Kaizen 2 go 328 : Prozesse im Einzelhandel


 

Inhalt der Episode:

  • Was sind die Kernprozesse im Einzelhandel?
  • Was gibt es außerhalb der Sichtbarkeit für den Kunden?
  • Wie können Einzelhändler prozessseitig mit Amazon & Co konkurrieren?
  • Welches Potenzial kann der Einzelhandel aus der Digitalisierung ziehen, ohne wieder mit Amazon & Co. in Konkurrenz zu treten?
  • Welche Rolle können Lean-Konzepte dabei spielen? Was lässt sich aus dem klassischen Produktionskontext auf den Einzelhandel übertragen?
  • Welche Chancen können sich daraus ergeben?
  • Wie sieht der typische Einstieg für einen Einzelhändler aus?
  • Was sollte er dabei beachten?
  • Wie bezieht man die Mitarbeiter am besten ein?

Notizen zur Episode:


Mitmachen?

Wenn Sie selbst ein interessantes Thema für eine Episode im Umfeld von Geschäftsprozessen haben, können Sie mir das auf dieser Seite mit Vorbereitungsfragen vorschlagen.

Ich freue mich darauf!

Ihnen hat der Inhalt gefallen? Dann bewerten Sie die Episode bitte bei iTunes.
Jetzt eintragen und Artikel/Denkanstöße zukünftig per eMail erhalten.

Artikel teilen auf ...


(Teil)automatisiertes Transkript

Episode 328 : Prozesse im Einzelhandel

Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.

Götz Müller: Heute habe ich Bianca Wenz bei mir im Podcast-Gespräch, sie hat über 20 Jahre Erfahrung im Einzelhandel, in der Beratung und seit 10 Jahren unterstützt sie eben selbstständig Einzelhändler im Thema Geschäftsprozesse, Prozesse im Einzelhandel. Hallo Frau Wenz.

Bianca Wenz: Hallo, freut mich, dass ich hier sein darf.

Götz Müller: Ja, schön, dass wir uns heute dieses Thema vorgenommen haben. Sagen Sie gern noch mal zwei, drei Sätze zu sich als Person, und wir werden dann ja auch eben über die Inhalte uns drauf konzentrieren.

Bianca Wenz: Ja, zur mir als Person, wie Sie es schon gesagt haben, ich arbeite seit mehr als 20 Jahren im Einzelhandel, habe sehr viel Erfahrung zuerst gesammelt auf der Fläche, in verschiedenen Funktionen, einmal durch die ganzen Hierarchien hindurch und bin dann durch ein großartiges Projekt in das Thema Prozessmanagement reingekommen und habe da so meine Leidenschaft drin gefunden und begleite das jetzt eben, wie gesagt, schon seit 10 Jahren und, ja, freue mich über ganz viele positive Resonanz. Im Einzelhandel ist das ja grundsätzlich eher noch ein Thema mit etwas geringerer Beachtung.

Götz Müller: Ja, das heißt eben, glaube ich, ist ein sehr, was die Zuhörer angeht, was die, in Anführungszeichen, Vorerfahrung angeht, weil natürlich jeder schon mal in einem Laden drin war. Das heißt, jeder kommt im Grunde damit in Berührung, andererseits sieht man natürlich, könnte ich mir vorstellen, relativ wenig von dem, was hinter den Kulissen passiert und deshalb vielleicht mal zum Einstieg, dass wir da nichts verpassen in dem Sinne: Was sind denn die Kernprozesse im Einzelhandel, vielleicht eben auch die, die man als Kunde nicht sieht?

Bianca Wenz: Ja, also das, was wir als Kunde auf jeden Fall sehen, ist ja alles rund um das Thema Verkaufen und das ist ja gleichzeitig auch der der große Teil der Wertschöpfung und dann gibt es eine ganze Menge Prozesse, die im Hintergrund laufen, das hängt immer so ein bisschen davon ab, wie groß das Unternehmen ist, ob das schon filialisiert ist oder nicht, aber das beginnt im Prinzip beim Aufbau der Ware, das Verräumen und Aufräumen der Ware, wie die sogenannte Instore-Logistik, also die Ware trifft ein und muss ausgepackt und verarbeitet, etikettiert werden und dann kommt, je nachdem, welche Orientierung das Geschäft hat, noch so etwas wie Veranstaltungen, Kundenaktionen, Social Media mit dazu. Es muss Material beschafft werden, also es ist wirklich ein relativ vielfältiges, ein vielfältiger Pott an Prozessen, von denen wir als Kunden eigentlich nur einen Bruchteil mitbekommen.

