Kaizen 2 go 262 : Wanderer zwischen den Welten


 

Inhalt der Episode:

  • Wie sind Sie zum Thema Baumanagement und Lean gekommen?
  • Welche neuen bzw. anderen Gesichtspunkte können Sie mit Ihrem juristischen Hintergrund in Lean & Co. und die Baubranche einbringen? Wie unterscheidet sich der Blick eines Juristen bspw. von dem eines Bauingenieurs (oder auch allgemeiner von “reinen” Lean-Fachleuten)?
  • Eine vielleicht etwas provokante Frage: Anwälte leben ja grundsätzlich davon, dass sich zwei Parteien streiten. Was war Ihre Motivation sich im Baukontext im Grund überflüssig zu machen?
  • Was lässt sich aus der Baubranche auf andere Branchen übertragen? Durch die Baubrille betrachtet aber auch vor dem juristischen Hintergrund.
  • Was lässt sich aus der Integrierten Projektabwicklung ggf. auf andere Branchen übertragen? Speziell vor dem Hintergrund der Probleme, die im Baukontext dabei gelöst werden.
  • Bzgl. Ihrer Dozenten-/Referentenrolle(n) … Welche Veränderungen nehmen Sie in der Branche wahr?

Notizen zur Episode:


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(Teil)automatisiertes Transkript

Episode 262 : Wanderer zwischen den Welten

Herzlich willkommen zu dem Podcast für Lean Interessierte, die in ihren Organisationen die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse und Abläufe anstreben, um Nutzen zu steigern, Ressourcen-Verbrauch zu reduzieren und damit Freiräume für echte Wertschöpfung zu schaffen. Für mehr Erfolg durch Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Produktivität durch mehr Effektivität und Effizienz. An den Maschinen, im Außendienst, in den Büros bis zur Chefetage.

Götz Müller: Heute habe ich Ulrich Eix bei mir im Podcast-Gespräch. Er ist Fachanwalt für Architekten- und Baurecht. Hallo Herr Eix.

Ulrich Eix: Ich grüße Sie, Herr Müller.

Götz Müller: Ja. Schön, dass Sie dabei sind heute. Ich habe schon ein kurzes Stichwort im Grunde zu Ihnen gesagt, aber stellen Sie sich gern noch mal den Zuhörern ein bisschen intensiver vor.

Ulrich Eix: Ja, sehr gerne Herr Müller, Sie haben im Prinzip ja auch schon das Wesentliche gesagt, ich bin Rechtsanwalt, bin Partner bei der Kanzlei Lutz Abel und bin Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht und das tatsächlich im engsten Sinne, sprich ich bin sowohl im positiven als auch im negativen Sinne Fachidiot. Das heißt, ich berate zu mittelgroßen großen und auch sehr großen Bauprojekten, zu allen Fragestellungen, die sich mit den Vertragsverhältnissen bei solchen Bauprojekten stellen.

Götz Müller: Gut. Das Stichwort Bau steckt da ganz zentral drin und das ist auch unser Kernthema heute, was jetzt, wo Sie wahrscheinlich, zumindest in meiner Wahrnehmung, schon auch ein bisschen, ja, auch im Sinne unseres Titels Wanderer zwischen den Welten sind, das ist der Bezug zum Thema Lean. Und da vielleicht eben zum Einstieg, a) wie kommt man zu dem Thema Baumanagement, was, finde ich, schon mal ein speziell ist, und dann noch mal was draufgesetzt zu Lean als Rechtsanwalt?

Ulrich Eix: Na ja, ketzerisch könnte man sagen, dass mir die Paragrafen nicht genug waren, respektive sind. Tatsächlich sind es aber ganz spannende Zusammenhänge. Also wie ich zu diesen Themen oder zu diesem Thema innovative Projektabwicklungsmethoden gekommen bin, das lässt sich relativ schnell festmachen, und zwar ist das das Thema Building Information Modeling. Mit dem Thema BIM habe ich mich vor vielen Jahren, also ich sage mal der Digitalisierung von Bauprojekten im weitesten Sinne, vor vielen Jahren angefangen zu beschäftigen und dann war der Schritt gar nicht mehr so weit, mich dann auch mit dem Thema Lean Construction und integrierte Projektabwicklung zu beschäftigen. Ja genau, und letztendlich ist es so, dass zum einen ich es persönlich sehr spannend finde, diese Transformation der Baubranche mitzuerleben und bis zu einem gewissen Grad mitzugestalten, weil letztendlich ist es doch etwas sehr viel Produktiveres jedenfalls nach meinem Eindruck als Gerichtsverfahren zu führen. Und klar, zum anderen ist es letztendlich natürlich auch ein Geschäftsfeld, auf dem man sich gerne tummelt, weil's relativ innovativ ist und dementsprechend auch noch nicht so viele Berater dazu gibt.

