Kaizen 2 go 201 : Kommunikationsprozesse in Unternehmenskrisen


 

Inhalt der Episode:

  • Was sind typische Krisenszenarien, die Unternehmen betreffen?
  • Welche Erstreaktionen sollten Unternehmen in Krisen zeigen?
  • Wie kann man sich auf der Kommunikationsebene grundsätzlich auf potenzielle Krisen vorbereiten?
  • Wie unterscheidet sich die Kommunikation nach innen von der nach außen? Welche typischen Adressaten der Kommunikation kann man nach innen und nach außen unterscheiden?
  • Gibt es inhaltliche Grenzen bei der Kommunikation?
  • Wann sollte man proaktiv kommunizieren?
  • Wenn vorhanden, welche Vorteile kann reaktive Kommunikation haben?
  • Wie sieht der Einstieg ins Krisenmanagement aus?

Notizen zur Episode:


Mitmachen?

Wenn Sie selbst ein interessantes Thema für eine Episode im Umfeld von Geschäftsprozessen haben, können Sie mir das auf dieser Seite mit Vorbereitungsfragen vorschlagen.

Ich freue mich darauf!

Ihnen hat der Inhalt gefallen? Dann bewerten Sie die Episode bitte bei iTunes.
Jetzt eintragen und Artikel/Denkanstöße zukünftig per eMail erhalten.

Artikel teilen auf ...


(Teil)automatisiertes Transkript

Episode 201 : Kommunikationsprozesse in Unternehmenskrisen

Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.

Götz Müller: Heute habe ich Klaus-Ulrich Moeller bei mir ein Podcastgespräch. Er ist Zeitgeistexperte, Zukunftsforscher, Vortragsredner mit langer Industrieerfahrung. Hallo Klaus-Ulrich.

Klaus-Ulrich Moeller: Ja, hallo zurück.

Götz Müller: Schön, dass es heute klappt. Ich habe schon ein paar Sätze zu dir gesagt, aber stell dich doch gerne noch mal ein bisschen intensiver den Zuhörern vor, was dein Hintergrund ist, und ich glaube, da können wir dann auch einen guten Bogen schlagen zu unserer Unterhaltung heute.

Klaus-Ulrich Moeller: Ja, gerne. Was habe ich gemacht alles? Studiert, ich bin, ja, promovierter Historiker, bin Journalist, habe sieben Jahre bei den Stuttgarter Nachrichten gearbeitet und war dann 15 Jahre in der Industrie war Kommunikationschef bei Lufthansa, TUI, PricewaterhouseCoopers, ja, und danach habe ich, jetzt seit ein paar Jahren versuche ich diese ganzen Erfahrungen zusammenzufassen, in der einen Frage, die uns alle und viele Unternehmen und Menschen eben im Moment auch immer wieder beschäftigt: Was kommt da in der Zukunft eigentlich auf uns zu? Das, was man in USA ja als foresight bezeichnet oder Futurismus oder futursim, das ist in Europa und Deutschland noch nicht so richtig angekommen. Die Frage, mit welchen Tools, mit welchen Möglichkeiten können wir aus dem, was wir heute sehen an Trends, an Entwicklungen, in der Gesellschaft, in der Politik, die ganze künstliche Intelligenz, was können wir daraus für die Zukunft ableiten? Und das ist das, was mich im Moment beschäftigt und da berate ich unternehmen ein bisschen, bin da viel als Vortragsredner unterwegs, schreibe meine Blogs und ja, und bin natürlich jetzt auch im Homeoffice.

Götz Müller: Und jetzt haben wir uns ja heute spannendes Thema ausgesucht, das, glaube ich, für den Fall, dass es jetzt jemand vielleicht in ein paar Jahren sich anhört, es geht um Unternehmenskrisen und es geht dann in dem Kontext um Kommunikationsprozesse in dem Umfeld, vielleicht ein Stück weiter schon in Zukunft geguckt, was ja durchaus spannend ist. Du hast ein Buch rausgebracht, mit dem erstmal verblüffenden Titel „Der Skoptimist: Gedankensplitter zur unfertigen Zukunft“, was, glaube ich, Zukunft so grundsätzlich mit sich bringt. Vielleicht magst du da auch noch ein paar Sätze zur Einleitung dazu sagen.

