Kaizen 2 go 202 : Einmal Lean, Linie und zurück


 

Inhalt der Episode:

  • Wie hat Dein grundsätzlicher Einstieg ins Thema Lean ausgesehen?
  • Was waren typische Themen, mit denen Du Dich damals beschäftigt hast?
  • Was sind Deine Erkenntnisse aus dieser Zeit?
  • Was waren die Auslöser für den Wechsel in die Linienfunktion?
  • Welche Erfahrungen hast Du dort bzgl. Lean und dessen Einsatz gemacht?
  • Wie hat sich sich dieses Lean von Deiner ersten Station unterschieden?
  • Welche Schlussfolgerungen hast Du für Dich daraus gezogen?
  • Wie kam's dann zu dem Rückweg?
  • Wie unterscheidet sich der Umgang mit Lean in Deiner dritten Station?
  • Was sind dort die besonderen Herausforderungen?
  • Was eignet sich für den persönlichen Einstieg in Lean besser, Stab oder Linie?
  • Was würdest Du jemand empfehlen, der evtl. vor einer ähnlichen Situation steht?

Notizen zur Episode:


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(Teil)automatisiertes Transkript

Episode 202 : Einmal Lean, Linie und zurück

Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.

Götz Müller: Heute habe ich Johann Anders bei mir im Podcastgespräch. Er ist Lean Manager bei Putzmeister, war früher Value-Stream-Hersteller bei einem … ja, müssen wir nachher noch klären, bei was eigentlich genau und, was man dazu sagen muss, vor über fünf Jahren mein erster Podcast-Interviewpartner. Hallo Johann.

Johann Anders: Hallo Götz.

Götz Müller: Gut, stell dich noch mal selber den Zuhörern ein bisschen intensiver vor und wir werden uns ja heute schwerpunktmäßig auch über deinen Werdegang, und wie du sich an den verschiedenen Stellen von Lean und Co. bewegt hast, unterhalten.

Johann Anders: Ja, gerne. Also angefangen hat bei mir Lean eigentlich während des Studiums oder zum Ende des Studiums, ich habe eigentlich mal Wirtschaftsingenieur Luft und Raumfahrttechnik studiert, also ganz weit weg von der Produktion. Dann hat mir mein Vater ein Buch geschenkt vom ehemaligen Porsche-Manager Wiedeking „Anders ist besser“. Das fand ich natürlich super mit meinem Nachnamen und da habe ich auch gemerkt, okay, man kann auch tatsächlich anders produzieren. Während des Studiums habe ich nämlich nur gelernt, wie man mit irgendwelchen tollen Formeln berechnet, wo man welches Auto jetzt baut, ob in Ungarn oder in Deutschland oder doch irgendwo ganz anders und dann habe ich gedacht, das kann irgendwie nicht wirklich sein, wie die ein Unternehmen managen und dann bin ich auf Lean gestoßen und habe gedacht, okay, das ist eigentlich praktikabel, sinnvoll, gesunder Menschenverstand und dann habe ich mich in das Thema eingearbeitet. Ich bin dann über Bosch und einige Auslandsstation bei Metabo gelandet als Industrial Engineer, also Montageplaner und habe dort viel gelernt, wie man, einerseits mit den Mitarbeitern, andererseits aber auch vor allen Dingen mit den Meistern, Veränderung umsetzt und habe da so eine Doppelrolle zwischen Produktion und Logistik gespielt. Man muss wissen, wir waren damals in der Produktion deutlich weiter als die Logistik und die Logistik musste ordentlich nachholen. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht und dann über den Lean-Stammtisch, den wir beide ja eine Zeit lang in Stuttgart gepusht haben, bin ich dann als Value Stream Manager bei Parker gelandet. Value Stream Manager ist eine echt faszinierende Rolle, weil du für alles und nichts zuständig bist. Also auf der einen Seite ist es so etwas wie ein Produktionsleiter, das heißt, ich war verantwortlich für die Arbeitsvorbereitung, für die Fertigungssteuerung, für einen Meisterbereich der eine Fertigung hatte und eine Montage. Allerdings hatte ich auch meine Hände in der Logistik, hatte auch meine Hände in der Entwicklung. Ich hatte mehr oder weniger die Gesamtverantwortung für das Produkt, was wir da hergestellt haben. Da habe ich viel gelernt über Lean, wie man es macht, wie man es vielleicht besser machen kann und nach dreieinhalb Jahren bin ich jetzt als Lean Manager zu Putzmeister gekommen, bin hier auch verantwortlich für die Arbeitsvorbereitung, fürs KVP-Wesen und für die Fertigungssteuerung und versuche jetzt hier wieder neuen Schwung in die Lean-Gedanken zu bringen.