Götz Müller: Ja und jetzt könnte ich mir eben vorstellen, mit ihrem juristischen Hintergrund bringen Sie da Gesichtspunkte mit ins Spiel, die der klassische, nennen wir ihn mal Lean-Mensch gar nicht kennt, gar nicht kennen kann im Grunde, weil es nie Teil seiner Ausbildung war und vermutlich aber eben auch für klassische Bauingenieure, die zumindest den Baukontext mitbringen. Also sprich, was sind jetzt diese juristischen Gesichtspunkte?

Ulrich Eix: Ja, da haben Sie vollkommen recht, jetzt der Baubetriebler oder auch der Lean-Mensch würde wahrscheinlich sagen leidvoll kommen die Juristen dazu, aber tatsächlich sind es bis zu einem gewissen Grad zwei unterschiedliche Welten, insofern finde ich auch den Titel, den Sie der Podcast-Folge gegeben haben, sehr spannend. Letztendlich muss man sagen, sind ja dann doch die rechtlichen Grundlagen oder die gesetzlichen Grundlagen, die, ja, wie soll man sagen, Spielregeln unseres Zusammenlebens in der Wirtschaftswelt oder nicht nur in der Wirtschaftswelt und insofern bilde ich mir auch gar nicht ein, dass bei den Themen Lean, integrierte Projektabwicklung oder auch BIM der juristische Aspekt jetzt der maßgebliche ist oder der größte, aber es ist halt doch ein ganz wesentlicher Aspekt, weil, wie schon gesagt, alles basiert letztendlich dann auf unserem Rechtssystem und zwar will man da nicht hinkommen, aber letztendlich muss man es ja auch sagen, wenn es dann doch mal zu einem Streitfall kommt, dann entscheidet sich dieser Streitfall nicht daran, ob Bautechniker oder Wirtschaftswissenschaftler ein Thema gedacht haben, sondern es entscheidet sich daran, wie ein Richter die Sache sieht und dann sind wir auch schon wieder bei der rechtlichen Sphäre.

Götz Müller: Ja, da hatte ich dann so ein bisschen in der Vorbereitung den Gedanken, ein Rechtsanwalt, der jetzt der Baubranche hilft, ein bisschen überspitzt ausgedrückt, ein bisschen provokant vielleicht auch dargestellt,
macht der sich nicht eigentlich überflüssig, weil er lebt ja, mal in meinem laienhaften Weltbild, im Grunde davon, dass zwei Parteien sich streiten?

Ulrich Eix: Ja, ich finde das sehr schön diesen Gedanken, der mag wahrscheinlich auch tatsächlich verbreitet sein. Ich verrate Ihnen aber ein Geheimnis, der Anwalt verdient nicht unbedingt mit Streitfällen mehr als mit der projektbegleitenden Rechtsberatung, insofern würde ich auch gar nicht sagen, dass ich mich mit dieser Beratung sozusagen selber abschaffe. Auch, weil ich da gar kein so großes Problem jedenfalls an der Stelle damit hätte, denn was gibt es Schöneres als funktionierende Bauprojekte und da irgendwo mitgewirkt zu haben. Sondern, also meiner Überzeugung nach ist die beste Vorsorge zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten tatsächlich von Anfang an auch den Juristen mit einzubeziehen und zwar jetzt nicht als Streithansel und derjenige, der versucht die Rechtsposition des Mandanten zu maximieren, sondern, in Anführungszeichen, nur als jemand, der eben diese rechtliche Sphäre im Blick behält und so ist es hauptsächlich eben auch bei dem Thema Lean Construction, weil, ja, das ist alles agil und mit den ganzen Stichworten verbunden, die so Lean Management oder Lean Construction ausmachen, aber jetzt wieder in der juristischen Welt muss man sich dann halt immer schon die Gedanken machen: Ist dann auch das Rechtssystem so, ja, agil und beweglich wie es das Thema Lean möglicherweise verlangt oder erfordert oder eigentlich antizipiert?

