dagegen schreien, die Widerstände, die Antagonisten. Viel wichtiger aus meiner Sicht wäre aber die Gruppe dazwischen und zwar vorrangig erstmal die, die eher dafür sind, weil über die kann ich in einer Veränderung auch entsprechendes, wir sprechen von Momentum erzielen, also einer gewissen Veränderungsdynamik, die ich brauche, das ist wie Gravitation, ja, wenn ich eine Rakete abschieße, brauche ich erstmal eine gewisse Startenergie, um mich aus der Anziehungskraft zu lösen und so ist es bei Transformationsprojekten auch. Ich brauche erstmal so eine gewisse Dynamik, wir sprechen von Momentum an der Stelle.
Götz Müller: Aber ich denke, also Du hast wahrscheinlich auch vor Deinem geistigen Bild diese Veränderungskurve mit den vier-fünf Einteilungen, die man da trifft.
Michael Flum: Also, da gibt es ja zwei, also es gibt ja die von Virginia Satir zum Beispiel, oder die von Kübler-Ross, wo es auch um das Tal der Tränen zum Beispiel geht und so. Ja, genau. Ja.
Götz Müller: Und mir ging der gerade noch durch den Kopf, wo Du gesagt hast, so die tendenziell eher positiven, dann haben wir natürlich noch die Gruppe, die tendenziell seiner eher negativen, ich nennen die mal, eher positiv ausgedrückt, die, die eher bewahrend sind. Die halte ich persönlich auch für sehr wichtig in dem Augenblick, wo ich dann erste Veränderungen angestoßen habe und praktisch von einem vielleicht etwas chaotischen Zustand dann wieder in etwas ruhigeres Fahrwasser reinkomme, wenn ich dann die berücksichtige, die eben eher bewahrend sind, die stützen mir dann diesen neuen Zustand, weil wenn ich nur so Tschaka-Leute“ um mich hätte, dann wollen die ja schon wieder The next big thing.
Michael Flum: Absolut, ja. Ganz wichtiger Punkt, den Du da ansprichst, den ich auch voll unterstreichen kann. Ich sehe im übrigen, also für mich gibt es ganz prinzipiell, egal mit welcher Einstellung so jemand einer Transformation gegenüber steht, für mich gibt es zunächst einmal tatsächlich überhaupt keine Gegner. Ich sage mal so, selbst der Antagonist, der mit allem, was ihm zur Verfügung steht, dagegen hält, kann immer noch ein wertvoller Part, eine wertvolle Ergänzung in meinem Transformationsvorhaben sein, zum Beispiel als Advocatus Diaboli, dem ich sage „Okay, pass auf, wenn du dich schon nicht dafür begeistern kannst, dann hilf uns, darauf zu achten zum Beispiel, dass wir nicht übers Ziel hinausschießen“. Also und so kann ich, ich kann überall im Schlechten auch das Gute sehen, also im vermeintlich Schlechten. Das ist, glaube ich, wichtig, dass wir da mit einem gesunden, humanistischen Menschen- und Weltbild an die Sache rangehen.
Götz Müller: Jetzt möchte ich den Punkt noch ein bisschen vertiefen. Zum Teil haben wir ja eben ganz klassisch Widerstände, wenn wir nur „Chaka-Menschen“ um uns hätten, dann müssen wir vielleicht eher fast schon ein bisschen bremsen. Was ist so deine Empfehlung, Dein Ansatz eben mit den Widerständen umzugehen?
