Kaizen 2 go 283 : Lean Geschichte(n)


 

Inhalt der Episode:

  • Was war der Auslöser für Dich mit der Geschichte von Lean zu beschäftigen?
  • Wie hat Deine grundsätzliche Vorgehensweise ausgesehen?
  • Was sind dabei typische Quellen gewesen?
  • Welche unerwarteten „Wendungen“ sind dabei aufgetaucht?
  • Welche Erkenntnisse konntest Du daraus ziehen?
  • Was lässt sich daraus auf den Umgang mit Lean & Co. ableiten?
  • Wo muss man evtl. das allgemeine Verständnis neu schreiben?
  • Wie geht die Geschichte „weiter“? Wo gibt es noch weiße Flecken?
  • Welche Bücher empfiehlst Du für den Einstieg in die Geschichte, wenn sich jemand genauer informieren will?

Notizen zur Episode:


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(Teil)automatisiertes Transkript

Episode 283 : Lean Geschichte(n)

Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.

Götz Müller: Heute habe ich Jan Fischbach bei mir im Podcast-Gespräch. Er ist Trainer und Coach im Scrum-Kontext. Hallo Jan. Ich habe schon kurz das Stichwort zu dir gesagt, aber stell dich gerne mal den Zuhörern noch in zwei, drei, vier Sätzen vor.

Jan Fischbach: Ja, hallo, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, ich bin Jan Fischbach, ich bin Berater und Geschäftsführer der Common Sense Team GmbH Karlsruhe und ich bin auch Trainer und Berater des Scrum-Events in Stuttgart. Manchmal helfe ich auch anderen Firmen aus, wenn sie mich brauchen, also es kann sein, dass ich auch unter einem anderen Label irgendwo bin. Ich mach' ganz gerne Scrum-Trainings, Scrum-Beratung, ich habe noch andere Themen und in diesem Rahmen kennt mich die agile Community, weil ich das Ubongo Flow Game entwickelt habe oder die online Variante, die UFG Catering Simulation und privat wohne ich nicht in Karlsruhe, sondern oben an der Nordseeküste mit meiner Familie.

Götz Müller: Ja, das finde ich mal grundsätzlich auch spannend und jetzt zum Einstieg die Frage, wir haben heute ein ganz besonderes Thema, was war für dich der Auslöser, dich mit der Geschichte von Lean, aber natürlich eben auch mit gewissen Scrum-Themen und wo es Überschneidungen gibt, überhaupt zu beschäftigen?

Jan Fischbach: Die Ideengeschichte von Scrum ist so ein bisschen mein Herzensthema. Wahrscheinlich hast du auch so ein, zwei Themen, wo du sagst „Da guck ich gerne immer wieder nochmal rein“ oder denkst „Da kann man noch ein bisschen weiter sammeln“. Bei mir war das so, dass wir vor der Coronapandemie als Scrum Events regelmäßig Trainings mit Jeff Sutherland organisiert haben, das ist einer der Co-Erfinder von Scrum und Ende 2015 saß ich bei einem Training mit ihm und er hat ein Buch von Alan Watt? vorgestellt. Einige Lean-Experten kennen Alan Watt, er hat ganz viel über die Produktentwicklung bei Toyota recherchiert und geschrieben. Und da gab es dann in diesem Buch einen Satz, wo Alan Watt einen Flugzeugbauer zitiert und er sagte dann, dieser Flugzeugbauer „Nach dem Zweiten Weltkrieg entdeckte die Luftfahrtindustrie den Computer. Mit Computern wurde zuerst entworfen, dann simuliert, dann neu entworfener, dann neu simuliert und so weiter. Die Kunst Trade-off curves zu erfassen, ging verloren.“ Und das hat mich doch überrascht. Alan Watt schreibt dann immer wieder über diese komischen Trade-off curves und ich wollte jetzt wissen: Was ist das eigentlich? Wie erstellt man die? Wie benutzt man die und warum haben die eigentlich geholfen? Warum gingen die verloren? Das war dann so der Auslöser und das hat dann so bis ich sag mal Mitte 2019 gedauert, bis sich das dann so richtig begriffen habe, was das eigentlich ist. Seitdem forsche ich da immer wieder weiter, weil ich so gemerkt habe, die Geschichte, die verbindet uns und die gibt auch so den Beratern, die vielleicht alleine in der Welt unterwegs sind, so das Gefühl der Zusammengehörigkeit und das macht natürlich besonders viel Spaß.

Götz Müller: Mhm, ja. Dann da mal bisschen nachgefragt noch, wie gehst du denn vor? Weil Geschichte beginnt oder endet, in Anführungszeichen, im Jetzt und dann geht es zurück und jetzt kann man, bis Adam und Eva oder bis zum Neandertaler gehen? Man kann sich aber auch verlieren unter Umständen.

Jan Fischbach: Ja, jetzt ist es natürlich an uns, Geschichte zu schreiben angesichts der Themen, die irgendwie so anstehen, aber wie macht man das eigentlich. Ja, ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich kann mir Dinge ganz schlecht merken, wenn ich den Zusammenhang nicht kenne, so Sachen auswendig lernen oder so, das ist fand ich immer total doof und deswegen habe ich mir vorgenommen, die Ideengeschichte zu rekonstruieren. Das habe ich auch nicht alleine erfunden. Das habe ich von jemand anders beigebracht bekommen und die Ideengeschichte fragt eigentlich oder geht davon aus, es gibt einzelne Personen, die andere beeinflusst haben. Und wenn ich die finde, wenn ich herausfinde, wer von wem gelernt hat und dafür Belege finde, dann kann ich vielleicht besser verstehen, was damals das Problem war oder kann ich mir Sachen vielleicht besser merken. Und viele agile Arbeitsweisen, die wir heute in der Welt so kennen, die sind alle gar nicht zufällig entstanden, das war schon überraschend, das so zu entdecken. Also am Anfang guckst natürlich, History of Lean, Roots of Scrum und so weiter. Und dann entdeckt man zum Beispiel als erstes das TWI-Programm. Das kennst du ja auch genau dieses TWI-Programm. Und dann sucht man, wer hat das eigentlich gemacht? Ja, Schelling. Wieso hat er das gemacht? Woher kommt er? Und dann findest du, oh, der hat das im Ersten Weltkrieg auch schon mal gemacht. Und du hast zum Beispiel bei der Lean Around The Clock hast du dann gesagt, ja, da gab’s ja diese vier Horsemen, er hat also noch mit anderen Leuten zusammengearbeitet und die sucht man dann einfach und versucht herauszufinden, mit wem haben sie gesprochen. Und dann findet man halt so eine ganz aktive Scientific Management Community und dann guckt man so durch. Scrum hat ja so zwei Themen: einmal wie produziere ich günstig und wie verbessere ich mich? Und das andere Thema ist: Wie entwickle ich neue Produkte? Das Produktions- und Verbesserungszeug, das ist bei Scrum in der Rolle des Scrum Masters irgendwie verankert und die Produktentwicklung eher in dieser Rolle Product Owner und der Product Owner, das der Jeff auch gesagt, da war eigentlich der Chief Engineer bei Toyota das Vorbild. Und dann guckst du auch erstmal, wieso haben die denn Chief Engineers? Wieso haben die das so gemacht, wer war denn das und dann findest du so Tatsuo Hasegawa oder Nakamura und dann fragst auch hier: Wo kommen die eigentlich her? Und dann findest du Flugzeugbauer, Maschinenbauer und verschiedene Communities. Also ich habe immer nach Personen gesucht und nach Belegen, um diese Verbindung zu beweisen, aber manchmal bist auch in einer bestimmten Zeit und denkst, ich verstehe eigentlich überhaupt nicht, ja, zum Beispiel Japan zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts oder auch USA, da weiß ich eigentlich auch nicht so viel. Ich weiß nicht, ob du irgendwie spontane Ereignisse kennst, aus dem Ende des 19. Jahrhunderts in Europa oder der USA. Also da muss ich musste mich erstmal rein denken. Zum Beispiel der Frederick Taylor, warum ist er eigentlich erst 1893 oder so, warum ist erst da eigentlich berühmt geworden und nicht zehn Jahre vorher oder nicht zehn Jahre später? Und solche Fragen habe ich mir dann eben gestellt und dann habe ich eben ein bisschen gesucht.

