Kaizen 2 go 317 : Modellierungs-Software – Hilfe oder Hürde


 

Inhalt der Episode:

  • Was verstehen wir grundsätzlich unter Modellierung im Kontext der Prozessoptimierung?
  • Was muss eine Prozessmodellierungssprache und die zugehörige Software mitbringen, damit es eine Hilfe ist und nicht zusätzliche Hürden aufbaut?
  • Was wären typische Hürden und was sind die Ursachen dafür?
  • Welche Ursachen sind in den Modellen und der Software zu suchen und was ist dem falschen Umgang damit geschuldet?
  • Wie lässt sich das vermeiden? Nach welchen Kriterien sollte man also die Art der Modellierung und die zugehörige Software auswählen?
  • Wenn man über Prozessmodellierung, die Software und den Einstieg nachdenkt, was sind die ersten Schritte bzw. ggf. zu schaffende Voraussetzungen? Welche Bereiche/Prozessarten sind dafür besonders geeignet und bringen den meisten Nutzen, wenn man damit startet?
  • Wie sollte man die beteiligten Menschen im Unternehmen einbeziehen? In die Vorbereitung und die Umsetzung?
  • Wie wird sich das Thema Prozessmodellierung, Software-Einsatz und ggf. KI in den kommenden Jahren noch verändern? Welche Auswirkungen wird das auf die Unternehmen und Menschen haben?

Notizen zur Episode:


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(Teil)automatisiertes Transkript

Episode 317 : Modellierungs-Software – Hilfe oder Hürde

Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.

Götz Müller: Heute habe ich Sebastian Jenensch bei mir im Podcastgespräch. Er ist der Geschäftsführer der JPS Software GmbH, die sich sehr stark mit Prozessmanagement beschäftigt. Hallo Sebastian.

Sebastian Jenensch: Hallo Götz, grüß dich.

Götz Müller: Ich habe schon ein kurzes Stichwort zu dir gesagt, aber stell dich gerne noch mal in ein paar Sätzen vor.

Sebastian Jenensch: Ja, Sebastian Jenensch, Geschäftsführer JPS Software GmbH, also auch Gründer der JPS Software GmbH. Ich habe meine Wurzeln im Banken-Rechenzentrums-Umfeld für die Genossenschaftsbanken und dort mich sehr viel natürlich auch zwangsläufig mit dem Thema Prozesse schon beschäftigt, bis es dann irgendwann zur Gründung kam und jetzt gerade aktuell beschäftige ich mich auch mit dem Thema in der Lehre mit Prozess-, Ideen- und Innovationsmanagement und mache das jetzt schon seit gut zwanzig Jahren und bin gespannt, was du mir für Fragen stellst.

Götz Müller: Ja, jetzt haben wir uns heute das Thema Modellierungssoftware vorgenommen, mit dem Untertitel „Hilfe oder Hürde?“ und vielleicht zum Einstieg erstmal deine Definition, unsere Definition, was verstehen wir unter Modellierung im Kontext von Prozessoptimierung?

Sebastian Jenensch: Modellierungen versus Malen würde ich in dem Zusammenhang vielleicht sagen. Wir reden hier ähnlich wie bei einem Bildhauer davon, dass wir ein Modell machen über die Realität und da uns möglichst versuchen, auf das Wesentliche zu konzentrieren, um dieses dann auch zu nutzen, um vielleicht neue Erkenntnisse zu gewinnen einerseits, andererseits aber auch Komplexität greifbar zu machen. Also wie so eine Kommunikationsplattform kann man sich im Grunde auch ein Prozessmodell vorstellen, so es denn gewissen Kriterien auch entspricht. Du hast es ja schon erwähnt im Titel, es soll ja keine Hürde sein, also dass ich noch mehr aneinander vorbeirede als ohne irgendeinen gemeinsamen Bezugspunkt. Also dieses Modell soll ein gemeinsamer Bezugspunkt in der Kommunikation über den Prozess sein.

Götz Müller: Ja und im Grunde reden wir da ja auch über Sprachen und ich glaube, man kann ziemlich viel aus natürlicher Sprache auf den Kontext übertragen. Sprache selber ist ja auch ein Modell und deshalb die nächste Frage, und da kommen wir dann schon in den Untertitel rein: Was muss eine Prozessmodellierungssprache und natürlich eben die zugehörige Software, was muss die mitbringen, damit es halt eine Hilfe ist und nicht eine Hürde, wie wenn ich Schwäbisch rede und du eben einen anderen Dialekt und wir uns nicht verstehen?

Sebastian Jenensch: Ja, das tatsächlich schwieriger ist ein vernünftiger, ich nenne es jetzt mal bewusst vernünftig, einen vernünftigen Spagat zwischen Ausdrucksmächtigkeit, also im Grunde Wortschatz, und auf der anderen Seite auch Eindeutigkeit, also Unmissverständlichkeit herzustellen. Und ich glaube, da trennt sich dann auch relativ schnell die Spreu vom Weizen, inwiefern das, was ich jetzt gerade als Sprache ausgewählt habe, es gibt ja verschiedene Notationen im Bereich der Prozessmodellierung, inwiefern das der Aufgabenstellung dienlich ist, jetzt in möglichst einfachen Worten sozusagen darzustellen oder abzubilden, was ich vermitteln möchte oder über was ich reden möchte. Das ist also sehr situativ. Es gibt da sozusagen nicht die ideale Sprache, sondern immer nur die situativ passendste und das ist sicherlich hier auch noch ein ganz wesentliches Entscheidungskriterium zu Beginn, wenn ich anfange über einen Prozess sprechen zu wollen, mir auch noch mal die Frage zu stellen: Mit wem rede ich denn da gerade drüber und was genau ist das Ziel, das wir damit erreichen wollen, wenn wir jetzt über diesen Prozess sprechen?

Götz Müller: Ja, und dann jetzt mal ein bisschen konkret, auch eben, glaube ich, damit die Zuhörer sich etwas darunter vorstellen können. Was sind denn dann typische Hürden? Ich könnte jetzt aus der natürlichen Sprache ein Beispiel machen und sagen, wenn der Förster seinem Waldarbeiter sagt „Geh mal in den Wald und hau mir einen Baum.“, dann kriegt er halt irgendeinen Baum, aber nicht den vielleicht, den er halt haben will.

