Kaizen 2 go 174 : Entwicklung im Prozessmanagement


 

Inhalt der Episode:

  • Wie hat Prozessmanagement vor 15 Jahren ausgesehen?
  • Welche Unternehmen haben sich damals vorrangig damit beschäftigt?
  • Welche IT-Werkzeuge kamen zum Einsatz?
  • Wie hat sich Prozessmanagement dann entwickelt?
  • Wie hat sich das Spektrum der anwendenden Unternehmen verändert?
  • Wie hat sich die Rolle der IT im Prozessmanagement verändert? Wie hat sich die IT-Landschaft im Bezug auf Prozessmanagement verändert?
  • Wie hat sich die Wertigkeit von Prozessmanagement bzgl. ROI usw. verändert?
  • Wie hat sich das Beratungsumfeld im Prozessmanagement verändert?
  • Wie hat sich die Einbeziehung des Faktors Mensch im Prozessmanagement über die Jahre verändert?
  • Welche Rolle spielt die Digitalisierung bzw. die Digitale Transformation im Prozessmanagement? Welche Rolle spielt Prozessmanagement bei Digitalisierungsthemen?
  • Was ist für die kommenden fünf Jahre und ggf. darüberhinaus zu erwarten?

Notizen zur Episode:


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(Teil)automatisiertes Transkript

Episode Kaizen 2 go 174 – Entwicklung im Prozessmanagement

Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.

Götz Müller: Heute habe ich Sven Schnägelberger bei mir im Podcastgespräch. Ich würde ihn als Urgestein des Prozessmanagements bezeichnen. Er ist Gründer der BPM&O GmbH. Hallo Herr Schnägelberger.

Sven Schnägelberger: Ja, vielen Dank für die Begrüßung, Herr Müller. Ich freue mich, heute auch mal nicht nur als Zuhörer, sondern auch als Ihr Gesprächspartner bei Ihrem Podcast dabei zu sein.

Götz Müller: Und das hat ja ganz kurzfristig geklappt, auch wenn die Zuhörer das erst in einiger Zeit hören können. Gut. Jetzt habe ich ja vom Titel her Entwicklungen im Prozessmanagement und da wäre meine Einstiegsfrage, wie hat denn, und ich glaube, da sind Sie berufen, wie hat denn vor 15 Jahren das Thema Prozessmanagement ausgesehen?

Sven Schnägelberger: Also es gab im Prinzip vor 15 Jahren zwei unterschiedliche Aspekte des Prozessmanagements, Es gab einmal so diesen BPM-Hype, diese drei Buchstaben sind ja so vor etwas mehr als 15 Jahren, sozusagen so vor 19 Jahren, als der der Begriff oder die Abkürzung für Workflow-Management auf den deutschsprachigen Markt geschwappt. Das kam aus den USA, ist für den [01:53] übernommen worden, wurde aber ausschließlich in den ersten Jahren nur mit dem Thema Automatisierung durch Workflowengines, BPM-Systeme benutzt. Und die andere Fraktion, das war die Fraktion, die mit den, ich glaube so damals gab's nur vier Anbieter, zumindest im deutschsprachigen Raum, zum Thema Prozessmodellierung. Da gab’s eine ARIS, iGrafx, Adonis und Bonapart. Einer von den vier ist gar nicht mehr am Markt, die anderen drei spielen noch eine Rolle und zum Thema Modellierung gab’s zwei Treiber. Der, ich sage mal Ansatz, vom Professor Scheer ging ja sehr, sehr stark in das Thema Anforderungsmanagement in der IT, Customizing im SAP-Umfeld. Und der zweite Ansatz war der reine zertifizierungsgetriebene Ansatz, Zahlen nach Malen habe ich das damals immer genannt, um die Zertifizierer dieser Welt, diverse ISO und wer weiß was Audits zufriedenzustellen.

Götz Müller: Kann man die Firmen, die sich damals initial mit dem Thema beschäftigt haben, kann man die irgendwie identifizieren anhand von Branche oder Unternehmensgröße oder ähnlichen Dingen?

Sven Schnägelberger: Ja, also ich denke mal das Thema Modellierung, so wie sich Professor Scheer das seinerzeit mal gedacht hat, das war eine Domäne der Großen. Siemens und Scheer haben ja gemeinsam den Begriff Prozesshaus geprägt. BMW ist schon seit Ewigkeiten dabei mit dem Umfeld. Das Thema Modellierung aus Zertifizierungsgründen, das haben schon die Unternehmen gemacht, die in den frühen Jahren sich schon mit ISO9001 und anderen Zertifizierungsprozessen auseinandergesetzt haben. Es gab aber nie wirklich einen Branchenfokus. Also, das ist heute genauso. Dieses Thema ist branchenunabhängig und branchenübergreifenden.