Klaus-Ulrich Moeller: Ja, der Skoptimist ist diese Verkoppelung zwischen Skepsis und Optimismus und ich glaube, dazwischen brauchen wir irgendetwas. Wir sehen auf der einen Seite ja auch ganz, ganz viel, ich sage mal, so bezahlten Zukunftsoptimismus in den Unternehmen, seien wir doch ehrlich. So Führungskräfte und Unternehmer werden auch dafür bezahlt, dass sie optimistisch in die Zukunft schauen, sonst wären sie ihr Geld nicht wert. Und sehen auf der anderen Seite aber auch ja Untergangsphantasten, viele extreme Pessimisten. In Deutschland ist das Meinungsklima, was die Zukunft angeht nicht besonders positiv und da ist die Frage ja, welche Haltung ist denn dazwischen richtig, und da habe ich diesen Begriff des Optimisten eben geprägt, ja, den vielleicht auszeichnet, dass er auch die Dinge erstmal beobachtet, was da überhaupt passiert. Wir bilden uns ja zu allem ganz schnell eine Meinung, wir haben sofort irgendwo was das posten wir dann sofort in Facebook, dann ist das draußen. Aber das ist so der rote Faden in dem Buch. Eine feste Meinung zu haben, das ist meine These, tötet uns die Neugier ab, weil wir dann glauben, wir hätten eine bestimmte Sache oder einen bestimmten Sachverhalt verstanden. Und das ist eben nicht der Fall. Und um offenes Bild für die Zukunft zu behalten und uns nicht frühzeitig zu verengen, das ist, glaube ich, eine ganz, ganz wichtige Zukunftsfähigkeit, die wir auch in Unternehmen brauchen.

Götz Müller: Und ich glaube, das passt jetzt auch zu dem großen Rahmen. Wie gesagt, für die, die das vielleicht in zwei, drei Jahren hören, es geht um Corona, also sprich auch, was hat das für Auswirkungen auf Unternehmen, die dadurch und dein Stichwort Lufthansa zum Beispiel, oder andere Reiseveranstalter, glaube ich, trifft es da ziemlich gut, die doch ziemlich in Krisen drinstecken und wie gehen sie damit um und wie kommunizieren in den Krisen?

Klaus-Ulrich Moeller: Ja. Jetzt ist natürlich der große Vorteil dieser Unternehmen und dieser betroffenen Branchen, du hast es ja genannt, Reisebranche, Tourismusbranche, Luftfahrtbranche, alles, was mit Mobilität zu tun hat. Die sind geübt in Krisen. Wir erinnern uns an die Ölkrise im letzten Jahrhundert, wir erinnern uns an 9/11, wir erinnern uns, jedes Mal sind Tourismus und Luftfahrt eingebrochen. Das heißt also, der Rückgang von Fluggastzahlen, von, weiß ich nicht, dreißig-, vierzigprozentigen Bereich ist für die Unternehmen nichts Neues. Die haben da ausgeklügelte Unternehmensstrategien, Krisenstrategien, da sind Krisenstäbe, da sind Krisenhandbücher, da ist alles da und da weiß man genau, in welchen Stufen man so ein Unternehmen runterfährt und die dann auch wieder hochfährt. Ich glaube, man sieht das in der Krise im Moment ganz gut, wie schnell die Lufthansa reagiert hat, wie schnell sie 700 Flugzeuge von 790 insgesamt grounden konnte und dann sofort ein Exit-Plan entwickelt hat, der jetzt mit dem Staat auch zusammen verhandelt wird, wie rettet man das Unternehmen. Also das sind sehr kühl denkende Manager. Die kleineren Unternehmen, alle auch bis in den größeren Mittelstand hinein, haben das nicht. Vor allen Dingen in Branchen, die diese Krisen nicht gewohnt sind, bei denen alles gut gelaufen ist in den letzten zehn, fünfzehn Jahren und die müssen jetzt anfangen damit, erstmal ein Krisenbewusstsein zu entwickeln, da kommen wir sicherlich im Laufe des Gesprächs noch drauf. Aber da sehe ich einen ganz entscheidenden Unterschied zwischen Firmen, die das schon, wie gesagt gewohnt sind, dazu gehören dann auch zum Beispiel die Chemiebranchen, dazu gehört die Energiebranche mit den ganzen Atomunfällen, die wir gehabt haben in Harrisburg oder in Tschernobyl oder Fukushima, oder eben auch die Chemiebranche, ich erinnere an Bhopal, wenn wir die ganzen Krisen mal durchgehen, dann haben wir eben einen Bereich von Firmen, die im Krisenmanagement sehr, sehr geübt sind, aber das trifft eben auf den Großteil des Mittelstandes, auf die KMUs eben gar nicht zu.

Götz Müller: Gut, bevor wir da weiter ins Detail reingehen, du hast jetzt ein paar Branchen genannt, was sind denn so typische, wenn man überhaupt davon reden kann, was sind denn so typische Krisenszenarien, die dann Unternehmen betreffen und ich könnte mir vorstellen, dass man einerseits interne Anlässe festmachen kann, aber eben die Aspekte, die du genannt hast, sind ja in der Regel externe Impulse, Auslöser gewesen.