Sebastian Jenensch: Genau, das wäre jetzt so ein Beispiel für die klassische EPK, da hast du nicht besonders viele Symbole, sprich keinen sehr großen Wortschatz, müsstest mit sehr vielen zusätzlichen Worten aus diesem geringeren Wortschatz, die ja eben dieses Spezifika oder dieses Spezifische dann herausarbeiten im Sinne von „Ich möchte gerne einen Baum, der mit Laubblättern bewachsen ist“ und so weiter und so weiter, also dann wird es sehr kompliziert, um dann sozusagen das auszudrücken, was eine mächtigere Sprache jetzt mit einem Wort könnte, nämlich zum Beispiel „Schlag mir Tannen von dem und dem Typ“ und das ist sicherlich dann auch noch mal ein typisches Beispiel für Notationen, also im Bereich der Prozessmodellierung reden wir immer von Notationen, die entweder formal sind oder semi-formal, dazu vielleicht später mehr, aber die einfach einen unterschiedlich großen Wortschatz haben. Wir können Notationen nehmen wie zum Beispiel die BPMN, die hat über 120 Symbole, also der Wortschatz ist sehr groß, wenn wir die EPK nehmen, da sind wir im Bereich von einem Bruchteil dessen und können damit natürlich vielleicht zielgenau den Begriff auswählen, dafür ist es aber leichter verständlich. Das heißt, ein weiterer wichtiger Punkt im Zusammenhang mit der Nutzbarkeit oder des Nutzens, den es stiftet, ist auch die Einstiegshürde, die erforderlich ist, um das zu verstehen, was da überhaupt modelliert wurde, also überhaupt erst mal das Verständnis dessen, und das zweite ist sicherlich auch, wenn es unendlich viele Wege gibt, um einen Umstand zu beschreiben, ist eine Vergleichbarkeit nicht unbedingt gegeben. Das heißt, wenn ich jetzt zum Beispiel sagen würde, Abteilung A modelliert einen Prozesse und Abteilung B denselben Prozess, wie sie ihn leben, und ich lege die dann nebeneinander, selbst wenn die exakt denselben Prozess hätten, bei einer entsprechend ausdrucksmächtigen Notation würden sie wahrscheinlich nicht wirklich vergleichbar sein, einfach weil sie andere Wege gewählt haben, um denselben Umstand zu beschreiben.

Götz Müller: Ja, jetzt als Lean-Mensch fragt man dann ganz oft nach den Gründen und da kommt mir jetzt so diese vielleicht ein bisschen schräge Metapher in den Sinn, hast du ja vielleicht auch schon gehört, dass man davon redet, dass Eskimos eine Vielzahl von Wörtern haben, um Schnee auszudrücken. Für uns Mitteleuropäer gibt es halt einfach nur Schnee. Das heißt, die Frage ist, die dahintersteckt, wie kommt es dazu, dass es solche Unterschiede gibt, dass es solche einfachen Modelle gibt, die dann wieder die einen Nachteile haben und dann die komplizierten bis hin zu komplexen Modelle, die keiner mehr durchschaut, muss ja alles irgendwie seinen Grund haben, passiert ja nicht, nur weil einer sagt „Heute erfinde ich mal 100 Wörter für Schnee“?

Sebastian Jenensch: Richtig. Das hat unter anderem mit dem zu tun, in welchem Kontext, und also erstmal zeitlich, wann diese Notation oder diese Sprache entstanden ist. Welche Möglichkeiten gab es da, vielleicht auch technisch? Also in welchem Umfeld haben wir uns bewegt und jetzt sind wir heute ja im Zeitalter der IT und der Digitalisierung. Die BPMN ist entstanden aus einem Konglomerat, da waren auch solche Player wie IBM und so weiter dabei. Das heißt, es ging da auch viel mehr darum, wie kann ich auch Software-Systeme beschreiben und damit hast du dann zum Beispiel auch Symbole für Exceptions oder ähnliche andere Sachen, die findest du in anderen Nationen gar nicht. Also dort war die Zielgruppe dann mehr in Richtung alles, was irgendwie mit IT-Unterstützung zu tun hat. Ich muss IT-Systeme beschreiben, ich muss vielleicht den Entwicklern oder den Verantwortlichen für die Softwareentwicklung dann hinterher deutlich machen, wie fachlich der Prozess aussieht und dann muss ich aber mehr deren Sprache sprechen. Also hier wieder die Zielgruppenorientiertheit im Sinne von, mit wem spreche ich und welche Sprache wähle ich denn dafür, die möglichst nah an meiner Zielgruppe ist. Wenn jetzt zum Beispiel die EPK nimmst, also die Ereignisgesteuerten Prozessketten, das ist aus eine Zeit, da gab es die ersten Computer, die ersten Desktop-Rechner, da haben sich noch Menschen im Fernsehen geoutet mit der Aussage „Also ich glaube nicht, dass diese Computer Zukunft haben“ und da ist natürlich dann auch die Symbolik, die da existiert, also der Wortschatz, die Darstellungsmöglichkeiten ganz anders, also viel fachlicher und viel weniger technisch als beispielsweise bei einer BPMN.

Götz Müller: Das heißt, ich höre auch so ein bisschen raus, ich habe einerseits die Modelle und wenn du IBM sagst, dann fällt mir nicht sowas wie Software auch ein, kann das einen Einfluss haben, weil die nächste Frage wäre ja dann eben: Ist man falsch damit umgegangen? Wie entsteht eben so etwas? Du hast es auch schon angedeutet, aber ich will halt auch darauf raus und wir haben ja den Titel Modellierungssoftware, ist die Software völlig unschuldig oder hat die vielleicht auch eine Rolle gespielt?