Götz Müller: Ja, ich höre auch so Gedanken raus, zu verstehen, warum sich bestimmte Dinge so entwickelt haben, oder?

Jan Fischbach: Mhm ja. Ich sage ja, ich kann mir bestimmte Dinge einfach nicht merken, ja, also Muri, ach, alles ganz kompliziert, warum machen sie das und so. Und diese Zusammenhänge kann ich mir dann besser merken, wenn ich verstehe, was der ursprüngliche Anlass war, das ursprüngliche Problem.

Götz Müller: Ja, ja. Mir geht es oft ähnlich oder ich nehme dann bei anderen wahr, vielleicht bei mir selber dann nicht mehr, weil ich mich mit den Dingen intensiv beschäftige, dass eine gewisse, ja, ohne das jetzt wirklich werten zu wollen, eine gewisse Oberflächlichkeit manchmal existiert. Das heißt, Menschen wissen nicht, warum bestimmte Dinge so gemacht wurden und ich glaube, das ist schon ein wichtiges Element, und das höre ich so ein bisschen bei dir auch aus, oder?

Jan Fischbach: Ja, ich denke so, wenn du zum Beispiel am Anfang deiner Beraterinnen- oder Berater-Karriere stehst, dann ist man vielleicht auch ein bisschen unsicher und dann gehst du vielleicht rein und dann sagst du: Also so geht ein Value Stream oder so geht A3-Geschichten und dann stellt jemand dir eine Frage und sagt: Ich sehe das gar nicht ein, warum man das so machen soll. Ja, und dann stehst du irgendwie da als Berater und denkst: Was sagst du denen jetzt? Und ich finde es schwierig, als Berater da reinzugehen und den Leuten sozusagen aufzudrücken, du machst das jetzt so, weil ich das gesagt habe. Also das will ich ja auch selber nicht, dass jemand so rumkommt und dann hilft es mir, wenn ich das erklären kann, warum das so war und dann vielleicht meinem Gegenüber die Wahl geben kann und sage: Pass auf, ich kann dir nur sagen, dass das so und so war und dass es so und so funktioniert hat und wir können uns überlegen, ob dir das hilft oder nicht, aber das ist dein Prozess und nicht meiner.

Götz Müller: Ja, ja. Das ist nachvollziehbar. Jetzt hast du schon angedeutet, aber ich möchte es noch ein bisschen vertiefen, was sind denn dann so klassische Quellen gewesen, weil wenn es jetzt, ich sage mal, allgemein geschichtliches Wissen wäre, dann würde man irgendwie, so falls es so etwas geben sollte, den Brockhaus der Geschichte aus dem Schrank ziehen und dann würde man dort alles nachlesen, aber viele Dinge erfährt man ja, als, in Anführungszeichen, Normalsterblicher in dem Kontext gar nicht, wenn man sich nicht ganz intensiv damit beschäftigt.

Jan Fischbach: Also interessant ist natürlich, wenn die Personen, die ich recherchiere, selber etwas geschrieben haben, zum Beispiel Taiichi Ono, der etwas über Henry Ford, über Sakichi Toyoda geschrieben oder Isoa Kato, der hat, was über die TWI-Kurse bei Toyota geschrieben. Diese Quellen sind natürlich super, da hast du sofort die die Beweise. Also ich habe immer erstmal geguckt, hat jemand vielleicht selber etwas geschrieben, gibt es da vielleicht eine Fußnote oder Literaturhinweis, dann kann ich sagen: Guck mal, zumindest hat er den erwähnt. Dann gibt es so Historiker, so zum Beispiel Daniel Nelson, der hat ganz viel über Frederick, Taylor und Scientific Management geschrieben und auch über die Zeit, in der sich vielleicht so ein Berufsbild eines Managers herauskristallisiert hat, so Ende des 19 Jahrhunderts. Dann gibt es William S?, ich weiß gar nicht, wie man ihn richtig ausspricht, der hat zum Beispiel etwas über Scientific Management in Japan geschrieben oder über Demming. Der hat zum Beispiel genau rausgefunden, was hat Demming eigentlich da bei diesen ersten Terminen, die da in Japan organisiert wurden, was hat der denn eigentlich genau gesagt den japanischen Führungskräften? Und dann findest du Links, dann überlegst du, ob es vielleicht Biografien gibt, also der Ford hat zum Beispiel selber Biografien über sich schreiben lassen, die sind vielleicht etwas, ja, gefärbt vielleicht oder geprägt. Es gibt aber da noch neuere Biografien, die sehr interessant sind. Über die Wright-Brüder gibt es ganz viel über die Lilienthal-Brüder gibt es ganz viel. Also ich versuche so die Puzzlestücke zu finden. Ich will ja nicht nur das einzelne Wissen, sondern ich brauche ja auch die Verbindung, um die Verbindung herzustellen. Ja, du hast gerade gesagt, Adam und Eva, wenn man zu weit sucht, dann wird es natürlich beliebig und dann bin ich bei banalen Dingen. Also ich habe immer versucht, ist es auch relevant hinterher für die Gesamtgeschichte, hat jemand schon drauf referenziert oder baut darauf auf. Und dann guckst du halt, zum Beispiel Hawthorne, Hawthorne Works, da hat Juran gearbeitet und da hat zum Beispiel auch Deming gearbeitet, aber Deming hat da eigentlich nur gejobbt, sag ich mal, am Ende des Studiums. Da kann man jetzt also nicht sagen, Juran und Deming haben da mal zusammengearbeitet, das wäre halt so nicht richtig, weil Hawthorne Works, das war eine riesige Fabrik, so wie man heute Silicon Valley sagt, oder Wolfsburg, so war damals Hawthorne, stand synonym für die Telekommunikationsindustrie. Und dann guckst du dir halt die Details an, dann gehst du mal zu Google Maps und guckst, was steht denn da noch. Von Hawthorne Works steht da nicht mehr viel, nur noch einen Turm, guck nach Fotos, oder dann gibt es so Leute wie den Mark Warren, den frage ich dann, der war in den Archiven vom TWI-Programm, hat sich die Sachen wirklich angeguckt, da nachgelesen, der hat mir dann nochmal Zeitungsausschnitte geschickt und sowas, oder Bob Emiliani, der hat auch ganz viel mit Quellen, die er dann immer wieder mal heranholt, um größere Linien aufzuzeigen. Also, ja, das ist die Mischung, die grobe.