Götz Müller: Ja, und ich glaube aber eben auch, gut, wenn der Verkauf nicht funktioniert, dann verkaufe ich nichts, um es ein bisschen flapsig auszudrücken, aber auch viel von dem, was im Hintergrund passiert, wenn da irgendetwas nicht funktioniert, dann merke ich es vielleicht dadurch, dass halt keine Milch im Regal steht. Das ist dann aber schon fast der Gau, aber es können ja wahrscheinlich auch viele andere Dinge passieren.

Bianca Wenz: Oh ja. Die Milch ist natürlich ein schönes Beispiel. Ich denke, wir haben in den letzten drei Jahren ja zum ersten Mal die Erfahrung gemacht, dass im Handel tatsächlich Produkte nicht verfügbar sein können. Das ist natürlich der schlimmste Fall. Das habe ich an anderen Stellen auch erlebt, also Buchhandel, wo ich die meiste Zeit meiner Karriere verbracht habe, ist es durchaus schon so, dass es Lieferengpässe geben kann, die dann auch tatsächlich dazu führen, dass Produkte nicht in dem Angebot sind, was man sich gerade wünscht, aber am Ende reicht schon einfach eine Verspätung vom Lieferanten beispielsweise, dass die eben nicht morgens um 8 wie verabredet liefern, sondern in der Mittagszeit, dass im Prinzip der komplette Ablauf im Laden so richtig über den Haufen geworfen wird, weil in der Regel ist es so, dass diejenigen, die Logistik machen, eben morgens parat stehen und dann mittags auch im Zweifelsfall schon nach Hause gegangen sind, weil dann in der Regel alles erledigt ist. Also das ist so logistische Hindernisse, das ist eigentlich immer so die größte Herausforderung, der man sich dann auch einfach sehr spontan stellen muss und für die es prozessual nicht wirklich eine gute Abbildung gibt. Ja, und das, was wir jetzt in den letzten Jahren eben auch kennengelernt haben, ist das Thema, dass, ja, Produkte nicht rechtzeitig fertig sind, nicht geliefert werden können, weil dann die Kette hinten dran auch einfach gestört ist, auch das ist dann natürlich etwas, was echt vor Herausforderungen stellt, weil letztlich muss ja Ware auf der Fläche sein, mit der man geplant hat, auch. Gerade wenn man es produzieren lässt mit den entsprechenden Vorlaufzeiten und dafür dann spontan Lösungen zu finden, das ist eine echte Herausforderung.

Götz Müller: Ja, nicht bloß, dass halt die Dinge fehlen, sondern sie kommen halt dann zur Unzeit, wie Sie es gesagt haben, und die Menschen, die damit eigentlich umgehen, sind dann im Extremfall gar nicht mehr da.

Bianca Wenz: Richtig und Weihnachten ist halt beispielsweise nur einmal im Jahr. Wenn ich meine Weihnachtsware dann erst im Januar bekomme. Dann habe ich zwei Möglichkeiten, ich kann es zu einem ganz schlechten Preis verkaufen, weil ich keine Lagermöglichkeiten habe, oder ich muss es einlagern für ein Jahr, bis ich es wieder verkaufen kann und beides sind irgendwie einfach dann aus wertschöpfender Sicht unfassbar unbefriedigende Lösungen.

Götz Müller: Gut, jetzt haben Sie das Stichwort Buchhandel gebracht und ich glaube, da hat wahrscheinlich jeder einen anderen Begriff, einen anderen Buchhändler, zumindest in Anführungszeichen einen anderen Buchhändler, der dann mal damit angefangen hat, im Sinn, nämlich Amazon. Und da jetzt die Frage, für mich ist Amazon primär ein Logistikdienstleister, weil ich vielleicht mit ein bisschen anderen Brille auf das Thema schaue, aber natürlich ist er eben auch ein Händler und da dann die Frage, hat ein Einzelhändler überhaupt an der Stelle noch irgendeine Art von Chance, prozessseitig damit zu konkurrieren und was bedeutet das?

Bianca Wenz: Das ist eine wirklich gute Frage. Also Amazon ist für mich tatsächlich Teil meines Berufslebens, seitdem ich im Beruf bin, gerade im Buchhandel ist das ja schon relativ früh präsent gewesen, und hat auch einen ziemlichen Wettbewerbsdruck erzeugt. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, es macht keinen Sinn, den Versuch zu starten, mit Amazon zu konkurrieren. Da ist so eine Investitionsmacht in diesem Konzern, das ist ein Spiel, was man in den seltensten Fällen gewinnen kann. Ich weiß auch gar nicht, ob das sinnvoll ist, denn der Einzelhandel hat ganz wunderbare Stärken in der Lokalität, die er viel besser ausspielen kann als jemand, der so gigantisch ist wie Amazon. Ja, also das ist das, was ich bei vielen Händlern, die ihren Job richtig gut machen, eben auch sehe, die sind in ganz enger Beziehung mit ihren Kunden und spielen das richtig gut und das ist die Stärke, die viel, viel mehr ausgespielt werden muss im Einzelhandel, in Deutschland, jetzt unabhängig davon, ob es noch nur stationär oder in einem Omnichannel-Format oder in welchem Format auch immer passiert.