Sebastian Jenensch: Also bei Modellierungssoftware, wenn wir speziell davon sprechen ist das Feld eigentlich relativ aufgeräumt, will ich mal sagen. Es gibt zwei, drei gängige Notationen, die sind sozusagen State of the Art, die aktuellste ist sicherlich die BPMN in der aktuellen Version, also die hat ja auch Versionsstände sozusagen, also im Sinne von die Sprache entwickelt sich weiter, und dann gibt es Werkzeuge drumherum, die aber immer diese Notation als Sprache unterliegend nutzen. Das ist ähnlich, wie wenn du jetzt in der Softwareentwicklung eine Entwicklungsumgebung hast und dort eine spezifische Programmiersprache dann verwendest und dafür aber eben dieses Konglomerat rum und die sogenannte IDE, das Integrated Development Environment als Umgebung hast. Das ist einfach … im Grunde sind die meisten Tools immer auf Basis einer gängigen Sprache und unter anderem deshalb, weil man irgendwo versucht, natürlich nicht immer das Rad neu zu erfinden, zum Teil aber auch vielleicht auch deshalb, weil man einfach sagt, wir wollen möglichst kompatibel sein zu dem, was unsere Kunden oder unsere intendierten Kunden schon gewohnt sind. Und wenn die jetzt zum Beispiel schon seit eh und je in einer bestimmten Notation arbeiten, denken und handeln, dann wäre auch das digitale Tool in der Entsprechung dieser historisch gewachsenen Notation. Und das ist natürlich ein zweischneidiges Schwert, weil ich vielleicht da auch eben nicht mehr zielgruppenorientiert tatsächlich denke, im Sinne von den wirklichen Lesern und den wirklichen Diskussionsbeteiligten, wenn es um die Prozesse geht, sondern mehr zu global vielleicht das Ganze betrachte und sage, na ja, wir bedienen halt die Kunden als Gruppe und die nutzen halt in dieser Branche, nehmen wir beispielsweise die Softwarebranche überwiegend BPMN, also machen wir ein Tool, das die BPMN abbildet, bin aber dann vielleicht mit dem Wortschatz so umfangreich, dass eben zum Beispiel diese Eindeutigkeit erreicht wird, oder, das ist dann eigentlich fast schlimmer, wir haben als Beispiel mit der deutschen Sprache ja eine sehr mächtige Sprache und haben die Möglichkeit, viele Dinge sehr exakt auszudrücken und wenn ich jetzt aber Deutsch lerne, dann kenne ich natürlich nicht den gesamten Wortschatz und drücke viele Dinge vielleicht vereinfacht aus, zum Teil dann aber auch nicht exakt und wenn jetzt die Sprache sehr komplex ist, passiert üblicherweise auch genau das, dass aufgrund dieses Lernens im Umgang mit dieser Sprache, es ist ja eine Sprache, ich vielleicht nur einen Teil der Möglichkeiten nutze, die sie mir bietet und dann dementsprechend wieder die Stärken, die die Ausdrucksmächtigkeit eigentlich mit sich bringt, wieder nicht nutze. Und das ist mitunter auch einer der Gründe gewesen, weshalb wir zum Beispiel gesagt haben, wir weichen davon ab, wir machen jetzt nicht ein Werkzeug, was einfach nur BPMN abbildet oder einfach nur EPK oder vielleicht auch beides, es gibt auch Tools, die bilden mehrere Sprachen ab, so wie eine Entwicklungsumgebung auch C, C++, PHP, was weiß ich was alles kann. So könntest du natürlich genauso gut auch sagen, ich mache ein Modellierungswerkzeug und du kannst die Sprache auswählen so wie du in bestimmten Microsoft-Produkten eben auch sagen kannst ich mache ein Diagramm Typ X oder Y und das ist sicherlich noch ein weiterer Punkt, über den wir sprechen können, nämlich, wann wird es zur Hürde beziehungsweise wann möchte ich eigentlich auch spezifische Stärken nutzen und warum braucht es denn da vielleicht etwas anderes als jetzt einfach mal so ein klassisches Prozessmodellierungswerkzeug.

Götz Müller: Ja, das bringt mich im Grunde schon zur nächsten Frage. Eine Frage, die, ich vermute einfach mal, auch bei den Zuhörern irgendwo im Hinterkopf zumindest ist, wenn ich so etwas nutzen möchte, neu, wenn ich also in ein Thema neu einsteige, dann muss ich mich ja manchmal dann auch für irgendetwas entscheiden für, im Extremfall manchmal auch für eine Software dann zum Schluss, wenn ich gesagt hab, okay, ich will Prozessmodellierung machen und jetzt haben wir ja, habe ich zumindest auch rausgehört, wenn ich mich im Vorfeld für die Sprache entscheide, kaufe ich gewisse Nachteile ein, wenn ich mich zuerst vielleicht für die Software entscheide, aber gar keine Ahnung über die Sprache habe, habe ich wieder andere Probleme. Mit deiner Erfahrung, was wären denn so die die ersten Schritte, über die ich nachdenken muss oder vielleicht sogar noch einen Schritt zurück, muss ich Voraussetzungen schaffen, um mir überhaupt die richtigen Fragen stellen zu können?