Götz Müller: Ja, ich könnte mir dann auch vorstellen, dass es möglicherweise überraschende Wendungen gibt, weil du ja vielleicht Querbeziehungen entdeckst, aufdeckst, die zwar vorher schon da sind, also im Grunde auch diese Differenzierung zwischen einerseits Erfinder und Entdecker jetzt im Geschichtskontext würde ich es natürlich eher klar den Entdeckern zuordnen, Wissen zu schaffen, das halt im Grunde untergegangen ist vorher.

Jan Fischbach: Also ich meine die erste Überraschung war für mich das TWI-Programm. Für dich oder für andere Lean-Experten ist das wahrscheinlich keine große Überraschung gewesen. Für mich war das völlig neu und ich finde auch die TWI-Handbücher nach wie vor ziemlich gut. Also sie sind etwas, oder ich sag mal so, ich kann die Rolle des Scrum Masters kann ich mithilfe von TWI sehr gut erklären, also sieh zu, dass die Leute richtig ausgebildet werden, kümmer dich um unnötige Konflikte, dass sie gar nicht erst aufkommen. Sieh zu, dass du kontinuierlich verbesserst. Und mach dir mal Gedanken über die Weiterentwicklung insgesamt. So, und das ist natürlich dann sehr plastisch, zumindest im Scrum-Kontext sind diese Rollen Scrum Master und Product Owner erstmal etwas, was die meisten Unternehmen gar nicht verstehen und du siehst das auch in den Stellenbesetzungen. Product-Owner-Rollen werden zum Beispiel oft viel zu schwach besetzt, die haben überhaupt keine Möglichkeit, starke Produkte zu entwickeln und bei den Scrum Mastern sind das oft Leute, die dann vom Markt geholt werden, die aber die Organisation nicht kennen? Und dann können sie natürlich auch sich nicht durchsetzen, um für kontinuierliche Verbesserungen zu sorgen. Wenn ich mir jetzt so ein Bild im Kopf mache, dann hätte ich als Scrum Master gern den Taiichi Ono und als Product Owner hätte ich gerne den Tatsuo Hasegawa oder entsprechende, sag mal weibliche Führungsfiguren, die es in der Geschichte natürlich auch gab. So das war das erste und dann bin ich bei der Suche irgendwann so ein bisschen so hängengeblieben und jetzt komm ich nicht weiter und dann habe ich irgendwie immer so Fragen gestellt und gegoogelt und Google war irgendwie nicht gesprächig. Und dann habe ich die Frage gestellt: Gibt es vielleicht eine Person, die den Maschinenbau besonders geprägt hat? Und dann kam halt Franz Reuleaux und dann gingen wirklich alle Lampen an und den Reuleaux kannte ich wirklich überhaupt nicht. Ich weiß nicht, was hast du studiert, hast du was mit Maschinenbau zu tun?

Götz Müller: Nee, Elektrotechnik.

Jan Fischbach: Elektrotechnik? Ja, das habe ich auch gemacht. Und eben, der Reuleaux, der hat zu mindestens hundert Jahre den Maschinenbau in Deutschland geprägt und den kennt er heute überhaupt keiner mehr. Und der hat auch dieses Thema Trade-off-curves, was ich jetzt mit Kennlinien übersetzen würde, hat der seinen Leuten beigebracht. Und der Otto Lilienthal zum Beispiel, der war Schüler bei ihm und er hat ein Buch geschrieben über den Vogelflug und da hat er am Ende auch Kennlinien eingefügt und was die Toyota Leute eben nach dem Zweiten Weltkrieg weitergemacht haben und andere eben nicht mehr, dass sie einfach immer wieder versucht haben, so Kennlinien zu entwickeln, um die Zusammenhänge zu begreifen. Und wenn es dann zum Beispiel Konflikte gibt, dann würden wir jetzt vielleicht in so einem nicht leangeführten Unternehmen, würden wir sagen, ja, da kommt der Chef, haut auf den Tisch und sagt: Ja, so machen wir das. Das muss aber nicht unbedingt eine gute Lösung sein und wenn man mit Kennlinien arbeitet, dann würde halt die eine Abteilung ihre Kennlinie mitbringen und die andere Abteilung, sie eignen sich auf einen gemeinsamen Basis und dann legen sie die Dinger übereinander und dann sehen die, wo Arbeitsbereiche sind, wo sie sagen: Ja, da haben wir beide Spaß dran, das wäre eine gute Lösung. Und das fand ich ziemlich eindrucksvoll, das so zu sehen. Und was ich auch noch überraschend fand, war, wie stark diese Communities damals eigentlich vernetzt waren und sich ausgetauscht haben, also in den Zwanzigern oder davor auch, da gab es internationale Konferenzen in Japan, in den USA, in Europa, wo die Leute sich ausgetauscht haben, wo die Bücher gegenseitig übersetzt wurden. Es gab regelmäßige Newsletter. Das war schon ziemlich cool. Also man denkt vielleicht heute, wir sind aber schon gut vernetzt und haben aktive Communities. Aber damals standen die uns in nichts nach, muss man ehrlicherweise sagen.

Götz Müller: Ja, und vielleicht sogar noch ein bisschen fokussierter, weil eben diese, ja, nennen wir es mal Schnelllebigkeit, dieses manchmal auch leicht haben, weil ich tippe da halt etwas rein und im Grunde sieht es jemand mit einem Fingerschnippen am anderen Ende der Weltkugel. Ich könnte mir vorstellen, dass ich, weil ich auf eine andere Art und Weise kommuniziere, viel bewusster vielleicht kommuniziere, oder?