Klaus-Ulrich Moeller: Das ist richtig. Das kann ganz viel sein. Das kann anfangen damit, dass mir mein größter Kunde wegbricht. So, plötzlich habe ich, wenn ich nicht richtig aufgestellt bin, habe ich einen Umsatzeinbruch von 50%. Das passiert ja auch vielen. Das ist schon etwas, ich sage mal eine Situation, die klassisch nicht als Krise wahrgenommen wird, aber es ist eine Krise, die ein Unternehmen sofort in Liquiditätsprobleme stürzen kann. Eine andere Möglichkeit ist natürlich, wenn dir auf deinem Firmengelände, wenn du mit kritischen Stoffen arbeitest, dir fliegt, weiß ich nicht, irgendein Betriebsgebäude in die Luft und dann hast du eben, was weiß ich, auch Stoffe, die von der Feuerwehr wieder eingefangen werden müssen irgendwo, die Kommunen müssen benachrichtigt, das Umfeld muss benachrichtigt werden, Fenster müssen geschlossen werden et cetera. Das geht dann alles in Krisenschritten, ja, oder dass mir eben die Lieferketten wegbrechen, all das, was wir gar nicht für möglich gehalten hätten und was jetzt passiert. Das eben gesamte Lieferketten wegbrechen, das die gesamte Marktnachfrage im Grunde genommen wegbricht, wenn niemand rausgeht. Und dann wird mein Produkt möglicherweise auch nicht mehr nachgefragt, also ganze Märkte brechen ja weg und das ist eine Erfahrung, mit der viele Unternehmen bisher noch keine Bekanntschaft gemacht haben.

Götz Müller: Anhand von den Beispielen, die du genannt hast, könnte ich mir vorstellen, dass Krisen irgendwo in typischen, ja, ich denke immer in Prozessen, also in sich, ein Stück weit, wiederholenden Elementen ablaufen und von dem abgeleitet, denke ich dann auch darüber nach „Okay, ich habe dann auch irgendwo vielleicht so etwas wie typische Reaktionen, zum Beispiel typische Erstreaktion.“

Klaus-Ulrich Moeller: Du meinst jetzt im Idealfall oder in der Realität?

Götz Müller: Sowohl als auch.

Klaus-Ulrich Moeller: Ja, ich meine, wir sehen das ja im Moment. Da sitzen viele Unternehmen jetzt schon dran, das erste Mal, wenn man durch so eine Situation durchgelaufen ist, sagt man „So, was lief gut, was lief schlecht?“. Plötzlich merkt man, das Krisenhandbuch ist total veraltet, man hat nicht mehr die richtigen Telefonnummern, nicht mehr die richtigen Ansprechpartner. Man hat auch nicht geregelt, wie ein Krisenstab zusammengesetzt ist, man hat nicht geregelt, wer den Chef vertritt, wenn der zufällig noch im Skiurlaub in Chile ist und nicht mehr zurückkommt in der Corona-Krise und diese Dinge sind dann alle nicht geregelt. So und dann haben wir natürlich einen ganz typischen Fall von Reaktion, gerade auch so aus den Chefetagen, man redet eine Krise klein. Man will nicht wahrhaben, dass hier ein sehr, sehr ernsthafter Vorgang gerade stattgefunden hat, sondern man will das Unternehmen möglichst aus den Schlagzeilen auch raushalten und dann kriegt eben der PR-Chef, und ich habe das ja nun viele, viele Jahre erlebt, dann die Anweisung, da kommt der Chef rein und sagt „Möller, wir haben alles im Griff, erzählen Sie das mal der Presse.“. So. Das ist natürlich keine adäquate Reaktion, sondern Krisenkommunikation ist natürlich ganz anders aufgebaut. Krisenkommunikation beinhaltet als erstes: Ich muss einen Vorfall ernst nehmen. Ich muss deutlich machen, dass ich das alles im Griff habe, dass ich sofort Angehörige informieren kann, dass ich in der Lage bin, sofort Kommunen zu informieren, die Nachbarschaft zu informieren. Und ein Unternehmen, dass das kann. Das kriegt in der Krise, man glaubt das ja auch gar nicht, kann in der Krise eine ungeheure Reputation gewinnen, wenn man am Ende sagt „Mensch, die haben das aber gut im Griff gehabt.“. Wenn sich öffentlich der Eindruck breitmacht, das war alles chaotisch, die Kommunikation hat versagt und letzen Endes ist es alles in einem fürchterlichen Durcheinander geendet, ja, dann verliert das Unternehmen an Reputation. Also wenn das professionell abläuft, ist ein gewaltiger Reputationsgewinn möglich und dann traut man dem Unternehmen auch zu, dass es alle kleinen Probleme, die später mal auftauchen lösen, kann, und das wird oft unterschätzt, weil man denkt, man baut Reputation im normalen Business auf. Das dauert wahnsinnig lange, das wissen wir alle. In der Krise kann ich Reputation wahnsinnig schnell aufbauen, aber eben auch wahnsinnig schnell verlieren.