Sebastian Jenensch: Also wenn wir jetzt aus dem aus dem Themenfeld Prozessmanagement und Einführung des Ganzen sprechen, also im Sinne von, ich will das jetzt, erstmal überhaupt eine gewisse Klarheit über die Standards, die wir im Unternehmen haben, weil letztendlich sind Prozesse nichts anderes als Standards, die gelebte aktuelle Best Practice zur Lösung einer bestimmten Aufgabenstellung. Das ist ein Prozess, den wir haben, den leben wir, und das ist auch gleichzeitig als Synonym eine Hypothese über das, was wir gerade als bestmöglich erachten im ersten Fehlerfall oder wenn einer eine Idee hat, wie man das noch besser machen könnte, ist diese Hypothese ja widerlegt. Das heißt, der erste Antritt ist ja, ich möchte erstmal überhaupt darüber Klarheit schaffen und ich denke, da ist erstmal das Wichtigste, dass man sich Gedanken darüber macht, welche Flughöhe, welche Betrachtungshöhe habe ich denn eigentlich, wenn ich jetzt überhaupt mal anfange? Die allerhöchste Ebene wäre, dass ich im Grunde so etwas wie eine Prozess-Landkarte mache und erstmal sage, was habe ich denn eigentlich für Abläufe bei mir im Unternehmen, also welche Standards gibt es denn bei uns? Im Bereich Einkauf, im Bereich des Vertriebs, im Bereich der Produktion, im Bereich des Marketings und so weiter und so weiter. Also mir erstmal überhaupt grundlegend die Themenbereiche abzustecken, Themenfelder, da hat ein Prozess überhaupt noch gar keine Ausdrucksmächtigkeit, da ist es vielleicht ein Kärtchen oder einfach nur ein Wort, wo ich den benenne und sage, bei uns gibt es natürlich Mitarbeitereinstellungen, Mitarbeiterausstellungen, Fortbildungsmaßnahmen und so weiter, Messevorbereitungen, was auch immer mir da so einfällt an Begriffen und dann gehe ich runter in die Detailebene und genau da sollte ich mir dann eben auch wieder die Frage stellen: Wie kriege ich es hin, dass sich diese Komplexität, die sich hinter diesen Prozessen jeweils verbirgt, das ist ja im Grunde wie aus der Business Intelligence ein sogenannter Drill-down, also ich gehe runter ins Detail, bietet mir die Sprache, die ich momentan einsetze oder die einzusetzen gedenke, die Möglichkeit, auch diese Detaillierungsebenen hinterher nachträglich abzubilden, und, das ist vielleicht gar nicht so unwichtig, auch andersrum. Oftmals hast du auch einen Startpunkt im Unternehmen: Hier haben wir ein Problem, lasst uns mal darüber reden, wie der Ablauf ist, wir müssen das möglichst schnell in den Griff kriegen und wir brauchen da irgendwie ein Konzept und wir müssen da auch dann neu planen, wie wir es dann künftig tun, da bist du ja auf der Detailebene und müsstest es dann hinterher wieder etwas zusammenfassen und aggregieren nach oben auf die Managementebene oder die strategische Ebene, die dann wiederum nur die wichtigsten Informationen sieht auf den ersten Blick. Also müssen beide Richtungen möglich sein, einmal die Detaillierung also Top Down und andererseits Bottom Up aus der Detaillierung hoch in die Abstraktionsebene und da kommst du natürlich mit klassischen oder gängigen Notationen in Schwierigkeiten, weil sie dir als einziges Medium dafür den sogenannten Sub-Prozess bieten, also im Sinne von Prozess im Prozess, du kannst dann im Drill-down-Modus quasi runter, runter, runter, runter, hast du so eine Art Kaskade drin, aber eben auch gleichzeitig die Problematik, und das ist sicherlich eine ganz große, wenn ich mit Menschen über Prozesse rede, dann erzählen die ja vieles. Das kennst du ja sicherlich aus deiner eigenen Praxis, die erzählen etwas. Und versuche das mal eben ganz schnell in Symbolen und in Kärtchen, irgendwie mit ein, zwei Worten immer schnell festzuhalten, ohne dass es verlustbehaftet ist, als dass da nämlich manchmal sehr viel Knowhow dabei ist, das vielleicht hinterher erforderlich ist, um zu entscheiden, ob ein bestimmter Schritt notwendig ist oder eben nicht notwendig ist oder ob der ausgelagert werden kann oder ob der aufgeteilt werden kann auf verschiedene Verantwortlichkeiten. Das sind Dinge, die kommen dann in der Folge und da kommst du mit einer semiformalen Notation oder einer formalen Notation ganz schnell an Grenzen, weil sie eben nur einen Graphen letztendlich darstellt. Du hast Verbinder, also du hast Kanten, du hast ein Startevent, Endevents, du hast einen Fluss dadurch, den du darlegst oder darstellst und dann verschiedene Aktivitätensymbole und so weiter und so weiter, aber du hast diese wichtige Zusatzinformationen, nämlich das, was der dir gerade sagt, die hast du nirgendwo abgebildet in diesem Schaubild beziehungsweise nicht in endlicher Zeit. Und damit kriegst du dann Schwierigkeiten, zum Beispiel ad hoc in so einem Meeting mal eben kurz die wichtigsten Informationen aufzusaugen und festzuschreiben. Man behilft sich da heute, wenn man, begrenzt auf die gängigen Notationen, indem man zusätzlich noch Dokumente verfasst, was dann aber wieder die Schwierigkeit mit sich bringt, dass sie nicht auf einen Blick sichtbar sind, wie das Schaubild selbst und dann wieder die Frage ist, sieht er denn auch die Anlage, sieht er das Dokument, findet er die nötigen Informationen rechtzeitig. Also Word ist sicherlich die schlechtestmögliche oder überhaupt ein Dokument in geschriebener Prosa runter, was irgendwo angehängt ist, ist sicherlich die schlechteste Form, um Zusatzinformationen zu einem Prozess zu transportieren, weil es nicht gewährleistet ist, dass das der Leser auch tatsächlich wahrnimmt und dann innerhalb dieses Dokuments auch die richtige Stelle oder Textpassage findet, die jetzt für ihn gerade relevant ist, um eine Frage zu beantworten oder um eine neue Idee zu generieren.

Götz Müller: Ja, oder das eben überhaupt zu wissen, kommt mir gerade in den Sinn, dass es so eine Stelle gibt, wenn es nicht diese direkte Referenz gibt.

Sebastian Jenensch: Richtig, ja. Also das ist natürlich insbesondere, also das Wichtigste eben im Bereich der Dokumentation von Prozessen ist im ersten Schritt mal, dass ich für andere, nicht für mich selbst, sondern für die anderen Prozessbeteiligten, festhalte, wie unser Standard ist und da so eine Art Bedienungsanleitung eigentlich der Charakter sein sollte, den es darstellen müsste, leicht verständlich, mit den nötigen „Was ist, wenn“, mit den Dos und Don’ts, also mit den wichtigen Zusatzinfos, die du eben auch von den Fachkräften normalerweise auch bekommst und das auch sehr direkt, wenn du mit ihnen sprichst, aber aufgrund eben dieser Vereinfachung bei Modellen, das ist eben die Schwierigkeit, das habe ich eingangs schon gesagt gehabt, dass eben diese Vereinfachungen, diese verlustbehaftete Dimension genau da eben leider greift, also dass ich die Sachen unter den Tisch fallen lasse und hinterher habe ich noch im Prozess dargestellt, also mit den Notationen dargestellt, das was, aber nicht das wie, also nicht die Dos und Don’ts, nicht die wichtigen Hinweise, sondern eben tatsächlich nur „Das läuft hier“ und dann sind viele Fragen zwangsläufig offen und das wird heutzutage kompensiert über eben die Einarbeitungsgespräche des Beisitzenden, wenn ein erfahrener Kollege das macht, dass ein neuer Mitarbeiter das dementsprechend von dem übernimmt oder die Führungskraft arbeitet ein, zum Teil ist es aber auch schwierig, weil sie selber nicht jeden Tag an dem Prozess arbeitet und dann vielleicht noch Fragezeichen hat. Also die gängigen Probleme, die wir so kennen.