Götz Müller: Ja. Und ich glaube eben, wenn man sich im Grunde auf das konzentriert, was zum Schluss rauskommen soll, also ein funktionierendes Gebäude, funktionierend im Sinne von, dass auch die Nutzer, Stichwort BIM, hinterher happy sind und dort nicht unnötig Geld ausgeben müssen oder nicht unnötig Geld für den Streit ausgeben müssen, kann ich ihren Gedankengang total nachvollziehen, dann gebe ich doch lieber das Geld dafür aus, um auf diesem Weg wertschöpfender unterwegs zu sein.

Ulrich Eix: Ja, absolut. Und ich sag’s Ihnen auch ganz ehrlich, das Führen von Gerichtsprozessen macht mir auch lange nicht so viel Spaß wie die baubegleitende Rechtsberatung. Warum? Weil in doch sehr vielen Fällen beide Parteien in einem Gerichtsverfahren nachher die Verlierer sind. Also ich habe kaum ein Ende oder das Ende einer gerichtlichen Auseinandersetzung erlebt, in dem eine Verfahrenspartei so richtig glücklich war, sondern meistens gehen dann doch beide irgendwie wie die geprügelte Hunde vom Feld und da muss ich tatsächlich dann auch persönlich sagen, finde ich das lange nicht so für meine berufliche Tätigkeit befriedigend wie wirklich an einem funktionierenden Bauprojekt mitgearbeitet zu haben.

Götz Müller: Ja, und wenn man es wieder durch die Lean-Brille betrachtet, was auf keinen, im Sinne von auch Verschwendungen, klassisch Zeitverschwendung, das ist das Beispiel, das ich immer mache, Zeitverschwendung, das ist halt das Gemeine, lässt sich nicht rückgängig machen, alles andere kann man oft korrigieren, aber die Zeit, die verstrichen ist, die ist weg und das ist dann genau das, glaube ich, was Sie auch im Kopf hatten, wo Sie an die geprügelte Hunde dachten.

Ulrich Eix: Ja, absolut und auch ein Aspekt, der damit zusammenhängt, Stichwort Wertschöpfung, also ich bin davon überzeugt, dass diese Tätigkeit vor, respektive während, des Bauprojektes wertschöpfender ist als die Aufarbeitung eines längst vergangenen Sachverhaltes, bestmöglich natürlich dann für den Mandanten mit dem Gewinn eines Gerichtsprozesses, aber letztendlich ist es alles, was in der Vergangenheit passiert ist.

Götz Müller: So. Jetzt ist eine Frage, die ich immer gerne mal wieder meinen Gesprächspartnern stelle, bei Ihnen jetzt relativ in der Mitte oder fast schon am Anfang noch, was lässt sich, und da natürlich eben die Chance ergreifen mit einem Juristen zu sprechen, was lässt sich aus der Baubranche bezogen auf diese juristischen Aspekte, auf andere Branche übertragen. Da ist mir klar, dass das unter Umständen eine herausfordernde Frage ist, ich stell sie aber immer, auch ein bisschen, um bei den Zuhörern noch einen Impuls reinzubringen.

Ulrich Eix: Ja. Also grundsätzlich muss man sagen, dass es ja, jedenfalls bis Anfang 2018, gar kein originäres Bauvertragsrecht gab, sondern die Rechtsverhältnisse, die sich zwischen dem Bauherrn und seinen Planern und zwischen dem Bauherrn und seinen Baufirmen abgespielt haben, unterlagen dem ganz normalen Werkvertragsrecht und auch andere Rechtsbeziehungen oder Geschäftsbeziehungen unterfallen diesem Werkvertragsrecht und insofern sind natürlich schon gewisse Erkenntnisse aus dieser Baubranche, respektive dann auch aus dem juristischen Feld, auf andere Branchen übertragbar. Wir kommen ja nachher, glaube ich, auch noch so ein bisschen auf das Thema integrierte Projektabwicklung zu sprechen, wo es dann um die Frage geht, lassen sich denn möglicherweise viele Beteiligten an einem Bauprojekt auf einen Vertrag sozusagen vereinen. Das sind natürlich schon auch Erkenntnisse, die man auf andere Branchen übertragen kann. Nichtsdestotrotz, insofern vielleicht auch eine provokante Anmerkung, die jetzt mit der Juristerei gar nicht so viel zu tun hat, aber wenn man die Produktivität der Baubranche sich anschaut, da gibt's ja wunderschöne Charts, im Verhältnis zur Produktivität anderer Branchen, dann muss man leider feststellen, dass die Baubranche da anderen Branche sehr stark hinterher hinkt und schön finde ich zum Beispiel auch Bildvergleiche einer Baustelle vor 50 Jahren mit einer Baustelle zur heutigen Zeit, so viele Unterschiede lassen sich da gar nicht feststellen und insofern muss man, glaube ich, schon sagen, ist die Baubranche eine, die im Verhältnis zu anderen Branchen einen sehr starken Nachholbedarf hat, ja, insbesondere auch, was die Produktivität anbelangt und solche modernen Managementformen, wie zum Beispiel Lean Construction zur Verfügung stellt.