Götz Müller: Ja. Kann man sich dann auf so eine Situation, die ich ja typischerweise halt vorher nicht kenne, kann ich mich dann auf sowas überhaupt vorbereiten, auf einer vielleicht abstrakten Ebene, außer jetzt Telefonnummern zusammen?

Klaus-Ulrich Moeller: Ja, absolut. Es fängt mit ganz, ganz praktischen Dingen an, ich muss mit der Gemeinde klären, wo sind die Rufnummern, wenn etwas nach 18 Uhr passiert, brauche ich natürlich eben die Handynummern und nicht irgendeine Durchwahl in irgendeinem Festnetz und dann muss ich, dafür gibt es ja genügend Checklisten überall auch, oder ich bau mir die Checkliste selber, mit meinen Ansprechpartnern, mit den Mitarbeitern, die sofort reingeholt werden müssen, der Frage wie organisiere ich den Krisenstab und da passieren eben die abenteuerlichsten Dinge. Dann merkt man plötzlich, die Leute versammeln sich dann in dem Büro, sechs Leute und die sind der Krisenstab, haben aber gerade mal zwei Telefone zur Verfügung, es rufen aber so durchschnittlich 80 Leute an pro Minute. So, das heißt also, man ist von der Infrastruktur her schon gar nicht auf diese Stresssituation eingerichtet und das gehört eben auch dazu, dass ich sage, wo kriege ich ganz schnell sozusagen ein Callcenter her, in dem die Anrufe einlaufen, wo krieg ich eine Telekommunikationslösung her, wo mir eventuell mein eigener Provider sofort 20 Telefone hinbaut, die darüber brauchst übers Internet gehen und diese Dinge muss ich berücksichtigen. Also es geht um weit mehr als um Telefonnummern. Und dann muss ich mich natürlich eben um die ursprüngliche Krise auch noch mal kümmern, ja. Ich muss dafür sorgen, dass die Presse, die vielleicht vor dem Firmengelände steht, informiert wird, dass die Presse eventuell Zugang erhält, dass die Presse informiert wird in regelmäßigen Abständen. Also das geht dann alles in den Bereich Krisenkommunikation hinein, das würde ich bisschen trennen vom Krisenmanagement. Also das ist schon eine ganze Aufgabe, die man davor sich hat. Ich erlebe es im Moment, ich weiß nicht wie es dir geht mit deinen Kunden, die sagen in der Tat „Da müssen wir jetzt mal ran. Das müssen wir mal besser aufbauen und organisieren als wir das jetzt bisher getan haben.“.

Götz Müller: Ja, ich nehme es halt so war, dass, das höre ich bei dir auch raus, dass einfach Ressourcen gebunden werden, die mir dann für das klassische Tagesgeschäft nicht mehr zur Verfügung stehen.

Klaus-Ulrich Moeller: Ja. Du hast, je nach Krise findet natürlich eben kein klassisches Tagesgeschäft mehr statt, das muss man ja auch sehen. Da ist für den Moment alles gebunden. Und dann musst du … wir haben ja alle schon solche Beispiele schon mal durchlebt und wissen, dass wir da keine Stunden Zeit haben, um uns dann darauf vorzubereiten, sondern wenn ein solcher Fall eintritt … Nehmen wir jetzt mal klassisch, irgendwo explodiert etwas oder wir haben ja auch viele Fälle, wo zum Beispiel, wenn ich im Lebensmittelbereich, im Food-Sektor bin, dann habe ich irgendein versuchtes Lebensmittel durch irgendetwas. Ja, wie funktioniert die Rückrufaktion? Und wenn ich da nicht schnell reagiere, dann bin ich … eine halbe Stunde später habe ich die Gewerbeaufsicht am Hals und alle möglichen Behörden und dann fällt mir eben mein langsames Reaktionstempo auf die Füße. Also diese Fähigkeit von Unternehmen sehe ich als entscheidend an, dass sie in einer Stresssituation, einer Krisensituation extrem schnell umschalten können vom normalen, wie du es gerade erwähnt hast, so vom normalen Operationsrhythmus im Unternehmen und vom normalen Tempo in ein extrem hohes Tempo, einen extrem hohe Reaktionsmodus.