Götz Müller: Jetzt hast du ein paar Punkte schon erwähnt. Ich möchte aber mal so die, gibt ja auch der Titel irgendwo her, in die verschiedenen Stationen noch mal ein bisschen tiefer reingehen, was da vor allen Dingen dann eben deine Erkenntnisse waren, weil du ja jetzt, glaube ich, als einer der doch relativ wenigen, durch die verschiedenen Stationen ein sehr breites Spektrum von Lean und wie ich damit umgehe und was es bedeutet und so weiter mitgekriegt hast, um es mal so auszudrücken.

Johann Anders: Ja, stimmt. Ich habe es praktisch geschafft, von der Stabstelle in die ins Operative rein zu fallen. Ja, also das war eigentlich immer ein Thema, was ich bei Metabo hatte als Montageplaner und auch als Lean-Berater, der ich so Teilzeit war, sage ich jetzt mal, bei Metabo. Wir hatten immer das Problem, dass wir viele Konzepte erarbeitet haben, aber dann mit dem Meistern der verschiedenen Bereichen kämpfen mussten, diese Konzepte umzusetzen. Das hat mich immer gestört und ich konnte auch nicht verstehen, warum das alles immer so träge war. Ich habe dann irgendwann auch den Begriff der Lehmschicht angefangen zu nutzen, weil man wollte Veränderung treiben, aber hatte immer das Gefühl, dass das, was man tut, irgendwie versickert und gar nicht bei den Leuten ankommt. Und das hat mich irgendwann so gestört, dass ich gedacht habe, okay, wenn ich, als ich dieses Angebot des Value Stream Managers bekommen habe, habe ich gedacht, das ist jetzt die Möglichkeit, dein Wissen, was du hast als Lean-Experte anzuwenden und es endlich mal besser zu machen als das was ich vorher am gekannt hatte. Ich habe dann aber auch schnell gemerkt, dass es nicht so einfach ist.

Götz Müller: Warum? Wie soll man es ausdrücken? Was waren deine Erwartungen, wie es sein könnte und wie war es dann in der Realität?

Johann Anders: Also ein schönes Beispiel ist 5S. Früher fand ich fünf es extrem wichtig. Und ich sehe es auch immer noch so, aber ich kann mittlerweile besser verstehen, warum einige Leute 5S als das I-Tüpfelchen sehen und nicht als die Grundlage. Bei Metabo war es immer so, dass wir extrem auf 5S geachtet haben, dass alles beschriftet ist, alles seinen Platz hat. Jedes Material hat eine genaue Beschriftung in den Regalen, am Montageplatz und so weiter, dass es möglichst einfach war, zu sehen, wo ein Fehler ist und als ich dann Value Stream Manager geworden bin, hatten wir regelmäßige 5S-Audits. Wir hatten eine sehr gute Checkliste, mit der man den Stand von 5S praktisch erarbeiten konnte. Das heißt, wir hatten von der Struktur her eigentlich alles da, um einen sehr gutes 5S zu machen. Die Realität war aber, dass wir uns eigentlich nie Zeit genommen haben und das was bei ein 5S rausgekommen ist, war das freitägliche Putzen der Arbeitsplätze, alles mal irgendwie schön hinzulegen. Und das war das Witzige, weil auf einmal war ich in dieser Situation gefangen. Von der Betriebsleitung kam immer der Wunsch, wir müssen das 5S-Level deutlich erhöhen und, wie gesagt, wir hatten diese Audits, wir wussten eigentlich, was zu tun ist, aber das Problem war, das war meiner Meinung nach das größte Problem, am nächsten Montag wurde ich nicht dafür gefragt, ob mein 5S-Level sich erhöht hat, sondern warum wir das und das nicht geschafft haben, also den Auftrag nicht fertig gekriegt haben, da eine Störung hatten.