Götz Müller: Ja. Ich hatte in den Kontext vor ganz Kurzem auch eine Unterhaltung zum Thema Baumanagement mit dem Klaus Nesensohn, der in Stuttgart da eine Master-Ausbildung anbietet, ein Masterstudium anbietet und da kam der Gedanke rein und das war für mich im ersten Blick auch neu, kann man im Grunde sagen, dass das Thema Lean Construction an sich ja durchaus schon einiges über 10 Jahre alt ist. Und da vielleicht dann an der Stelle jetzt an Sie, der in dem Thema auch ziemlich dicht drin ist, aus der Praxis raus, was ist so Ihre, nennen wir es Theorie, warum es noch so lange gedauert hat, obwohl das Thema schon über 10 Jahre präsent ist, dass ein bisschen mehr in den Vordergrund rückt, sicher nicht, wie wir zwei uns das vorstellen?

Ulrich Eix: Ja, also schön, dass Sie den Herrn Nesensohn erwähnen und seine Professorentätigkeit, ich glaube, er hat das in seiner Podcast-Folge auch erwähnt, dass ich, eine große Ehre für mich, als Lehrbeauftragter in seinem neuen Studiengang auch unterrichten darf. Ich glaube, dass letztendlich diese lange, in Anführungszeichen, Wartezeit zum einen mit der Mentalität der Baubranche zu tun hat, die doch relativ konservativ ist und zum anderen durchaus auch mit den Schwierigkeiten in einem Bauprojekt zu tun hat. Denn, ja, auf der einen Seite ist wahrscheinlich die Baubranche diejenige, in der zur gleichen Zeit die meisten Projektbeteiligten relativ unorganisiert zusammenarbeiten, auf der anderen Seite muss man aber diese gemeinsame Organisation erstmal auf die Beine stellen und ich glaube, das ganze bedingt so ein bisschen diesen Umstand, dass Lean Construction, jedenfalls bei uns in Deutschland, noch ein sehr neues Thema ist, muss man ja auch dazu sagen, also die Entstehung von Lean Construction ist ja kein originär deutsches Thema, sondern ein angloamerikanisches Thema und insofern hat es natürlich auch ein paar Jahre gebraucht, bis das Ganze also zu uns sozusagen über den Teich geschwappt ist.

Götz Müller: Ja, aber ich … und da greife ich jetzt halt wieder auf, ich weiß nicht, inwieweit Ihnen das vorgehalten wird, mir begegnet es natürlich durchaus öfters, die Aussage „Ja, wir bauen ja keine Autos.“, aber ich glaube persönlich, was man aus dem Automobilkontext lernen kann, nicht von allen Beteiligten, aber von denen, ich nehme jetzt halt mal Toyota wieder, dieser Aspekt Lieferantenentwicklung, dass ich halt jetzt nicht nur gucke, meinen Lieferanten zu prügeln und zu kneten und die letzte Zitrone, den letzten Tropfen noch rauszupressen, sondern dass ich mir im Grunde klar bin, nur, wenn er in der Lage ist zur performen, bin ich in der Lage, ein qualitativ hochwertiges Auto zu bilden und ich glaube, das könnte ein umgekehrter Impuls wieder sein, ein Appell vielleicht sogar, um es mal so zu nennen, an die Baubranche: Guck mal, es geht auch anders und man muss nicht immer Krieg führen. Weil das, was manchmal stattfindet, was so meine Wahrnehmungen, ich habe ein paar Kunden aus dem Baukontext, es ist manchmal schon ein Krieg, oder?

