Kaizen 2 go 335 : Was tun, wenn 5S verbrannt ist?


 

Inhalt der Episode:

  • In welchen Szenarien sind Dir schon Vorbehalte gegen 5S begegnet?
  • Wie und von wem werden diese Vorbehalte direkt und manchmal auch versteckt ausgedrückt?
  • Was sind mögliche Ursachen für diese Vorbehalte?
  • Wie gehst Du dann mit den Vorbehalten um? Wie sehen dann die Reaktionen aus?
  • Was funktioniert gut, was funktioniert nicht (so) gut?
  • Was sind Deine Schlussfolgerungen daraus?
  • Was sollte man also beachten, bevor man 5S (wieder) “auspackt”?
  • Was lässt sich evtl. aus dieser niedrigen methodischen Ebene auf Lean i.A. übertragen?
  • Wo kann man mehr über Deinen “Umgang” mit 5S erfahren?

Notizen zur Episode:


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(Teil)automatisiertes Transkript

Episode 335 : Was tun, wenn 5S verbrannt ist?

Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.

Götz Müller: Heute habe ich Marvin Bunjes bei mir im Podcast-Gespräch. Er ist Lean- und Organisationsberater. Hallo Marvin.

Marvin Bunjes: Hi. Hallo, vielen Dank.

Götz Müller: Ja, schön, dass du heute dabei bist. Ich habe schon ein kurzes Stichwort zu dir gesagt, aber stell dich gern noch mal in ein paar Sätzen dem Zuhören vor.

Marvin Bunjes: Ja, sehr, sehr gerne. Ich bin, ja, Marvin Bunjes, komme aus dem Nordwesten der Republik und ich sorge dafür, dass meine Kunden glückliche Kunden haben können, also dass sie Wertschöpfung für ihre Kunden erbringen können und das in drei Bereichen: Organisation, Prozesse und Fertigung. Und, ja, wegen der Fertigung, da sind wir heute hier, für die 5S-Methode, da sorge ich dafür, dass alle wissen, wo der Hammer hängt, also ganz, ganz praktisch in den Arbeitsplätzen der Mitarbeiter dafür zu sorgen, dass sie das Werkzeug haben, was sie brauchen, um wirklich auch sinnvolle Arbeit machen zu können und nicht ständig sinnlose Beschäftigung in Form von Verschwendung, warten, suchen und so weiter.

Götz Müller: Ja, das ist ein schönes Wortspiel, wo der Hammer hängt, im wahrsten Sinne das Wortes eben. Gut, und jetzt haben wir uns ja ein Thema vorgenommen, was ich mir vorstellen könnte, dem einen oder anderen vielleicht schon mal so begegnet ist, im Sinne von: Was mache ich denn, wenn ich schon mal 5S probiert habe und jetzt irgendwie noch mal und es beim ersten Mal auch nicht funktioniert hat, und vielleicht zum Einstieg da eben: Was sind so deine Erfahrungen? Welche Szenarien sind dir begegnet, wo so dieses manchmal ganz offene, manchmal auch eher versteckte „Ah 5S, bleib mir doch fort“?

Marvin Bunjes: Mhm, ja, also hauptsächlich dann ganz oft, wenn es im Büro irgendwie angefangen worden ist, weil ich da, also den Mehrwert, also der Mehrwert so schlecht nachvollziehbar ist für die Mitarbeiter, wenn es dann darum geht, irgendwie die Kennzeichnung für die Maus zu machen, ganz überspitzt gesagt, oder ein Stifthalter oder darüber zu reden, ob jetzt drei oder fünf oder sechs Stifte noch irgendwie in der Schublade liegen dürfen, dann ist das Thema natürlich sehr, sehr schnell verbrannt. Und sonst ein anderes Beispiel ist, wenn es irgendwann mal an die personifizierten Werkzeuge oder Werkzeugwagen gegangen ist. Das ist meistens auch immer sehr, sehr heikel und ja etwas, womit man dann schon ziemlich schnell 5S vergraulen kann oder auch wenn man das nur androht. Das ist, glaube ich, dann auch schon ein ziemlich großer Fehler, würde ich sagen.

Götz Müller: Ja, vor allen Dingen, wenn man halt eventuell, wenn das jemand anderes war und man davon unter Umständen gar nichts wusste.

Marvin Bunjes: Ja, das das wäre noch viel schlimmer. Was sind dir so für Vorbehalte untergekommen?