Jan Fischbach: Ja, und wir müssen uns immer wieder zurückversetzen, heute würde ich sagen, ja, die Rolle eines Managers oder einer Führungskraft ist gesetzt, also was die macht ist vielleicht nicht immer unbedingt klar, aber es ist ganz klar, zwischen einem Team und einem Geschäftsführer oder einer Geschäftsführerin gibt es halt Führungskräfte. Das wird heute nicht unbedingt in Frage gestellt. Damals war das so, dass die Rollen überhaupt nicht klar waren, also so Mitte des 19. Jahrhunderts. Da hat halt jemanden eine Stahlfabrik, eine Stahlmühle aufgebaut, da hatte er seine Arbeiter, denen hat er Anweisungen geben, da gab es nur einen Vorarbeiter, der die irgendwie organisiert hatte und jetzt kommen da diese Scientific-Management-Leute, die dann sagen, wir müssen uns um dieses Thema Administration, oder Führung halt kümmern. Und deswegen waren die auch so erpicht darauf, dass das gut läuft. Also wir können jetzt sagen, Lean Around The Clock, ist ja eine geile Veranstaltung, aber ob ich dahingehe oder nicht, das spielt halt keine Rolle. Damals war das schon so, dass sie sagen, ja, wenn wir dahingehen, dann stärkt das unsere eigene Rolle und dann können wir uns auch so ein bisschen emanzipieren.

Götz Müller: Ja, mir geht es zum Beispiel noch die Frage durch den Kopf, ich meine, heute haben wir natürlich ein sehr breites Spektrum an Hochschulwissen, das verbreitet wird, möchte ich es mal nennen. Gab es in der Vergangenheit vergleichbar oder eben nicht? Und wenn ja, welche Rollen gab es dann und wahrscheinlich auch das, was du jetzt gerade erzählt hast, dieses sich intensiv vernetzen hat vielleicht, könnte ich mir jetzt vorstellen spontan, da eine gewisse Rolle übernommen dessen, was ich heute vermeintlich an der Hochschule lerne, aber manchmal der Praxisaspekt ja viel zu kurz kommt.

Jan Fischbach: Ja, die, also diese Zeit, so Ende des 19. Jahrhunderts, war in der Zeit, wo sich dieser Maschinenbau auch professionalisiert hat und wo auch entsprechende Ingenieursschulen entstanden. Der Franz Reuleaux war zum Beispiel Direktor des Vorläufers der Technischen Universität in Berlin, und die haben halt dann diese Ingenieure ausgebildet und der Reuleaux war zum Beispiel mit Robert Thurston in Amerika vernetzt und Thurston hatte halt das Stevens Institute of Technology gegründet oder war irgendwie einer der ersten Präsidenten, glaube ich. Und zum Beispiel Frederick Taylor hat ein Fernstudium dort an dem Stevens Institute of Technology gemacht, oder es gab einen Austausch mit Japan, die kaiserliche Universität in Tokio war die erste weltweit überhaupt einen Studiengang Flugzeugbau angeboten hatte und da es ja vorher nichts gab, auf das man hätte aufbauen können, haben die sich natürlich gegenseitig ausgetauscht, was machen wir denn. Der Franz Reuleaux zum Beispiel, der hat Modelle gebaut, um bestimmte Konstruktionen den Studenten ein bisschen anschaulicher zu machen und diese Modelle sind dann auch verkauft worden, weltweit, also eben in die USA, nach Japan und so. Und man muss auch sehen, Japan hat so in der Meiji-Zeit sich geöffnet, das war vorher ganz verschlossen, die hatten unangenehme Erfahrungen mit Missionierung gemacht und haben sich dann gesagt, ne, alle Fremden können jetzt raus hier und als der neue Kaiser 1868 das Land geöffnet hat, stellte er fest, dass sie irgendwie wahnsinnig rückständig sind und dass sie Gefahr laufen, Kolonialziele von anderen Mächten zu werden und deswegen haben die unheimlich viel Energie reingesteckt, Berater aus dem Ausland zu holen, Japaner in die Welt zu schicken, um was zu lernen, damit die schnell aufholen können und in der Liga dieser wichtigsten Industrienationen mitspielen. So, da gab es also ganz stark einen Drang auch, das wirklich gut zu machen und auch diese Hochschulen gut auszubilden, an den Hochschulen gut auszubilden und auch die Standards zu setzen, und es gab auch einen sehr intensiven Austausch auf Hochschulebene eben zwischen dem Deutschen Reich oder Preußen und Japan auf der anderen Seite.

Götz Müller: Ja, ja, spannend. Wenn – und jetzt mal wieder ein bisschen dein, vor allen Dingen agiler und Scrum-Kontext und dann Lean zusammenzubringen und, ich meine, ich habe jetzt in Anführungszeichen den Vorteil, dass ich von dir einen spannenden Vortrag gehört habe und du da Dinge herausgearbeitet hast, die vielleicht auch jedem da draußen so bewusst sind, wie da die Gemeinsamkeiten aussehen. Du hast gerade historisch bedingt schon ein bisschen angedeutet, aber ich glaube in jüngerer Vergangenheit gab es da auch Elemente.

Jan Fischbach: Ja, also erstmal ist es natürlich interessant, wie einfach, wie so die Verbindungen so entstanden sind. Der Jeff, der wollte wahrscheinlich einfach eine Lean-Software-Entwicklung machen und daraus ist dann irgendwie Scrum geworden, weil er dann diese Feedbackkette ja eingebaut hat. Die Scrum Inc. sagt immer, Lean ist Verschwendung vermeiden, ohne den Kunden zu frustrieren und agil ist Lean mit Feedback, um das so zu verbinden. Und Jeff selber, der hat ja dann immer wieder die Referenzen auch hergestellt, sodass wir das auch sagen können und der letzte Scrum Guide, der hat das nochmal definitiv reingeschrieben. Scrum basiert auf empirischem Arbeiten und auf Lean Thinking. Das heißt, die Leute dürfen das ganze Lean-Zeug mitnehmen, huckepack und das einsetzen. Nur sind halt die Domäne vielleicht anders, ja, auf dem Shopfloor hast du vielleicht andere Themen als vielleicht in der Produktentwicklung, im Software-Bereich oder Digitalisierungsthemen. Der Kontext ändert sich und du musst halt anders rangehen, aber die grundsätzliche Sache, dass wir wertebasiert arbeiten und evidenzbasiert, das zieht sich durch alle Dinge durch. Und ich würde sagen, ich weiß nicht, welche Prozentzahl du sehen würdest, aber vielleicht so richtig agile Companies oder Lean Companies sind vielleicht 3 % oder 5 % und ich glaube mehr als 20 % ist unrealistisch, das anzustreben. Und die müssen jetzt Vorreiter werden für die anderen 80 %, dass sie im Klimaschutz etwas tun, in europäischen Themen, Globalisierung, gute Sozialpolitik. Solche Themen sind halt, wo die Unternehmen sich auch immer eingesetzt haben. Also der Sakichi Toyoda, der hat ja auch immer eine Idee gehabt, er wollte ja nicht nur einfach Webstühle bauen, sondern er hat das ja immer auch in die Zukunft seines Landes, mit der Zukunft seines Landes verbunden, der hat immer die großen Linien gesehen.