Ulrich Eix: Ja, absolut. Und nicht nur, oder es sollte eigentlich nicht nur eine Erkenntnis für die Baubranche sein, sondern man muss sogar sagen, es sollte eigentlich erst recht eine Erkenntnis für die Baubranche sein, weil ja, Sie haben auf der einen Seite recht, es ist ja auch irgendwie so ein Spruch sozusagen in der Baubranche, jedes Bauprojekt ist individuell und ein Unikat, was natürlich tatsächlich auch so ein Bauprojekt sehr kompliziert macht, muss man ja auch sagen. Auf der anderen Seite, weil Sie es gerade erwähnt haben, ja, wir bauen keine Autos, das ist schon richtig, auf der anderen Seite muss man auch sagen, die meisten Bauherren haben ja letztendlich hinter Ihrem Bauvorhaben neudeutsch gesprochen, einen Business Case. Also sprich, sehr vielen Bauherren ist es, glaube ich, hier relativ egal, ob ihr Bauprojekt jetzt ein Unikat ist oder ob es, in Anführungszeichen, von der Stange kommt. Das ist sicherlich, also diese Aussage, Ausnahmen bestätigen die Regel. Natürlich gibt es auch Bauprojekte, die bewusst darauf angelegt sind, individuell und einmalig zu sein, aber sehr viele Bauprojekte haben, wie schon gesagt, ein ganz klares Ziel vor Augen und dieses Ziel ist meistens eben ein wirtschaftliches oder unternehmerisches Ziel und vor dem Hintergrund muss man tatsächlich auch sagen, würde die Baubranche, jeder Architekt wird mich jetzt dafür prügeln für die Aussage, aber würde die Baubranche auch gut daran tun zu standardisieren und zu systematisieren.

Götz Müller: Ja, und mir kommt jetzt gerade bei unserer Unterhaltung ein Zitat eines Onkels von mir, der war Bausachverständiger, vereidigter Bausachverständiger, der hat gesagt, es gibt die drei Säulen der Baufinanzierung: Eigenkapital, Fremdkapital und die Regressforderungen. Aber diese Denke natürlich und er war ein eingefleischter Bauingenieur, der das wirklich von der Pike aus auf der Baustelle gelernt hat, aber diese Denke muss man natürlich in den vielen Jahrhunderten bis Jahrtausenden, wenn man an Pharaonen und so weiter zurückdenkt, muss man erstmal aus den Köpfen auch wieder rauskriegen.

Ulrich Eix: Ja, absolut. Und zum einen ist es eine Haltung, die man aus den Köpfen rausbringen muss und zum anderen ist es tatsächlich, glaube ich, auch einfach eine Frage der Projektabwicklung, weil warum gibt es denn so viele Streitigkeiten in Bauprojekten. Das hat auch damit etwas zu tun, dass die Bauprojekte eigentlich sehr viel stärker vernetzt, kooperativ, kollaborativ abgewickelt werden müssten, als das aktuell der Fall ist. Und nur weil das eben gerade nicht passiert, entstehen auch so viele Streitigkeiten am Bau, muss man auch ganz klar sagen, neben anderen Aspekten.

Götz Müller: Ja, Sie hatten es jetzt schon ein-, zweimal gesagt, und das ist definitiv noch ein Punkt auf meiner Liste, den wir tangieren sollten, integrierte Projektabwicklung und auch da natürlich vor dem Hintergrund, aber vielleicht erstmal zum Einstieg, was ist es überhaupt, aber auch da dann vor dem Hintergrund, was lässt sich vielleicht auf andere Branchen übertragen?

Ulrich Eix: Ja, also die integrierte Projektabwicklung ist letztendlich auch vor dem Hintergrund, sag ich mal, der Lean-Management-Philosophie entstanden und soll letztendlich dazu dienen, ein Bauprojekt möglichst kollaborativ, möglichst wertschöpfend und wirklich störungsarm abzuwickeln und jetzt gibt es unterschiedliche Bausteine, die in so einer integrierten Projektabwicklung eine Rolle spielen und jetzt aus rechtlicher Sicht der wesentlichste Baustein ist eben, dass alle Wesentlichen am Projekt beteiligten sich auf einen Vertrag verständigen, einen sogenannten Mehrparteienvertrag abschließen. Und neben dieser rechtlichen Komponente gibt es dann eben auch noch Management-Komponenten, gerade das Thema Lean Construction, Building Information Modeling spielt bei der integrierten Projektabwicklung eine große Rolle. Insofern schließt sich da jetzt sozusagen in meiner Vita, respektive in meinem Kompetenzbereich, auch ein schöner Kreis und dann spielen monetäre Aspekte eine große Rolle. Also integrierte Projektabwicklung funktioniert, wirtschaftlich betrachtet, so, dass entweder alle am Projekt Beteiligten gewinnen oder an diesem Mehrparteienvertrag Beteiligten gewinnen, wenn das Projekt gut läuft und eben auch alle Beteiligten verlieren, wenn das Projekt schlecht läuft. Und das der Versuche eben, alle sozusagen auf dieses eine Ziel einzuschwören, nämlich, dass das Projekt gut funktioniert und nicht ich mit meiner Leistung so gut funktioniere, dass ich möglichst viel aus dem Projekt, monetär betrachtet, einen Gewinn erzielen kann.