Götz Müller: Jetzt hatten Sie es schon angedeutet, in meiner Wahrnehmung ist da eine, ich möchte es mal … eine gewisse IT-Lastigkeit vorhanden. Was kam damals an IT-Werkzeugen zum Einsatz?

Sven Schnägelberger: An IT-Werkzeugen … da muss ich jetzt ja mal ganz zurückdenke. Sie haben mich gerade als Urgestein bezeichnet, da fällt mir dann direkt uralt ein. Also als ich das erste Mal mit dem Thema Prozessmanagement in Berührung gekommen bin, ich muss dazu sagen, ich habe eine IT-Vergangenheit, ich habe 20 Jahre in der Logistikbranche in der IT gearbeitet, ich war zum Schluss Leiter von IT und Organisation bei einem mittelständischen Logistikdienstleister, als ich das erste Mal mit den Themen in Berührung gekommen bin, und zwar aus der Workflow-Perspektive, aus der Automatisierungsperspektive, da gab’s die Staffware, die gibt’s schon gar nicht mehr, die sind übernommen worden, damals gab es eine Tippco, es gab eine IBM und es gab eine Cosa, die kennt heute auch kein Mensch mehr. Das waren die vier großen Player, die sich mit dem Thema Workflow-Management beschäftigt haben und noch ein paar kleinere, die versucht haben dann mit Lotus Notes oder Exchange als Grundlage, als Technologiegrundlage Workflowsysteme am Markt anzubieten.

Götz Müller: Wie hat sich Ihrer Ansicht nach jetzt das Thema Prozessmanagement entwickelt, in der letzten, sagen wir mal 15 oder knapp 20 Jahren, wenn wir uns so Aspekte, wie organisatorische Einbettung, Reifegradmodelle hatten sie auch schon erwähnt, auch vielleicht so Dinge wie Ausbildung in dem Umfeld?

Sven Schnägelberger: Das hat sich sehr, sehr, sehr stark verändert. Also ich kann mich noch sehr gut dran erinnern, als wir das erste Mal, das war glaube ich 2003 unsere Studie Status Quo Prozessmanagement veröffentlicht haben, die haben wir damals noch gemeinsam mit Professor Andreas Gadasch gemacht, da wir auch gefragt, wo denn das Thema Prozessmanagement aufgehängt ist organisatorisch, die meist genannte Antwort waren „nirgends“, weil ich einfach nicht existierte und die, die es hatten, da verteilte sich das gleichzeitig auf dem Bereich HR und IT. Ja und dann gab’s, weil wir diese Studie dann in ersten Jahren wirklich jährlich gemacht haben, einen klaren Schwenk. Irgendwann gab’s kein Unternehmen mehr, das das Thema im HR aufgehängt haben, sondern es ist in Richtung QM gewandert und eine Zeit lang sehr stark in Richtung IT bis dann irgendwann sich die Prozessmanagement-Bereiche etabliert haben und emanzipiert haben und das Ganze dann sehr stark von der IT wieder weggewandert ist. Das lässt sich auch damit erklären, dass das Thema Prozessmanagement kein IT-Thema ist, sondern es ist ein Organisationsthema, ein Organisationsentwicklungsthema, ein Optimierungsthema.

Götz Müller: Jetzt hatten Sie es schon angedeutet, im Grunde kann man keinen speziellen Branchenfokus oder Branchengröße, Unternehmensgröße festmachen, hat sich aber bei den Unternehmen, die da dann jetzt teilnehmen, hat sich da in der Zeit irgendwas verändert?

Sven Schnägelberger: Da hat sich in den letzten Jahren extrem viel verändert. So bis vor drei, vier Jahren war das Thema Prozessmanagement ein Thema, was nicht wirklich im Top-Management angesiedelt war. Das war für die Top-Manager im besten Fall auch eine Disziplin zum Thema Optimierung oder Dokumentation hinsichtlich Zertifizierung. Die Projektaufträge, die ich jahrelang durch meine Arbeit in der Community und als Trainer und Berater gesehen habe, waren auch definitiv so, Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viele Projektaufträge ich gesehen habe, wo drin stand „Führen Sie Prozessmanagement ein, aber organisatorische Änderungen sind nicht erlaubt.“, wie oft ich mit Teilen der Community darüber rede, die begeistert sind, endlich einen Auftrag zum Thema Prozessmanagement zu haben und wenn ich dann ein bisschen nachbohre und versuche, herauszufinden, was denn der interne Auftraggeber mit dem Auftrag gerne möchte und ob ihm denn wirklich bewusst ist, was Prozessmanagement alles sein kann, dann höre ich meistens „Ja, nee.“. Ich habe eine halbe Stunde Zeit, das zu präsentieren, dann habe ich ein Commitment mitbekommen und jetzt darf ich loslegen. Und das Thema Unternehmensgröße und Wahrnehmung, das hat sich in letzten Jahren geändert, also wir haben in den letzten Jahren mit mehr Vorständen und Geschäftsführern gesprochen und gearbeitet als in den 15 Jahren vorher, weil das Management mittlerweile in vielen Fällen erkannt hat, dass das Prozessmanagement in der richtigen Art und Weise verstanden, ein Chef-Thema ist, weil es geht um Organisationsveränderung, weil es geht um Linie versus Prozessverantwortung. Es geht darum Organisationen über Prozesse zu managen, zu steuern, zu verbessern.