Götz Müller: Ja, und ich glaube andererseits, wenn ich mich nicht völlig irre, hatte er da ja seine Mutter vorm geistigen oder vorm realen Auge gehabt und wollte ihr letzten Endes auch etwas Gutes tun, dass für sie die Arbeit einfacher wird.

Jan Fischbach: Ja, genau. Das war ein ganz praktisches Problem, der ist nicht eines Morgens aufgewacht und hat gesagt, ja, ich erfinde mal Webstühle, sondern, weil er eben in diesem Dorf da aufgewachsen ist, wo viele eben von der Weberei gelebt haben. Also seine Mutter hat gewebt, sein Vater hat die Webstühle repariert und das war echt eine Plackerei. Also nicht nur in Japan, auch in anderen Ländern. Und dann hat er irgendwann festgestellt, na ja, wenn ich jetzt hier etwas erfinde, da gab es dann ja auch ein Patentgesetz, das gab’s ja vorher auch nicht, dann hat er gemerkt, wenn ich hier jetzt etwas erfinde, dann kann ich es ja auch zu Geld machen. Und da hat er dann auch lange drauf hingearbeitet. Für ihn hat das 45 Jahre gedauert, bis so sein Wunsch erfüllt wurde und er dann auch mit der Erfindung Geld verdient hat.

Götz Müller: Jetzt hattest du in dem Vortrag, den ich halt das Glück hatte zu hören, hast du eine Aussage gemacht, was, ja, ich nenne es jetzt mal Profitbeeinflussung angeht, wo du die Aussage machst, dass ein sehr hoher Teil, jetzt vielleicht für einen Lean-Menschen ungewöhnlich hoch im ersten Moment, vom Design abhängt und eben nicht von der Gestaltung meiner Produktion.

Jan Fischbach: Ja, ich sage ja, diese Lean Production, das ist eigentlich super gut dokumentiert, da gibt es echt viel Zeug, was man sich durchlesen kann, und wo man vielleicht auch ein gutes Verständnis aufbauen kann, aber diese Produktentwicklung, die ist ein bisschen, ja, die führt ein bisschen so ein Schattendasein. Man hat das nicht so genau beobachtet oder man wusste vielleicht auch nicht so genau, was da passiert und am Anfang war das wirklich so, dass die Produktentwicklung und die Produktion auch wirklich getrennt waren, da ging eine Landstraße durch. Und auf der einen Seite wurden die Autos konstruiert, auf der einen Seite wurden sie gebaut. Und der Takao Sakai, der hat dann ein Buch geschrieben, das heißt irgendwie die Secrets of Chief Engineers oder solche Sachen, ich weiß nicht mehr genau, wo er dann sagte, ja, der Kern von Toyotas Erfolg ist eigentlich dieses Chief Engineering, dass es die Chef-Konstrukteure gab. Und das sieht man auch immer wieder, wenn man zwei Firmen hat, die vielleicht mit ähnlichen Ausgangssituationen gestartet sind und sich dann aber unterschiedlich entwickelt haben, und in Japan sind das eben Nissan und Toyota. Und einerseits hat Nissan einen anderen Produktionsweg gewählt als vielleicht Toyota, hat sich da unterschiedlich entwickelt, aber was bei Toyota eben war, die haben eben diese Chief-Engineer-Rolle geprägt und der Takao Sakai hat dann geschrieben: Mittlerweile ist es so, dass 95 % des Profits by Toyota eben aus dem Design kommen und nicht aus der Produktion. In der Produktion, in TPS und solche Sachen, da haben schon viele Unternehmen nachgezogen und die haben ja auch alle so im Kreis gelernt, der sag Sakichi Toyoda, der Kiichiro Toyoda und der Taiichi Ono, die sind dann zum Beispiel nach Detroit gefahren, haben sich angeguckt, wie Ford seine Autos gebaut hatte, Renault war auch bei Ford, Volkswagen hat sich das angeguckt und so, die haben natürlich schon in der Anfangsphase und auch zwischendurch immer wieder, sich ausgetauscht und sich das gemerkt. Aber die Toyota-Leute, die mussten ja sich sehr stark fokussieren und das heißt, sie konnten jetzt nicht einfach x-beliebig viele Modelle gleichzeitig entwickeln und sie haben einen der ersten Leute, die wir kennen, Nakamura freigestellt von allen anderen Sachen und gesagt: Du kümmerst dich nur darum, dass das Produkt so geil wie möglich ist, dass wir mit möglichst wenig Ressourcen dieses Produkt entwickeln, also wenig Stahl und dass es genau hinhaut und der Nakamura sagte irgendwann mal, er hätte wahrscheinlich jede Straße in Japan einmal befahren. Und früher hatten die Toyotas alle einen sehr hohen Einstieg. Das hat sich erst spät irgendwie geändert, als die umgebaut haben und das kommt eben noch aus dieser frühen Zeit, wo die Straßen noch nicht sehr gut waren und wo man eben auch viele Huckel hatte und Dreck und so und da musste man das Auto höher bauen und der Sakai sagte eben, 95% kommen mittlerweile aus dem Design und nicht aus der Produktion. Das ist natürlich interessant. Ich habe ihn gefragt, woher weißt du das eigentlich und er sagte, sein Vater wäre Chief Engineer gewesen, der hat halt mit Nakamura zusammengearbeitet.

Götz Müller: Ja, da habe ich durchaus das Gefühl, dass das eine Erkenntnis ist, die im Grunde heute immer noch zu knapp kommt, also das, was ich da wahrnehme manchmal an, ja, auch an extremen Kommunikationsgräben, möchte ich mal fast nennen, zwischen Produktion und Entwicklung, finde ich manchmal schon krass, egal welche Branche ich mir anschaue, egal ob ich jetzt da, wo ich ursprünglich herkomme, die Telekommunikationsindustrie anschaue oder eben Automobilindustrie, habe ich jetzt nicht den tiefen Einblick, aber ich finde es manchmal, ja, erschreckend.