Götz Müller: Ja. Das unterstreicht ein Stück weit, dass der Kontext im Prinzip ganz stark das Verhalten bestimmt und der Kontext hier ist halt dann 5S so, ich nenne es jetzt mal Lippenbekenntnis, aber dann im konkreten Nachfragen ganz andere Sachen wichtig sind.

Johann Anders: Ganz genau. Das ist das, was mich am Anfang genervt hat und erst ganz zum Schluss, wo ich dann wirklich erkannt habe, hey, wenn ich diese Sachen mache, dann bringt mir das was und dann habe ich am Ende auch mehr Ruhe. Das was man ja praktisch immer im Lean predigt, das, was man als Eisenhower-Matrix kennt mit wichtig und eilig. Das ist alles komplett über Bord geworfen worden von mir in der Zeit, als ich wirklich unter Druck war und einfach Zahlen und Ziele abliefern musste.

Götz Müller: Ja, weil das dringend halt wieder überwirkt, aber das ist, was ist Steven Covey mit dem zweiten Quadranten bezeichnet, weil das halt in der Regel zu kurz kommt.

Johann Anders: Genau. Und das war das Witzige. Am Ende meiner Zeit habe ich mir wirklich gedacht „Boah, hättest du das mal gemacht, du weißt es eigentlich.“, dann würdest du jetzt ganz woanders stehen, weil erst zum Schluss hatte ich mich irgendwie so freigeschwommen und gesagt, okay, jetzt haben wir Zeit dafür. Wir haben das gemacht, hatten dadurch noch mehr Zeit und so war dann dieses positive Schwungrad in Gang gesetzt worden, wo ich aber vorher einfach überhaupt nicht das Gefühl hatte, dass ich mir die Zeit dafür nehmen kann.

Götz Müller: Ja. Ich glaube, das ist auch so ein bisschen ein Henne-Ei-Problem auf einer anderen Ebene.

Johann Anders: Ja, das stimmt. Das witzige ist einfach, ich konnte nie verstehen, wie man so Bremser sein kann und auf einmal war ich selber der Bremser, trotzdem dass ich ja praktisch von der Geschäftsleitung den Auftrag bekommen hatte. Also die haben mir gesagt, du sollst das machen, die haben mich auch regelmäßig danach gefragt, aber was mir zum Schluss oder die Erkenntnis, die ich zum Schluss hatte, war, was ist das, was sich wirklich verändert, das ist das, worüber du tagtäglich redest. Deswegen ist Shopfloor Management ja auch so effektiv, weil wir jeden Tag darüber reden über die Kennzahlen, die wir uns da angucken. Wenn wir aber nur einmal im Monat über 5S reden, was bleibt dann am Ende übrig?

Götz Müller: Ich kenne durchaus auch die Situation, dass man am Shopfloor-Board 5S auch zum Thema macht, aber da sage ich dann, das ist jetzt schon wieder zu weit weg von der Maschine, von der Werkbank. Manchmal sind es fünf Meter, manchmal sind es dreißig Meter, je nachdem wie halt das Setting in der Produktion aussieht, aber ich kann halt am Shopfloor-Board selber ja kein 5S machen. Ich kann zwar vielleicht einmal sagen: Leute, sauber machen. Aber machen kann ich nicht.