Götz Müller: Und wie Sie es schon deutlich gesagt haben, im Grunde kann man ja die klassisch funktionale Organisation, hierarchisch aufgebaut, da kriege ich kein gescheites Prozessmanagement rein.

Sven Schnägelberger: Ja. Ich meine, es kommt immer ganz drauf an, was man unter Prozessmanagement versteht. Es gibt immer noch ganz viele Prozesslandkarten da draußen im Markt, die nichts anderes sind als eine andere grafische Darstellung eines Organigramms. Da heißen dann die Kernprozesse Produktentwicklung, Produktion, Vertrieb und Service. Dann sage ich immer „Na ja, das ist jetzt schönes Bild, aber das ist keine Prozesslandkarte.“, weil in meiner Welt eine Prozesslandkarte per Definition mindestens aus den Kernprozessen aus der End-to-End und Kundenperspektive designt sein müssen und dann gibt es keinen Prozess Produktion.

Götz Müller: Jetzt möchte ich noch mal das Thema IT ein bisschen vertiefen, im Sinne der Rolle, Sie haben es da schon klar gesagt, die IT hat sich von dem Thema entfernt, im Sinne, dass die Verantwortung nicht mehr drinsteckt. Jetzt wird aber in den Unternehmen immer noch viel mit IT gemacht und im Grunde, das was wir jetzt gerade unter Digitalisierung verstehen, ist, glaube ich, vor 20 Jahren auch schon gemacht worden, man hat es halt damals nur völlig anders genannt und vielleicht auch mit dem anderen Blick drauf geguckt? Das heißt, wie hat sich Ihrer Ansicht nach da die IT-Landschaft in Bezug auf Prozessmanagement verändert?

Sven Schnägelberger: Da ist gerade auch ein großer Veränderungsprozess im Gange. Sie haben gerade das Thema Digitalisierung genannt, übrigens, was ich ganz lustig finde, den Begriff Digitalisierung, das ist ein deutscher Begriff, den gibt's im Amerikanischen gar nicht. Natürlich machen wir ITler schon seitdem wir IT machen. Digitalisierung, aber die Art der Digitalisierung, dass ganze Geschäftsmodelle sich verändern, ja, das Wertschöpfungsketten digitalisiert werden, das ist jetzt nicht so ein Thema, mit dem wir uns in den letzten 30 Jahren auf der IT-Seite beschäftigt haben. Was sich gerade wirklich dramatisch verändert und das sehe ich sehr positiv, also ich würde sagen, 40 % der Seminarteilnehmer, die in unserer Akademie sind, kommen weil große CRM- und SAP-Projekte vor der Tür stehen, und sowohl Fachbereiche als auch Prozessmanagement als auch die IT miteinander eine gemeinsame Sprache sprechen und verstanden haben, dass die Anforderungen über die Prozesse kommen müssen. Das heißt viele große SAP-Vorhaben, die gerade in der Planung sind, haben in ihrer Roadmap zu Beginn, noch bevor angefangen wird, irgendwas zu customizen, zu installieren, die Frage „Wie sehen denn unsere Prozesse aus?“. Die Frage nach „Übernehmen wir die Prozesse, so wie wir sie im alten System haben, machen wir den Greenfield-Ansatz oder setzen wir Technologien wie Process Mining ein, um daraus Erkenntnisse abzuleiten und vielleicht den hybriden Ansatz zu fahren, das was gut war zu übernehmen, aber da wo SAP einfach bessere Möglichkeiten bietet, auch mit neuen Prozessen an den Start zu gehen.“.