Jan Fischbach: Ja, und also, vielleicht gibt es auch so eine Überheblichkeit der Ingenieure, die dann in der Entwicklung sagen, was die Fabrik zu tun hat und so, ich weiß es nicht. Ich war nie bei Toyota, ich habe mir das nie genau angeguckt, ich kann auch kein Japanisch, kann das nicht so aus erster Hand sagen, aber ich habe den Eindruck so ein bisschen, dass die Fabriken eher die Kunden der Entwicklung sind und nicht die Entwickler den Fabriken aufdrücken, was sie zu produzieren haben, dass da ein anderer Austausch ist. Und wenn wir die Frühzeit sehen, zum Beispiel die Entwicklung des P51 Mustang, das war ein sehr schneller Jäger, der im Zweiten Weltkrieg eingesetzt wurde, um die Bomberverbände gegen die Achsenmächte zu schützen. Und dieses Flugzeug ist in hundert Tagen entwickelt worden, hundertundzwei Tagen, genau genommen. Und wir haben von vornherein immer wieder zwischen Produktion und Entwicklung zusammengearbeitet, weil die wollten natürlich, dass so schnell rausging, das Flugzeug, und dass sie jetzt keine Irrwege noch in der Entwicklung machen, wo sie hinterher feststellen, dass sich das so nicht produzieren lässt, so diese Zusammenarbeit braucht es halt.

Götz Müller: Ja, ich glaube, es ist, jetzt, wo du es so erzählst, ist es im Grunde auch eine Form von Mangel, den ich ja kompensieren musste und jetzt ist ja gerade auch bei Toyota eben, in den frühen Fünfzigern, in dem Gesamtkontext in Japan, ist es ja im Grunde sehr stark eben von Mangel geprägt gewesen, von Knappheit im Grunde bei allen Dingen und daraus ist, glaube ich, ist nicht zu unterschätzen, sind Impulse entstanden und auch eben in dem Kontext, wie du es gerade mit dem P51 erzählst, der Zeitmangel, vor dem ich letzten Endes stand, unterstreicht das, finde ich.

Jan Fischbach: Ja, der verpflichtet einen dann vielleicht zur Kollaborationen und ich meine, wir haben jetzt ja auch vielleicht nicht mehr so viel Zeit. Der John Doerr hat ein Buch über den Klimawandel geschrieben Speed & Scale, der OKR-Papst, und der hat gesagt, in den Siebzigern gibt es schon eine Notiz von Exxon, wo sie irgendwie gesagt haben, das ist nicht so super mit dem Klimawandel, er sagt, wenn wir da angefangen hätten, hätte es wahrscheinlich gereicht, jedes Jahr 10 % einzusparen und dann in den Achtzigern, Neunzigern hätte es gereicht, 20 % einzusparen, jetzt müssen wir aber 50 % CO2 einsparen irgendwie ständig. So, und da schweißt die Not vielleicht auch zusammen da.

Götz Müller: Ja, und dieser Spruch „Not macht erfinderisch“, glaube ich, hat schon seine Berechtigung, wenn wir es denn reflektieren würden und nicht nur bis zu spät ist. Gut, wenn wir jetzt nochmal auf Lean und Co schauen und wie gehe ich damit um, mit dem, was ich heute vielleicht an der Oberfläche, möchte ich es fast nennen, was ich heute an der Oberfläche sehe, was kann man, ja, aus der Vergangenheit lernen und auf das Heute übertragen? Ansatzweise hast du es gerade schon geschildert, aber also ich persönlich nehme das auch immer wieder wahr, dass das tiefere Verständnis einfach fehlt, warum man damals bestimmte Dinge gemacht hat und die Übertragung auf das Heute und sich bewusst sein im Grunde: Das funktioniert immer noch.

Jan Fischbach: Ja, das ist natürlich immer ein schneller Einstieg, ja. Ich bring jetzt Value Stream Mapping bei oder wie man ein Heijunka-Board baut oder ein Kanban aufzieht. Das sind relativ einfache Mechanismen, weil natürlich viele Leute dazu beigetragen haben, das relativ einfach zu beschreiben, solche Dinge. Und ich finde das natürlich auch toll, dass einfach viele Führungskräfte, vielleicht die auch in Großkonzernen frustriert sind dann sagen, ja, ich wage es und ich mache mich jetzt selbstständig und ich helfe einfach anderen Leuten, diese Methoden besser zu begreifen. Bei dem, was wir auch jetzt, bei den Themen, um die wir uns kümmern müssen, können wir natürlich auch nur jeden auffordern: Hey, hilf doch bitte mit. Und vielleicht sind die Methoden der Einstieg. Aber das ist natürlich alles nix, wenn wir nicht sagen und fragen: Wofür machen wir denn das eigentlich? Ja, die Japaner, die hatten ein ganz klares Ziele nach dem Zweiten Weltkrieg. Wir müssen dieses Land wieder aufbauen und die Führungskräfte sahen sich da auch in der Pflicht und die wollten natürlich auch einen guten Job da machen, und die hatten einfach auch ganz praktisch Not. Die Wirtschaftsleistung 1945, die war nur 10 % von 1937, da sind die Leute wirklich verhungert und die amerikanischen Besatzer, die hatten natürlich Angst vor Revolten oder dass er der Kommunismus da um sich greift und haben da schon mit angepackt. So, oder das TWI-Programm ist natürlich nur vor dem Kontext des Zweiten Weltkriegs zu verstehen, wo dann Roosevelt sagte: Wir sind das Arsenal der Demokratie. Und sie haben praktisch aus dem Nichts heraus enorme Mengen an Kriegsmaterial produziert und heute brauchen wir eben auch gemeinsame Werte und gemeinsame Ziele, weil bei aller Unterschiedlichkeit, die wir eben mitbringen, vielleicht auch mit politischen Ansichten oder mit kulturellen Ansichten, aber es gibt so paar Dinge, da sollten wir vielleicht sagen, da gibt es Dinge, wo wir uns besser zusammentun. Und wenn wir auf die Geschichte gucken, dann können wir auch ganz viel über die Rolle verschiedener Organisationen lernen. Das TWI-Programm war ja nicht erfolgreich, weil vielleicht dieses Handbuch superpraktisch war. Also es ist ja immer noch gut heute und ich weiß nicht, wie viele Kunden du zum Beispiel jährlich so berätst, was da so kommt oder was so das Feedback ist, aber finde es schon ziemlich praktisch. Ich mache es auch in meinen Scrum-Trainings, dass ich Teams halt beibringe, ihr müsst euch einen Überblick verschaffen über die Skills, die ihr braucht und wie die verteilt sind und was ist eure Strategie, um eure Wissenslücken zu schließen oder eure Kompetenzlücken zu schließen, damit er flexibel einsetzbar ist. Aber das interessante am TWI-Programm war ja die Organisation dahinter, wie die sich organisiert haben, wie sie das Land aufgeteilt haben in Bezirke, wie es in jedem Bezirk ein Vorstand gab, der sich aus Gewerkschaftsvertretern und Arbeitgebervertretern zusammengesetzt haben, wie die mit ganz, ganz wenig Mitteln versucht haben, das Ding zu organisieren und die Zahlen sind ja beachtlich. Die haben ja irgendwie 1,7 Millionen Leute ausgebildet in 16.000 Betrieben, das ist schon das ist schon viel. Oder auch die Japanische Union der Wissenschaftler und Ingenieure, da haben sich halt Leute zusammengefunden, die auch vielleicht in der Zeit davor ein bisschen frustriert waren, weil sie in der Verwaltung irgendwie keine Aufstiegsmöglichkeiten hatten. Deren Ziel war natürlich, sich zusammenzutun und auch ihre Bedeutung zu zeigen, der Wissenschaftler und der Ingenieure, um einen guten Job zu machen in den Fabriken. Vielleicht sollten wir weniger Bücher über Methoden schreiben, sondern mal nachdenken, wie wir uns zusammen organisieren, um etwas gegen Klimawandel zu tun, um etwas ging Populismus zu tun oder einfach nur um auch der Verwaltung jetzt zu helfen, Gesundheitswesen, da gibt es so viele Sachen, wo wir eigentlich alle anpacken können. Ich denke, das muss auch eine Mischung sein aus Geld verdienen und ehrenamtlicher Arbeit oder so, aber diese Organisation müssen wir uns halt angucken und deswegen finde ich auch sowas wie Lean Around the Clock interessant, wo die Leute zusammenkommen oder das, was du machst, ja, ich weiß nicht die wievielte Podcastfolge ist das?