Götz Müller: Jetzt steckt da ja in meiner Wahrnehmung natürlich auch unheimlich viel Digitalisierung drin, auch wenn man es vielleicht jetzt im klassischen Wortsinne, ja, wobei dadurch natürlich auch schon viel Geschäftsmodell drinsteckt, kann man jetzt sagen, dass deshalb, wie Sie es gerade ausgedrückt haben, das Thema Digitalisierung für den Einzelhandel überhaupt kein Thema mehr ist, weil er ja sonst gleich wieder einem Amazon vielleicht gegenübersteht oder kann er aus Digitalisierungselementen doch, was seine Prozesse angeht, doch Potenzial ziehen?

Bianca Wenz: Unbedingt. Also ich glaube, ohne ein gewisses Maß an Digitalisierung geht das nicht, ja, weil unsere Einkaufsgewohnheiten haben sich in den letzten 20 Jahren einfach enorm verändert. Wir haben einen anderen Blick darauf, wann und wie wir einkaufen möchten und der digitale Kanal, der gehört zwingend dazu und das können lokale Einzelhändler genauso leisten mit einer anderen Perspektive. Es ist halt immer, welchen Blick werfe ich auf das Thema, versuche ich das Unerreichbare zu schaffen oder fokussiere ich mich auf das, auch in der Digitalisierung, was mich stark macht, klein und lokal zu sein und ein feines Sortiment anzubieten und da kann Digitalisierung eben auch wieder punkten und so wird es dann auch zu etwas, was leistbar ist, weil ansonsten schaut man nur auf den großen Kostenberg und sieht die Lösung nicht mehr. Und ich denke, da braucht es ein Bewusstsein dafür, was kann ich leisten und was kann ich auch im Sinne meiner Zielgruppe in Kundschaft leisten, und sich darauf zu konzentrieren.

Götz Müller: Ja und ich persönlich habe da eine, ja, ich möchte es mal Theorie nennen, aber jetzt habe ich natürlich auch die Chance, mit einer absoluten Fachfrau darüber zu reden, ich habe da für mich so ein bisschen mal die Theorie entwickelt, eigentlich ist für den kleinen Einzelhändler, egal in welchem Produktspektrum er sich bewegt, nicht unbedingt, wie sie es gerade angedeutet haben, Amazon die Konkurrenz, sondern vielleicht eher der andere kleine Einzelhändler, vielleicht in derselben Straße, vielleicht nicht einmal mehr in derselben Stadt oder im selben Stadtviertel, der sich aber mit dem Thema anders beschäftigt und der seinen Kunden dadurch eben weitere Möglichkeiten bietet, noch nicht so wie Amazon, aber halt für diese direkte Konkurrenz, eventuell in der gleichen Straße, halt einen Mehrwert bietet und dadurch viel, in Anführungszeichen, gefährlicher ist wie Amazon.

Bianca Wenz: Das würde ich so unterschreiben. Also es geht immer noch darum, dass man natürlich irgendwie in einem Wettbewerb zueinander steht und der Wettbewerb, der findet erstmal in der direkten Nachbarschaft statt und es ist ganz klar, wenn man sich anschaut, wie wir heute einkaufen gehen, wenn ich mir das der Jugendlichen heute betrachte, ne, also es stellt sich nicht mehr die Frage, wo in der Fußgängerzone finde ich Geschäft XY, wenn die jungen Menschen heute etwas suchen, dann ist der erste Schritt, den sie tun, das Handy zu zücken und zu googeln, wo finde ich das und wenn ich dann als Händler eben digital nicht präsent bin, dann bin ich auch im Verkauf nicht präsent, weil das ist der erste, der getan wird. Und dann hat natürlich der lokale Händler die Nase vorne, der das für sich verstanden hat und ganz einfach auf Google auffindbar ist und ich mache diesen Versuch immer mal wieder, auch hier in meiner Nachbarschaft zu schauen, wen finde ich denn da eigentlich, und das ist manchmal wirklich kein schönes Bild. Also es wird besser mit der Zeit, aber es sind ja ganz einfache Dinge, die tatsächlich auch von vielen noch nicht umgesetzt sind.