Johann Anders: Richtig und das ist auch wieder dieses Thema, dann würde ich ja 5S des 5S wegen machen, aber eigentlich und das ist ja so die Idee von Shopfloor Management. Wir müssen über das Shopfloor Management herausfinden, wo unsere Probleme sind und wenn wir dann merken, hey, wir vergeuden verdammt viel Zeit beim Suchen oder beim Rumlaufen, dann ist halt das das Mittel, dagegen anzukämpfen und daher sind eigentlich diese SQCD-Kennzahlen vom Shopfloor Management meiner Meinung nach die wichtigsten Kennzahlen, um eine Produktion zu führen.

Götz Müller: Ja. Wobei das durchaus auch immer wieder eine große Herausforderung ist, das wirklich so runterzubrechen, dass es, ich verwende mal den Begriff von Conny Dethloff, dass es handlungsleitend ist.

Johann Anders: Ja. Glaube ich Dir. Und das, muss ich sagen, war das Tolle, was ich als Value Stream Manager bei Parker gelernt habe, war ein durchgängiges Shopfloor Management, basierend auf einer guten Zielmatrix. Ich würde jetzt nicht sagen Hoshin-Kanri-mäßig aufgebaut, aber so ein bisschen in der Richtung. Du konntest von denen Zielen deiner Division auf das Werk gehen und die Ziele waren auch allen bewusst. Das heißt, die hängen in der Werkshalle, jeder wusste, wo sie stehen, auch den Monat über, wo ist der Umsatz, wie viele Unfälle hatten wir und so weiter. Jeder konnte die Kennzahlen sehen und auch dann weiter runtergebrochen auf den Value Stream bis hinunter zur einzelnen Linie, die bei uns aus ein oder zwei Leuten bestand, das heißt, du konntest wirklich, praktisch auf die Mitarbeiter die Ziele unterbrechen und wenn du dann dieses sogenannte day by the hour hast oder eine Takttafel oder sonst was, siehst du ja sofort die Probleme, die du hast den Tag über. Die kannst du sammeln die Woche über und dann weißt du auch sofort, was du angeben musst und wenn dann 5S nicht das größte Thema ist, dann ist es meiner Meinung nach auch richtig, erst mal andere Themen anzugehen.

Götz Müller: Ja. Weil das, glaube ich, dann, da kommt mir jetzt eine andere Situation in den Sinn, weil da die Gefahr, dass man bei den Mitarbeitern Menschen in des völliges Unverständnis zurecht erntet, viel zu groß ist. Ich erinnere mich da eine Situation, da wurde, ein Stück weit zu Übungszwecken, ein Rüstworkshop gemacht. Es war aber relativ unglücklich halt aus, im Grunde Randbedingungen, für die da hinterher keiner echt was konnte, und zwar wirklich, jetzt nicht als Ausrede, sondern wirklich nichts konnte, wurde aber halt ein Rüstworkshop an einer Maschine gemacht, wo im Grunde die definierte Vorgabe der Rüstzeit immer eingehalten wurde und sich natürlich dann die Mitarbeiter zurecht gefragt haben „Warum machen wir denn das?“ Und die Gefahr besteht natürlich, habe ich jetzt bei dir rausgehört, bei 5S natürlich genauso. Wenn es halt sauber ist, wie geleckt, dann muss ich nicht auch noch hier das letzte Staubkorn wegwischen.

Johann Anders: Ja. Es kommt immer drauf an, in was für einem Bereich man ist. Wobei man ja auch sagen muss, und das ist mir dann auch aufgefallen, wenn du 5S nicht als Methode siehst praktisch, um zu putzen und den Arbeitsplatz sauber zu halten und in Ordnung zu halten, sondern dass das, ich sage jetzt mal auf der Meta-Ebene, praktisch etwas ist, wo du lernst, Standards einzuhalten, dann ist 5S natürlich ein richtig tolles Tool. Das war nämlich etwas, was in meinem Bereich wirklich schlecht ausgeprägt war. Die Leute haben … wir hatten zwar Arbeitsanweisungen, aber am Ende hat jeder gebaut, wie er wollte und dadurch hast du Qualitätsprobleme, du hast Lieferschwierigkeiten, weil jeder anders produziert und dann halt mal früher oder später fertig wird und so weiter und so fort. Wenn du über 5S lernst praktisch, Standards einzuhalten, dann strahlt das ja praktisch auch in andere Bereiche aus, wie zum Beispiel Qualität und Lieferfähigkeit,

