Braucht es ein Lean-Manifest?

Manifest

Vor einiger Zeit hatte ich einen Artikel geschrieben, in dem ich begründet hat, warum es keinen Lean-Guide gibt, so wie es einen Scrum-Guide gibt [1]. Eine vergleichbare Situation gibt es bzgl. einem Lean-Manifest, so wie ein agiles Manifest existiert.

Im Unterschied zum einem Guide im Sinne eines Kochrezepts oder einer Form von Anleitung, deren Zweck im Begriff selbst schon ziemlich klar zum Ausdruck kommt, ist das bei dem Begriff Manifest anders. Da ist es notwendig, sich erstmal über den Begriff selbst Klarheit zu verschaffen.

Ein möglicher Weg zu Begriffsklärung können dabei bestehende Definitionen sein, die Betrachtung vorhandener Manifeste und ein Blick auf typische Bestandteile.

Definition eines Manifests

Wikipedia schreibt dazu: „Ein Manifest ist eine öffentliche Erklärung von Zielen und Absichten … Der Begriff wird vielseitig verwendet, eine allgemein akzeptierte Definition existiert nicht.“ [2]

Hilft also auch nicht so wirklich weiter …

andere Manifeste

Als erstes steht natürlich das schon erwähnte agile Manifest im Raum [3]. Weitere Manifeste werden ebenfalls in dem Wikipedia-Artikel zur Definition aufgelistet. Allgemein bekannt sein dürfte das Kommunistisches Manifest [4].

Aus dem agilen Manifest abgeleitet, lassen sich die folgende Bestandteile eines typischen Manifests identifizieren.

  • Leitsätze und Werte
  • Prinzipien (die bspw. den Kern des Agilen Manifests ausmachen)

Was lässt sich also aus diesen Erkenntnissen für die zugrundeliegende Frage ableiten?

In meinen Augen kann man die Frage nach der Notwendigkeit also mit einem klaren Ja beantworten. Gleichzeitig bin ich der Ansicht, dass im Grunde schon ein Lean-Manifest existiert, nur dass dafür ein anderer Begriff verwendet wurde.

Einem Manifest liegen meiner Meinung nach bestimmte Vorannahmen zugrunde, die Gültigkeit haben müssen, damit eine „Sache“ funktioniert. Im NLP-Kontext wird sogar genau dieser Begriff verwendet [5]. In der Mathematik wird dazu m.W. der Begriff des Axioms [6] verwendet.

Im Lean-Kontext haben für mich die Lean-Prinzipien diese Funktion übernommen. Diesen Prinzipien liegen auch Werte zugrunde.

  • den Wert aus Sicht des Kunden definieren
  • den Wertstrom identifizieren
  • das Fluss-Prinzip umsetzen
  • das Pull-Prinzip einführen
  • Perfektion anstreben
  • Respect for People (Humanity)

Auf Basis dieser Überlegungen erweitert sich die ursprüngliche Antwort dahingehend, dass eben die Lean-Prinzipien die Rolle eines Manifests übernommen haben und deshalb im Grund auch keine weiteren Erörterungen notwendig sind, außer sich die Wichtigkeit der Prinzipien immer wieder ins Bewusstsein zu rufen und die Gestaltung von Aktivitäten, Denk- und Handlungsweisen daran zu orientieren bzw. diese der Einhaltung der Prinzipien gegenüberzustellen.

„Es ist besser hohe Grundsätze zu haben, die man befolgt, als noch höhere, die man außer acht lässt.“

– Albert Schweitzer

Gleichzeitig sollte man sich aber auch immer vor Augen führen, dass die Existenz eines Manifests alleine noch keinen Unterschied. Sicherlich kann ein Manifest die Rolle eines Kristallisationspunkts übernehmen. Aber in dem Augenblick, an dem man ein Manifest benötigt, um eine „Sache“ zu verwirklichen oder auch nur zu vertreten, hat es im Grund seine Aufgabe auch schon verfehlt.

Eine weitere Funktion, die ein Manifest erfüllen kann, ist im Rückblick ein gestalterischer Denkprozess, an dessen Ende dann ein Manifest stehen kann. Das Ziel dieses Denkprozesses ist in meinen Augen aber dabei nicht das Manifest, sondern das Manifest ist ein möglicher Ausdruck dieses Denkprozesses, eher in Form eines Beiwerks.

Der Wert dieses Denkprozesses wird zwar an einem möglichen Erkenntnisgewinn gemessen. Man kann aber vor dem Denkprozess nicht das mögliche Ergebnis vorwegnehmen, weil man es ja dann schon erdacht haben müsste, was im Grunde einem schöpferischen Perpetuum Mobile gleichkommen würde.

Insofern kann man weder vorausschauend die Notwendigkeit eines Manifest bestimmen, noch rückblickend auf einen Zeitpunkt ohne Manifest beurteilen, dass ein solche notwendig ist.

Den anderen Nachteil eines Manifests bzw. der Festlegung auf dessen Notwendigkeit stehe ich darin begründet, dass Manifeste immer auch der latenten Gefahr unterliegen, eigene Denkprozesse zu ersetzen oder überflüssig zu machen und oder gleichzeitig einen Dogmatismus begründen können, deren Folgen an dem ein oder anderen Beispiel in der jüngeren oder älteren Vergangenheit zum Ausdruck kommen.

Dieser Dogmatismus ist dann oft wieder gepaart mit einer fehlenden Weiterentwicklung, damit auch im Stillstand und einer scheinbaren Überflüssigkeit weiterer Denkprozesse, deren Ergebnisse im Vorfeld und in der Natur der Sache geprägtem Fehlen des Wissens darum gar bekannt sein können, aber eben definitiv die Weiterentwicklung zum Stillstand bringen müssen.

Wenn man diese fehlende Weiterentwicklung wieder mit Lean und dem immanenten Postulat der kontinuierlichen Weiterentwicklung in Einklang bringen will, kann in meinen Augen die Antwort auf die Frage nach der Notwendigkeit nach einem Lean-Manifest nur mit einem entschiedenen Nein beantwortet werden.

Trotzdem sehe ich keinen wirklich Widerspruch zwischen diesen Überlegungen und der ersatzweisen Rolle der Lean-Prinzipien, da sie eben eher in Form von Vorannahmen bzw. Axiomen formuliert sind, die selbst keinen Nachweis der Korrektheit erfordern, sondern nur eine begleitende „Denke“ formulieren, die man nutzen kann oder auch lassen, aber auf jeden Fall genügend Freiheitsgrade zur eigenen inhaltlichen Ausgestaltung lassen und bzw. deren Nutzung sogar implizit einfordern.

[1] Blog-Artikel bzgl. Lean-Guide
[2] Wikipedia-Artikel zur Begriffsdefinition Manifest
[3] Agiles Manifest
[4] Wikipedia-Artikel zum Kommunistischen Manifest
[5] Wikipedia-Artikel zu NLP-Vorannahmen
[6] Wikipedia-Artikel zur Begriffsdefinition Axiom

Frage: Welche Denkmodelle legen Sie Ihrer Arbeit mit Lean zugrunde? Welchen Nutzen ziehen Sie daraus? Wie gehen Sie damit bei der täglichen Verbesserungsarbeit um?

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