Götz Müller: Ja, im Grunde genau das. Das Schlimmste, was mir mal begegnet ist, da gab es keine, im Grunde keine Vorgeschichte. Da hat es jemand dann gut gemeint. Das war in einer Autowerkstatt, Unfallinstandsetzung, die haben so Netzwerkveranstaltungen, wo die sich gegenseitig besuchen, und da stand halt ein Besuch bei dieser besagten Werkstatt an und der Inhaber hat es in Anführungszeichen gut gemeint und wollte neulich den Besuchern, seinen Kollegen aus dem Netzwerk, also anderen Inhabern von Autowerkstätten halt mal zeigen, wie toll es bei ihm aussieht, Klammer auf, was halt doch nicht so der Fall war und dann hat er sich am Samstagmorgen halt hingestellt und hat mit seinem Hausmeister zusammen 5S gemacht, in Anführungszeichen, also aufgeräumt mit dem Erfolg, dass seine Jungs am Montagmorgen nichts mehr gefunden haben, überhaupt nichts mehr. Dann kannst du dir ja vorstellen, wie da, wenn du da nur das a-Wort in den Mund nimmst, aufräumen, wie das ankommt.

Marvin Bunjes: Ja, das glaube ich sehr, sehr gerne, ja. Ich nenne das immer den 5S-Untergrund, das sieht ja dann oberflächlich total toll aus, aber wenn dann irgendjemand etwas sucht, dann fliegt doch wieder alles aus irgendwelchen Schubladen und Schränken heraus und dann fliegt doch wieder alles rum, wenn man es denn irgendwann mal gefunden hat. Aber in dem Fall ist es ja tatsächlich noch schlimmer, aber das habe ich auch schon häufiger erlebt, dass dann Inhaber nicht so genau wissen, wie sie jetzt damit rangehen sollen oder wie sie die Mitarbeiter dazu bekommen, da mitzumachen in irgendeiner Form. Ja, und dann machen sie es halt lieber selber, also am Wochenende, gerade das, was du auch beschrieben hast. Ja, und das ist natürlich schlecht. Also mein Ansatz ist ja immer zu sagen, die Leute, die damit arbeiten, die müssen auch ihren Arbeitsplatz so gestalten können, dass sie da bestmöglich arbeiten können, und wenn das der Chef ist, der, ich weiß nicht, in deinem Beispiel vielleicht gar nicht mehr unbedingt am Auto werkelt, dann kann der das gar nicht so genau wissen, wie das eigentlich jetzt gerade die Abläufe sind und was man wo genau braucht.

Götz Müller: Gut, kommen wir noch mal auf die Vorbehalte zurück. In welcher Form erlebst du, dass dir sowas dann und vielleicht auch von wem, diese Vorbehalte ausgedrückt werden? Wobei ich da persönlich sagen muss, wenn mir das jemand direkt sagt, dann ist mir das fast lieber, wie wenn das so passives Verhalten ist, ja, passiver Widerstand.

Marvin Bunjes: Also das erste ist, also, wenn es da nicht solche Vorerfahrungen gibt, kommt mir das eigentlich gar nicht unter, dass da jemand sagt „Oh, jetzt müssen wir hier aufräumen auch noch oder jetzt müssen wir hier 5 S machen“, also die meisten kennen ja gar nicht den Begriff und wenn man dann so einmal erzählt, dass es darum geht, halt Arbeitsplätze so einzurichten, dass sie vernünftig arbeiten können, dann wissen eigentlich die meisten: Ja, bei uns ist das eben nicht so, da ist es häufiger so, das berühmte „drei Leute warten, dass der Vierte das Werkzeug holt“. Syndrom und dann sind die eigentlich ganz froh und meistens ich mach es so schnell, dass sie gar nicht merken, dass da jetzt so ein Workshop stattgefunden hat. Also wir machen morgens den Workshop und nachmittags ist das dann schon alles viel besser und sie können vernünftig arbeiten. Also was das angeht, geht das ziemlich schnell und ansonsten unterscheide ich auch häufig Widerstand und Widerständigkeit, dass ich, also Widerstand im Sinne von ja, das sind jetzt eher persönliche Gründe, die dann dagegensprechen. Widerständigkeit, da muss man aufpassen, das kann dann halt sein, dass das sogar wirklich sinnvoll ist, dass sich so ein Mitarbeiter gegen eine Neuerung wehrt, weil sie Sorge haben, dass die Wertschöpfung darunter leidet, sprich, wenn ich denen das Werkzeug wegnehme, was ja die Sorge sein kann, wenn sie die Werkzeugwägen oder die persönlichen Werkzeugkisten abgeben müssen, dann hat man natürlich eine Widerständigkeit, die sich dann zeigt, weil sie sagen: Ja, wie soll ich denn ab morgen arbeiten, wenn das jetzt nicht mehr da ist. Da dann eher dafür zu sorgen, dass das im Nachhinein passiert, nachdem eigentlich alle das Werkzeug dann zur Verfügung haben, sodass so eine Widerständigkeit gar nicht erst aufkommen kann. Das ist auf jeden Fall super hilfreich. Ja, ansonsten kann ich gar nicht so sehr davon berichten, wie jetzt, wer das hat, natürlich, die Mitarbeiter könnten das haben, aber dann eher aus diesen Vorerfahrungen.