Götz Müller: Ja, und du vermeidest, zumindest jetzt mein spontaner Gedanke, und wenn ich mal reflektiere, wo ich es erlebt habe, vermeidest du jetzt eben auch, jemandem sagen zu müssen „Hey, du musst das an der Stelle so machen.“, weil du ja sonst sofort in die Diskussion reinspringst, wenn du drei Leute hast und die machen es alle unterschiedlich, ja, wer macht denn jetzt am besten. Wenn du es aber eben, wie du es genannt hast, auf der Metaebene angehst dieses Thema Standard, glaube ich, und du hast im Grunde bestätigt, strahlt es dann in die andere Richtung auch aus.

Johann Anders: Ja. Nur hat es mich fast drei Jahre gekostet, bis ich diese Erkenntnis irgendwann hatte.

Götz Müller: Ja. Das … Ich glaube, manche Sachen … das ist ja eine Art von Problem und wenn du nicht auf so ein Problem stößt, dann, geht mir im Grunde genauso, dann kannst du dir gar nicht vorstellen, dass das ein Problem ist, wenn du es nicht selber erlebt hast und dann hörst du es vielleicht von anderen, aber du sagst dir dann so ein bisschen unbewusst, über was diskutieren die jetzt gerade. Gut. Vielleicht jetzt mal ein bisschen zurück … durch deinen Wechsel in den verschiedenen Stationen, also sowohl Stab als auch Linie, wobei natürlich, wenn ich es richtig verstanden habe, natürlich die Position eine andere ist, die du jetzt hast und die du am Anfang gehabt hast, zwar inhaltlich vielleicht, was das Lean angeht, ähnliche Einflussmöglichkeiten hast, aber jetzt stehst du halt in der Manager-Funktion, während du halt vorher, in Anführungszeichen, nur der Industrial Engineer warst. Was war jetzt, was ist jetzt daraus deine Erkenntnis, Schlussfolgerung und vielleicht auch ein Stück weit, vielleicht noch nicht gleich, aber möchte ich durchaus diskutieren, Empfehlung für jemanden, der selber gerade in einer gewissen Entwicklung ist? Oder so eine Frage, die also wieder gestellt wird, was würdest du deinem 5 Jahre jüngeren Ich für eine Empfehlung geben durch die große Lean-Brille.