Götz Müller: Ja, da kommt mir eine Episode in den Sinn, die ich vor ein paar Jahren mit einem Friseur gemacht habe, der da auch von spannenden Dingen erzählt, wo man auf den ersten Blick so denkt, okay, ist ein total analoges Geschäft, ich muss sogar vor Ort gehen, da habe ich jetzt keine Chance, das aus der Ferne zu machen und trotzdem ist er unheimlich aktiv gewesen, zum Beispiel auch für so ein, im Grunde ein Randthema, aber dann manchmal doch entscheidend, nämlich Nachwuchskräfte, Mitarbeiter zu finden.

Bianca Wenz: Da geht's los.

Götz Müller: Ja. Jetzt bewegen wir uns ja in einem Lean-Kontext auch und da natürlich dann liegt, glaube ich, die Frage auf der Hand, welche Rolle können jetzt in dem Konglomerat, nenne ich es mal, können da jetzt Lean-Konzepte spielen, was kann man eben aus einem klassischen Produktionskontext, wo es halt herkommt, was kann ich auf diesen Einzelhandel übertragen, wo ich es jetzt ja nicht im klassischen Wertschöpfungssinne eine Veränderung an einem Produkt vornehme, sondern ich bewege es halt auf eine zutreffende, notwendige Art und Weise, aber das Produkt selbst verändert sich nicht.

Bianca Wenz: Genau, das ist es. Aber das, was die Lean-Welt so spannend macht für Einzelhändler, ist auch dieses Bewusstsein für Wertschöpfung und alles, was ansonsten in einem Prozess eine Rolle spielt und der Fokus, der daraus entsteht, nämlich was ist aus Sicht meiner Kunden das, was wertschöpfend ist und wofür ich eine entsprechende Leistung erwarten kann und das rückt den Fokus ja in ein total spannendes Licht, nämlich tatsächlich immer wieder sich die Frage zu stellen: Ist das für meine Kunden nützlich, ja oder nein? Brauche ich es, wenn ja, in welcher Form brauche ich es? Und dann sind wir ja schon mittendrin in der kontinuierlichen Verbesserung und ich denke, das ist der Teil, der eben enorm wertvoll sein kann, auch für Händler, dieses Setting der kontinuierlichen Verbesserung für sich zu entdecken und immer wieder durchzuspielen.

Götz Müller: Ja, jetzt an der Stelle eben wieder, weil wir, ich glaube, da gehen wir jetzt wieder über den klassischen Kunden-Bezugsprozess, nämlich den Verkauf, hinaus, weil der, glaube ich, immer noch sehr analog sein wird, was sind jetzt Elemente, einfach, dass wir Laien da mal ein bisschen hinter die Kulisse blicken können.

Bianca Wenz: Also das kann zum Beispiel wirklich, es sind ganz oft ganz simple Dinge, wie die Frage, wie kann ich eine Verräumung so gestalten, dass sie weniger Kontaktpunkte mit dem eigentlichen Verkauf hat, also die Prozesse, die hinten dranhängen, so zu organisieren, dass ich möglichst viel Zeit auf der Fläche investieren kann und da den bestmöglichen Nutzen für den Kunden bieten kann. Ganz spannendes Thema da zum Beispiel sind die Automatisierungsversuche im Bereich der Kassen. Das ist ja etwas, was wir immer stärker wahrnehmen. Die ersten großen Unternehmen wie Decathlon, hier in meinem Bereich des Globus, der sehr aktiv ist, investieren sehr, sehr viel Energie und auch Geld darin, Kassenprozesse zu automatisieren beziehungsweise dem Kunden zu überlassen und das ist genauso ein Prozess, am Ende ist das Bezahlen ein notwendiger Vorgang, aber die Frage ist ja, inwieweit kann man das so vereinfachen, dass das Personal, was bisher sehr, sehr intensiv in so einem Prozess gebunden ist, zum Beispiel auf die Fläche zurückgebracht werden kann, wo es Beratung leisten kann.

Götz Müller: Mhm ja, und an der Stelle kommt mir jetzt aber gerade dieser Gedanke, ich will nicht sagen, absurd, das Wort ist jetzt unpassend, so Selbstbedienungskassen scheint ja gerade, zumindest wenn ich an unseren Baumarkt hier in der Nähe denke, ein gewisser Trend zu sein und in dem gleichen Satz, im Prinzip, hat jemand gesagt, es gibt dann aber auch die, wie hat er es genannt, die Tratschkassen, wo man dann bewusst mit der Kassiererin noch ein Wort wechseln kann, ohne jemand anderes aufzuhalten, mich würde dann vielleicht jemand da eher aufhalten, wenn er da jetzt noch einen Schwatz macht mit der Kassiererin.