Götz Müller: Ja, das ist im Grunde, im klassischen Projektmanagement, eine Binsenweisheit, dass nicht der Verlauf des Projektes zählt, sondern der Nutzungserfolg des Ergebnisses, des Projekts. Egal, ob ich es ja ein Auto entwickle und irgendwann auf der Straße habe oder ob ich ein Haus baue, wo Menschen einziehen, wo Menschen arbeiten, dass seinen Nutzen erfüllen soll. Das ist das einzige, was zählt.

Ulrich Eix: Ja, absolut und das ist ja auch tatsächlich das spannende. Also wenn man sich Bauprojekte vertragsrechtlich mit einem Schaubild vor Augen führt, dann sind es lauter kleine Silos, und zwar bestehen diese Silos aus einzelnen Vertragsverhältnissen. Und diese einzelnen Vertragsverhältnis stehen stand alone nebeneinander. Und dass das nicht funktionieren kann, weil, ich sag mal, 100 Gewerke, sprich 100 dieser Silos, und bei einem Projekt, das eben sehr viel Vernetzungen, Kommunikation, Kooperation verlangt, ist es relativ auf der Hand liegend, insofern finde ich dieses Thema integrierte Projektabwicklung ein sehr spannendes, weil wie sie gerade vollkommen zurecht gesagt haben, ein Projekterfolg ist dann gegeben, und die Wahrscheinlichkeit ist am größten für einen Projekterfolg, wenn man diesen Projekterfolg wirklich als solchen im Ziel hat, ja, und nicht nur das Einzelne oder das gute Vorankommen oder perfekte Vorankommen des Einzelnen.

Götz Müller: Ja, und mir ist in der Unterhaltung auch klar geworden, es gibt einen weiteren Punkt, der die Baubranche auszeichnet und der Bauprojekte auszeichnet, nämlich diese sehr hohe Komplexität, wo die Dinge ineinandergreifen. Ich kann halt nicht eine Bremsscheibe produzieren, die hat mit der Lichtmaschine in der Produktion jetzt überhaupt nichts zu tun, aber wenn ich das jetzt auch mal auf den Baukontext übertrage, da habe ich den Rohbauer und Ecken, die der reinmacht, die da nicht hingehören, über die wird hinterher der Maler oder der Fliesenleger fluchen und gegebenenfalls Nachträge schreiben und sagen, ich muss erstmal die Wand begradigen.

Ulrich Eix: Absolut, ja und das muss man ja auch sagen …

Götz Müller: Da glaube ich, da können die anderen im Umgang mit Komplexität von der Baubranche was lernen.

Ulrich Eix: Definitiv, ja. Und man muss ja auch immer betrachten, ein Auto wird in einer, sage ich mal, relativ sterilen Umgebung gebaut, also da ist alles sozusagen vorgefertigt, die Lieferketten sind klar, die einzelnen Arbeitsschritte sind klar. Ich habe riesige Hallen, da stehen stationär Roboter drin, die alles nacheinander in dieser gedachten Kette fertigen, und das ist halt in der Baubranche anderes. Da habe ich ein individuelles Baugrundstück, da muss ich auf Gegebenheiten, auf Witterungen, auf Vorleistungen, Nachleistungen, ad hoc reagieren können und das zeichnet, glaube ich, die Baubranche jedenfalls bis zu einem gewissen Grad aus, da entsprechend schnell reagieren zu können und Mittel und Werkzeuge zu haben, dann das Projekt neu ausrichten zu können.

Götz Müller: Ja, und es kommt manchmal, das hat mir mal ein Bauleiter erzählt, es kommt manchmal auf so Trivialitäten an, so im Sinne von: Guck wie der erste Lastwagen auf deine Baustelle fährt, so fahren auch alle anderen die nächsten zwei Jahre.

Ulrich Eix: Ja, das ist wohl wahr.