Götz Müller: Ja, oder eben auch ein Thema, was vielleicht nicht direkt auf der Hand liegt, aber in meiner Wahrnehmung ganz oft eine entscheidende Rolle spielt, nämlich das Warum, weil wenn ich das nicht weiß, dass eine Sache wichtig ist, also das Was und wie ich es auch manchmal mache, dann fällt es auch wieder hinten runter. Dann weiß ich zwar vielleicht etwas darüber, aber ich sag mir halt, in Anführungszeichen, es ist nicht wichtig, mache ich nicht, ist aber ganz entscheidend.

Sebastian Jenensch: Richtig. Das merkst du dann spätestens im Rahmen von spezifischen Zertifizierungen, bei denen nicht nur vorgeschrieben ist, dass du das Was abbildest, sondern auch das Wie und bei dem Wie wird dann auffällig, inwiefern du auch das Warum verstanden hast. Beispiel: Reinigung eines Werkstücks, ja, also wenn du da zum Beispiel weißt, wir müssen jedes Werkstück reinigen, egal ob es jetzt vermeintlich sauber ist oder nicht, weil schon kleinste Staubkörnchen ausreichen, um hinterher die Funktion des Gesamtbauteils dann beeinträchtigen oder sogar gar nicht verkaufbar ist, ist das eine wichtige Informationen und wenn das der Mitarbeiter dann, der dafür zuständig ist, das durchzuführen, um Zeit zu sparen oder um Arbeit zu sparen, dann einfach eben sagt „Ich reinige es nur dann, wenn es augenscheinlich verschmutzt ist“, dann ist das schon verkehrt und dann hast du hinterher ganz große Probleme. Dementsprechend ist eben dieses Ziel auch wichtig, dass ich das festhalte und wir haben jetzt bei unserer Notation gesagt, also das ist ja unsere Methodik auch, die wir genau deshalb entwickelt haben, dass wir gesagt haben, du brauchst diese Prosa auf der übergeordnetesten Ebene, auf der Prozessebene selbst, also noch bevor überhaupt die einzelnen Rollen beschreibst oder oder oder, schreib mal fest, für was der Prozess eigentlich da ist, warum tun wir das.

Götz Müller: Ja, und das steckt im Grunde genau das Warum dahinter, wozu.

Sebastian Jenensch: Genau. Genau, ja. Und das kannst du natürlich weitertreiben. Dann kannst du ja jede einzelne Rolle, die in diesem Prozess vorkommt, also jeden Hut, den ein bestimmter Mitarbeiter aufhat, kannst du genauso dann wiederum festhalten. Was ist eigentlich deine zentrale Aufgabe innerhalb dieses Prozesses, also spezifisch in diesem Prozess, in dieser Rolle, für was bist du verantwortlich über alles hinweg, einfach mal ein paar Sätze reichen meistens nur, aber das schafft eine ganz andere Klarheit, als wenn ich einfach nur ein Schaubild habe, indem ich halt schlicht und ergreifend meine einzelnen Tasks sehe, meine Aktivitäten sehe, vielleicht auch meine Verantwortlichkeiten im Bereich der verschiedenen Prozessphasen, aber nicht auf einen Blick dann vielleicht mal genau diese wichtigen Informationen nochmal bekommen, worauf es wirklich ankommt.

Götz Müller: Da ist jetzt für mich ein Stück weit auch die Schlussfolgerung drin, dass es zumindest zur Auswahl gar nicht so sehr beiträgt, wo ich jetzt, mit was ich jetzt starte, dass es auch nicht notwendigerweise direkt beiträgt, davon abgeleitet, welche Menschen ich am Anfang in die Auswahl einbeziehen, weil jetzt aus deinen Aussagen habe ich ja, bis auf dieses spezifische Reinigungsbeispiel, im Grunde gar nicht rausgehört, ob jetzt der Vertriebsprozess, um mal so ein bisschen ein Ende der Skala zu nehmen oder irgendeinen Produktionsprozess, ob das das Relevante ist, wenn ich also von oben runter gucke, aus der Prozesslandschaftsebene, sondern ich muss mir eher allgemeinere Fragen stellen, höre ich da eben raus.

Sebastian Jenensch: Ja, vor allem die Zielsetzung grundsätzlich. Was will ich mit Prozessmanagement erreichen, also wenn es nur darum geht, dass ich gemäß den Vorgaben, die wir heute ja leider auch, oder Gott sei Dank auch, haben im Sinne des Qualitätsmanagements ein Zertifikat benötige, dann reicht es ja auch aus, nach der entsprechenden Normen das Was zu beschreiben und auch definierte Lücken zu haben und dementsprechend ist es jetzt nicht notwendigerweise eine Bedienungsanleitung für meine Mitarbeiter, sondern es ist einfach eine Dokumentation dessen, wie wir aktuell arbeiten, die dann auch wieder rausgenommen werden kann oder herausgezogen werden kann, falls ein Fehler auftritt, um dann dementsprechend nach den Ursachen zu suchen. Da ist aber keine begleitende Dokumentation im Sinne von, ich arbeite Mitarbeiter explizit auf dieser Basis ein, aufgrund dieser Lücke, die da einfach ist. Ich habe die Schaubilder, ich habe aber nicht, ich habe vielleicht auch noch ein Sammelsurium an Verfahrensanweisungen und so weiter, aber ich glaube jeder, der das schon mal erlebt hat, dass er sich in größeren Unternehmen eingearbeitet hat, ich war auch einer derer, und dann eben diese Prozessschaubilder durchgeklickt hat, der hat einen Haufen Fragen, also sehr viele Fragen und wendet sich dann eben doch an den erfahreneren Kollegen oder den Vorgesetzten oder oder, um dann eben diese Fragen beantwortet zu bekommen und kann da in der Dokumentation diese Antworten nicht finden.