Götz Müller: Jetzt könnte ich mir vorstellen, wenn ein Unternehmen sagt „Ja, wir denken über sowas wie Prozessmanagement nach, da etwas einzuführen.“, stellt sich natürlich, glaube ich, sollte sich die Frage ziemlich schnell stellen, was habe ich denn davon? Also wie sieht mein Return on Invest für diese Zeit und Geld und was ich da vielleicht reinstecke aus? Wie habe ich das in den Jahren verändert, diese Wertigkeit von Prozessmanagement?

Sven Schnägelberger: Also Prozessmanagement stand ja leider viele, viele Jahre für eine nutzlose Disziplin, ja? Dokumentieren um des Dokumentierens willens und null Nutzen. Im Gegenteil, es kostet viel Nerven, es kostet viel Zeit und der Einzige, der was davon hat, ist derjenige, der für die Zertifizierung verantwortlich ist. Das hat sich definitiv geändert. Was sich aber auch geändert hat ist, dass die Unternehmen nach dem ROI für Prozessmanagement fragen, sondern sie haben mittlerweile endlich verstanden, dass die ROI aus den eigentlichen Projekten rauskommen muss, die ich mit Prozessmanagement und den prozessorientierten Ansätzen besser, schneller und optimierter gestalte. Digitale Transformation, End-to-End-Betrachtung, SAP-Implementierungen, CRM-Implementierung und die Tatsache, dass das Management mittlerweile auch verstanden hat, dass sie intern in ihrer Organisation einfach riesen Probleme haben durch die Bereichs- und Silo- und Königreichdenke. Das verhindert Standardisierung, das verhindert Harmonisierung und das verhindert allem den klaren Fokus auf den Kunden, wenn man sich mehr mit seinem der Probleme in den Schnittstellen beschäftigt als mit dem Kunden.

Götz Müller: Jetzt ist, glaube ich, ich mein', wir zwei kommen irgendwo aus dem Bereich raus … jetzt ist das Thema, ich denke mal nicht, ohne eine gewisse externe Beratungsunterstützung einzuführen und die Frage, auf die ich jetzt als nächstes raus will ist, wie hat sich das Beratungsumfeld in diesen 15-20 Jahren verändert?

Sven Schnägelberger: Ja, wie sich verändert hat, ist die Berater, die heute das Thema Prozessmanagement auf ihrer Agenda haben, haben verstanden, dass es nicht nur darum geht, Tools bedienen zu können und Einzeloptimierungen vorzunehmen, ja, und diese ganzen Optimierungskonzept zu können, sondern dass es um Organisationsentwicklung geht. Das bedeutet, dass der Berater genauso, ob das ein externer Berater ist oder ein Inhouse-Consultant zum Thema Prozessmanagement, der muss natürlich das kleine und große Einmaleins des Prozessmanagements beherrschen, von Notation, Prozessmodellarchitektur, Tools, diverse Optimierungsmethoden, ob das jetzt Lean, Six Sigma oder was auch immer es ist, aber darüber hinaus muss dieser Mensch auch wirklich Organisationsentwickler sein. Er muss Coach sein, er muss in der Lage sein, Menschen, Organisationen und Teams bei Veränderungen zu begleiten, diese Veränderungsprozesse zu unterstützen. Er muss eine extreme Kommunikationsstärke haben, weil die Zeit ist vorbei, dass man dem Berater den Auftrag gibt, das für mich als Unternehmen zu machen und nur das Ergebnis dann zu benutzen, sondern es geht darum, die Organisation zu befähigen und deswegen ist das Thema interne Kompetenzen bilden auch so wichtig und das merken wir halt jetzt auch, wir haben in den letzten drei Jahren einen Riesenwachstum in unserer Akademie und auch dieses Jahr wachsen wir in unserer Akademie, sowohl in den offenen als auch in den Inhouse-Schulungen über 40%. Ja und das ist für uns ein klarer Indikator, dass immer mehr Unternehmen verstanden haben, dass sie die Kompetenzen rund um das Thema Prozessmanagement intern ausprägen müssen, damit überhaupt eine Chance besteht das Unternehmen weiter zu entwickeln.

Götz Müller: Da möchte ich noch ein bisschen tiefer bohren, weil für mich da ganz zentral eben der Faktor Mensch drinsteckt, dahintersteckt, weil die Organisation wird halt vor allen Dingen durch Menschen gebildet und auch da dann jetzt die Nachfrage, die Rückfrage, wie hat sich diese Einbeziehung des Faktors Menschen im Prozessmanagement über die Jahre hinweg verändert?