Götz Müller: Ja, du hast ja angedeutet, diese Vorerfahrungen, insofern möchte ich es noch ein bisschen vertiefen, wie, ja wie soll man es ausdrücken, wie das dann ausgedrückt wird. Also vielleicht ein Punkt bezogen auf die Werkzeugwägen, was mir da durchaus begegnet und wo man eben höllisch aufpassen muss, speziell wenn man Multiplikatoren adressiert, die das dann selber im Unternehmen weitertragen und wenn man denen das nicht sagt „Hey, frag vorher, bevor du eine Schublade aufmachst“, dann kann sowas böse ins Auge gehen, weil da beginnt dann schon manchmal eben, du hast es persönlich genannt, eben dieser persönliche Bereich.

Marvin Bunjes: Ja, das ist definitiv der Fall, dass dann, ja, Mitarbeiter sagen „Ja, wie soll ich denn arbeiten, wenn mir das Werkzeug genommen wird?“, oder ja, die Einführung durch die Vorgesetzten halt nicht so funktioniert, dass die Mitarbeiter auch ja das Gefühl haben, dass sie selber dabei sind, wenn dann da jetzt irgendwie eine Aktion passiert und sie selber einen Einfluss drauf haben und dann kenne ich das auch, dass dann gesagt wird „Pass da bloß auf“. Ich nenne das immer diese heiligen Kühe schlachten, da muss man schon die Finger von lassen und das darf es natürlich abgefragt werden, wer da vermeintlich irgendwelche heiligen Kühe bewahrt oder ja oder auch welche da sind halt.

Götz Müller: Ja, und manchmal darf man auch nicht unterschätzen, eben dieses a) ich dringe in einen persönlichen Bereich ein und durchaus sind die Menschen sich ja drüber bewusst, dass es halt irgendwie nicht so toll in der Schublade aussieht, und wenn man dann die Schublade einfach aufmacht und das offenbar wird, ja, da entsteht vielleicht, also zumindest ist es eine Interpretation von mir und mir würde es wahrscheinlich ähnlich gehen, da entsteht fast sowas wie Scham, oder?

Marvin Bunjes: Auch das, ja. Ja, dann … also meistens, wenn, das fällt mir jetzt noch gerade zu sehr gut dazu ein, meistens wenn sich das ankündigt, dass es dort einen Workshop gibt, wird sowieso schon aufgeräumt und ich glaube, da geht schon die meiste Scham dann weg. Dann werden schon mal die ersten Sachen aus dem Regal rausgeräumt oder eine Werkzeugwand wird noch mal betrachtet, wenn es denn schon so etwas gibt und dann ist schon der gröbste Schmutz und die gröbste Scham weg, aber da ist dann danach immer noch genug zu tun und wird auch immer noch genug weggeschmissen, aber dann hat man so mal den, ja, ich glaube, das passiert ganz automatisch, da braucht man gar nicht unbedingt aufpassen, weil aus diesen Schamgründen heraus und weil die Mitarbeiter sich dann natürlich auch nicht die Blöße geben wollen, dass da jetzt die Vollkatastrophe offen ist und wenn dann zwischen, wir fangen an oder wir wollen das starten bis hin zu diesem tatsächlichen Workshop so zwei, drei Wochen entstehen, da ist genug Zeit, dass dann da diese Schamstellen dann schon auch beseitigt sind, zumindest aus meiner Erfahrung.