Götz Müller: Ja, und ein bisschen überspitzt ausgedrückt, dann hat sie ein Stück weit ihren Sinn verfehlt so übertrieben …

Sebastian Jenensch: An sich ja, wenn wir ganz ehrlich sind, ist das so, ist das vielleicht auch oft der Fall, das wissen sicherlich auch, wenn wir unter den Hörern den einen oder anderen Qualitätsmanagementbeauftragten oder Auditor haben, ist das eine unausgesprochene, vielleicht gar nicht so unausgesprochene Wahrheit, also dass wir oftmals diese Dokumentation erstellen und eigentlich schon fast wissen, es ist nicht ausreichend für die eigentliche Zielsetzung, im Sinne von, wir möchten da allen eine Art Handbuch an die Hand geben, mit dem sie sich einarbeiten können. Das werden wir wahrscheinlich auf Basis dieser Dokumentation nicht erreichen können, weil das aber auch in der Natur der Sache liegt, das eben auch, gerade weil die Sprachen meistens eine gewisse Einstiegshürde haben, das ist ähnlich, wie wenn du eine Programmiersprache lernen möchtest. Das wirst du nicht jedem einfach geben können und sagen können, hier komm, dokumentier doch mal deinen Teil, den du tust und wir sammeln das alles zusammen und dann erst entsteht diese gesamte globale Dokumentation. Das scheitert allein daran, dass meistens die Sprachen zu komplex sind, also so ausdrucksmächtig auf der einen Seite, also ausdrucksmächtig genug, um die Komplexität abzubilden, aber andererseits zu ausdrucksmächtig, als dass ich eben kurz zum Beispiel einem Lagermitarbeiter sagen kann „Kannst du mal beschreiben, wie das hier verwaltet, wenn jetzt irgendwo hier irgendwelche Teile reinkommen“ oder so, dann würden die sich schwertun. Das heißt, ich muss es für die anderen tun und dann bin ich logischerweise immer am hinterherrennen mit der Dokumentation im Vergleich zu dem, was gerade aktuell sich draußen schon wieder geändert hat an den Prozessen und komm da kaum zeitnah hinterher und dann ist die zwangsläufig eben auch nicht in diesem Umfang, in dem sie sein müsste, als dass sie tatsächlich eben diesen Bedienungsanleitungscharakter hat. Also ich brauche da irgendwo die Mitwirkung aller Prozessbeteiligten und da ist momentan, da sind wir bei diesem Begriff Hürde, da sind eben gerade die ausdrucksmächtigen Notationen eher die Hürde. Weil das kannst du nicht jedem geben, dann musst du dich entsprechend einarbeiten, auch schon alleine, um sie zu verstehen, musst du dich da eigentlich in die Notation einarbeiten, weil du auf Basis der Verschiedenartigkeit der Symbole nicht sofort erkennen kannst, wie deren Bedeutung ist. Und die Legende wäre zu lang, also bei 120 wird die Legende sehr groß.

Götz Müller: Also im Grunde müsste man etwas machen, man müsste sich irgendein Beispiel nehmen, das mal modellieren mit dem mal im ersten Schritt Ausgewählten und dann zu jemand gehen, der das tagtäglich macht und den fragen: Verstehst du das?

Sebastian Jenensch: Das wäre ein einfaches Qualifikationskriterium. Du modellierst nach bestem Wissen und Gewissen nach einer entsprechenden Notation, die dir ganz gut passt, also mit der du selber relativ schnell bist und würdest dann sagen: Jetzt gebe ich es mal jemand anders, für den das intendiert ist, also für jemanden aus dieser Zielgruppe, die das eigentlich lesen und verstehen sollten, und frag ihn mal „Habe ich alles richtig modelliert?“ und wenn der lange braucht, um es zu beantworten oder sagt „Oh, das verstehe ich gar nicht, was du da gemacht hast.“, dann ist das schon ein Ausschlusskriterium.

Götz Müller: Und zwar eben ein Ausschlusskriterium, natürlich kann ich es auch falsch modelliert haben, aber es ist halt eher ein Ausschlusskriterium für das Werkzeug, wenn ich dann feststelle, es ist kein Nagel, da bringt mir dann der Hammer nichts.

Sebastian Jenensch: Richtig, da hättest du vielleicht irgendwo das Präzisionswerkzeug, bräuchtest aber vielleicht sogar nur einen einfachen Hammer. Das ist auch so ein gängiges Beispiel in diesem Kontext. Wir haben das selber in der Praxis auch erlebt, dass die bestehende Prozessdokumentation so dominant war in der Organisation als dass zuallerst mal die zu Rate gezogen wurde, auch wenn jetzt auf Basis zum Beispiel von unserem Ansatz das schon remodelliert wurde und erstmal da rein geguckt wurde auf Basis dessen, was da erzählt wurde, wie man arbeitet und erst auf Hinweis von uns auf die alternative Dokumentationsform geguckt wurde und dann gesagt wurde „Das, was da steht, ist nicht richtig“, also da wurde gleich inhaltlich dann erfasst okay, da ist der Fehler, das haben die im Management falsch verstanden, wie wir arbeiten und dann wurde korrigiert, aber das setzt eben diese Einfachheit voraus, die aber ja, und das ist ja die Kunst, wieder der Ausdrucksmächtigkeit zuwiderläuft und da den Spagat zu finden, das war an sich die große Herausforderungen bei der Entwicklung von einer entsprechenden Notation, die dann eben beides kann, sowohl ohne Verlustbehaftung komplexeste Sachverhalte auch detailliert darzustellen, aber andererseits auch auf den ersten Blick deutlich zu machen, was läuft hier eigentlich, so dass eben so ein Effekt auch möglich ist, dass jemand aus der Fachabteilung kurz mal dazu gerufen werden kann, so von wegen: „Du, ich habe mir etwas überlegt, guck mal kurz drauf, passt oder passt das nicht?“

Götz Müller: Ja. Und im Grunde, wenn man es ganz einfach auf den Punkt bringt, ist Kundenorientierung in dem Kontext auch nicht verkehrt, im Sinne von: Wer ist denn der wahre Kunde, der Nutzer? Nämlich die Menschen, die du gerade beschrieben hast, die in den Prozessen auch arbeiten und die treffen im Grunde auch die ja fast schon ultimative Aussage – taugt es was oder nicht? Wenn sie es nämlich nicht verstehen, macht es keinen Sinn.