Bianca Wenz: Ja, das ist dann so ein bisschen die persönliche Befindlichkeit. Ich bin zum Beispiel, beim Lebensmitteleinkäufen liebe ich alles, was automatisiert stattfindet, im besten Fall noch so, dass ich meine Ware nicht noch mal aus dem Einkaufswagen auf ein Band packen muss, sondern da einfach drin lassen kann. An der Stelle suche ich nicht zwingend das Gespräch. Auch da gibt es natürlich Menschen, die das tun. Das ist immer die Frage, was mein persönliches Bedürfnis ist. Wahrscheinlich wird es am Ende ein Mix sein aus zum Beispiel Kassensystemen, dass diejenigen, die das automatisiert machen möchten, das ebenso tun können, an anderer Stelle ist immer noch der persönliche Kontakt möglich und ich glaube, das ist, der persönliche Kontakt, das ist der riesige Unterschied zu allem, was digital stattfindet, wo das eben nicht so ist. Ich bin in der digitalen Welt für meine Suchergebnisse verantwortlich. Es gibt niemanden, der mich dort berät, sondern ich treffe meine Entscheidungen aus meinem eigenen Wissen heraus und da kann der Handel perspektivisch enorm stark punkten, aber es ist genau das. Dafür muss er seine Prozesse so umorganisieren, dass er, wenn man so sagen will, mit der bestehenden Mannschaft, mehr Dienstleistung leisten kann, weil die Kostenstrukturen im Handel eben so enorm belastet sind, dass man jetzt nicht sagen kann, es ist möglich, irgendwie einfach mal x Personen mehr einzustellen, weil ich mehr Dienstleistungen schaffen möchte im Geschäft.

Götz Müller: Ja, aber wenn man sich ja eben klar macht, an welcher Stelle findet wirklich die Wertschöpfung im Handelssinne statt, jetzt nicht im Veränderungssinne, halt im direkten Kontakt zu den Kunden. Wenn mir eine Frage, ich stehe vor dem Regal und mir schießt jetzt eine Frage durch den Kopf, ich muss was wissen und die, in Anführungszeichen, blöde Schraube, die da halt tot im Regal liegt, sagt es mir halt nicht, dann habe ich im Grunde keine andere Chance wie mit einem Menschen in Kontakt zu gehen und je mehr der sich auf solche Situationen konzentrieren kann, desto eher läuft er mir über den Weg, desto eher habe ich die Chance, ihm die Frage zu stellen und er kann mir sofort sagen, was Sache ist.

Bianca Wenz: Richtig, genau. Es gibt immer das schöne Beispiel, was ich auch in meiner Arbeit immer wieder sage, in dem Moment, wo ich als derjenige, der auf der Fläche steht, damit beschäftigt bin, Dinge zu tun wie verräumen, etikettieren, was auch immer, kann ich nur bedingte Aufmerksamkeit auf meinen Kunden richten und im Zweifel steht er hinter mir und sucht hilflos jemanden, ohne dass ich das zur Kenntnis nehme und in dem Maß, wie wir das eben schaffen, uns da anders zu orientieren im Handel und den Kunden einfach noch stärker in den Mittelpunkt zu stellen, umso stärker wird sich der Kunde auch dem stationären Handel an solchen Punkten auch wieder zuwenden, weil er diese Qualität in der Beratung dann eben bekommt.

Götz Müller: Ja, und da kann ich bloß sagen, da haben die Amazon-Suchalgorithmen nun mal nur ein Element rauszusuchen, rauszupicken, wo man halt dann etwas findet oder nicht findet, die haben da echt noch Schwächen und da lobe ich mir dann manchmal den Baumarkt hier ums Eck, wo ich ihm halt eine Frage stellen kann und da habe ich durchaus auch schon Geld gelassen, was vielleicht bei einem Amazon günstiger gewesen ist, aber ich halt dort nicht finde.

Bianca Wenz: Genau.

Götz Müller: Selbst, wenn er es hat. Gut, jetzt haben wir einiges über die Chancen gesprochen, die der Einzelhandel hat, aus dem Prozessdenken, auch aus gewissen Digitalisierungsaspekten. Jetzt könnte ich mir aber vorstellen, weil es halt eine eher analoge Welt ist, dass der klassische Einzelhändler, möchte ich es mal nennen, ohne jede Wertung, dass er vielleicht erstmal vor einem riesengroßen Berg steht und vielleicht so von oben runter oder oben auf dem Berg oben drauf halt so ein lächelnder Smiley sitzt, wo er sagt „Da hoch will ich gar nicht“ und trotzdem macht es Sinn, den ein oder anderen Schritt sprichwörtlich auf den Berg rauf zu gehen, was wäre denn so der erste Einstieg in den Berg, um es mal so zu nennen?