Götz Müller: Okay, gut. Jetzt haben wir uns ja relativ stark über die, ja, in Anführungszeichen direkt Betroffenen, also die Mitarbeiter unterhalten. Jetzt sind das ja aber nicht die einzigen Mitspieler in dem Szenario, was ist dir bei, bringen wir es auf den Punkt, bei Führungskräften, in welcher Form auch immer, schon begegnet?

Marvin Bunjes: Ja, dadurch dass ich halt immer mit dem Unternehmer oder dem Inhaber, also mit der obersten formalen Macht, sage ich es mal mit dem größten Chef zusammenarbeite, ja, habe ich es, erlebe ich es immer nur., dass die Führungskräfte auch mitziehen, also genauso wie die Mitarbeiter, hatte ich ja gerade schon gesagt. Das geht so schnell, dass wir dann den Workshop mit dem Inhaber vorbereiten, da finden dann zwar schon Gespräche statt, so Vorüberlegungen, wie sollte eigentlich irgendwas sein, aber dann arbeiten alle gemeinsam an diesem Workshop, Mitarbeiter, Führungskräfte, der Inhaber, auch ich genauso, dann, ja, kommt da eigentlich, kommt das nicht auf, dass da groß Widerstände oder auch Bedenken geäußert werden, sondern es wird eine kurze Einführung gemacht und dann geht es los und dann haben alle Bock, dann fassen alle mit an, räumen erstmal alles raus und dann wird gemeinsam überlegt, wo was eigentlich am besten hinkommt, wird gemeinsam sauber gemacht und das machen dann vor allen Dingen eben die Führungskräfte, da achte ich dann darauf, die Führungskräfte und die Unternehmer, dass die dann eher die Zuarbeiten machen, in Anführungsstrichen, und eben nicht diese wichtigen Entscheidungen, wie viel brauchen wir von was und wo soll das eigentlich hin und wie sorgen wir dafür, dass das auch da bleibt, solche Fragen, das machen wir dann halt, machen wir dann halt eher mit den Mitarbeitern.

Götz Müller: Was jetzt aber eben … wir haben ja den Titel gewählt, auch wenn es verbrannt ist, und ich glaube eben, das ist das, was ich mir, ja, ist meine Interpretation, was ich mir vorstellen könnte, was den ein oder anderen eben interessiert der Zuhörer, die halt, aus welchen Gründen auch immer, selber in einem Szenario unterwegs sind, vielleicht als Führungskraft, die eine Verantwortung tragen, wo es halt diese Vorbehalte gibt, wo halt mal in der Vergangenheit, sprichwörtlich der Rahmen um das Telefon gezogen wurde oder wo halt festgelegt wurde „in der Schublade bitte nur 5 Stifte“, das kann man ja nicht, das wird man ja nicht los, sondern das ist da halt, und manchmal hat man es, manchmal haben das die Betroffenen selber gar nicht miterlebt und trotzdem ist da so etwas, steht so etwas im Raum, der berühmte Elefant, wie man es auch nennt.

Marvin Bunjes: Komplett richtig, ja, was ich immer mache und das ist eigentlich unabhängig davon, ob es Vorerfahrung oder nicht gibt, ist, sich die Ursachen anzuschauen für die Unordnung, also einmal für die tatsächliche Unordnung, aber dann auch zu gucken, gibt es denn solche Vergangenheitsgeschichten, wo dann ja 5S verbrannt worden ist oder grundsätzlich ja Strukturen, Kulturmuster nenne ich das immer, die dafür sorgen, dass jemand nicht aufräumt oder dass das 5S eben verbrannt ist. Ein Beispiel ist, dass ein Unternehmer, Nachfolger im Familienbetrieb, nicht so führen wollte wie der Vater und gesagt hat: „Nee, ich will nicht so patriarchisch sein, ich möchte lieber auf Augenhöhe führen. Ich möchte, dass die Mitarbeiter mitdenken.“ Was dann dazu geführt hat, dass nicht nur er, sondern auch seine Führungskräfte, halt dann solche Aussagen gemacht haben: „Ja, ich sage jetzt hier, die sollen aufräumen, aber machen sie nicht und nach dreimal sagen, mache ich es halt selber“ oder „Ich habe angeordnet, dass Freitagnachmittag aufgeräumt wird, aber keiner geht hin.“ Und das sind dann halt so Beispiele, wo man sagt, ja, da ist dann halt etwas im Argen. Also unabhängig jetzt von den Vorerfahrungen, aber so würde man natürlich auch rausfinden, dass da schon mal so eine Aktion war, wie bei dir im Beispiel mit der Werkstatt, oder andere Versuche da gewesen sind, die gescheitert sind, auch mit irgendwelchen Vorgängern dann in der Firma und, ja, das ist für mich eigentlich unerlässlich, weil es gibt so viele Firmen, die sind total ordentlich, picobello und dann gibt es halt andere Firmen, da sieht das ganz im Gegenteil aus und das gibt halt Gründe dafür und die herauszufinden finde ich super, super wichtig und da führe ich einige Gespräche dafür, also mindestens so zehn, um das herauszufinden und das dann einzubauen in die Umsetzung von 5S.