Sebastian Jenensch: Richtig, ja. Also das ist, da ist ein Indikator vielleicht auch für alle, die sich damit befassen. Ein guter Test ist zum Beispiel, etwas zu modellieren und das in die Gruppe der Prozessbeteiligten zu geben, meinetwegen auch mal funktionsorientiert, also im Sinne einer Abteilung und sagen „Wir haben das mal beschrieben, wie ihr arbeitet, passt das so?“ und wenn ich dann feststelle, es kommt nur Feedback im Sinne von „Ja, passt“, mit einer zeitlichen Verzögerung vielleicht von einem Höflichkeitstag oder es kommt sogar gar kein Feedback, dann kann ich davon ausgehen, dass das, was ich dokumentiert habe, faktisch inhaltlich nicht überrissen wird, sonst krieg ich Feedback, weil ich werde nie im ersten Entwurf hundertprozentig das darstellen, was tatsächlich da draußen ist. Also das ist unwahrscheinlich. Das ist ja auch das Kaizen-Prinzip, das wissen wir ja eigentlich alle, dass die, die vor Ort sind, selbstverständlich wissen, wie es läuft, und aber momentan keine richtiges Sprachrohr haben oder keine richtige Möglichkeit, dass dann auch so zu verdichten und darzulegen, als dass du dann in der entsprechenden Managementfunktion das dann auch sofort überreißen kannst, was sie da tun und wie sie es tun. Und das war mitunter auch eines der Design-Kriterien, dass wir gesagt haben: Das wollen wir ermöglichen. Wir möchten dem Menschen im Blaumann die Möglichkeit geben, mit dem Zollstock in der Hand, so haben wir es auch erlebt, dann dem Geschäftsführer zu sagen: „Der LKW fährt aus den und den Gründen halb beladen vom Hof, weil an der und der Stelle fehlt eine Benachrichtigung.“

Götz Müller: Ja, und dass man nicht dann irgendwann, manchmal Jahre später, die Aussage bekommt: „Uns hat ja keiner gefragt.“

Sebastian Jenensch: Das ist ein weiterer schwieriger Punkt, ja. Gib den Menschen die Möglichkeit, sich zu beteiligen, und zwar eine echte. Einfach nur zu sagen „Hier ist die Prozess-Dokumentation auf Basis von Highly Sophisticated Tool A oder B oder C mit der und der Notation, ihr könnt gerne Feedback geben.“, das ist keine echte Einbindung, das ist zu schwergängig in der Zugangs- oder zu hoch in der Zugangshürde, die nehmen die meisten nicht und wir dürfen ja nicht vergessen, die Hauptaufgabe während der täglichen Arbeit ist ja nach wie vor das operative Geschäft und dann verliert so etwas natürlich sofort an Priorität, in dem Moment, wo es schwierig ist von der Zugangshürde. Wenn es leicht fällt und vielleicht sogar noch Spaß macht, beteilige ich mich natürlich viel eher und bringe mich viel eher ein und dazu muss ich eben diesen Effekt erzielen können, als dass, wenn ich auf dieses Diagramm oder auf diese Dokumentation schaue, dass ich schon mit dem ersten Blick a) erkenne, um was geht es da und b) auch gleich inhaltlich wiederfinden, und das ist bei, ich nenne es mal böse gesprochen, Atomkraftwerkschaltplänen, also vom Charakter her, von manchen Prozessdiagrammen oder -darstellungen niemals gegeben, da erkenne ich das nicht, da sehe ich nur „Oh, das ist kompliziert“ und das ist aber eigentlich nicht Sinn und Zweck der Sache, ich möchte lieber den Effekt, dass jemand anders zu mir sagt, ich hab das jetzt nach eurer Methodik abgebildet, das sieht ja so furchtbar simpel aus, ist das überhaupt die gesamte Komplexität. Ich bin mir nicht sicher, ob ich irgendwas vergessen habe, dann haben wir das Ziel erreicht, dann haben wir komplexes leicht verständlich gemacht und da sind wir wieder bei der Ausgangsaussage: Was ist eigentlich ein Modell? Es soll die Abbildung der Realität sein, damit wir sie leichter erfassen können. Also komplexes komplex abzubilden ist meines Erachtens nicht unbedingt sinnvoll, weil damit habe ich ja keine wirkliche Verbesserung geschaffen.

Götz Müller: Ja, und ich höre jetzt eben auch raus, zwischen den Zeilen, sehr zwischen den Zeilen, im Grunde ist die Software natürlich dann irgendwann das wichtige Element, aber dass ich mich darüber äußern kann, dass ich den Menschen die Chance gebe, das ist das eigentlich Wichtige und natürlich unterstützt dann eine einfache Möglichkeit das eher, wenn ich, um wieder bei dem Begriff der Sprache zu bleiben, wenn ich halt die Sprache der Menschen spreche.

Sebastian Jenensch: Richtig, ja. Exakt. Also es ist genau, das ist der Punkt, also dieser digitale Teil, wir arbeiten selber auch mit Moderationskoffer und -kärtchen am Tisch, auf dem Tisch mit den Leuten um den Tisch herum und einer hat aber gleichzeitig, ähnlich wie auch in normalen Meetings die Protokollfunktion, aber der hält gleich noch fest, was da auf dem Tisch passiert und somit kannst du aus dem Meeting rausgehen und hast gleich die digitale Entsprechung im Intranet oder je nachdem wo du es halt ablegen möchtest und hast dementsprechend dort dann auch die Möglichkeit, das anderen zur Verfügung zu stellen in der Minute, wo du rausgehst, wenn du beispielsweise einen Entwurf gemacht hast, und solltest du dann auch noch die Feedback-Möglichkeit auf dieser Plattform, ich nenne es bewusst Plattform, auch wenn die dort vorhanden ist, dann kannst du natürlich sofort da eben diese Dinge, die vielleicht noch vergessen wurden oder sowas, thematisieren als jemand, der da draufguckt. Er sieht das dann, er kann dann eben direkt Einfluss nehmen. Das war das, was du erwähnt hattest, mit der Einbindung vieler oder eben aller. Meetingräume haben ja normalerweise eine begrenzte Kapazität und zeitlich das zu organisieren ist manchmal auch schwierig, dass du alle Beteiligten auf einmal, auf einen Schlag da hast, manchmal musst du es auch zeitlich irgendwo ein bisschen splitten und da ist das sicherlich hilfreich, wenn das Ergebnis vom Vortag oder vom selben Tag, von derselben Stunde vielleicht, auch gleich eingesehen werden kann, auch als Vorbereitung zum Folgetermin, wo du noch mal darüber sprichst oder wo du dann eben nochmal vielleicht Rückfragen stellst oder oder, oder eben auch ganz andere Leute an den Tisch bringst, wo du sagst: Lasst uns das mal auseinander nehmen, was Gruppe A gemacht hat, was haltet ihr denn davon, fällt euch noch was dazu ein? Gerade, wenn es um Optimierungsvorhaben geht.