Götz Müller: Da kommt mir jetzt gerade im Gedanke, weil du eingangs auch deine Historie Luftfahrt genannt hast, ich hatte vor Jahren schon ein interessantes Gespräch mit einem Flugkapitän, da haben wir uns über Fehlermanagement, Crew Resource Management ist da das Stichwort, das kennst du sicher auch, unterhalten und jetzt wo du so erzählt hast, kommt mir auch ein Gedanke in den Sinn, da läuft ja im Grunde auch so eine Form von Automatismus ab, wo der Pilot schlagartig eben von seinem Autopiloten, Monitoren halt aktiv wird und plötzlich ganz andere Fähigkeiten auch gefragt sind.

Klaus-Ulrich Moeller: Ja, du sagst es. Genau so ist es. Da gibt es dann entsprechende Verfahren auch, da darf dann der Pilot nicht mit dem Co-Pilot erstmal lange darüber nachdenken, was man jetzt wohl so machen könnte, sondern da gibt es eben bestimmte Checkliste, eines der berühmten Worte dafür, oder Formeln dafür, ist dieses FORDEC, Facts, Options, Risks, und so weiter, das wird dann alles durchgegangen und innerhalb von kürzester Zeit muss eine Entscheidung getroffen werden: Was wird gemacht? Werden Triebwerke abgestellt? Wird ein SOS-Ruf abgesetzt? Wo ist der nächste Ausweichflughafen und wen steuert man an?

Götz Müller: Und ich glaube halt, dass eben diese Form von Routine, die anhand von Checklisten zum Beispiel abläuft, dass die mich halt dann auch befreit über solche Dinge, die man im Grunde ein Stück weit voraussehen kann, da jetzt nicht jedes Mal das Rad neu zu erfinden, sondern ich, ich will nicht sagen, ich reagiere automatisch, aber ich kann mich halt auf andere Dinge konzentrieren, auf die, in Anführungszeichen, Freiheitsgrade, die wirklich den Menschen menschlichen Geist brauchen und nicht eine Checkliste.

Klaus-Ulrich Moeller: Ja, absolut, absolut und die Entscheidung dann eben auch die entsprechenden Ressourcen, du hattest das ja auch angesprochen eben schon, die entsprechende Ressourcen freizuschaufeln und sofort ein Krisenstab zu besetzen oder ein Risk-Team zu besetzen, das handlungsfähig ist, das auch den Druck, der von außen kommt, auffangen kann und auf ihn reagieren kann. Das wird meistens auch unterschätzt. Man denkt, dann wird die Sekretärin noch ans Telefon gesetzt und dann sagt man „Beantworten Sie mal die Kundenanfragen.“ und die ist natürlich völlig überfordert. Also man muss dann schon ganz heftig einschneiden und dann auch sofort sagen, hier, die 20 Leute hier, die Abteilung dort rein, was weiß ich, und in großem Stil handeln und nicht kleine Brötchen backen.

Götz Müller: Wenn wir uns jetzt wieder ein bisschen mehr wieder auf die inhaltliche Ebene konzentrieren und zwar auch auf diesen Aspekt Kommunikation nach innen und nach außen, wenn wir eben mal die Unternehmen als Referenzobjekt wählen, würdest du sagen, da gibt's Unterschiede in der Kommunikation nach innen und nach außen?

Klaus-Ulrich Moeller: Auch hier wieder, die Unternehmen, die das gewohnt sind, die kennen den Ablauf, die können auch über ihr Intranet sofort reagieren, da gibt es auch vorgefertigte Sprachregelungen, die man dann verwenden kann, sodass man nicht erst da wieder eine halbe Stunde sitzt „Was sage ich jetzt?“. Die wichtigste Regel, eigentlich, und auch das wird oft falsch gemacht: Interne Informationen vor externer Informationen. Also wenn Mitarbeiter irgendetwas aus der Zeitung lesen.

Götz Müller: Kommt nicht gut.