Johann Anders: Ja. Generell, und das ist jetzt wieder einfach daher gesagt, ist Go to Gemba. Man muss sich viel, viel stärker noch mal in die Situation reinversetzen, wenn man jemanden versteht. Wenn man nicht versteht, was ist jetzt tatsächlich das Problem oder warum macht er jetzt nicht das, was meiner Meinung nach das Richtige ist, habe ich gelernt, mich deutlich stärker zu hinterfragen, einerseits, und andererseits aber auch für sich selber ein relativ robusten Werteapparat zu schaffen. Das heißt, ich habe am Anfang meiner Tätigkeit als Value Stream Manager viele Sachen gemacht, um halt die Zahlen hinzukriegen. Report the Numbers war immer das Thema und habe mir damals aber immer gedacht, das ist eigentlich nicht so, wie ich gelernt habe, wie Lean funktioniert. Beispielsweise, am Ende des Monats, wenn der Umsatz noch nicht stimmt, Aufträge aus den nächsten Monat vor zu holen, praktisch vor zu produzieren. Und dann am Anfang des nächsten Monats ein riesiges Loch zu haben, wo du die Leute nicht beschäftigen kannst. Das weiß man, dass es nicht richtig ist, wenn man aus der Lean-Welt kommt, man macht es trotzdem, wenn man unter Druck gerät. Erst so zum Ende meiner Zeit habe ich dann für mich wirklich festgestellt und mir auch ganz klar gemacht, du machst das, was deiner Meinung nach richtig ist. Und diese zwei Sachen: einerseits relativ fest zu sein in seinen Werten und das zu machen, was man glaubt was richtig ist. Das heißt, wenn man glaubt, dass 5S das richtige Mittel ist, dann sollte man 5S richtig pushen. Wenn man glaubt, dass One Piece Flow das richtige Mittel ist, um hier besser zu werden, dann sollte man das auch pushen. Auf der anderen Seite, wenn man Gegenwehr bekommt, nicht einfach nur abtun und zu sagen, das sind die Alten, die verstehen das nicht, sondern wirklich in den Diskurs zu gehen und zu überlegen, warum reagieren die so, wie die reagieren. Das hat mir echt geholfen. Das war … also mein ehemaliger Meister ist so ein norddeutscher Trotzkopf. Das erste, was er mir an meinem allerersten Arbeitstag gesagt hat war „Von Lean halte ich nichts.“, wir hatten dann aber am Ende die beste Arbeitsbeziehung, am Ende meiner Zeit, weil wir uns offen die Sachen an Kopf schmeißen konnten. Ich konnte ihn verstehen, warum er manchmal so reagiert, wie er reagiert hat. Und mir war dann auch bewusst, wie ich mit ihm umgehen muss. Zum Beispiel, wenn ich eine Sache umsetzen möchte, die ihm missfällt, dann habe ich mir einfach mehr Zeit dafür genommen, dann habe ich ihm das drei Wochen vorher schon mal so mal vor die Füße geworfen, dass er drüber nachdenken kann, dann habe ich ihn ein bisschen in Ruhe gelassen, dann haben wir noch mal darüber geredet und so habe ich ihn dann langsam in die Richtung bewegen können, wo wir meiner Meinung nach hinkommen mussten.

Götz Müller: Ja. Das kann ich nur bestätigen und da finde ich das ist auch das, ich glaube, es ist das sechste Prinzip, das in den original fünf Prinzipien ja gar nicht drin ist, dieses Respect for People und du hast es, finde ich, sehr treffend ausgedrückt mit diesem Zeit nehmen. Und halt auch mal Zeit nehmen, die man eigentlich nicht hat und auch weiß, dass man sie nicht hat und sich die Zeit trotzdem zu nehmen, aber das macht, das erlebe ich auch immer wieder, das macht einen riesigen Unterschied.

Johann Anders: Ja. Das glaube ich auch. Ich sage es jetzt schon meinen Mitarbeitern hier bei Putzmeister, dass es bei Metabo so war, dass wir Sachen damals umgesetzt haben, die am Anfang meiner Zeit diskutiert wurden. Das heißt, es hat uns fünf Jahre gekostet, bis etwas, was wir uns mal ausgedacht haben, dann auch am Ende umgesetzt wurde. Manchmal muss man gegen die Wand laufen und zwar solange, bis man sich eine blutende blutige Nase geholt hat und die Wand dann irgendwann auch mal nachgibt.

Götz Müller: Und auch ein Stück weit diese andere alte Plattheit „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.“

Johann Anders: Richtig.

Götz Müller: Manche Sachen brauchen einfach Ihre Zeit. Gut. Vielleicht noch mal ein bisschen zu deinem Stationen, noch mal ein bisschen vertieft, was war für dich der Impuls, die, ich nenne es mal ein bisschen krass vielleicht, die Seiten zu wechseln, immer wieder die Seiten zu wechseln?