Götz Müller: Jetzt zum Abschluss stelle ich immer ganz gern die Frage, hier war es am Anfang: Was ist der Einstieg? Da haben wir darüber gesprochen. Jetzt an der Stelle und du hast es schon ein bisschen angedeutet, einerseits die Kärtchen, ein Moderationskoffer ist eher etwas, in meinem Weltbild, ein sehr klassisches Werkzeug, Papier und Stift, und andererseits aber trotzdem Softwareeinsatz, das heißt, da habe ich ja schon, darin steckt eine gewisse Evolution, was ist deine Ansicht, wie werden sich solche, ich nenne es mal abstrakte Dinge in der Zukunft verändern, weiterentwickeln? Also Prozessmodellierung, Software-Einsatz und natürlich eine Sache, die gerade so ganz aktuell ist, KI, und was bedeutet das für die Menschen und die Unternehmen?

Sebastian Jenensch: Also, wenn ich jetzt gerade mal an die Entwicklungsmöglichkeiten denke, dann ist natürlich die Versuchung immer größer, zu sagen „Wir können das ja möglichst versuchen zu automatisieren, vielleicht auch zu dezentralisieren, das Thema Online-Zusammenarbeit mehr zu stützen“ und so weiter und so weiter. Das krankt nur an einem ganz wichtigen Punkt, nämlich, es geht hier immer noch um Menschen, die zusammenarbeiten und da werde ich die, das war auch eines der Kriterien, weshalb wir überhaupt diesen Koffer und die Kärtchen definiert haben und da auch mit einem witzigerweise Möbelhersteller, der sich sehr gut mit Ergonomie auskennt, da in der Best Practice gut zusammengearbeitet haben, die das entwickelt hat mit uns zusammen, diese Methode, wo wir eben auch gesagt haben: Nein, wir brauchen den gesenkten Blick auf den Tisch, wir brauchen die Haptik, die ist wichtig, auch wegen der Identifikation mit dem, was ich hier gerade tue, und dementsprechend bin ich da so ein bisschen skeptisch, inwiefern das wirklich von Mehrwert ist, wenn wir jetzt zum Beispiel sagen würden, wir machen das voll digital und nur noch mit der Tastatur oder anderen Eingabemedien von Anfang an und wir nutzen vielleicht da sogar irgendwo eine künstliche Intelligenz, um bestimmte Prozessschritte schon vorzudefinieren, automatisiert auf Basis von Beobachtungswerten oder Unternehmensdaten. In die Richtung kann und wird das sicherlich auch bei, sagen wir mal sehr optimierten Prozessen wie reinen Produktionsprozessen vielleicht auch gehen, die sind ja heutzutage schon sehr stark auch mit Key Performance Indicators, also mit entsprechenden Kennzahlen hinterlegt, wo ich dann Analysen auf Basis dieser Kennzahlen fahre und daraus auch die Prozessmodelle sogar generieren kann, aber wenn ich möchte, dass eben der Genius Mensch weiterhin genutzt wird und dann eben auch kreativ neue Lösungswege findet, glaube ich, werden wir immer noch diese Haptik, dieses Miteinander, diesen Dialog benötigen und dementsprechend ist da vielleicht auch die Grenze, wenn es um das Thema Modellierung geht, dass wir da nicht so sehr viel automatisieren zwar können, aber vielleicht eher nicht sollten, um eben auch diesen Genius Mensch zu nutzen, der nach wie vor eine ganz, ganz wichtige Ressource ist und dementsprechend vielleicht auch neue Lösungen entstehen. Ich kenne das aus einem Beispiel, da gab es eine neue Umweltnorm, dass bestimmte Teile zurückgenommen werden mussten und da hat ein Hersteller Kunststoff und Metall verbunden und die Problematik war dadurch, dass er all diese Verbundstoffe dann hinterher wieder zurücknehmen musste, war die Frage, wie drösel ich die wieder auseinander fürs Recycling, also jetzt wieder Kunststoff von Metall trennen, und da war es ein Produktionsmitarbeiter, der im Dialog die Idee dann geäußert hatte, der sagte „Also meines Erachtens müsste es funktionieren, wenn die Maschine in den und den Einstellungen einfach rückwärts laufen lassen.“ und dann war es einfach Mut, das auszuprobieren. Und ich denke, solche Sachen gehen nur in der direkten menschlichen, vielleicht haptischen Interaktion, die standen im Werk und haben dann an der Maschine darüber gesprochen. Und da kam eben ein vermeintlich unbedeutender Mitarbeiter auf genau diese zündende Idee, die dem Unternehmen hinterher horrende Kosten gespart hat.

Götz Müller: Ja, das fand ich jetzt ein wunderbares Beispiel zum Abschluss, dass es ohne den Menschen nicht geht und da möchte ich es fast noch ein bisschen überspitzt ausdrücken, wenn das jemand sagt, der aus dem Software Umfeld kommt, der dort ein Produkt gebaut hat, wenn der das schon sagt, möchte ich mal so ausdrücken, dann sollte man es verdammt nochmal glauben.

Sebastian Jenensch: Nein, nicht unbedingt glauben. Ich komme immer auch gerne im Rahmen meiner Vorlesung, immer mit der Aussage: Hinterfragt und stellt alles in Frage, was ich sage. Gerade das ist ja der Gegenstand dessen. Es geht um den Menschen und es ist so, dass wir hier natürlich digital, das gilt grundsätzlich für das Thema Digitalisierung, uns immer Gedanken machen, wo nutzt sie uns und wo würde sie bestimmte positive Effekte, die wir eben durch den manuellen Prozess haben oder durch das manuelle Vorgehen haben, wo nimmt sie uns vielleicht diese Stärken weg. Das ist ja grundsätzlich im Rahmen von Stärken-Schwächen-Analysen immer auch ein wichtiger Punkt. Konzentrier dich nicht nur auf die Schwächen, sondern nimm auch die Stärken mit in die neue Version dessen, was du da baust, damit dann dementsprechend diese auch weiterhin existieren, sonst verlierst du vielleicht irgendwann deine Alleinstellungsmerkmale.

Götz Müller: Prima, Sebastian. Ich danke dir für deine Zeit, für die, ich fand es sehr interessante Impulse zu einem Thema, das uns, ich glaube noch lange oder vielleicht immer ein Stück weit begleiten wird, über solche Dinge nachzudenken. Ja, und deshalb, vielen Dank für deine Zeit.

Sebastian Jenensch: Danke dir, Götz.

Götz Müller: Das war die heutige Episode im Gespräch mit Sebastian Jenensch zum Thema Modellierungs-Software – Hilfe oder Hürde. Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 317.

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Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.

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