Bianca Wenz: Also ich glaube, der einfachste Einstieg ist tatsächlich an der Stelle erstmal zu schauen: Was kann ich denn mit dem machen, was ich schon habe? Das ist ein Ansatz, den ich eigentlich immer wieder verfolge und es ist bemerkenswert, was eigentlich schon an Ressourcen und Ideen und Konzepten in der Regel vorhanden ist, vor Ort, weil die Mitarbeiter das im Kopf haben, weil irgendjemand sich darüber Gedanken gemacht hat. Das heißt, man muss im ersten Schritt gar nicht weit vor die Tür schauen, sondern sich mit dem Team zusammensetzen und eine offene Unterhaltung zulassen über die Themen, die anstehen und welche Möglichkeiten jeder Einzelne auch sieht. Also ich glaube, in ganz vielen meiner Projekte ist am Ende die Lösung für ein Problem aus dem Team herausgekommen. Ganz oft bin ich nur der Katalysator, nur ist so gut, man braucht halt manchmal diesen Blick von außen. Ganz oft ist man eben nur der Katalysator für das, was im Team eigentlich schon vorhanden ist und man muss es nur schöpfen.

Götz Müller: Ja, die, ich nenne es immer die dummen Fragen, zu denen wir manchmal in der Lage sind, wo halt jemand, der in dem Marmeladeglas sitzt, halt nicht mehr in der Lage ist. Und jetzt kommt mir aber gerade noch ein anderer Gedanke wieder, da fällt mir wieder der Friseur ein, der hat nämlich gesagt, für bestimmte Dinge, Social Media und Co, sind auch meine Mitarbeiter viel fähiger wie ich, weil sie zum Beispiel Auszubildende, weil sie halt nicht irgendwie in der zweiten Lebenshälfte unterwegs sind, sondern weil sie, ja, und das ist dann, glaube ich, die ganz große Chance, eben weil sie ja in ihrem Privatleben auch mal Kunde sind und dann kann man die ja einfach fragen, die habe ich ja direkt vor der Türe oder schon im Laden. Was möchtet ihr denn als Kunde, als junge Menschen?

Bianca Wenz: Ja. Also das wird, glaube ich, die Aufgabe der Zukunft sein, da genau hinzuhören. Ja, weil also, ich habe selber, ich lebe mit einem zwölfjährigen Kind zusammen und ich sehe, wie er sich verhält im Umgang mit sozialen Medien, in dem Rahmen, in dem das zugelassen wird, natürlich, und trotzdem erkennt man eben ganz klar, dass es eine ganz andere Art ist, an Einkauf reinzugehen, als wir das gewohnt sind. Und das ist, glaube ich, genau der Punkt, wo wir, die eher in der zweiten Lebenshälfte stehen oder eben mit Digitalität erst auch zu einem späteren Zeitpunkt als unserer Kindheit berührt wurden, dass diese Generationen völlig anderen Zugang zu dieser Technik haben, den wir auch nutzen können, ja, in dem Maß, wie wir zuhören und die Frage stellen „Was braucht ihr eigentlich, damit ihr wieder Spaß habt, zu uns zu kommen?“, kann da eine riesige Chance draus wachsen. Und gerade, weil sie es sagen, Auszubildende sind da, glaube ich, ein echter Kreativitätsmotor, weil das sind ja total junge, engagierte Menschen, die auch am Anfang ihres Berufslebens stehen und was gestalten möchten und die in sowas einzubinden und ihnen den Raum zu geben zu sagen: Hier, dann ist das dein Azubi-Projekt, bau unseren Instagram-Kanal auf oder wir gucken, ob wir das mit TikTok machen. Das kommt dann halt wieder enorm darauf an, was die Zielgruppe für das Unternehmen sein kann. Dann ist da, glaube ich, ein wahnsinniges Potenzial, über Generationen auch voneinander zu lernen und Handel genau auch so eine einfache Art und Weise wieder neu zu definieren.