Götz Müller: Gut, und was ich aber in dem Kontext noch spannend fand, wo ich mich auch ein bisschen in der Vorbereitung damit beschäftigt habe, so völlig, nennen wir es mal nicht fachliche Elemente, wie psychologische Sicherheit. Da dachte ich dann, das ist ja cool, weil das ist jetzt das, was ich persönlich dem Umgangston auf einer Baustelle erstmal gar nicht zuschreibe.

Ulrich Eix: Ja, das ist vollkommen richtig, aber das ist auch ein großer Missstand, ja, weil ich werde nur dann meine Komfortzone verlassen und zur Kollaboration bereit sein, wenn ich mir sicher sein kann, nicht angefeindet zu werden, wenn ich mich angreifbar mache. Und natürlich mache ich mich bis zu einem gewissen Grad immer angreifbar, wenn ich kollaboriere, weil Kollaboration erfordert eben ein Höchstmaß an Transparenz und das ist eben ganz arg wichtig bei der integrierten Projektabwicklung im Projektteam für eine Atmosphäre zu sorgen, die dieses, ich nenne es mal Zeigen von Schwächen oder auch das Zugeben von Fehlern zulässt. Also man spricht neudeutsch dann auch immer von einer „no blame culture“, es geht in der Projektabwicklung eben nicht darum, seinen claim abzustecken und andere für etwas verantwortlich zu machen und insofern meine eigenen Pfründe zu sichern, sondern es geht darum, gemeinsam ein bestimmtes Ziel zu erreichen und da gehört es bis zu einem gewissen Grad natürlich dann auch dazu, eigene Fehler einzugestehen und die Frage zu stellen, wie kriegen wir den jetzt am besten, also im Sinne des Projektes wieder getilgt. Und das ist dieser Aspekt der psychologischen Sicherheit, ja.

Götz Müller: Und das ist dann auch der Punkt, wo ich immer gerne noch einen Schritt weiter gehe, a) wie können wir den Fehler korrigieren und b) was lernen wir für die Zukunft daraus, um den Fehler, warum auch immer er entstanden ist, zu verstehen, was die Ursachen sind und es dann in der Zukunft grundsätzlich zu vermeiden.

Ulrich Eix: Absolut, ja. Und das finde ich auch tatsächlich einen sehr spannenden Aspekt an der integrierten Projektabwicklung, dass es letztendlich auch nicht darum geht, bestimmte Firmen miteinander zu verknüpfen für dieses Projekt, sondern tatsächlich die passenden Menschen miteinander in Verbindung zu bringen, weil letztendlich sind das dann die Menschen, die dieses Projekt führen und zum Erfolg bringen müssen und insofern, ja, spielt bei der integrierten Projektabwicklung diese psychologisch Aspekt eine relativ große Rolle. Letztendlich ja nicht nur bei der integrierten Projektabwicklung, sondern eigentlich müsste er bei jeder Form der Projektabwicklung eine große Rolle spielen, weil immer der Mensch dahintersteht.

Götz Müller: Ja. Und lieber eben Probleme, Herausforderungen offenzulegen, eben auch mal Fehler einzugestehen und zu sagen, okay, das habe ich jetzt auch draus gelernt oder das können wir gemeinsam draus lernen. In dem Anblick, wo alles unter den Teppich geschoben wird, reibt sich vielleicht hinterher, sorry, ich muss jetzt noch mal drauf eingehen, reibt sich vielleicht ein Anwalt die Hände, aber der, der dort einziehen will, definitiv nicht.

Ulrich Eix: Ja, und letztendlich, genau, das ist ja auch wieder dieser Aspekt der Wertschöpfung, also ich bin mir sogar nahezu sicher, dass auch derjenige, ich beziehe es jetzt nicht auf den Anwalt, sondern auf eine Firma, diejenige Firma, die sich nachher die Hände reibt, mindestens genauso gut die Hände reiben könnte, wenn sie produktiv und konstruktiv an dem Gesamterfolg des Projektes mitwirkt. Weil wenn tatsächlich alle an einem Strang ziehen, ist die Wahrscheinlichkeit doch relativ hoch, dass das Projekt danach auch wirklich zum Erfolg geführt werden kann, wie übrigens auch wissenschaftliche Untersuchungen bei bisher in der integrierten Projektabwicklung durchgeführten Bauvorhaben zeigen.