Klaus-Ulrich Moeller: Dann kommt das nicht so gut, ja. Also, was immer passiert, erste Reaktion Mitarbeiter, dann kann man Kunden und Presse parallel machen und da muss man natürlich ja auch im Blick haben, dass es bestimmte Redaktionsschlusszeiten, die fallen heute im Zeitalter des Internets natürlich oft weg, da wird dann eben sofort auf die Online-Kanäle gestellt bei den Medien und das geht extrem schnell und da muss ich versuchen, dass ich natürlich auch die Deutungshoheit über das Ganze behalte. In der Praxis läuft das dann ja so ab, ein Journalist verlässt sich nicht darauf, was das Unternehmen sagt, die telefonieren mit der Feuerwehr, die telefonieren mit Anwohnern, der Anwohner sagt „Ich habe schon Kopfschmerzen, ich muss gleich ins Krankenhaus.“ und, ja, der telefoniert sechs, sieben, acht Leute durch und da muss ich als Unternehmen gucken, dass ich die Deutungshoheit behalte. Praktisch heißt das, ich muss einen regelmäßigen Informationsfluss sicherstellen, ich muss der Presse und den Medien sagen, jeweils um 11 Uhr morgens gibt's ein Presse Kommuniqué und jeweils um18 Uhr abends gibt's Presse Kommuniqué. Und dann muss ich mich, und das ist die letzte Regel, sonst wird das hier zu breit. Es geht darum nur Fakten oder Einschätzungen geht, mit Einschätzungen und Meinungen lieg ich oder Vermutungen, es könnte das sein, es könnte jenes sein, es könnte auch von daher kommen oder aus China oder aus dem Labor, verunsichere ich nur. Die Fähigkeit nur Fakten zu reportieren und nichts Anderes, das erfordert höchste Disziplin, aber wirkt dann auch sehr professionell.

Götz Müller: Ja. Das möchte ich noch ein bisschen vertiefen, im Sinne von, wieder der inhaltlichen Ebene, und was gebe ich wirklich Preis. Kann man da in irgendeiner Form sagen, es gibt Grenzen oder gebe ich alles preis, was ich weiß, im Sinne von Fakten, weil ich ja sonst riskiere, dass jemand anders halt, wie du es angedeutet hast, die Feuerwehr fragt oder Nachbar fragt und darüber dann andere Art von Fakten entstehen, wo halt, glaube ich, in meinem Weltbild definitiv halt auch sehr leicht Meinungen zumindest für den, der sie ausspricht, ist das ja auch ein Fakt, wenn der Nachbar sagt „Mir tut der Kopf weh.“, dann ist es für ihn ein Fakt, auch wenn die Koppelung vielleicht mit dem Anlass, was da in dem Unternehmen passiert ist, im Extremfall gar nichts zu tun hat.

Klaus-Ulrich Moeller: Das kannst du dann in der Hektik der Krise nicht vermeiden, das passiert dann. Und dann ist der eine Nachbar eben der beste Beweis dafür, dass da eine giftige Substanz ausgetreten ist, die ihm Kopfschmerzen verursacht hat. Das ist so. Die Frage war ja: Soll man alles preisgeben? Das ist so pauschal zu beantworten, ist schwierig. Aber die Regel ist, wenn du nicht ehrlich bist in der Krise oder wenn du musst irgendwo der Eindruck auftaucht, du hältst bewusst mit irgendetwas hinterm Berg, was jemand dann anderswo über eine andere Quelle rauskriegt, dann hast du schon verloren, ja, und wenn du lügst, wenn du etwas Falsches sagst, wenn du sagst, da sind keine giftigen Dämpfe ausgetreten, ohne dass du es weißt, vergiss es, dann kannst du dein Werk schließen. Also, sei ehrlich, auch wenn das eben schmerzhafte Konsequenzen haben kann bis hin zu Schadensersatzprozessen, die kommen dann ja in den Jahren danach noch. Du hast gar keine andere Wahl, du machst dein Unternehmen kaputt, ja. Wenn Coppenrath & Wiese, so ein klassischer Fall, wenn in irgendeiner tiefgefrorenen Erdbeertorte Salmonellen drin waren, wenn Coppenrath & Wiese nicht sofort alle Chargen zurückgezogen hätte, sondern gesagt hätte, in der Hoffnung, dass es vielleicht nur diese paar Dinger da sind, irgendwo in Norddeutschland war das ja, glaube ich, dann hätten sie ständig permanent weiter zurückziehen müssen und dann wäre der erste Schritt schon der Falsche gewesen. Also hier hat sich eben gezeigt, konsequentes Krisenhandeln, auch alle Chargen zurückziehen, selbst wenn sich nachher herausstellt, das war nur die fünf da oben, ist besser als eben schrittweise immer nur das nach zuschieben, wonach die Öffentlichkeit fragt.

Götz Müller: Also durchaus im Sinne von, was man klassisch so proaktiv nennt, vielleicht auch ein Stück weit, habe ich zumindest so rausgehört, mehr tun als direkt notwendig ist und auch vielleicht mehr sagen? Kann man das so ausdrücken?