Götz Müller: Ja, da jetzt noch mal ein bisschen nachgefragt, da habe ich vielleicht ein bisschen das übertrieben, althergebrachte Bild des Auszubildenden, ich weiß nicht, warum, mit Friseur habe ich jetzt persönlich nicht mehr so viel am Hut, aber man hat halt so das Bild irgendwie, gerade habe ich vor meinem geistigen Auge den Auszubildende, der im ersten Lehrjahr nur die Haare wegfegt, das kann es ja nicht sein. Das heißt, vielleicht ist ja auch heute ganz anders, oder ich hoffe es mal, dass es heute ganz anders ist, aber ich erlebe es, in meinem eher produktionsgeprägten Kontext halt immer wieder, dass sich die Menschen, die ja so viel wissen, aber aus den unterschiedlichsten Gründen und auch manchmal nur, weil sie halt über Jahrzehnte hinweg vielleicht nicht gefragt wurden, dass sie dann irgendwann gar nicht mehr dazu in der Lage sind, über ihren, ja, vielleicht auch über ihre eigene Hürde wegzuspringen, so nach dem Motto: Hey, da will jetzt einer plötzlich von mir wissen, was ich da drüber denke. Ist das im, kann man, passiert so etwas im Einzelhandel auch? Wie geht man damit um? Und ich glaube, das ist eben auch für die, die jetzt nichts mit dem Einzelhandel, außer als Kunde, zu tun haben, auch eine große Chance, jetzt von Ihnen etwas zu lernen.

Bianca Wenz: Also das, was sich dahinter verbirgt, um das mal so mal in einen gemeinen Satz zu packen, dieses „Das haben wir schon immer so gemacht.“ und das ist natürlich, also ich empfinde das vor allem als eine Schutzbehauptung, wie Sie selber sagen: Ja, ich möchte den Bereich, den ich für mich selber definiert habe und in dem ich mich wohlfühle und auch sicher fühle, erhalten und damit ich mich Veränderungen, die mich jetzt vielleicht bedrohen, nicht stellen muss, gehe ich dazu über zu sagen, das haben wir doch immer schon so gemacht und das ist doch gut so. Und die Erfahrung, die ich damit gemacht habe, also im ersten Schritt schon erstmal zu respektieren, dass es so ist, weil es ist eine Gefühlshaltung und an der kann man erst mal gar nichts ändern, die ist da, aber dann eben denjenigen an die Hand zu nehmen und zu sagen: „Komm, lass uns mal zusammen etwas ausprobieren.“ Kleine Schritte, also immer wieder respektieren, dass da am Ende noch Barrieren da sind, die man eben aufbrechen kann, wenn man nicht zu viel auf einmal verlangt, aber trotz allem immer wieder konsequent zu sein und zu sagen: „Ich verstehe deine Befürchtungen, doch wir werden sie erst durch Praxis bestätigen oder widerlegen.“ Also auch ganz proaktiv zu sagen: „Wir müssen es ausprobieren, weil ohne ausprobieren werden wir keine Veränderungen erreichen.“ Und das ist das, was ich dann auch immer wieder erlebe, in dem Moment, wo man sagt „Okay, ich habe die Bedenken verstanden, komm, lass uns jetzt mal etwas zusammen ausprobieren.“, manchmal muss man so ein bisschen hinten dran stehen und so ein wenig über die Schwelle schieben, aber in dem Moment, wo das Handeln startet und da so eine Dynamik einfach entsteht, die ja in der Regel positiv ist, sind solche Menschen auch schnell abgeholt und finden sich dann auch ganz, ganz positiv wieder in einem ganz neuen Prozess.

Götz Müller: Ja, ich erwähne an der Stelle immer auch einen Punkt, den man, glaube ich, auch nicht vernachlässigen sollte und ich glaube, er ist universell, in dem Augenblick, wo ich ja jemand andern sage, dass er etwas anders machen soll, schwingt ja im Grunde unbewusst, das macht sich, glaube ich, kaum jemand so klar, schwingt ja im Grunde mit, dass er es falsch macht, weil sonst gäbe es ja keinen Grund, es anders zu machen. Es kann aber durchaus Jahrzehnte lang richtig gewesen sein, nur jetzt ist halt einer mit diesem komischen Smiley da aufgetaucht oder halt auch nur der Einzelhändler zwei Häuserblocks weiter, der halt anders an sein Geschäft rangeht und wenn ich halt jetzt so weitermache, wie es vielleicht die letzten 20 Jahre, 30, 40 Jahre gut funktioniert hat, dann wird es verkehrt und ich glaube, das muss man, zumindest mache ich da positive Erfahrungen damit, wenn ich das schon vorher sage, dass irgendwann dieser Punkt kommen wird.