Johann Anders: Bei meinem ersten Wechsel, das hatte ich ja schon ein bisschen ausgeführt, war es hauptsächlich dieses „Ich kann’s besser.“ Da war ich ja noch jung und unerfahren, sage ich mal, um dann zu lernen, wie es wirklich läuft in der Produktion und der zweite Wechsel war so ein bisschen die Erkenntnis, dass ich eigentlich nicht dieses direkte Management mag, sondern mich doch eher als Lehrer und Coach sehe und auch wenn wir häufig propagiert bekommen, dass Manager Coaches sein müssen, und ich das auch unterschreibe, glaube ich, dass es in der Produktion teilweise, gerade an der vordersten Front, halt nicht immer mit Coaching geht, dass man da auch direkte Ansagen braucht und in dieser Situation habe ich mich jetzt nicht so wohl gefühlt, weil ich das Lehren lieber mag und deswegen bin ich halt wieder in diese Doppelrolle jetzt zurückgegangen, wo ich auf der einen Seite ein Coach sein kann als Lean Manager, andererseits aber auch ganz klar den Manager-Alltag immer noch dabei habe, als Leiter von der Arbeitsvorbereitung und Fertigungssteuerung, wo wir ja praktisch als gemeinsame Abteilung die Prozesse hier im Werk echt in der Hand haben.

Götz Müller: Ja. Jetzt an der Stelle vielleicht noch mal zur Reflexion, aber auch bisschen, ich habe da durchaus mein eigenes Bild, aber das ist halt mein Bild und muss nicht richtig sein … der Gesamtkomplex noch mal, einerseits, ja, von oben runter wird gesagt „Wir machen Lean.“, und dann hast du es aber schon angedeutet, aber immer mal wieder sind dann doch andere Sachen wichtiger und natürlich auch da dieser ständige Spagat zwischen dem Wichtigen und dem noch Wichtigeren, was sich durchaus auch wieder ändern kann, was ist da deine Erfahrung, was die, nennen wir es Rolle, angeht, dieses Kontextes, der da wieder aufgeprägt wird?

Johann Anders: Ja. Da hast du absolut Recht. Jetzt, wo du es gesagt hast … es ist tatsächlich eines der größten Themen gewesen in der Zeit, dass ich halt gezwungen … oder sagen wir es so, dass ich mich so gezwungen fühlte, Sachen zu machen, die nicht dem entsprachen, was ich als Lean sehen würde. Kann durchaus sein, dass es anders gemeint war. Wenn man sich Parker anguckt, oder auch mit vielen der Leute da redet, die wirklich tief in die Materie sind, dann sind da sehr viele Überzeugungstäter. Und Parker ist er auch zum Beispiel in den USA eine der Lean-Vorzeigefirmen. Andererseits ist es halt auch eine amerikanische Firma und die ist halt sehr kurzfristig denkend, und das hat für mich dann am Ende nicht so zusammen gepasst, weil Lean halt, wir hatten es gerade, eher nachhaltig ist und eher langfristig angelegt ist. Und wenn ich dann aber kurzfristige Quartals- oder Monatsziele erreichen muss durch Maßnahmen, die mir nicht so passen, dann beißt sich da etwas, ja, das hat sich in der Zeit einfach immer mehr verstärkt.

Götz Müller: Was wäre, wenn wir so ein bisschen Richtung Schluss gucken, so zum Abschluss noch mal, was wäre deine Empfehlung für jemanden, der in einer ähnlichen Situation ist? Was für, ja nennen wir es mal so, was für Fragen sollte man sich stellen, um dann für sich selbst wieder eine gute Entscheidung zu treffen? Weil deine Entscheidung muss ja nicht für jeden anderen genau die gleiche passende sein.

Johann Anders: Ja. Das ist eigentlich relativ einfach, auch wieder eine Plattitüde aber, „Love it, change it, or leave it.“. Also entweder du magst es, dann hast du ja diese Gedanken gar nicht oder du hast die Möglichkeit und den Willen, etwas zu verändern und du glaubst, dass es funktioniert und dass du das kannst oder du beschließt für dich, dass es besser ist, woanders oder etwas anderes machen. Es kann ja durchaus sein, dass man im gleichen Unternehmen irgendwas anderes macht, was einem mehr Spaß macht oder was einem besser passt oder man entscheidet sich halt das Unternehmen zu wechseln. Ich glaube, rein theoretisch auch, dass diese change-it-Geschichte funktionieren kann. Also dass soll jetzt nicht heißen, dass, wenn es einem nicht gefällt im Job, dass man dann immer den Job wechseln muss. Man sollte es versuchen und wenn man dann wirklich ein oder zwei Versuche gemacht hat und es hat sich nicht so geändert, wie man wie man sich das vorgestellt hat, dann sollte man halt überlegen, ob es das Richtige für einen ist.

