Wissenschaft am Shopfloor?

Wissenschaft

Ein immer wieder auftauchender Begriff im Lean-Kontext und der Toyota Kata im speziellen ist Scientific Thinking, also wissenschaftliches Denken, als Basisgedanke im PDCA-Zyklus.

Damit wird die Grundlage der Verbesserungsarbeit beschrieben, die darauf basiert, dass Hypothesen über mögliche Ergebnisse einer Handlung entwickelt werden, dann diese Handlung durchgeführt wird, die Hypothesen überprüft werden und daraus ein neuer Standard entwickelt wird.

Dabei sollte man grundsätzlich eine Wissenschaftsdefinition nicht aus dem Auge verlieren, die Wissenschaft als den aktuellen Stand des Irrtums bezeichnet.

Das ist aber jetzt gar nicht der Punkt, um den es mir in diesem Artikel geht. Es geht mir grundsätzlich um den Begriff Wissenschaft an sich und speziell die damit möglicherweise verbundenen Assoziationen bei Menschen, die diesen Begriff hören oder lesen.

In meinen Augen ist es grundsätzlich nicht möglich, den Begriff aufzunehmen, ohne dabei (unbewusst) eine Verknüpfung zur eigenen Person, d.h. einem Selbstbildnis, zu schaffen.

Der mögliche Kontrastbegriff des Shopfloors steht dabei nur exemplarisch für alle eben nicht formal wissenschaftlichen Arbeitsbereiche.

Vermutlich die wenigsten Menschen werden für sich das Selbstbild des Wissenschaftlers haben und das würde ich sogar von der akademischen Ausbildung trennen, die typischerweise mit einem wissenschaftlichen Studium einhergeht (zumindest, wenn man den universitären Zweig zugrundelegt).

Mit dieser Vorannahme stelle ich mir dann immer wieder die Frage, was es im Kopf von Menschen auslöst, wenn sie im Rahmen von Lean, dem PDCA-Zyklus oder eben auch der Toyota-Kata mit den Anspruch des wissenschaftlichen Arbeitens konfrontiert werden.

Mir geht es jetzt nicht darum, dass die Verbesserungsarbeit an sich dem Begriff und den verbundenen Anspruch an sich durchaus genügt.

„Die Wissenschaft besteht nur aus Irrtümern. Aber diese muß man begehen. Es sind die Schritte zur Wahrheit.“

– Jules Verne

Mir geht es eben vielmehr um die Assoziationen, die der Begriff auslöst und dann um die Auswirkungen dieser Assoziationen. Ich werde dabei den Verdacht nicht los, dass eben diese – in der Regel unbewussten – Assoziationen einfach Widerstand auslösen. So wie die Assoziationen unbewusst ablaufen, bewegt sich der entstehende Widerstand oft auch auf einer unbewussten Ebene – was übrigens nicht nur für den Wissenschaftsbegriff der Fall ist, sondern im allgemeinen praktisch immer zutrifft, wenn das Selbstbild nicht zu einem (vermuteten) Fremdbild passt.

Dabei geht auch grundsätzlich gar nicht um eine mögliche Wertung oder Hierarchie zwischen der exemplarischen Wissenschaft und dem Shopfloor und was das jetzt oben oder unten ist.

Eine weitere Quelle des Widerstands ist auch der mögliche bzw. vermutete Anspruch zur Veränderung, das Loslassen von liebgewonnenen Gewohnheiten und die Konfrontation mit noch Ungewohnten oder Neuen, das noch nicht in die normalen Routine integriert ist.

Auf einer ähnlichen Ebene können sich dann auch neue oder ungewohnte Begriffe für Werkzeuge, Methoden, Prinzipien aus dem weiten Kontext des Lean Managements bewegen, speziell wenn diese aus der japanischen oder englischen Sprachwelt stammen und deshalb anfänglich auch nicht zum bekannten Sprach- und Wissensschatz gehören.

Während es dort die durchaus sinnvolle Empfehlung gibt, entsprechende deutsche Begriffe zu wählen, werde ich aber auch den Verdacht nicht los, dass man damit nur an der scheinbaren Oberfläche kratzt, aber tiefliegende Aspekte vernachlässigt, die dann auch aufgrund der Ignoranz schwerwiegendere Konsequenzen haben und sich u.U. dadurch sogar noch verstärken.

Im Fall der wissenschaftlichen Vorgehensweise halte ich aber nichts davon, irgendwie um den heißen Brei zu reden und sich selbst und anderen etwas vorzumachen.

Die aktive Vorwegnahme möglicher Widerstände kann dabei ein Ausweg aus diesen Situationen sein. Allerdings sollte man sich auch bewusst sein, dass dies keine einmalige Aktivität bleiben darf, sondern wie alle Veränderungsprozesse mehr als kurzfristige Begleitung benötigt, die auch ganz individuell unterschiedliche Ausprägung, Intensität und Dauer erfordert.

Führungskräfte sollten sich dabei auch bewusst sein, dass sie selbst ebenfalls (unbewusste) Veränderungsprozesse durchlaufen, diese aber oft ggü. ihren Mitarbeitern zeitlich vorgelagert sind. Dadurch kann es dann zu dem Effekt kommen, dass eine Führungskraft ihre eigene Widerstandsphase bereits überwunden hat, sich jetzt aber „plötzlich“ mit dem Widerstand ihrer Mitarbeiten konfrontiert sehen und dafür nicht (mehr) das notwendige Verständnis aufbringen.

Die dabei auftretenden Effekte und der entsprechende Umgang damit sind ein zentrales Element des Job Relations Trainings, das damit mögliche Effekte aus Veränderungen durch die Einführung von Job Instruction und Job Methods begleiten und abfedern kann.

Frage: Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrem Verantwortungsbereich mit neuen Begriffen gemacht? Welche Konsequenzen haben sich daraus ergeben? Wie sind Sie damit umgegangen?

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