Götz Müller: Ja, jetzt wo du es so erzählst, kommt mir eine Situation wieder in den Sinn, die ich vor, ja, es sind schon durchaus sechs, sieben, acht Jahre mal erlebt habe, das war in einem holzverarbeitenden Betrieb, im Grunde eine große Schreinerei, da ich selber in einer Schreinerei aufgewachsen bin, glaube ich, kann ich es ein bisschen nachvollziehen, weil eine Sache macht man als Schreiner nicht, das ist Holz wegwerfen, egal wie klein das Stückchen Holz sein könnte, man könnte es ja noch irgendwo brauchen und selbst wenn man es nur nimmt, um auf einer Kreissäge ein Brett durchzuschieben, und auch da so dieser Punkt Historie, das war die zweite Generation, den ersten Inhaber habe ich gar nicht kennengelernt, der war damals schon bestimmt zehn Jahre tot schlichtweg, aber das muss ein Typ gewesen sein, der sprang in den Altholz-Container rein und hat da erst mal geguckt, was haben denn die Leute wieder weggeworfen und hat dann, wenn er da ein Brett gefunden hat oder eine Platte, von dem man dachte, die könnte man noch für irgendetwas nehmen, dann hat er dem sprichwörtlich fast angesehen, wer es weggeworfen hat. Und da kannst du mir vorstellen, was dann passiert ist. Dann ist er mit dem Brett durch den Betrieb gegangen und hat denjenigen rund gemacht und dementsprechend hat es den, und das ist ja auch ein Element von 5S, aussortieren, jetzt nicht unbedingt so auf der Werkzeugebene, sondern halt auf dieser Materialebene, Sachen, die ich halt definitiv, da war Verpackungstechnik, Kistenbauen, da gibt es halt irgendwo so eine Untergrenze an der Küstengröße und alles, was kleiner ist, das verwendest du halt nicht mehr, aber das hat denen echt wirklich fast körperlichen Schmerz bereitet, wo wir damals gesagt haben, jetzt stellen wir da eine Mulde hin und dann wird weggeworfen.

Marvin Bunjes:Ja, genau. Also so etwas sind dann halt Kulturmuster, da, ja, kann jetzt keiner mehr etwas dafür und vielleicht hat das auch noch ganz andere Gründe, als in der Person dieses Gründers der Firma und trotzdem muss es irgendwie besprechbar sein, weil sonst räumt man einmal auf und nach zwei Wochen liegen wieder überall diese Abschnitte rum, die eigentlich keiner mehr gebrauchen kann, wenn weiterhin dieses Kulturmuster erhalten bleibt. Ich habe das im aktuellen Fall mit Maschinenauslastung, Maschinenverfügbarkeit, die Maschine muss immer laufen, der Alte, der Senior hat sogar mal gesagt „Ja, bevor ihr aufräumt, erstmal muss die Maschine laufen.“, ja, und das machen die Mitarbeiter auch und dann ist natürlich keine Zeit mehr dafür, erstmal das Werkzeug wegzuräumen. Und ja, wenn so etwas nicht besprechbar ist oder nicht angesprochen werden darf oder kann, dann, ja, kann sich auch so eine Ordnung nicht wieder einstellen, ja, das kann man aber in Kommunikation bringen, also sprich darüber reden und dann auch berücksichtigen bei dem fünften S, bei der Selbstdisziplin, dass man eben, ja, darüber reden darf, das ist aus meiner Sicht eine der wichtigsten Sachen überhaupt, diese Ursachen zu erkennen, die dafür gesorgt haben, dass es so aussieht, wie es jetzt aussieht.