Michael Flum: Also, das Wichtigste für mich zunächst einmal ist Verständnis für die emotionale Lage zu haben und notfalls zu entwickeln. Also allein, einfach mal es anzunehmen und dann nicht gleich nieder zu bügeln, zu verdrängen oder in irgendeiner Form zu verurteilen, weil Veränderung erzeugt Veränderungsschmerz und den gilt es auch ein Stück weit zu beachten, wahrzunehmen und zu würdigen. Das nächste, was aus meiner Sicht ganz wichtig ist, oftmals sind Widerstände tatsächlich mit sachlich wertvollen Positionen dahinter begleitet. Also Menschen treten nicht in den Widerstand, weil sie gerne in den Widerstand gehen, sondern jetzt mal, wie gesagt, also wenn wir nicht tatsächlich von einer bestimmten psychologischen Disposition ausgehen, dann können wir annehmen, dass ein Widerstand vielleicht auch tatsächlich irgendwo eine sachliche Position begründet und danach mal zu fragen und zu sagen, warum ist denn überhaupt jemand im Widerstand, finde ich zum Beispiel wichtig. Dann ist es aus meiner Sicht wichtig, das Warum zu erläutern, das Warum der Veränderung oder das warum der Transformation. Das ist insgesamt ein ganz wichtiger, zentraler Punkt für mich. Ein starkes Warum unterstützt die rationale und die emotionale Akzeptanz für Veränderungen. Und dann denke ich, was vielleicht auch so ein Thema ist, da unterscheide ich mich vielleicht auch ein bisschen von manchen anderen Kollegen meiner Zunft, viele reden davon, wir müssen alle mitnehmen, das sehe ich ein bisschen anders, differenzierter. Ich glaube nicht, dass wir jeden Menschen mitnehmen müssen und auch mitnehmen wollen müssen, zumal das meines Erachtens da einen gewissen Zwang auf den Leuten erzeugt und ihnen damit auch eine gewisse Unmündigkeit attestiert, sondern oftmals reicht es ja auch mal zu sagen, okay, wir nehmen jetzt mal eine Gruppe mit und die anderen schauen sich das an und über kurz oder lang und da müssen wir uns manchmal vielleicht auch ein bisschen Zeit geben, folgen viele auch dann von allein, der Mensch ist auch ein Stück weit ein Herdentier. Das ist jetzt gar nicht negativ gemeint, sondern ich finde es durchaus gerechtfertigt und legitim, dass man mit den Menschen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten daran geht und das hilft natürlich auch, Widerstände abzubauen, Widerstände, ich sag mal, in eine positive Regulierung des eigenen Selbst zu kommen.
Götz Müller: Erst dachte ich so kurz 80/20-Regel, aber im Grunde ist es das nicht, weil 80/20-Regel würde ja, für mich jetzt an der Stelle, implizieren, ich ignoriere die anderen, sondern, ja, ich ignoriere sie einerseits schon, dadurch dass ich mich halt auf eine kleinere Gruppe konzentriere, das ist aber für mein Empfinden noch mal irgendwo etwas anderes.
Michael Flum: Es ist etwas anderes, also wir reden nicht von ignorieren. Ich würde es eher, ich würde tatsächlich eher, ich würde das mit einem zeitlichen Aspekt versehen und so sagen, okay, wir gehen mit den Menschen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten daran. Für mich ein einfaches Beispiel, mein Vater hat mit 65 Jahren die Bedienung von einem Smartphone gelernt und er hat natürlich länger dafür gebraucht als meine Kinder das getan haben und ganz klar und ich sag mal hätte ich versucht oder wäre ich geneigt gewesen, ihm zu sagen „Du, horch mal, also die Geschwindigkeit, mit der du da jetzt langsam begreifst, das geht ja gar nicht, das ist ja unter aller Sau und wie kannst du nur“, dann hätte ich ihn automatisch in der Widerstand gebracht. Und zwar nicht nur Innenwiderstand mir gegenüber, sondern vielleicht auch einen Widerstand der Sache gegenüber, nach dem Motto: „Ja, wenn das so ist, dann ist das Zeug für mich nichts.“
Götz Müller: Genau und da geht mir gerade auf der Gedanke durch den Kopf , wenn ich da jetzt auch wieder beide Gruppen, deine Kinder und deinen Vater gleich über einen Kamm scheren würde, dann würde ich unterm Strich beiden nicht gerecht werden, weil für den einen wäre es viel zu langsam und für die anderen viel zu schnell.
Michael Flum: Absolut.
Götz Müller: Jetzt haben wir viel über Mensch gerade gesprochen. Was ist deine Erfahrung, gibt's außerMensch noch eine andere Hürde unter der großen Überschrift Transformation?