Götz Müller: Aber ich glaube, das Allerwichtigste ist eine bewusste Entscheidung zu fällen, sich selber immer wieder zu hinterfragen, sich Fragen zu stellen, was ist das, was ich wirklich will. Vielleicht an der Stelle aber auch von mir ein bisschen der Tipp an die Führungskräfte, die jetzt vielleicht zu hören, auch Ihren Mitarbeitern, aktiv diese Frage zu stellen und gegebenenfalls diesen Prozess, den jeder Einzelne durchläuft, ich will jetzt nicht sagen beeinflussen, aber auf Ballhöhe zu sein und dann nicht, ich weiß nicht, wie weit das jetzt bei dir in deiner vorigen Position dann vermutlich mal relativ überraschend kam von deinem Vorgesetzten, dass du einen Zettel hingelegt hast.

Johann Anders: Jein, würde ich sagen. Da war, glaube ich, ein gewisses Bauchgefühl da, aber auch die Hoffnung, dass es halt nicht in letzter Konsequenz soweit kommt.

Götz Müller: Ja. Wobei die Konsequenz passiert halt, und ich würde jetzt mal einfach, das soll jetzt nicht dir Honig um den Bart geschmiert sein, aber ich glaube, er hat da jemand ziemlich Gutes verloren.

Johann Anders: Kann man so sehen. Ich weiß es nicht. Aber du hast absolut Recht, weil … das ist aber auch eine Sache zum Beispiel, die ich hätte anders machen können oder besser machen können. Ich hab nie wirklich so offen den Austausch gesucht, also das kann man auch jedem Arbeitnehmer dann wiederum natürlich vorschlagen. Wenn es einem nicht gefällt, dann sollte man das ganz offen ansprechen und nicht nur so mal rummaulen oder mal einen Kommentar machen. Meine Chefin meinte irgendwann, ein bisschen später nachdem ich gekündigt hatte, dass sie es im Bauchgefühl hatte, weil ich immer ironischer wurde. Aber dann ist ja keinem geholfen.

Götz Müller: Nein. Ich denke, hier maximale Offenheit vor allem sich selbst gegenüber, aber den anderen gegenüber und dann natürlich aber auch immer vorausgesetzt ein fairer Umgang miteinander und nur, weil man mal anderer Meinung ist, dann nicht jemanden nur deshalb abzustrafen, was ja durchaus auch passieren soll.

Johann Anders: Ja, habe ich auch schon gehört.

Götz Müller: Gut. Johann, ich fand, das war eine klasse Unterhaltung mal in einer etwas anderen Art und Weise, aber ich glaube auch, ich habe da einige Personen vor meinem geistigen Auge, auch für die hoffentlich ziemlich wertvoll, weil man sich eben immer wieder Fragen stellen muss, auch sich selber Fragen stellen muss, weil nur wenn man Fragen stellt, man die Chance auf geeignete Antworten hat.

Johann Anders: Richtig. Und was mir gerade gekommen ist, als du das gesagt hast, als Leaner ist man irgendwie dauer-unzufrieden, weil man immer weiß, was besser geht und dass man es besser könnte und so weiter. Von daher sollte man nicht verzagen.

Götz Müller: Gut. Ich glaube, wenn man in die Zufriedenheit reinrutscht dann, wir hatten ja mal eine Diskussion darüber, wann ist man Lean als Unternehmen, wenn man in eine Zufriedenheit als Lean-Fan, nenne ich es mal, reinrutscht, dann wird es auch schwierig.

Johann Anders: Das auch.

Götz Müller: Gut. Also ich danke dir nochmals für deine Zeit.

Johann Anders: Götz, ich danke dir vielmals.

Götz Müller: Das war die heutige Episode im Gespräch mit Johann Anders zum Thema Einmal Lean, Linie und zurück. Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 202.

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Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.

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