Götz Müller: Ja, und dann eben auch so ein bisschen vermitteln den Hintergrund, es geht ja nicht nur, ich meine, natürlich ist das nützlich und hilfreich, wenn es sauber aussieht, aber es geht ja nicht nur um das, sondern eben gerade das vierte und das fünfte S, Selbstdisziplin und Standard, ist ja auch ein Element von Standard eben, wie sieht es halt an meinem Arbeitsplatz aus und bin ich da in der Lage überhaupt, ja, sauber zu arbeiten und manchmal ist so meine Erfahrung, a, bisschen, die Leute auch so an der Ehre packen, ist durchaus hilfreich, dezent manchmal aber auch, wenn man es offen anspricht, bewirkt dann ein Darübernachdenken, so im Sinne von: Ja, er hat eigentlich schon recht.

Marvin Bunjes: Ja, und wenn alle es wissen, dass es da ein Problem gibt und auch alle wissen, dass sie es ansprechen dürfen, dann kann man da auch etwas gegen machen, wenn das immer nur tabuisiert wird, dass ich gerade diesen Fall, den ich da hatte, mit der mit der Wertschöpfung, beziehungsweise wo der Nachfolger, ja, nicht in der Lage war, seine formale Macht sinnvoll zu nutzen, also das Chefsein richtig zu nutzen, hat dann der Betriebsleiter in dem Fall beziehungsweise ein anderer Mitarbeiter halt gesagt „Ja, das war gar nicht so schlimm, als der Alte noch da war, da habe ich zwar einen auf den Deckel gekriegt, finde ich, etwas falsch gemacht habe, aber danach wusste ich, was ich falsch gemacht habe und ich konnte mich beim nächsten Mal besser konzentrieren und dann hat es halt besser geklappt“ und da hat der Betriebsleiter direkt gesagt „Nee, nee, nee, so wie früher wollen wir ja nicht wieder sein“, also hat das direkt wieder tabuisiert und dann kann sich etwas, was sinnvoll ist, was den Menschen dabei helfen würde, bessere Arbeit zu leisten, halt gar nicht etablieren und genauso wäre es dann auch mit dem Stück Holz, sobald da dann einer wieder einen auf den Deckel kriegt, weil das Holz doch wieder zwei Millimeter zu kurz war, als das, was vereinbart worden ist, ja, dann nächstes Mal ist es dann halt lieber fünf Millimeter länger und so etabliert sich dann doch wieder das alte Muster.

Götz Müller: Ja, unter Umständen auch Situationen, die Menschen selber gar nicht mehr, so gar nie erlebt haben, das heißt, da sind mit Sicherheit auch Menschen im Unternehmen gewesen, die haben den alten Chef nie kennengelernt und trotzdem steht halt da im Raum „Holz werfen wir nicht weg“.

Marvin Bunjes: Ja, also das das ist, das ist super, super wichtig darauf eben zu achten aus meiner Sicht. Ja, und sonst was, was noch wichtig ist, ist oder was gut funktioniert, um ja, um so Vorbehalte einzudämmen, ist halt eine passende Vorbereitung, also einen sinnvollen Bereich auszuwählen, wo die Mitarbeiter auch hinterher merken, okay, jetzt ist das Arbeiten leichter, darum soll es ja gehen, besser, weniger Verschwendung, einfacher Wertschöpfung erbringen. Das geht natürlich nicht, wenn ich irgendwo im Lager aufräume, wo alle zwei Wochen nur jemand durchläuft, sondern das passiert da, wo wirklich jeden Tag gearbeitet wird, von unterschiedlichen Leuten, unterschiedliche Mitarbeitern, ja, wo vielleicht auch mal der Kunde durchläuft, sodass man wirklich direkten Wertschöpfungsbezug hat. Und ja, dass auch Mitarbeiter aus anderen Bereichen ja sehen: Hier, okay, das ist ja wirklich besser, was da passiert ist und jetzt habe ich auch Bock so einfach zu arbeiten. Das ist auch aus meiner Sicht super, super wichtig.

Götz Müller: Mhm, ja. Mit dem Beispiel, wo du gerade genannt hast, kommt mir dann auch eine Situation ein, wo es, finde ich, persönlich sehr deutlich wird, wenn wir über rüsten reden. Wenn man dort, weil man sich ja wirklich jeden, dort ganz speziell, ich meine, man sollte das grundsätzlich machen, aber dort wird es noch mal sehr auf den Punkt gebracht, weil man sich dort ja fast jeden Handgriff anschaut und wenn dann halt einer hilflos durch die Gegend guckt und dann eben besagte Schubladen aufmachen muss und nach dem einen Werkzeug, das er halt da jetzt braucht, um die Maschine rüsten zu können, dann wird das meiner Ansicht nach besonders deutlich: Was habe ich davon? Weil das ist im Grunde ja die Frage, die hoffentlich, nee nicht bloß hoffentlich, sondern ganz sicher jeder mindestens unbewusst stellt.