Sven Schnägelberger: Die hat sich grundlegend verändert, das habe ich eben schon gesagt, in den ersten Jahren war das wirklich so, dass viele Unternehmen externe Berater eingekauft haben, um für das Unternehmen Prozessmodelle zu bauen. Und heutzutage ist es so, dass diese Prozessmodelle gemeinsam mit den Unternehmen, den Mitarbeitern, aber vor allem mit den Führungskräften entwickelt werden. Der Faktor Mensch spielt eine ganz, ganz wichtige Rolle, wenn es darum geht über Widerstände zu reden können. Also ich sage immer, die Widerstandsnester sitzen in den seltensten Fällen auf der Sachbearbeiterebene, weil die Menschen, die jeden Tag in ihren eigenen Prozessen unterwegs sind, sind froh, wenn sie bisschen Strukturierung bekommen, Automatisierungsunterstützung, ja. Die größten Widerstände kommen aus dem Mittelmanagement, aus dem Topmanagement, weil die in vielen Fällen, leider aus den unterschiedlichsten Gründen, nicht immer an Veränderungen interessiert sind.

Götz Müller: Ja, in meinem Umfeld hat ein befreundeter Kollege da den Begriff der Lähmschicht.

Sven Schnägelberger: Das ist einer meiner Lieblingsbegriffe. Die Lähmschicht, die Sie weder von oben noch von unten mit einem Diamantbohrer durchdringen können. Da brauchen Sie ganz viel Geduld, ja, und auch eine klare Vorstellung und, ich kenne Unternehmen, wo die Menschen, die das Thema Prozessmanagement mit Leidenschaft betreiben, schon die zweite und dritte Generation von Vorständen und Geschäftsführern überzeugen wollen. Was meinen Sie, wie oft ich schon gefragt wurde „Herr Schnägelberger, Sie haben es doch garantiert in der Schublade, die drei Folien, wo die Argumente draufstehen, mit denen ich meinen Chef überzeugen kann, dass wir unbedingt Prozessmanagement machen müssen.“ Da sage ich immer, die Frage ist schon verkehrt. Du musst dir die Frage stellen, was kann ich meinen Führungskräften, meinen Chef anbieten, damit sie selber zu einer Erkenntnis kommen, dass der prozessorientierte Ansatz Vorteile hat zu dem klassischen linien- und funktionsorientierten Ansatz.

Götz Müller: Ja, weil ich glaube, an der Stelle, wider Erwarten sind Führungskräfte halt auch bloß Menschen und die unbewusste Frage, die sich ja jeder stellt, auch wenn er es so unbewusst nicht auf dem Schirm hat: Was habe ich davon?

Sven Schnägelberger: Natürlich. „What’s in it for me?“ Die Frage stellt sich jeder. Was bedeutet das für mich? Machtgewinn? Machtverlust? Mehr Arbeit, weniger Arbeit? Mehr Verantwortung, weniger Verantwortung? Das sind die Fragen, die sich Führungskräfte stellen. Muss ich denn jetzt noch in meinen letzten fünf Jahren so eine massive Veränderung über mich ergehen lassen? Nö, eigentlich nicht. Aber, und jetzt muss ich mal die älteren Führungskräfte echt in Schutz nehmen, das ist keine Frage des Alters. Wir haben auch mit jungen, energiegeladenen Managern zu tun, die null Verständnis für diesen prozessorientierten Ansatz haben und ein anderes Bild haben, wie sie zukünftig ihr Umfeld gestalten wollen und da ist immer noch das eigene Königreich, der eigene Machtbereich, die eine Organisation im Fokus.

Götz Müller: Das möchte ich noch ein bisschen vertiefen, wie hat so auf einer Art von Metaebene, wie hat sich dieses Verständnis für die Problematik bei den Führungskräften zum Beispiel, wie hat sich das verändert, also von einer übergeordneten Ebene her? Ist einer Geschäftsleitung heute bewusster, dass sie auf diese Probleme stoßen werden?

Sven Schnägelberger: Definitiv. Definitiv bewusster. Und das erleben wir halt auch gerade im Weiterbildungsgeschäft, im Beratungsgeschäft. Wir hatten gerade gestern den Abschluss unseres jährlichen Organisationsentwicklungsprogramms, wo wir Prozessmanager und Prozessmanagement beraten, zu prozessorientierten Organisationsentwicklern ausbilden, weil immer mehr verstanden haben, dass sie nicht nur die betriebswirtschaftlichen, methodischen Kompetenzen brauchen, sondern auch die systemischen Kompetenzen, diese Coaching-Kompetenz, um Führungskräfte, Teams, Mitarbeiter zu unterstützen, in diese Phase der Erkenntnisgewinnung zu kommen. Ich hatte vorhin ja schon gesagt, wir führen zum Glück immer mehr Gespräche mit Top-Managern, mit Vorständen, die wirklich selber mittlerweile verstanden haben, dass das nicht Einzeloptimierungsaspekte sind, die sie angehen müssen, sondern die ganzheitliche Betrachtung. Und dass es einen deutlichen Nutzen gibt, den ich aus einer bereichsübergreifenden, prozessorientierten Steuerung einer Organisation ziehen kann, weil ich dann einfach eindeutige Verantwortung habe, wenn ich es richtig implementiere. Ich habe die Möglichkeit, mich wirklich auf den Kunden zu fokussieren, meine IT darauf abzubilden, die ganzen Grabenkämpfe zwischen den Abteilungen und den Bereichen durch diesen prozessorientierten Ansatz, ja, ein bisschen entspannter anzugehen.