Michael Flum: Jede Menge. Besonders in der digitalen Transformation ist für mich ein riesen Faktor, den wir beachten dürfen, ist an vielen Stellen so eine Methoden- und Technologie-Gläubigkeit, die zwangsläufig ein bisschen dafür sorgt, dass der Mensch da irgendwie ein bisschen hinten runterfällt, dabei ist Digitalisierung viel mehr als die Anwendung von neuen digitalen Technologien. Und ich habe da ein Zitat von Wolf Lotter, brand eins Magazin, der hat in irgendeiner Ausgabe geschrieben, ich zitiere das mal kurz: „Wir brauchen für die Wissensgesellschaft eine geistige Ausnüchterungszelle, in der wir den Rausch der alten totalen Fortschrittsgläubigkeit ausschlafen können, ohne in die Dauerkater-Stimmung der Pessimisten zu verfallen.“ Ich glaube, das muss man noch mal zurückspulen.
Götz Müller: Ja, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.
Michael Flum: Worauf ich aber hinaus will, ist, viele richten den Fokus im Transformationsprojekt, in der digitalen Transformation sowieso, die richten den Fokus auf die Technologie, auf Methoden und auf Modelle. Und meines Erachtens ist es eine echte Hürde, wenn der Fokus so sehr darauf liegt, dann heißt es, dass woanders irgendwo etwas im Dunkeln bleibt und das gilt es zu adressieren. Dann ist natürlich wichtig, klar, insgesamt die zur Verfügung stehenden Mittel, also Geld und Arbeitszeit, ist immer ein Thema in Transformationsprojekten, weil beide brauche ich entsprechendem Maß und ich muss auch in beiden Fällen entsprechende Mittel zur Verfügung stellen, also auch Arbeitszeit, im Sinne von, die Möglichkeit, sich zu weiterzuentwickeln, diese Veränderung zu antizipieren, meine Verhaltensweisen umzustellen, vielleicht auch eine Weiterbildung oder irgendeine andere Form der Qualifizierung zu genießen.
Götz Müller: Ja, die Zeit an sich, in meiner Erfahrung. Veränderungen in irgendeiner Form, und darüber sprechen wir ja, braucht halt auch manchmal Zeit und hier eine Ungeduld ist ganz oft in meiner Wahrnehmung nicht hilfreich.
Michael Flum: Überhaupt nicht und da haben wir natürlich auch die Situation, dass wir in den Unternehmen da teilweise völlig gegenläufige Interessen vertreten. Auf der einen Seite soll es ja schnell gehen, ich will ja schnell wieder in einen produktiven Zustand kommen, weil Veränderung ist auch immer eine Weile lang ein Verlust von Produktivität, weil ich mich eben mit anderen Dingen beschäftige, weil ich etwas Neues lernen muss, weil noch nicht genügend Routine und und und … Also insofern soll es ja schnell gehen. Auf der anderen Seite haben wir ja gerade vorhin gehabt, wir brauchen ein bisschen die Zeit eben um diesen Gewöhnungsprozess auch in den Menschen ankommen zu lassen, damit es verinnerlicht werden kann. Genau.
Götz Müller: Wenn wir jetzt so gegen Ende, ich gucke ein bisschen auf die Uhr, wenn wir jetzt so gegen Ende mal diesen Prozessaspekt noch mal in den Vordergrund holen. Prozess impliziert für mich auch da gibt's irgendetwas, was ich zuerst mache und dann folgen daraus Dinge. Was ist so aus deiner Sicht, was sind so typische Reihenfolgen von Dingen, die ich im Rahmen von Transformation adressiere?