Marvin Bunjes: Ja, und das ist auch meine Erfahrung, dass sich die die Mitarbeiter auch stellen und meistens ist aber so, dass die Mitarbeiter eigentlich ganz genau wissen, wo es jetzt hakt und was noch verbessert werden müsste oder wo sie auch Zeit verlieren, weil kein Schlosser oder kein Monteur geht irgendwie zur Arbeit, um dann nach Werkzeug zu suchen, sondern die wollen irgendwas fertig kriegen am Ende des Tages und also wissen sie was eigentlich Sache ist und meistens kommt es aber nicht in die Aufmerksamkeit der Führungskräfte, sodass die Mitarbeiter das Gefühl haben „Meine Ideen oder das, was ich hier verändern kann, das wird ja gar nicht gehört“, ja, die Führungskräfte, die sehen die ganze Zeit nur, wie die Mitarbeiter dann doch rumsuchen und laufen und warten und haben das Gefühl, ja, die wollen gar nicht ihre Arbeitsplätze irgendwie verbessern und kriegen es nicht gebacken. Und da dann halt in einem Workshop beide Parteien zusammenzukriegen und die eine Seite sieht „Ach cool, die Mitarbeiter wollen ja doch und bringen sich ein.“ und die Mitarbeiter merken auch „Ach cool, jetzt habe ich hier mal ja etwas zu sagen und kann das mitgestalten. Ich kann endlich mal meine Ideen mit einbringen.“ und dann ist das wie so ein Knoten, der da platzt, dass dann, ja, die Vorbehalte gegeneinander sich auflösen und zukünftig dann auch ganz andere Ideen, in anderen Bereichen, plötzlich möglich sind, weil ja die Mitarbeiter wieder Mut haben, mal anzusprechen, dass es da nicht läuft und die Führungskräfte das Vertrauen auch zeigen „Ja, probiere es halt mal aus“ oder „Ja, mach mal“. Das ist für mich immer ein riesiger, ja, Vorteil an der Geschichte und macht auch echt total Spaß, wenn man dann nach Wochen wieder in den Betrieb kommt und sieht „Ah, hier haben wir doch das umgesetzt und da hat der Mitarbeiter diese Idee gehabt und hat die direkt mal umgesetzt.“, also das ist echt, macht richtig Spaß.

Götz Müller: Ja, das ist insofern ein spannender Punkt, weil sich, glaube ich, aus dieser kleinen Erfahrung, in diesem kleinen Kontext 5S, flapsig ausgedrückt, also aufräumen, eben viel meiner Ansicht nach viel auf Lean im Allgemeinen übertragen lässt, weil ich eben mit so einem einfachen Ding in Anführungszeichen anfange, aber eben da ja, wie wir jetzt schon diskutiert haben, eben unter Umständen auch Vorbehalte in der ein oder anderen Form habe, aus welchen Gründen auch immer. Und ich glaube, wir kennen beide Fälle, wo halt Lean, die Lean-Initiative, um es mal so auszudrücken, auch noch nicht die erste war und irgendwie so auch die verbrannte Erde existiert, oder?

Marvin Bunjes: Ja, klar, also aus meiner Zeit, aus einer großen Unternehmensberatung kenne ich es halt, dass dann 5S, 5S nicht, aber Lean nur verwendet wird, um irgendwelche, ja, Headcounts zu reduzieren, Leute loszuwerden und dann mit irgendwelchen Prozenten zu jonglieren und das ist natürlich, ja, überhaupt nicht förderlich für die Einführung von Lean, wobei Lean da ja im Grunde genommen missbraucht wird. Am Ende geht es ja bei Lean darum, schneller oder mit weniger Verschwendung, weniger Variabilität und mehr Flexibilität zu arbeiten, was eigentlich mit diesem Reduzieren von Headcount und schlanker Produktion ja nur entfernt etwas zu tun hat, sondern es geht darum, ja, Arbeit sinnvoll zu erbringen. Und da ist, wie du sagst, 5S ist da einfach ein super, super Start, um schnell Erfolge zu erzielen, um schnell Mitarbeiter zu befähigen, an ihren eigenen Arbeitsplätzen und Arbeitsabläufen etwas zu verändern und plötzlich ist es dann halt auch in ganz anderen Themen, Rüstwechsel hast du angesprochen, in ganz anderen Themen möglich, dass man da dann auch mal darüber nachdenkt, etwas Neues zu machen, ohne dass man direkt Sorge haben muss, dass dann die Kündigung droht oder so weiter.