Götz Müller: 283.

Jan Fischbach: 283, ja, also da bist du ein großer Verbinder. Wahrscheinlich gibt es jetzt viele Leute, die sagen können: Ach, wir kennen uns wahrscheinlich über den Götz. So und das ist extrem wichtig, so Leute wie du, die Leute mit anderen Leute verbinden, die dann sagen „Lass uns mal einen Podcast machen, das interessant, was du machst“ oder so und dann entwickeln sich auch neue Netzwerke und das dürfen wir nicht unterschätzen. Denn welche Rolle das spielt. Also nicht nur der Scrum Guide ist geil, sondern weil dahinter immer auch Leute sind, die Trainer ausbilden, weil es Institutionen gibt, die sich um verschiedene Sachen kümmern, die auch Leuten einerseits genug Freiraum geben, aber auch andererseits ein paar Leitplanken

Götz Müller: Gut, jetzt gibt es auch so einen Spruch: Geschichte muss neu geschrieben werden. Was natürlich einerseits Blödsinn ist, weil die Geschichte existiert ja, die verändere ich ja nicht mehr. Trotzdem kann man daraus gewisse, vielleicht Schlüsse ziehen und das war so ein Punkt, den ich auch noch ein bisschen vertiefen möchte. Was für Schlüsse hast du für dich draus gezogen und wovon können andere da noch profitiert?

Jan Fischbach: Die erste Frage ist … Frage zurück, ja, wo fängt, wo fängt für dich die Geschichte von Lean an oder was meinst du, was die meisten Experten glauben, wo die Geschichte anfängt von Lean?

Götz Müller: Ja, in den, mit dem Buch The Machine that Changed the World, da fängt für viele Lean an und vorher, die wenigsten interessieren, also habe ich so das Gefühl, ich will da niemandem zu nahetreten, aber ich habe das Gefühl, wenn überhaupt, dann fängt es dort an, wobei ich natürlich jetzt weiß, du hast schon öfters gesagt, TWI ist ein ganz zentrales Element davon.

Jan Fischbach: Ja, vielleicht gibt es Leute, die sagen, Taiichi Ono, habe ich schon mal gehört den Namen, aber das, was Taiichi Ono gemacht hat, das war schon bemerkenswert, aber er hat eben auch nicht bei 0 angefangen und die 70 Jahre sozusagen vor der Zahl 50 waren eben auch sehr interessant und da sind eben viele Weichen gestellt worden, ohne die viele Sachen halt nicht so gekommen wären. Also das lohnt sich einfach dahin zu gucken, um das auch ganz zu verstehen. Ja, das Verhalten dieser Leute auch nachvollziehen und ich glaube, die die Leute die Weichen gestellt haben, das waren alles keine Leute, die jetzt sagen: Ich habe das alles erfunden. Sondern die haben eher gesagt: Ja, ich habe da einfach nur weitergedacht, was die anderen vielleicht schon mir hingelegt haben und ich habe das einfach nur konsequent umgesetzt? Da würde sich jetzt keiner als vielleicht große Revoluzzer irgendwie bezeichnen.

Götz Müller: Kann man jetzt auch den, macht es Sinn, den Gedanken weiterzuspinnen im Sinne von, ja, wie geht die Geschichte weiter, das kann man ja nicht sagen, weil es geht ja weiter in die Vergangenheit rein beziehungsweise dann eben, wenn man jetzt wieder an Entdeckung denkt, hat man ja früher von sogenannten weißen Flecken gesprochen. Kann man so etwas hier auch noch vermuten?

Jan Fischbach: Also sicherlich. Ich bin jetzt am Anfang der Industrialisierung da angekommen, oder der zweiten Welle der Industrialisierung so 1880 plus minus so. Interessant ist natürlich wieder, was davor ist. Ich gucke immer, von wem sind die beeinflusst wurden. Aber irgendwann wird natürlich die Quellenlage da auch schwieriger, oder wenn ich jetzt so allein deutsche Texte aus dem Anfang des 19 Jahrhunderts lese. Herbert und solche Sachen oder Kant, das ist einfach auch sehr schwierig, finde ich, zu lesen. Das ist wirklich anstrengend, finde ich. Und was mir natürlich verschlossen bleibt, sind einfach die japanischen Quellen, die kann ich einfach nicht lesen, weil ich kein Japanisch kann und dann hoffe ich, dass es eben auch Leute gibt, die Bücher schreiben, wo die japanischen Quellen ausgewertet werden, ja, dann guck ich halt so weiter. Ja. Also man muss halt aufpassen, dass es nicht beliebig wird. Irgendwann kannst du halt alles mit allem erklären und das wäre natürlich nicht so gut, aber die Frage ist natürlich: Wofür mache ich diese Ideengeschichte? Die ist ja nicht nur aus reiner Neugier entstanden, also ich finde es schon auch spannend, aber das Ziel muss sein, dass wir dieses Lean Thinking und agiles Arbeiten, dass wir das auf allen Hierachieebenen einfach besser erklären können. Wir wollen ja, dass es mehr leane Firmen gibt, mehr agile Firmen. Da müssen wir dann halt gucken, ja. Also ich denke, die Geschichte der Institution ist weiß im Moment, da guckt keiner drauf, zum Beispiel die der P51, der konnte deshalb so schnell gebaut werden, weil es eine Institution gab, die Tragflächenprofile katalogisiert und eingesammelt hatte. Und das ist zum Beispiel auch ein Thema, die richtig guten Innovatoren, die waren nie innovativ, sondern waren eher konservativ, die haben eigentlich immer nur bestehende Sachen genommen und die neu kombiniert. Das war eigentlich ihre innovative Leistungen. Also zum Beispiel ein Flugzeugkonstrukteur, der wird natürlich den Teufel tun, da ungetestet Sachen in die Luft zu schicken, weil der weiß, wenn das nicht klappt, stirbt ein Mensch. Das wollen wir die natürlich nicht machen. Diese Behörde, die dann diese Flugzeugprofile gesammelt hat, die NACA, das ist hinterher die NASA geworden und die NASA kennt heute natürlich jeder. Also diese Institutionen sind schon wichtig und wir gucken immer nur auf die einzelne Person: Da hat ein Herr X ein Buch geschrieben, oder eine Frau Y hat was gemacht. Die sind ein Teil dieser Geschichte, aber die alleine werden halt nie erfolgreich. Wem sollen sie das erzählen, wenn es keine Organisation dahinter gibt?