Götz Müller: Ja, ich könnte mir definitiv auch vorstellen, dass da ein nicht zu unterschätzen Teil von, nennen wir es mal Unsicherheit, man muss es nicht gleich Angst nennen, drin steckt, weil halt dieser nicht fachliche Aspekt auch der Führung da ja plötzlich eine ganz neue Rolle spielt, eine Sache, die man vielleicht hat in der Vergangenheit, a) nicht gebraucht und b) auch nie in irgendeiner Form, Sie vorhin den Begriff befähigt gebraucht, man wurde nie dazu befähigt.

Sven Schnägelberger: Das geht noch weiter. Sie haben es nie erfahren, sie haben sie gelernt, sie waren noch nie damit konfrontiert und deswegen tun wir uns natürlich auch ganz schwer, Dinge zu unterstützen oder zu beauftragen, zu initiieren, wo gar nicht so klar ist, wie sieht denn das Ziel aus, wie sieht denn das Bild aus, was am Ende rauskommt, was haben wir dann am Ende. Also gibt es einen Solution Focus Ansatz, das ist ein Coaching-Ansatz, eine schöne Methode, die heißt die „Wunderfrage“, die benutze ich in meiner Beratung gerne, in dem ich dann meinen Gesprächspartner oder in meinem Workshop bitte, jetzt überlegen wir uns mal, wir machen jetzt hier eine Prozessmanagementinitiative, ja, wie auch immer die aussieht, ja, und wir machen die Augen zu und überlegen sich mal das Projekt war erfolgreich, drei Jahre später, ja, Sie haben eine prozessorientierte Organisation entwickelt, woran merken sie das denn? Was ist denn dann anders? Welches Bild entsteht bei Ihnen im Kopf? Und da tun sich alle, das hat jetzt nichts mit Führungskräften zu tun, da tun wir uns alle schwer, uns auf solche Gedankengänge einzulassen. Und Fakt ist auch, ich kann auch keinem meiner Kunden sagen, wenn sie den Weg der Prozessorientierung gehen, wie denn ihre Organisation in drei oder fünf Jahren aussehen wird. Ich bin kein Hellseher. Man muss sich also auf ein Zielbild einlassen, was nicht wirklich konkret ist und das ist schwierig. Zumal natürlich auch viele Führungskräfte nicht Unternehmer im eigenen Unternehmen sind. Also das etwas, was wir klar sehen, auf so ein Gedankenspiel lassen sich Gesellschafter, die ihr eigenes Unternehmen leiten, viel eher ein als Geschäftsführer und Vorstände, die vielleicht nur zwei oder drei Jahre Verträge haben, weil von denen erwartet man nicht, dass sie mit so einer Perspektive, da erwartet man quartalsweise Zahlen und so weiter und sofort. Ich meine, das wissen wir beide Prozessmanagement ist keine Disziplin, mit der sie Costcutting auf eine schnelle Art und Weise machen können, sondern das ist eine Organisations- zum strukturelle Disziplin, wo dann auch die Wirkung dessen, was passiert ist, nicht in 3 Monaten nachweisbar und nachrechenbar ist.

Götz Müller: Und wenn man es rein formal betrachtet, kostet es einfach auch erstmal Geld.

Sven Schnägelberger: Natürlich. Das ist eine Investition so wie jede Weiterentwicklung eines Unternehmens. Und ein Unternehmer, mit dem ich letztens gesprochen hat, hat in diesem Kontext gesagt „Na ja, letztendlich ist das eine Wette auf die Zukunft.“ Und wie bei jeder Wette muss ich etwas einzahlen und je höher ich den Gewinn gerne hätte, umso riskanter muss ich wetten oder umso höher muss ich einzahlen und das liegt jetzt bei … ich sage mal die Dringlichkeit der Veränderung zu verstehen, aber auch die Attraktivität eines möglichen Ziels sich entwickeln zu lassen und dann muss ich die Entscheidung treffen: Investiere ich? Wobei ich dann halt in Organisationen, in Menschen, in Strukturen, in das Team investieren muss und auch, in IT und was auch immer, aber da sind wir uns beide einig, das beste BPM-Tool hilft ihnen nicht, eine prozessorientierte Organisation zu entwickeln.