Götz Müller: Ja. Das war vielleicht zum Abschluss noch ein gutes Stichwort. Wissenschaft, also sprich Hochschule, Sie hatten es am Anfang mal angedeutet, Sie sind ja über die reine Anwaltstätigkeit hinaus noch aktiv in der Dozenten-/Referenten-Rolle und da mal dann hinterfragt, also a) natürlich ein bisschen dargestellt, um was geht's da noch konkreter und aber eben auch noch ein bisschen vertieft, was für Veränderungen gibt es in der Branche, was kann man eventuell auf andere Branchen übertragen?

Ulrich Eix: Ja, genau. Also mir reicht das sozusagen nicht, als Anwalt tätig zu sein, sondern ich tausche mich gerne mit anderen Leuten aus beziehungsweise vermittle das Wissen, das ich angesammelt habe, beziehungsweise mir erarbeitet habe. Das tue ich hauptsächlich zu den Themen Building Information Modeling und zu dem Thema Lean Construction beziehungsweise integrierte Projektabwicklung. Da bin ich in unterschiedlichen, ja, Zertifizierungs-, Fortbildungskursen und Seminaren tätig, jetzt eben tatsächlich zuletzt eben die Lehrbeauftragtentätigkeit beim Klaus Nesensohn an der HFT in Stuttgart. Meine Wahrnehmung beziehungsweise Beobachtung über die letzten Jahre ist schon die, dass die Baubranche, respektive die Vertreter der Baubranche, die dann in den Seminaren und Vorträgen drinsitzen, sehr viel offener geworden sind für solche, ja, ich sag jetzt mal innovativen und kooperativen Projektabwicklungsformen, weil ich schon den Eindruck habe, dass sich die Erkenntnis mehr und mehr durchsetzt, dass das, wie man es die letzten Jahre und Jahrzehnte betrieben hat, ich sage mal etwas vorsichtig, nicht der beste Weg ist, und ich glaube schon auch, dass das bis zu einem gewissen Grad vielleicht etwas mit einer Generationenfrage zu tun hat. Jedenfalls mein Eindruck ist auch der, dass gerade die jüngere Generation und damit meine ich jetzt nicht nur die bis 30-Jährigen, da schon auch noch mal, ja, wie soll man sagen, vielleicht ein anderes Leitbild verfolgt.

Götz Müller: Ja und da kommt mir jetzt zum Abschluss so ein, ja, ich möchte es durchaus sogar Appell nennen, an die anderen Branchen, weil ein Spruch, der mir immer ganz oft begegnet, „Ja, das haben wir schon immer so gemacht“ oder „Das haben wir schon mal ausprobiert, wird bei uns nicht funktionieren“ und da jetzt eben der, finde ich, sehr zutreffende Appell, bezogen auf die Baubranche, die ja im Grunde eine der ältesten Branchen ist, wenn die das hinkriegen, sich zu wandeln, sich weiterzuentwickeln, beim besten Willen, Leute, dann kriegt ihr das auch hin.

Ulrich Eix: Da haben Sie absolut recht. Ja, das ist eine richtige und schöne Erkenntnis.

Götz Müller: Gut. Prima, ich danke Ihnen für Ihre Zeit, für die wieder interessanten Einblicke in ein Thema, was wahrscheinlich den meisten meiner Zuhörer, vielleicht nur einmal im Leben, wenn man baut begegnet oder vielleicht noch nie begegnet ist, aber trotzdem auch durch die Lean-Brille wieder viele interessante Dinge dabei waren. Deshalb noch mal vielen Dank für Ihre Zeit.

Ulrich Eix: Sehr, sehr gerne Herr Müller.

Götz Müller: Zum Abschluss noch ein Hinweis an die Zuhörer, in den Notizen zur Episode finden Sie einen Link zur Registrierung zu einem Online-Seminar zur integrierten Projektabwicklung.

Das war die heutige Episode im Gespräch mit Ulrich Eix zum Thema Wanderer zwischen den Welten. Notizen und Links zur Episode finden Sie auf meiner Website unter dem Stichwort 262.

Wenn Ihnen die Folge gefallen hat, freue ich mich über Ihre Bewertung bei iTunes. Sie geben damit auch anderen Lean-Interessierten die Chance, den Podcast zu entdecken.

Ich bin Götz Müller und das war Kaizen to go. Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Interesse. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit bis zur nächsten Episode. Und denken Sie immer daran, bei allem was Sie tun oder lassen, das Leben ist viel zu kurz, um es mit Verschwendung zu verbringen.

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