Klaus-Ulrich Moeller: Du sollst dich schon darauf beschränken, was wichtig ist für die Öffentlichkeit. Also wenn da drei Mitarbeiter, oder weiß ich nicht, da waren zwanzig Mitarbeiter aus dem Werk, die waren da drin, es hat vielleicht fünf Tote gegeben und fünfzehn andere haben sich retten können, dann musst du jetzt nicht da drüber erzählen, wie vier dann nach Hause gefahren sind und was die da zum Abendbrot gegessen haben. Also ich übertreibe jetzt. Da musst du dich wirklich auf das konzentrieren, was für das Verstehen dieser Krise und das Verstehen dieses Unglücks wichtig ist und was an Konsequenzen daraus entstehen kann und dabei ist, wie gesagt, noch mal wichtig, dass du durchaus jeden Schritt aufzählst, was du gemacht hast, damit dieser Eindruck von professionellem Handeln rüberkommt. Dass du sagst, um so und so viel Uhr wurde die Feuerwehr gerufen, rückte mit so und so viel Mann an, Polizei hat um 23:48 Uhr das Gelände abgesperrt. Um 0:13 Uhr ging die Warnung an die umliegenden Einwohner raus, wir haben das und so weiter nicht. Da zählst du alles auf, was du gemacht hast. Das wirkt professionell. Und nicht: „Wir haben unseren Chef irgendwie noch per Handy in Chile erreicht und die Sekretärin wird Ihnen jetzt an seiner Stelle erklären, was hier passiert.“ Also so geht es dann eben nicht.

Götz Müller: Und wir warten dann ab, bis er wieder da ist.

Klaus-Ulrich Moeller: Ja, genau. Er ist leider im Moment nicht zu sprechen, aber er ist morgen wieder da und wenn Sie bitte Ihre Fragen bis morgen aufheben, dann werden wir morgen alles beantworten, was sie wissen wollen.

Götz Müller: Gut. Gibt’s … kann man sich auch Fälle vorstellen, wo man eher reaktiv kommuniziert?

Klaus-Ulrich Moeller: Na ja, ich würde eine zweite … ein zweites Fenster hier mal aufmachen. Wir haben jetzt über Krisen gesprochen als spontane Ereignisse, also ein Flugzeug ist abgestürzt oder ein Virus ist auch letztendlich ein spontanes Ereignis oder irgendetwas explodiert oder weiß ich nicht, alles mögliche kann passieren. Worüber wir nicht gesprochen haben, was ein ganz anderer Krisenverlauf ist, wenn so eine Krise schleichend kommt. Nehmen wir mal an, wir sprechen ja von solchen Sachen, wir sprechen von der Finanzkrise 2008. Die hat sich dann natürlich in einem Ereignis sozusagen eruptiv entfaltet, durch den Konkurs von Lehman Brothers, aber sie hat sich natürlich lange, lange aufgebaut vorher und in dieser Phase hätte man natürlich erkennen können, dass ich hier etwas tut und dass so eine Blase irgendwann mal platzen kann. Also die Krise kam nicht über Nacht und so kommt die Krise auch bei vielen Unternehmen nicht über Nacht. Wir sprechen ja auch von Führungskrisen, wenn Manager oder Führungskräfte ihre Abteilungen nicht im Griff haben. Wenn die Zahlen schlechter werden. Wenn die Krankheitstage bei Mitarbeitern steigen, sprechen wir von Führungskrise, aber bis wir da hinkommen, ist man immer in so einer gedanklich Haltung „Jetzt bloß nicht von Krise sprechen.“ und „Bloß nicht zu früh.“ und „Es wird alles schon gut.“ und „Wenn zwei Kunden abspringen ist, es nicht so schlimm. Wenn zehn Kunden abspringen ist es auch noch nicht so schlimm.“, aber wenn alle weg sind, ist es ganz schlimm. Also die Frage: Wie erkenne ich im Vorfeld, dass sich eine Krise anbahnt und dass da etwas schief läuft. Das ist, glaube ich, der viel schwierigere Teil, auf den ich dann auch nicht reagieren kann oder sehr schwer reagieren kann. Ich will ein praktisches Beispiel mal nennen. Wir kennen alle aus dem Wirtschaftsmagazinen, vor allen Dingen so Manager-Magazine, kennen wir ja die ganzen Skandalgeschichten, dass Unternehmen gegen die Wand fahren und ich weiß nicht was und das sind ja alles ganz schreckliche Nachrichten, also wer im Managermagazin auftaucht, hat meistens nichts zu lachen und über Lufthansa, als ich da war, ging eine Geschichte als Titelgeschichte ins Blatt „Der Bruchpilot“ Und letztendlich, wenn man sich die Sache dann anguckt, da hat ein Journalist sehr genau recherchiert und viele, viele, viele kleine Details zusammengetragen, wo es hapert, an Prozessen, an Margen, an Wachstum, an, ja, Abteilungen, Portfolios, die man noch mitschleppt, Unzufriedenheit im Aufsichtsrat und hat das dann zu so einer Geschichte verstrickt. Das sind alles Sachen, die hat man in dieser Gesamtheit im Unternehmen selber sicher noch nicht gesehen. Und dann war die Reaktion natürlich auch, der Vorstand kam zu mir und sagte „Also, da müssen Sie sofort eine Gegendarstellung machen.“ und ich sagte „Ja, was ich denn gegendarstellen? Was soll ich denn dementieren? Jedes einzelne kleine Detail stimmt.“ Und wie gesagt, darauf wollte ich hinaus, diese schleichenden Krisen in Unternehmen zu erkennen, auch im Mittelstand, das ist ein äußerst schwieriges Feld, aber dazu, ja, wenn du Lust hast, kommen wir da noch drauf, das ist so mein Thema Predictive Acting, also wie erkenne ich Sachen, die mein Unternehmen gefährden können.