Michael Flum: Also, ganz klar vor weg ist die Frage oder die Klärung des Warum, also ein starkes Warum, habe ich vorhin ja schon gesagt, ist meines Erachtens der wichtigste. Punkt. Ich habe so für mich irgendwann mal so ein Vierstufenmodell entwickelt. Also, es gibt um für die Experten, die sich das auch anhören, es gibt natürlich dann eine Menge Methodenbaukästen und irgendwelche fertig ausformulierten Prozessbaukästen und so weiter, à la Prosci oder AIM oder wie die Dinger alle heißen. Ich verwende das eher nicht so, sondern ich habe eher einen Ansatz, der orientiert sich … also wir haben so vier Stufen, so als Reisemodell zu verstehen. Das beginnt mit Orientierung und da geht's tatsächlich um das Warum. Dann kommt als nächstes die Inspiration, da geht es um die Vorstellung von dem Neuen wir erinnern uns zurück, die „hin zu“-Motivation, greifbar zu machen. Dann geht es für mich im dritten Schritt um Innovation. Also Innovation stellvertretend für das Neue, das zu funktionieren beginnt. Also jetzt meine ich mit Innovation eben nicht ein neues Produkt oder so, sondern tatsächlich eine veränderte Verhaltensweise oder einem anderen Prozess, einer anderen Einstellung, Haltung, die zu funktionieren beginnt und der letzte Punkt ist dann tatsächlich die Integration. Das ist, was Du vorhin schon mal gesagt hast, nämlich die Verfestigung im Alltag, also wenn sozusagen ein Schritt in der Transformation bewältigt ist, dass dieser Schritt auch stabil bleibt und ich wieder einen festen Boden unter den Füßen habe und nicht irgendwie zurück in alte Muster wieder verfalle. Also die vier Schritte, Orientierung, Inspiration, Innovation, Integration. Das wäre so ein etwas pauschalisierter, aber insgesamt, glaube ich, ganz vernünftiger Ansatz, mit dem man daran kann.
Götz Müller: Weil ich ja im Grunde dann doch wieder in irgendeiner Form einen stabilen Zustand erreichen will, selbst wenn ich von dem aus dann vielleicht die nächste Transformation anstoße, oder? So habe ich das rausgehört.
Michael Flum: Ja, so kann man es verstehen. Ich meine, insgesamt wenn wir wollen, ich nehme gerne Elemente aus dem agilen Verfahren in Veränderungsprojekten, wobei das auch Risiken und Gefahren hat, ja, also mit den Leuten einfach mal einen Schritt zu gehen, vielleicht auch um festzustellen, dass er nicht geeignet ist und wieder zurück oder ein anderen Schritt zu wählen, aber, ich sag mal, ich habe beides jetzt in den letzten Jahren oft kennengelernt und, ich sehe halt, dass die aus der alten Schule, in Anführungszeichen, im Veränderungsmanagement nämlich so sagen, ich brauche einen klaren Plan, dann brauch eine Kommunikationsstrategie, dann überlege ich mir die Aufgaben, dann überlege ich mir ein Zielbild, dann breche die Aufgaben runter, dann breche ich die Aufgaben runter, dann irgendwann Personen, die machen Qualifikation, Transitionsphase und so weiter und dann wieder abgeschlossen. Das hat halt für mich jetzt den großen Nachteil, ich habe lange Zeit, beschäftige mich mit irgendwelchen Konzepten, ohne dass da irgendwas erlebbar wird, das macht eine Transformation oder eine Veränderung oft auch sehr synthetisch, nicht so natürlich und ich meine, Veränderung entsteht durch Veränderungen. Also das heißt durchs Machen, nicht durchs Darüberreden.
Götz Müller: Ja, und ich glaube, da schlägt sich auch so ein Bogen wieder zurück und auch zum Thema heute, zur digitalen Transformation, diesen Endzustand, von dem wir gar nicht wissen, ob es ihn in der Form überhaupt geben, wie er aussehen wird, glaube ich, wissen wir nicht.
Michael Flum: Wissen wir nicht, nein. Wir können uns im Moment ja gar nicht vorstellen, wie unsere Zukunft in 10 oder 20 Jahren aussieht. Wer will also jetzt schon sagen, wie er sein Unternehmen für die nächsten 10 oder 20 Jahre aufstellen soll.
Götz Müller: Und der kann im Grunde dann nur scheitern, wenn er versucht, das alles durchzuplanen.
Michael Flum: Absolut, absolut.
Götz Müller: Gut, Michael, ich danke dir für deine Zeit.
Michael Flum: Sehr gerne.
Götz Müller: Für die Impulse, die da dabei waren. Ich gehe mal davon aus, dass auch der ein oder andere Zuhörer da noch was mitnehmen konnte.
Das war die heutige Episode im Gespräch mit Michael Flum zum Thema digitale Transformationsprozesse. Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 117.
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Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder zu lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.
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