Götz Müller: Ja, und da kommt eben, und das kam bei unserer Unterhaltung jetzt für mich zumindest sehr deutlich mit, da spielt dann eben dieser allgemeine, sehr breite Aspekt Führung eben eine Rolle, also die Verantwortung, die Führung, auch die Unternehmensleitung, du hast es gerade gesagt, dass Lean halt nicht dazu da ist, um Arbeitsplätze abzubauen, sondern dass es dazu da ist, dass Menschen halt wertschätzend tätig sein können.

Marvin Bunjes: Genau. Mit weniger oder gleichem Einsatz mehr schaffen, ja, das ist das Ziel und, ja, kein Cost Cutting, wie man so schön sagt.

Götz Müller: Ja, ja, und andererseits müssen wir halt damit leben, dass das in den späten Achtzigern und den Neunzigern im Grunde halt der Grund war, warum man, in Europa, in den USA, mit dem Thema unterwegs war. Ich denke, da sollten wir uns auch nichts vormachen.

Marvin Bunjes: Ja, das stimmt. Ja, aber in den Betrieben, in denen ich unterwegs bin, so 20 Mitarbeiter bis, weiß ich nicht, 200, oft spielt das da noch gar keine Rolle, die haben da noch nichts von gehört und wenn man mit 5S anfängt, dann heißt es auch nicht unbedingt, dass das dann direkt Lean ist oder diese Verbindung fehlt oder ist nicht immer gegeben und somit ist dann ja 5S, wenn es dann nicht durch andere Aufräumaktionen, wie wir es schon genannt haben, verbrannt ist, eigentlich immer ein super Einstieg dafür.

Götz Müller: Gut, jetzt haben wir über viele Dinge gesprochen. Ich könnte mir vorstellen, oder ich nehme mal an, die allerwenigsten, ich habe es auch noch nie gemacht und ich höre durchaus viele Podcasts, werden sich es jetzt noch mal anhören, weil sie sagen, „Das muss ich mir noch mal reinziehen, was die zwei da gesagt haben“, was gibt es denn für Möglichkeiten, und das sage ich jetzt nicht ohne Grund, ich weiß es ja im Grunde, was gibt es denn noch für Möglichkeiten, sich bei dir über 5S und deinen Umgang noch etwas zu erfahren?

Marvin Bunjes: Ja, also ich, man kann mich natürlich direkt ansprechen, ansonsten würde ich gerne mein Buch empfehlen. Das ist im Buchhandel erhältlich, heißt „5S-Methode. Ein Praxisleitfaden: Damit alle wissen, wo der Hammer hängt“. Da ist der Name Programm, es geht halt ganz praktisch darum, ja, das, was wir jetzt gerade besprochen haben, zu berücksichtigen bei der 5S-Einführung, vor allen Dingen auch das Thema, und das ist halt eher neu, habe ich so auch in keinem Buch gelesen, über die Ursachen halt von 5S zu sprechen und die zu beseitigen und dann macht es auch mehr Spaß.

Götz Müller: Ja, da nehme ich auf jeden Fall in die Notizen einen Link zu deinem Buch, nehme ich auf jeden Fall in die Notizen zur Episode mit rein und an der Stelle, Marvin, ich danke dir für die Zeit, für deine Zeit, für die spannende Unterhaltung über Dinge, die meiner Ansicht nach sehr, sehr oft im Raum stehen, aber auch viel zu selten thematisiert werden.

Marvin Bunjes: Ja, vielen Dank. Hat mich gefreut.

Götz Müller: Das war die heutige Episode im Gespräch mit Marvin Bunjes zum Thema Was tun, wenn 5S verbrannt ist?. Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 335.

Wenn Ihnen die Folge gefallen hat, freue ich mich über Ihre Bewertung bei Apple Podcasts. Sie geben damit auch anderen Lean-Interessierten die Chance, den Podcast zu entdecken.

Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.

Hinweis: Ich behalte mir vor, Kommentare zu löschen, die beleidigend sind oder nicht zum Thema gehören.