Bianca Wenz: Ja, das ist so. Ich habe deswegen auch so ein bisschen ein Thema mit dem Begriff der Verschwendung der im Lean gerne benutzt wird, weil Verschwendung tatsächlich, also am Ende braucht das Kind einen Namen für das, was wir vielleicht tun, was uns zu viel Zeit kostet, aber Verschwendung ist für mich eben auch dieser Begriff, der, ja, genau diese Unterstellung beinhaltet, ich mache Dinge, die sinnlos sind und das ist genau das Gleiche mit dem, was Sie gesagt haben, man muss die Erfahrung derjenigen respektieren, die das über Jahrzehnte getan haben, es ist enorm wichtig, ihnen das auch deutlich zu machen, dass es nicht darum geht, zu kritisieren, was in den letzten Jahren vielleicht nicht richtig gelaufen ist, sondern eben die Situation hat sich jetzt verändert, und wir brauchen jetzt akut eine Lösung, die wir aufbauen auf der Expertise, die jeder Einzelne mitbringt. Und da kommt der Unterschied der Generationen dann eben wieder zum Spielen, wo diverse Teams auch eben mit vielen Altersdurchmischungen unfassbar viel voneinander lernen können.

Götz Müller: Ja, und im Grunde ist das das, wo wir ja, auch wenn wir es vielleicht nicht immer so ausdrücken, aber wonach wir ja streben, eben die Unternehmen dabei zu unterstützen, eine lernende Organisation aufzubauen, auch wenn sich das jetzt vielleicht hochtrabend anhört, aber sie haben es gerade schon gesagt, im Grunde geht es auch darum, einfach untereinander Dinge zu lernen, mit denen wir vielleicht vor 30, 40 Jahren nicht in Berührung kamen, die für einen jungen Menschen heute ganz natürlich sind.

Bianca Wenz: Genau. Und das ist das, also, die Lebensrealität hat sich ja durch die Digitalisierung in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit verändert und das nimmt ja immer noch mehr Fahrt auf. Irgendwann ist man einfach mit seinen Erfassungskapazitäten an einer Grenze und jungen Menschen fällt das intuitiv leichter, sich damit zu beschäftigen, weil sie auch irgendwie näher an den Themen dran sind, damit aufgewachsen sind und so weiter und das ist eben die Kraft, das ist genau diese lernende Organisation, das ist für mich das größte Geschenk, aus einem Projekt herauszugehen und zu erkennen und zu erleben, dass sich ein Händler ein Stück weit hin bewegt hat zu so einer Lernorganisation und auch gerade das Thema Lernen im Handel ja mit echten Herausforderungen belegt ist, weil alle Menschen sind eingebunden im Prinzip in den Rahmen der Kundenbedienung. Das heißt, es geht im Prinzip immer darum zu schauen, wie kann ich einen Rahmen schaffen, der Lernen möglich macht im Kontext Arbeit und das ist wirklich eine Aufgabe im Handel, weil dafür Räume geschaffen werden müssen, im Prinzip außerhalb des Kundengeschäfts und es ist wichtig, aber trotz allem ist es gerade in Zeiten des Fachkräftemangels eine wahnsinnige Herausforderung, da in kleinen Schritten weiterzukommen.

Götz Müller: Ja, und das ist aber eben die Chance, gemeinsam sich weiterzuentwickeln, das Unternehmen nach vorne zu bringen und ein Stück weit, ja, niemanden auf der Strecke zu lassen und eben auch wieder vor dem Gedanken, an anderer Stelle bin ich dann wieder Kunde und möchte dann vielleicht auch Dinge erleben, die im eigenen Laden oder da, wo ich angestellt bin, halt noch nicht verfügbar sind und dann kann ich ja so etwas einbringen.

Bianca Wenz: Ja, genau, also lernen auf der Straße, irgendwie auch ein bisschen, ja.

Götz Müller: Prima, Frau Wenz, ich fand das eine spannende Unterhaltung und da waren wieder, da wiederhole ich mich, in Anführungszeichen, in jeder Episode fast, aber es waren wieder Elemente drin, die ich mir am Anfang so hätte nicht vorstellen können und ich glaube eben auch denen etwas mitgegeben haben, die vielleicht nur, in Anführungszeichen, Einzelhandelskunde sind und sonst in einem ganz anderen Lean-Kontext unterwegs sind. Deshalb nochmal vielen Dank für Ihre Zeit.

Bianca Wenz: Sehr gerne.

Götz Müller: Das war die heutige Episode im Gespräch mit Bianca Wenz zum Thema Prozesse im Einzelhandel. Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 328.

Wenn Ihnen die Folge gefallen hat, freue ich mich über Ihre Bewertung bei iTunes. Sie geben damit auch anderen Lean-Interessierten die Chance, den Podcast zu entdecken.

Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.

Hinweis: Ich behalte mir vor, Kommentare zu löschen, die beleidigend sind oder nicht zum Thema gehören.