Götz Müller: Mhm, ja. Und im Grunde dann so etwas, was jetzt zumindest mich als Ingenieur, ich will jetzt sagen antreibt, aber vor manchen Dingen eher abhält, der Gedanke, ich muss ja das Rad noch einmal erfinden, nur um dem Ding dann vielleicht mal einen Stempel aufzudrücken und da werde ich jetzt gerade im Beraterkontext manchmal den Verdacht nicht los, dass der ein oder andere, ich sage es mal vielleicht ein bisschen despektierlich auf dem Trip unterwegs ist.

strong>Jan Fischbach: Ja, ich habe da mittlerweile auch meine eigene Geduld, weil ich wahrscheinlich ähnlich unterwegs war am Anfang. Können wir einfach dieses Wissen verbreiten und einfach auch den neuen Beratern helfen oder auch den Erfahrenen, vielleicht dann nochmal genauer hinzugucken oder gegenseitig unter die Arme zu greifen und uns hochzuheben, statt uns runterzuziehen, das wäre vielleicht ganz gut und vielleicht ist diese Ideengeschichte, so Möglichkeiten, auch Brücken zu bauen zwischen den verschiedenen Fraktionen. Die Stefanie Borgert hat mir das als Feedback gegeben und gesagt, ja, dann kannst du eigentlich schön übergreifende Geschichte erzählen und alles, was so zersplittert vielleicht aussieht, Lean und MTM, das haben wir auf der Lean Around the Clock, und Scrum und Kanban, und wie sie alle heißen, die haben so einen Kern, und das heißt, wir arbeiten wertebasiert und evidenzbasiert zum Wohl aller zusammen. Das ist irgendwie das Ziel. Das ist schon ein großer Auftrag und die doch dieses Buch von Jeremy Rifkin über die empathische Zivilisation und der sagt dann ja, im Moment ist so, dass wir als Menschheit endlich eine globale Empathie entwickelt haben und gleichzeitig steigt die Entropie so stark an, dass wir dem Untergang geweiht sind. Und jetzt ist nur die Frage, was ist schneller, die Empathie oder Entropie? Und jetzt kann ich hier die Lean-Community weltweit mit allen anderen entsprechenden Communities vernetzen und zum Vorreiter werden, damit man dann eben sagt: Okay, das lösen wir jetzt zusammen, das Problem und wir können das auch zusammen. Die Zeit hat es ja bewiesen, dass wir zu großen Leistungen fähig sind, wenn wir uns zusammentun, wenn wir das gut organisieren.

Götz Müller: Wenn jetzt, was ich ganz stark hoffe, der ein oder andere Zuhörer sagt, das ist ja eine coole Sache, davon hab ich noch nie etwas gehört und sich mit dem Thema auch in irgendeiner Form in einer, für den*diejenige geeignete Form beschäftigen möchte, was wäre dein Tipp als jemand, der, glaube ich, schon einen ziemlich guten Überblick hat, mit was für einem Buch zum Beispiel kann man da einsteigen, um sich damit noch intensiver zu beschäftigen und, glaube ich, eben das eigene Verständnis und damit den Nutzen, den man damit stiftet, zu vertiefen, zu vergrößern?

Jan Fischbach: Also, da gibt es zwei wirklich sehr schöne Bücher, die Lust auf mehr machen. Das ist einmal eine Biographie, über die Wright-Brüder von David McCullough. David McCullough ist so ein bisschen der Märchenonkel der Amerikaner. Der hat die ganzen wichtigen Dokus, da war er der Erzähler und er hat eine sehr schöne Biografie über die Wrights geschrieben, wo die auch sehr lebendig werden. Die Wrights haben, ich weiß nicht, ich sag mal 1000 Tagebucheinträge und Businessbriefe und auch 1000 private Tagebücher und Briefe irgendwie hinterlassen. Und er schafft es irgendwie, das auch lebendig zu machen und uns in die Zeit zu versetzen, die da so passierte. Es gibt einen sehr schönen YouTube-Vortrag von ihm, der ungefähr eine Stunde geht, wo er dann erzählt, ich weiß gar nicht, ob er noch lebt, David McCullough ist über 90, und der kann das auch sehr, sehr lustig erzählen und da kann man so dieses ganze Thema Produktentwicklung, das kann man eigentlich an den Wright-Brüdern gut erzählen und dann gibt es von Steven Watts gibt es eine schöne Biografie über Henry Ford: The Peoples Tycoon. Und da erzählt er, wie der Ford eigentlich angefangen hat und wie diese chaotische Werkstatt zu diesem sehr gut organisierten Massenproduzent von Waren wurde. Der Herr Ford war ja auch keine einfache Persönlichkeiten und hatte sehr dunkle Seiten, das sollte man ja auch immer wissen, aber da ist das so schön nachzuvollziehen, wie so einzelne Punkte auch zusammenkommen und die beiden Bücher setzen sicherlich auch schöne Zeiger eine andere Bereiche, wo man nachgucken kann.

Götz Müller: Ja, da werde ich auf jeden Fall die geeigneten Links dazu in die Notizen reinnehmen, damit eben die Zuhörer da möglichst schnell Zugriff draufhaben. Ich fand das ein sehr spannendes Thema, das hat mich definitiv nicht enttäuscht, der Gedanke, dich anzusprechen und deshalb danke ich dir auf jeden Fall für deine Zeit und die Gedanken, die du hier verbreitet hast.

Jan Fischbach: Gerne.

Götz Müller: Das war die heutige Episode im Gespräch mit Jan Fischbach zum Thema Lean Geschichte(n). Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 283.

Wenn Ihnen die Folge gefallen hat, freue ich mich über Ihre Bewertung bei iTunes. Sie geben damit auch anderen Lean-Interessierten die Chance, den Podcast zu entdecken.

Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.

Hinweis: Ich behalte mir vor, Kommentare zu löschen, die beleidigend sind oder nicht zum Thema gehören.