Götz Müller: Genau. Das ist klar. Jetzt möchte ich noch mal den Punkt Digitalisierung aufgreifen, auch vielleicht noch mal ein bisschen stärker, digitale Transformation ist ja auch so ein Schlagwort und da die Wechselwirkungen Prozessmanagement. Also einerseits, welche Rolle spielt Prozessmanagement bei Digitalisierungsthemen und welche Rückwirkung habe ich?

Sven Schnägelberger: Das hatte ich auch vorhin schon mal angedeutet, das Thema Digitalisierung und dieses ganze Thema Digitalisierungstransformation ist ein Treiber für das Thema Prozessmanagement, weil jetzt ja auch sogar die großen Systemhäuser und die SAPs dieser Welt verstanden haben, dass sie nicht nur in Bereichen und Templates denken müssen, sondern wirklich in Prozessen. Und eine digitale Transformation funktioniert auch nur wirklich gut und sinnvoll in einer prozessorientierten Organisation, weil digitale Transformation nicht an den Bereichsgrenzen endet. Ja, jetzt zu sagen, ich mache jetzt digitale Transformation, schreibe das jedem Bereichsleiter in sein persönliches Ziel und warte darauf, dass die Bereichsleiter jetzt Dinge tun, die helfen, das Unternehmen zu transformieren, das machen immer noch ganz viele, aber das ist definitiv der falsche Weg. Also Karl-Heinz Lang, ich weiß nicht, ob Sie ihn schon mal kennengelernt haben oder mal eins seiner Bücher gelesen haben, der sagt immer, digitale Transformation bedeutet, erst muss es digitalisiert werden, dann braucht es Prozesse und dann geht's in die Automatisierung.

Götz Müller: Ja und es endet halt auch nicht am Werkstor, sondern unter Umständen hat auch der Kunde dann bis ins Unternehmen rein eine gewisse Schnittstelle.

Sven Schnägelberger: Nicht nur unter Umständen, sondern per Definition und auch da tun wir uns einfach immer noch schwer, also wir haben gerade neues Thema bei uns intern, mit dem wir uns sehr intensiv beschäftigen, wo wir auch eine Kooperation mit einem der, wenn ich sogar der führende Kopf, zum Thema Customer Experience Management, mit Phil Winters, er wird gerne Godfather of Customer Experience Management genannt, sein Buch Customer Strategy ist ein Bestseller, der hat so viele Customer Journeys gebaut in den letzten fünf Jahren mit über 400 Unternehmen weltweit, aber alle tun sich schwer, die Erkenntnisse daraus umzusetzen. Wenn ich bereit bin, mich mal ganz bewusst über diesen Customer-Journey-Ansatz in die Perspektive des Kunden zu bringen, um zu wirklich zu verstehen, indem ich seine Sprache benutze, wie tickt der Kunde eigentlich. Was erwartet der Kunde von mir? Und daraus Touchpoint-Strategien abzuleiten, aber es reicht ja nicht, nur Touchpoints zur Verfügung zu stellen, sondern ich muss dann ja auch das anpassen, was durch den Touchpoint berührt wird, nämlich IT-Systeme, Organisation und Prozesse und dem Kunden ist das sowas von egal, wie wir uns intern strukturieren, dem ist es aber nicht egal, wie wir mit ihm umgehen, wie wir mit ihm kommunizieren und der hat eine klare Erwartungshaltung, die müssen wir erfüllen. Und wir beschäftigen uns leider auch im Prozessmanagement viel zu oft mit uns selbst.

Götz Müller: Ja. Den Phil Winters habe ich auch noch auf meiner Podcast-Gesprächsliste. Das muss auch noch klappen.

Sven Schnägelberger: Da kann ich Ihnen … also ich telefoniere fast täglich mit Phil und ich sehe auch nächste Woche. Ich kann ihn gerne antriggern und ich bin mir ganz sicher, er freut sich schon auf das Gespräch.

Götz Müller: Gerne, das fände ich klasse. Gut, jetzt zum Abschluss, jetzt haben wir viel auch in die Vergangenheit geguckt, mal zum Abschluss jetzt ein bisschen in die Zukunft gucken, sagen wir vielleicht fünf Jahre, vielleicht auch drüber raus. Was ist so ihre Prognose, ihr Blick in die Glaskugel, auch wenn das schwierig sein könnte, was können wir da noch erwarten?