Götz Müller: Ja, ich gucke ein bisschen auf die Uhr, jetzt sind wir grob bei einer halben Stunde, was aber keine grundsätzliche Grenze sein soll, aber vielleicht dann doch so ein bisschen den Bogen Richtung Abschluss raus, eine Frage, die ich immer ganz, ganz schnell zum Schluss und ich glaube, da können wir den Punkt aber auch noch mal aufgreifen, wie steige ich denn in Krisenkommunikationsprozesse, langes Wort, nenne ich es mal, wie steig ich denn da ein, wie bereite ich mich also vor, bevor es zur Krise kommt? Damit ich dann einfach die besagte Checkliste aus der Schublade ziehen kann und dann nicht erst in dem Augenblick anfangen muss, ja, was machen wir jetzt. Wie sieht deine Empfehlung aus, in diesen Entwicklungsprozess einzusteigen?

Klaus-Ulrich Moeller: Für ein Unternehmen, das noch gar nichts hat, also white plate, ja, weiße Platte, noch gar nichts da: Eine Simulation machen, das ist der beste Einstieg. Eine Simulation machen, mal die Führungskräfte zusammenrufen und sagen: Was könnte passieren? Und dann spielt man irgendwann einen solchen Fall in real, in Live mal durch. Das ist so etwa, wie du dich auf dem Kreuzfahrtschiff auch irgendwann mal erstmal ins Rettungsboot setzen musst und eine Evakuierungsübung machst. Etwas anderes ist das nicht. So. Die Simulation kann man auch unter Moderation machen, mit jemandem, der ein bisschen Erfahrung darin hat. Und dann sieht man ja, was bräuchten wir denn jetzt. So, dann sieht man plötzlich erstmal, wie schnell alles geht. Ja, wo liegen bestimmte Sachen? Ist die Sekretärin da? Nee, die ist krank. Kommen wir an ihren Schreibtisch ran? Nee, also: Schlüsse der Sekretärin besorgen. Wirklich von ganz unten anfangen, von ganz unten anfangen und am besten mit einer Simulation. Mit einer Simulation eines Ereignisses, das hängt jetzt eben von der Branche, von der Größe des Unternehmens ab, aber „Was kann passieren? Was wäre hier der Worst Case, der uns passieren kann?“ und mit einer Simulation anfangen.

Götz Müller: Und dann, im Grunde fällt mir jetzt der berühmte schwarze Schwan ein, den halt wirklich mal vorsehen, auch wenn man ihn noch nicht gesehen hat.

Klaus-Ulrich Moeller: Genau. Also das ist ja jetzt der Corona, der Virus hier, der ja gerne als Black Swan beschrieben wird, obwohl er das natürlich nicht ist. Wer die virologische Diskussion der letzten zehn Jahre verfolgt hat, der weiß, wie intensiv in der Branche schon diskutieren wurde, auch über die Versuche in den biochemischen Laboren, dass Bill Gates 2015 schon vor so einem Virus gewarnt hat. Also ein Black Swan ist es nicht. Nicht ganz. Man hätte es sehen können.

Götz Müller: Gut. Klaus-Ulrich, ich fand das eine spannende Unterhaltung, mit Aspekten, die ich definitiv so auch nicht auf dem Schirm hatte, man hört da absolut den Fachmann raus, deshalb danke ich dir für deine Zeit.

Klaus-Ulrich Moeller: Ja, ich danke auch zurück und, ja, fand es auch sehr schön.

Götz Müller: Das war die heutige Episode im Gespräch mit Klaus-Ulrich Moeller zum Thema Kommunikationsprozesse in Unternehmenskrisen. Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 201.

Wenn Ihnen die Folge gefallen hat, freue ich mich über Ihre Bewertung bei iTunes. Sie geben damit auch anderen Lean-Interessierten die Chance, den Podcast zu entdecken.

Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.

Hinweis: Ich behalte mir vor, Kommentare zu löschen, die beleidigend sind oder nicht zum Thema gehören.