Sven Schnägelberger: Also fangen wir mal an mit dem Thema Berufsbild des Prozessmanagers, was es ja per Definition noch nicht gibt. Es gibt noch keine einzige Instanz, die sich mal aufgemacht hat, um das Berufsbild des Prozessmanagers zu definieren. Was aber gerade ganz aktiv in der Diskussion ist, dass der mehr können muss als modellieren, das haben wir vor Jahren schon erkannt, dass die Kompetenz der Organisationsentwicklung eine Kernkompetenz ist, das ist auch klar. Was jetzt ganz oft auf uns zukommt ist die Frage, muss ich jetzt mehr IT-Kompetenz haben? Muss ich in der Lage sein, die Ergebnisse, die aus dem Process-Mining-Projekt herauskommen interpretieren, analysieren zu können? Muss ich jetzt im Kontext Data Analyst oder Business Analyst mich ausbilden? Muss ich in der Lage sein, auch Workflows implementieren zu können? Es gibt nämlich, und das ist die nächste große Veränderung, immer mehr BPM-Lösungen, und da meine ich jetzt Workflow-Systeme, die wirklich No-Coding-Ansätze unterstützen. Das ist ja so eine der Mythen, den uns die Tool-Hersteller schon seit 15 Jahren erzählen wollen, dass BPM-Technologien No-Coding-Ansätze sind, wenn man genauer hinguckt, wird da doch noch überall rumgescriptet und programmiert. Aber es gibt mittlerweile, und da werden in den nächsten, ich würde sagen ein, zwei Jahren, noch ein paar andere Anbieter auf dem Markt kommen, wo das Implementieren von Workflows, gerade so im administrativen Umfeld, Freigabeworkflows, Workflows, die heute noch mit der Laufmappe, ja, oder mit Excel oder mehr oder weniger guten SharePoint-Lösungen gesteuert werden, wo ich muss Infrastrukturentscheidungen, SAP-Implementierung brauche, sondern einfach nur digitale Formulare zusammenbringe, über Workshops steuern kann. Da wird, glaube ich, in nächster Zeit sehr viel passieren. Also wir machen gerade viele Gespräch mit Unternehmen, die vernünftige Automatisierungslösungen suchen, also richtig schöne, leichtgängige Workflow-Systeme, da gibt es spannende und gleichzeitig bin ich persönlich davon überzeugt, dass sich der Markt in den nächsten zwei Jahren sehr stark konsolidieren wird, weil das Kapital, die Venture Capitals sich derzeit für diesen Markt interessieren, der ein oder andere BPM-Anbieter sich ja auch schon paar Schlücke aus der Venture-Capital-Pulle genehmigt haben und wenn es noch ein paar weitere investiert sind und investiert werden, dann wird es natürlich für die Anbieter, die nicht das Kapital haben, um mal eben 30-40 Programmierer einzustellen, um eine neue Produktgeneration rauszubringen, also ich Geld ist ja Geschwindigkeit in dem Umfeld. Da wird sich sowohl auf der Anbieterseite als auch auf der Art und Weise, welche Art von Tools wir auf der Kundenseite suchen und anwenden, glaube ich, in nächsten zwei, drei Jahren richtig viel bewegen.

Götz Müller: Gut. Das war ein wunderbarer Abschluss, ein Ausblick, Herr Schnägelberger. Ich danke Ihnen für Ihre Zeit, für die Ansichten, für den Rückblick, aber auch für den Ausblick.

Sven Schnägelberger: Sehr gerne und, ja, vielen Dank an Sie und an alle Zuhörer, wenn Sie noch weitere Fragen zum Thema Prozessmanagement haben, Sie finden mich im Internet, da können Sie mir gar nicht auf dem Weg gehen, kommen Sie, werden Sie Gast und Teilnehmer in meiner Community und sprechen Sie mich an und ich freue mich auf den Dialog mit Ihnen.

Götz Müller: Da nehme ich auch noch den ein oder anderen Link in die Notizen.

Sven Schnägelberger: Perfekt. Super, vielen Dank.

Götz Müller: Das war die heutige Episode im Gespräch mit Sven Schnägelberger zum Thema Entwicklung im Prozessmanagement. Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 174.

Wenn Ihnen die Folge gefallen hat, freue ich mich über Ihre Bewertung bei iTunes. Sie geben damit auch anderen Lean-Interessierten die Chance, den Podcast zu entdecken.

Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder zu lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.

Hinweis: Ich behalte mir vor, Kommentare zu löschen, die beleidigend sind oder nicht zum Thema gehören.